JudikaturVwGH

Ra 2024/10/0095 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. August 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Eisner und die Hofrätin Mag. Zehetner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Mai 2024, Zl. VGW 242/038/5603/2024/VOR 2, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: A A in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Einstellung der zuerkannten Mindestsicherungsleistungen ab 1. Dezember 2023 aufgehoben wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im übrigen Umfang (Aufhebung der Einstellung der zuerkannten Mindestsicherungsleistungen vom 1. September 2023 bis zum 30. November 2023) wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien dem nunmehrigen Amtsrevisionswerber vom 6. November 2023 wurde die dem Mitbeteiligten mit Bescheid vom 14. Juli 2023 (bis zum 31. März 2024) zuerkannten Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs mit (Ablauf des) 31. August 2023 unter Berufung auf § 4 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) eingestellt.

2 Begründend wurde ausgeführt, der Mitbeteiligte absolviere seit 1. September 2023 ein Studium an der Fachhochschule X und erfülle daher ab diesem Zeitpunkt die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für den weiteren Bezug von Leistungen der Mindestsicherung nicht. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei mit Abschluss einer höheren Schule mit Reifeprüfung die Erwerbsbefähigung voll gegeben, weshalb jede darüber hinausgehende Ausbildung keine Voraussetzung für eine Erwerbsbefähigung darstelle. Es sei nicht die Aufgabe der Mindestsicherung, einer volljährigen Person, die bereits über eine abgeschlossene Schul- bzw. Berufsausbildung verfüge, durch Gewährung von Leistungen eine weitere (höhere) Ausbildung zu ermöglichen.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 15. Mai 2024 wurde einer dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben (Spruchpunkt I.). Weiters wurde ausgesprochen, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig sei (Spruchpunkt II.).

4 Das Verwaltungsgericht ging nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens davon aus, dass der im Juni 2001 geborene Mitbeteiligte 2017 nach Österreich gekommen und ihm die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Er wohne bei seinen Eltern in Wien und habe kein Einkommen und Vermögen. Seine bisherigen Schulbesuche seien vom Arbeitsmarktservice gefördert worden, die Ausbildung an der privaten Fachhochschule werde vom Arbeitsmarktservice nicht mehr gefördert. Der Mitbeteiligte habe weder „eine Schulausbildung auf Maturaniveau“ noch eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung.

5 In der rechtlichen Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, Ziel des WMG sei es, Armut und soziale Ausschließung zu bekämpfen und die Existenzsicherung der anspruchsberechtigten Personen zu gewährleisten. Eine rückwirkende Einstellung von bereits ausbezahlten Leistungen (gemeint offenbar: Einstellung der Leistungen mit Ablauf des 31. August 2023 durch den Bescheid vom 6. November 2023) sei unzulässig. Die Einstellung der Leistung sei jedoch auch ab 1. Dezember 2023 nicht gerechtfertigt. Der Berufsabschluss sei insbesondere für junge (18 bis 25 Jahre) Mindestsicherungsbezieher prioritär. Dabei sei auf die Fähigkeiten und die persönliche Situation des Hilfsbedürftigen einzugehen und auf die Eigenart und Ursache der Notlage Rücksicht zu nehmen. Der Mitbeteiligte sei in seinem 16. Lebensjahr nach Österreich geflüchtet und habe offensichtlich von Beginn an eine technische Ausbildung absolvieren wollen. Dabei seien die sprachlichen Defizite im Wege gestanden, der Mitbeteiligte habe einige Zeit benötigt, um die deutsche Sprache zu erlernen. Letztlich habe die Höhere Technische Lehranstalt „deswegen nicht mit der Matura abgeschlossen werden“ können, der Mitbeteiligte habe wegen seines fortgeschrittenen Alters „die Möglichkeit der Qualifikationsprüfung (diese ist keine Ausbildung auf Maturaniveau) für seine technische Ausbildung ergriffen“. Durch die Ausbildung an der Fachhochschule erscheine eine „Eingliederung in das Erwerbsleben“ erleichtert und gesichert. Eine Ungleichbehandlung mit Personen, die die Möglichkeit einer Schulausbildung auf Maturaniveau im entsprechenden Alter hätten, sei nicht zu erkennen. Der Mitbeteiligte werde jedoch die Zielstrebigkeit seiner Ausbildung „regelmäßig durch Vorlage entsprechender Unterlagen“ nachzuweisen haben.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde.

7 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.

8 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Das Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 38/2010 idF LGBl. Nr. 16/2024 (WMG), lautet auszugsweise:

Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen

(1) Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung hat, wer

1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,

2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,

3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,

4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.

(2) ...

(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Wiener Mindestsicherung nicht zu.

...

Einsatz der Arbeitskraft und Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen

(1) Arbeitsfähige Hilfe suchende und empfangende Personen sind verpflichtet, ihre Arbeitskraft einzusetzen, insbesondere von sich aus alle zumutbaren Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen bis Lebensunterhalt und Wohnbedarf der Bedarfsgemeinschaft aus eigenen Mitteln unabhängig von Leistungen der Mindestsicherung gedeckt sind. Diese Pflichten bestehen insbesondere auch dann, wenn mit einer ausgeübten Beschäftigung der Lebensunterhalt und Wohnbedarf nicht gedeckt werden kann oder das volle Beschäftigungsausmaß nicht erreicht wird. Das Vorliegen von Arbeitsfähigkeit (§ 8 AlVG) und Zumutbarkeit (§ 9 AlVG) wird von den zuständigen Stellen, insbesondere jenen für die Gewährung von Arbeitslosengeld, beurteilt.

...

(2) Arbeitsfähige Hilfe suchende und empfangende Personen sind verpflichtet, sich bei den regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stellen, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen und an allen Angeboten zur Feststellung von Kompetenzen und Eignungen, zur Steigerung der Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit und zur Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben mitzuwirken. ...

(4) Der Einsatz der Arbeitskraft und die Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen darf nicht verlangt werden von Personen, die

...

6. in einer zielstrebig verfolgten Erwerbs- oder Schulausbildung stehen, die

a) bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde, sofern noch keine abgeschlossene Erwerbsausbildung oder Schulausbildung auf Maturaniveau vorliegt,

b) einen Pflichtschulabschluss oder erstmaligen Abschluss einer Lehre oder Facharbeiter-Intensivausbildung zum Ziel hat, sofern dadurch voraussichtlich die Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben erleichtert wird,

...“

10 Das Fachhochschulgesetz, BGBl. Nr. 340/1993 idF BGBl. I Nr. 188/2023 (FHG), lautet auszugsweise:

Anwendungsbereich

(1) Dieses Bundesgesetz regelt die Einrichtung von Fachhochschulen sowie die Durchführung von Fachhochschul-Studiengängen und Hochschullehrgängen zur Weiterbildung.

...

Ziele und leitende Grundsätze

(1) Fachhochschulen haben die Aufgabe, Studiengänge auf Hochschulniveau anzubieten, die einer wissenschaftlich fundierten Berufsausbildung dienen. Die wesentlichen Ziele sind:

1. die Gewährleistung einer praxisbezogenen Ausbildung auf Hochschulniveau;

2. die Vermittlung der Fähigkeit, die Aufgaben des jeweiligen Berufsfeldes dem Stand der Wissenschaft und den aktuellen und zukünftigen Anforderungen der Praxis zu lösen;

3. die Förderung der Durchlässigkeit des Bildungssystems und der beruflichen Flexibilität der Absolventinnen und Absolventen.

...

Studierende

(1) Fachhochschul-Studiengänge sind bei Erfüllung der fachlichen Voraussetzungen ohne Unterschied des Geschlechts, der sozialen Herkunft, der ethnischen Zugehörigkeit, der Religion oder Weltanschauung, des Alters, der sexuellen Orientierung und der Staatsbürgerschaft allgemein zugänglich.

...

(4) Fachliche Zugangsvoraussetzung zu einem Fachhochschul-Bachelorstudiengang ist die allgemeine Universitätsreife oder eine einschlägige berufliche Qualifikation; fachliche Zugangsvoraussetzung zu einem Fachhochschul-Masterstudiengang ist ein abgeschlossener facheinschlägiger Fachhochschul-Bachelorstudiengang oder der Abschluss eines gleichwertigen Studiums an einer anerkannten inländischen oder ausländischen postsekundären Bildungseinrichtung. ...

(5) Die allgemeine Universitätsreife ist durch eine der folgenden Urkunden nachzuweisen:

1. österreichisches Reifezeugnis einschließlich eines Zeugnisses über die Berufsreifeprüfung,

2. anderes österreichisches Zeugnis über die Zuerkennung der Studienberechtigung für eine bestimme Studienrichtungsgruppe an einer Universität, Pädagogischen Hochschule oder Fachhochschule,

3. ausländisches Zeugnis, das einem dieser österreichischen Zeugnisse auf Grund einer völkerrechtlichen Vereinbarung oder auf Grund einer Nostrifizierung oder auf Grund der Entscheidung der Studiengangsleitung des inländischen Fachhochschul Studienganges im Einzelfall gleichwertig ist,

4. Urkunde über den Abschluss eines mindestens dreijährigen Studiums (mit 180 ECTS Anrechnungspunkten) an einer anerkannten inländischen oder ausländischen postsekundären Bildungseinrichtung.

(5a) Bestehen Zweifel an der Echtheit der Urkunden, mit denen die Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen nachgewiesen wird, oder an deren inhaltlicher Richtigkeit oder reichen diese für eine Entscheidung nicht aus, kann der Erhalter der Fachhochschule die Überprüfung der Unterlagen oder der Kenntnisse vornehmen oder durch von der Fachhochschule bestellte Sachverständige vornehmen lassen. Dafür kann vom Erhalter der Fachhochschule eine Kaution in der Höhe von höchstens 500 Euro eingehoben werden, welche der Studienwerberin oder dem Studienwerber rückzuerstatten ist, wenn die Überprüfung die Echtheit und Richtigkeit der Unterlagen ergeben hat und diese oder dieser die Zugangsvoraussetzungen erfüllt.

...“

11 In der Zulässigkeitsbegründung der vorliegenden außerordentlichen Revision wird geltend gemacht, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu, ob „die Ablegung einer vorgezogenen Teilprüfung der Hauptprüfung der Reife- und Diplomprüfung, sowie das Erfüllen der fachlichen Zugangsvoraussetzungen zu einem Fachhochschul-Bachelorstudiengang durch Absolvierung der dafür vorgesehenen Qualifikationsprüfung“ als Schulausbildung auf Maturaniveau oder als eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung (iSd § 4 Abs. 3 WMG) zu qualifizieren sei. Zudem sei das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht (Verweis auf VwGH 28.2.2018, Ra 2017/17/0703) abgewichen.

12 Die Revision ist zulässig und begründet.

13 Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass dem angefochtenen Erkenntnis keine näheren Feststellungen zu der vom Mitbeteiligten in Österreich absolvierten Schulausbildung, zu den (der Zulassung zum Fachhochschulstudium vorangehenden) „Qualifikationsprüfungen“ und zum vom Mitbeteiligten betriebenen Fachhochschulstudium zu entnehmen sind. Nach dem Vorbringen des Mitbeteiligten hat dieser (u.a.) eine Höhere Technische Lehranstalt besucht und ein Zeugnis über die Ablegung einer vorgezogenen Teilprüfung der Hauptprüfung der Reife- und Diplomprüfung vom Juni 2023 (bezüglich vier Prüfungsgebiete) vorgelegt. Weiters hat der Mitbeteiligte ein Zertifikat über vier im Sommersemester 2023 absolvierte „Qualifikationsprüfungen“ an jener Fachhochschule vorgelegt, an der er seit dem Wintersemester 2023 den Studiengang „Bachelor Erneuerbare Energien“ betreibt. Dieser Studiengang weist nach einem vom Mitbeteiligten vorgelegten Ausbildungsvertrag eine Regelstudiendauer von sechs Semestern auf.

14 Das Verwaltungsgericht ist nun ohne eingehendere Begründung einerseits der Ansicht, dass der Mitbeteiligte trotz Zulassung zu einem Fachhochschulstudium über keine „Schulausbildung auf Maturaniveau“ bzw. keine „für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung“ iSd § 4 Abs. 3 WMG verfüge; andererseits vertritt es offenbar die Ansicht, dass dem Mitbeteiligten für die Zeit des Fachhochschulstudiums sofern dieser nur „die Zielstrebigkeit seiner Ausbildung regelmäßig durch Vorlage entsprechender Unterlagen“ nachweist Mindestsicherung zu gewähren sei.

15 Was zunächst den zuletzt angesprochenen Aspekt anbelangt, so erweist sich das angefochtene Erkenntnis allerdings schon deshalb als rechtswidrig, weil nicht dargelegt wird, weshalb der Mitbeteiligte selbst wenn man davon ausginge, dass er über keine „Schulausbildung auf Maturaniveau“ bzw. keine „für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung“ verfüge nicht verpflichtet wäre, seine Arbeitskraft gemäß § 14 Abs. 1 WMG einzusetzen. Gemäß § 14 Abs. 4 Z 6 lit. a WMG darf der Einsatz der Arbeitskraft und die Mitwirkung an arbeitsmarktbezogenen sowie die Arbeitsfähigkeit oder Vermittelbarkeit fördernden Maßnahmen nämlich nur von jenen Personen nicht verlangt werden, die in einer zielstrebig verfolgten Erwerbs- oder Schulausbildung stehen, die bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen wurde. Das hier in Rede stehende Fachhochschulstudium wurde vom Mitbeteiligten unstrittig im Alter von 22 Jahren begonnen; dass der Mitbeteiligte seine Arbeitskraft im Sinne des § 14 Abs. 1 WMG einsetzt, wurde nicht festgestellt. Dass dem Mitbeteiligten bereits dann, wenn er nur die Zielstrebigkeit seiner Ausbildung regelmäßig durch Vorlage entsprechender Unterlagen nachweist, Mindestsicherung für dieses Studium zu gewähren ist, trifft daher selbst bei Zugrundelegung der Ansicht des Verwaltungsgerichtes, der Mitbeteiligte verfüge über keine „Schulausbildung auf Maturaniveau“ bzw. keine „für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung“, nicht zu.

16 Allerdings ist auch der Ansicht des Verwaltungsgerichtes, der Mitbeteiligte verfüge trotz Zulassung zu einem Fachhochschulstudium über keine „Schulausbildung auf Maturaniveau“ iSd § 4 Abs. 3 WMG, nicht zu folgen:

17 Fachhochschulen haben nach § 3 Abs. 1 FHG die Aufgabe, Studiengänge auf Hochschulniveau anzubieten, die einer wissenschaftlich fundierten Berufsausbildung dienen. Fachliche Zugangsvoraussetzung zu einem Fachhochschul Bachelorstudiengang ist gemäß § 4 Abs. 4 FHG die allgemeine Universitätsreife oder eine einschlägige berufliche Qualifikation (dass der Mitbeteiligte auf Grundlage einer derartigen einschlägigen beruflichen Qualifikation zum Studium zugelassen worden wäre, ist vor dem Hintergrund der vorgelegten Verfahrensakten nicht ersichtlich, sodass darauf hier nicht weiter einzugehen ist). Die allgemeine Universitätsreife ist durch eine in § 4 Abs. 5 FHG genannte Urkunde etwa nach Z 1 ein österreichisches Reifezeugnis einschließlich eines Zeugnisses über die Berufsreifeprüfung nachzuweisen, wobei der Erhalter der Fachhochschule gemäß § 4 Abs. 5a FHG u.a. dann, wenn Urkunden, mit denen die Erfüllung der Zugangsvoraussetzungen nachgewiesen wird, für eine Entscheidung nicht ausreichen, die „Überprüfung der Unterlagen oder der Kenntnisse“ vornehmen kann.

18 Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes kann nun aber vor diesem Hintergrund bei einer Person, der sei es auch nach einer Überprüfung der Kenntnisse im Sinne des § 4 Abs. 5a FHG die allgemeine Universitätsreife attestiert und die aus diesem Grund zu einem Fachhochschul Bachelorstudiengang zugelassen wird, nicht davon ausgegangen werden, dass diese über keine „Schulausbildung auf Maturaniveau“ im Sinne des § 4 Abs. 3 WMG verfügt. Diese Sichtweise hätte zur Folge, dass jene „Schulausbildung auf Maturaniveau“ im Sinne des WMG, die in der Sache eine Voraussetzung für die Zulassung zu einem Fachhochschul-Bachelorstudiengang darstellt, erst durch dieses Studium erlangt wird. Derartiges kann dem Gesetzgeber des WMG aber nicht unterstellt werden. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Sozialhilferecht, dass dann, wenn eine Person bereits über eine abgeschlossene Ausbildung verfügt und dadurch ihre Erwerbsbefähigung voll gegeben ist, eine darüber hinausgehende Ausbildung keine Voraussetzung für eine Erwerbsbetätigung darstellt und nicht aus den Mitteln der Sozialhilfe zu unterstützen ist (vgl. VwGH 30.9.2015, Ro 2015/10/0023, mit Verweis auf VwGH 17.10.1995, 95/08/0110; 18.10.1988, 87/11/0242). Dass dem WMG ein anderes Verständnis zugrunde liegt, ist nicht ersichtlich. Demnach trifft die (für die Aufhebung der Einstellung ab 1. Dezember 2023) vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung nicht zu.

19 Ein näheres Eingehen auf die in der Revision nicht thematisierte Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Aufhebung der Einstellung für den Zeitraum vom 1. September 2023 bis zum 30. November 2023, wonach eine rückwirkende Einstellung von bereits ausbezahlten Leistungen unzulässig sei (vgl. zum Wiener Sozialhilfegesetz etwa VwGH 18.10.2000, 95/08/0181; 17.10.1996, 96/08/0021; 16.11.1993, 92/08/0261), erübrigt sich hier, weil sich das angefochtene Erkenntnis aus einem weiteren Grund als rechtswidrig erweist:

20 § 24 VwGVG lautet auszugsweise:

Verhandlung

(1) Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

...

(3) Der Beschwerdeführer hat die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

(4) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

...“

21 Eine Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist daher grundsätzlich durchzuführen, wenn es um „civil rights“ oder „strafrechtliche Anklagen“ im Sinn des Art. 6 EMRK oder um die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte (Art. 47 GRC) geht und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird. Wie der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 24 Abs. 4 VwGVG bereits wiederholt festgehalten hat, hatte der Gesetzgeber als Zweck einer mündlichen Verhandlung dabei die Klärung des Sachverhaltes und die Einräumung von Parteiengehör sowie darüber hinaus auch die mündliche Erörterung einer nach der Aktenlage strittigen Rechtsfrage zwischen den Parteien und dem Gericht vor Augen. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC stehen dem Absehen von einer Verhandlung nach dem VwGVG insbesondere dann nicht entgegen, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt feststeht und auch keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten können, sodass eine Verhandlung nicht notwendig ist. Nach der Judikatur des EGMR kann zudem das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ein Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung rechtfertigen. Demnach kann der Verzicht auf eine mündliche Verhandlung im Anwendungsbereich des VwGVG etwa in Fällen gerechtfertigt sein, in welchen lediglich Rechtsfragen beschränkter Natur oder von keiner besonderen Komplexität aufgeworfen werden. Bei Missachtung der Verhandlungspflicht im Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK und des Art. 47 GRC ist keine Relevanzprüfung hinsichtlich des Verfahrensmangels vorzunehmen (vgl. VwGH 30.1.2025, Ra 2024/10/0057, mit Verweis auf VwGH 23.3.2023, Ra 2022/10/0110; 21.12.2021, Ra 2020/10/0077; 1.6.2021, Ro 2020/10/0002). Streitigkeiten über Sozialhilfeleistungen betreffen nach der Judikatur des EGMR zivile Rechte im Sinn von Art. 6 EMRK (vgl. nochmals VwGH 30.1.2025, Ra 2024/10/0057, mit Verweis auf VwGH 23.3.2023, Ra 2022/10/0110; 21.12.2021, Ra 2020/10/0077; 30.1.2014, 2012/10/0193; 27.3.2012, 2009/10/0084; 12.8.2010, 2008/10/0315).

22 Ausführungen dazu, aus welchen Gründen das Verwaltungsgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 24 Abs. 4 VwGVG ausgegangen ist, finden sich im angefochtenen Erkenntnis nicht. Der Amtsrevisionswerber hat erkennbar für den Fall, dass die Beschwerde nicht antragsgemäß abgewiesen wird die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Das Verwaltungsgericht hat allerdings nicht begründet, warum es trotz dieses Antrags eine mündliche Verhandlung unterlassen hat.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher, soweit damit die Einstellung der zuerkannten Mindestsicherungsleistungen ab 1. Dezember 2023 aufgehoben wurde (vgl. oben Rz 18), gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

24 Im übrigen Umfang (Aufhebung der Einstellung der zuerkannten Mindestsicherungsleistungen vom 1. September 2023 bis zum 30. November 2023) war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 17. Juni 2025

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