JudikaturVwGH

Ra 2022/16/0028 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. November 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Mag. M. Mayr als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der M C GmbH in Z, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 19, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 10. Februar 2022, RV/7200011/2020, betreffend verbindliche Zolltarifauskünfte (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Zollamt Österreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Anträgen vom 29. März 2019 beantragte die Revisionswerberin beim (damaligen) Zollamt Wien (nunmehr: Zollamt Österreich) die Erteilung verbindlicher Zolltarifauskünfte (in weiterer Folge: vZTA) für insgesamt sieben, zu drei verschiedenen Produktgruppen Beschichtungen für Dämmstoffplatten („Foam Facer“), Verpackungen für Lebensmittel („Innenliner“ für Chipsdosen), sowie Kühlschrankrückwände („Backwall“) gehörenden Waren (Verbundmaterialien in Form von Rollen, jeweils bestehend aus Papier bzw. Karton, Polymeren und Aluminiumfolie in unterschiedlicher Zusammensetzung hinsichtlich der Materialstärke und Schichtanzahl) unter Vorlage von Warenmustern und Beilage von Spezifikationsblättern mit dem Tarifierungsvorschlag, die Waren in die Position 4811 (Unterposition 59 00 bzw. in einem Fall 51 00) der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen.

2 Mit verbindlichen ZTA (vZTA) vom 5., 6., 7. und 8. August 2019 entschied das Zollamt mit Verweisen auf die Untersuchungsbefunde der Technischen Untersuchungsanstalt der Bundesfinanzverwaltung (in weiterer Folge: TUA), dass die Waren in die Unterposition 7607 20 10 der KN einzureihen seien. Das Wesen der Waren stelle die Aluminiumfolie dar.

3 Die Revisionswerberin erhob gegen die vZTAs im Wesentlichen gleichlautende Beschwerden, welche das Zollamt mit Beschwerdevorentscheidungen als unbegründet abwies. In der Folge stellte die Revisionswerberin Vorlageanträge.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerden als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und ausführlicher Darlegung der relevanten Rechtsgrundlagen bejahte das Bundesfinanzgericht im Hinblick auf die von der Revisionswerberin beabsichtigte Inanspruchnahme eines Zollverfahrens betreffend die verfahrensgegenständlichen Waren, die von der Revisionswerberin überwiegend exportiert würden zunächst das Vorliegen des für die Erteilung einer vZTA gemäß Art. 33 Abs. 1 UZK erforderlichen Kriteriums des rechtlichen Interesses.

6 Betreffend die Produktgruppe der Beschichtungen für Dämmstoffplatten („Foam Facer“) zu der insgesamt drei der verfahrensgegenständlichen Waren gehören führte das Bundesfinanzgericht nach wörtlicher Wiedergabe des diesbezüglichen Vorbringens der Revisionswerberin in der Beschwerde und im Vorlageantrag im Wesentlichen aus, es stehe außer Streit, dass es sich bei diesen Erzeugnissen jeweils um einen Verbund in Form einer Rolle, bestehend aus Papier, Kunststoff Polymere und Aluminiumfolie handle. Das Papier werde auf beiden Seiten mit Kunststoff Polymere überzogen, sowie mit Alufolie kaschiert. Ein Vertreter der Revisionswerberin habe im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, diese Verbundstoffe dienten als Ober und Unterbegrenzung von Isolierplatten aus Polyurethan (PU) Schaum. Diese Platten enthielten das für die Isolierwirkung wesentliche Pentan Gas, das ohne die verfahrensgegenständlichen Verbundstoffe entweichen würde.

7 Nach wörtlicher Wiedergabe der im Rahmen der mündlichen Verhandlung getroffenen Aussagen eines Technikers der TUA führte das Bundesfinanzgericht weiters aus, ein Vertreter der Revisionswerberin habe ebenfalls im Rahmen der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass die Papierschicht für die notwendige Stabilität im Produktionsprozess sorge. Ohne diese Papierschicht könne das Fertigerzeugnis nicht verwindungsfrei hergestellt werden, während die Sperrwirkung des Verbundstoffes auch durch andere Mittel, etwa durch eine metallisierte Polyesterfolie, erreicht werden könne.

8 Aus der Sicht des Bundesfinanzgerichts lasse die Beschreibung der Ware und die Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der Ware den Schluss zu, dass der Charakter der betreffenden Verbundstoffe durch das Aluminium bestimmt werde.

9 Für diese Einschätzung spreche vor allem die von der Alufolie unstrittig ausgeübte Sperrfunktion, die für die isolierende Wirkung des Endproduktes wesentlich sei, weil sie das Eindringen von Feuchtigkeit und das Entweichen des Pentans aus der PU Platte verhindere. Dem Papier komme hingegen bloß Trägerfunktion zu, weil es für die mechanische Stabilität sorge. Dazu komme, dass Papier porös sei, also Wasser ansauge, eine Eigenschaft die für den intendierten Zweck als Außenschicht von Dämm und Isolierplatten unerwünscht sei.

10 Dem Einwand, die für die Dämmplatten geforderte Sperrschichtfunktion des Aluminiums könne auch durch andere Materialien (wie z.B. mit reinen Kunststoffbarrierefolien oder mittels keramischer Schichten) erzielt werden, sei zu entgegnen, dass es auf jene Stoffe ankomme, aus denen die verfahrensgegenständliche Ware tatsächlich bestehe und nicht etwa auf jene Materialien, die allenfalls alternativ dazu eingesetzt werden könnten.

11 Dass es bei der Beurteilung der Frage, welches Merkmal einer aus mehreren Lagen bestehenden Ware deren Charakter bestimme, nicht alleine darauf ankomme, welche Schicht aufgrund ihres Gewichtes oder ihre Stärke als dominierend zu erachten sei, ergebe sich auch aus dem Avis 1 zum Harmonisierten System (betreffend eine Isolierung, bestehend aus 2 äußeren Lagen aus Aluminiumfolie und einer inneren Lage aus einer Polyethylen Luftpolsterfolie), weil das dort genannte Produkt ebenfalls in die Position 7607 der KN eingereiht worden sei, obwohl die Polyethylenfolie sowohl hinsichtlich Umfang als auch hinsichtlich Gewicht im Vergleich zur Aluminiumfolie bei weitem überwiege.

12 Diese „Feststellungen“ würden bei einer gesamthaften Bewertung für eine Einreihung der Ware in die Position 7607 gemäß den allgemeinen Vorschriften der KN (AV) 3b) auf Grund der Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der Ware sprechen.

13 Andererseits sei die Revisionswerberin im Recht, wenn sie meine, Eigenschaften einzelner Bestandteile wie Umfang, Menge und Gewicht seien geeignete Kriterien, um Rückschlüsse auf den wesensbestimmenden Charakter eines aus mehreren Stoffen bestehenden Erzeugnisses zu liefern. Ausgehend davon lasse sich argumentieren, dass die Papierschicht charakterbestimmende Eigenschaften erfülle. Gleiches gelte wohl für andere Merkmale wie etwa Wärmeausdehnungskoeffizient, Wärmeleitfähigkeit oder Dichte. Dies könnte insgesamt zu einer Einreihung des Erzeugnisses in die Position 4811 der KN führen. Das Bundesfinanzgericht sei überzeugt, dass sich noch weitere Argumente finden ließen, die einem bestimmten Bestandteil des Verbundstoffes charakterbestimmende Eigenschaften zuschreiben würden und dass diese Betrachtung, je nachdem, auf welche Merkmale der Fokus gelegt werde, zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen somit entweder für die Einreihung in die Position 4811 oder in die Position 7607 der KN führe könne. Es ließe sich somit diesbezüglich keine eindeutige Aussage hinsichtlich des wesensbestimmenden Charakters treffen.

14 Eine Einreihung nach AV 3b) sei allerdings nur möglich, wenn der Stoff oder Bestandteil, der dem Erzeugnis seinen wesentlichen Charakter verleihe, ermittelt werden könne. Vorliegend lasse sich ein solcher wesensbestimmender Bestandteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Eindeutigkeit feststellen. Es komme daher AV 3c) zur Anwendung, wonach wenn mehrere Positionen der KN gleichermaßen in Betracht kommen würden, die Ware der zuletzt genannten Position vorliegend somit die Position 7607 der KN zugewiesen werden müsse.

15 Betreffend die Produktgruppe der Verpackungen für Lebensmittel („Innenliner“ für Chipsdosen) zu der ebenfalls insgesamt drei der verfahrensgegenständlichen Waren gehören führte das Bundesfinanzgericht nach wörtlicher Wiedergabe des diesbezüglichen Vorbringens der Revisionswerberin in der Beschwerde und im Vorlageantrag, sowie der relevanten Teile der Niederschrift über die mündlichen Verhandlung im Wesentlichen aus, bei Betrachtung der „unter Buchstabe C zur Position 4811 der KN ergangenen Erläuterungen zum Harmonisierten System“ zeige sich, dass die Einreihung der dort genannten Verbundstoffe nicht damit begründet werde, dass einem der Bestandteile charakterbestimmende Bedeutung zukomme. Die Einreihung stütze sich vielmehr auf die Eignung der genannten Verbundstoffe für die intendierte Verwendung, also für die Herstellung von Verpackungen für Getränke und andere Nahrungsmittel. Aus der Warenbeschreibung ergebe sich die Notwendigkeit einer unmittelbaren Eignung zum angegebenen Zweck. Die genannten Verbundstoffe würden sich dadurch auszeichnen, dass sie „so wie sie sind“ von der innersten bis zur äußersten Schicht bereits „völlig fertiggestellt“ und offensichtlich nur mehr von der Rolle herausgeschnitten, gefaltet und verschlossen werden müssten, um als Verpackungen eingesetzt zu werden.

16 Nach der Überzeugung des Bundesfinanzgerichtes handle es sich bei jenen in den Erläuterungen genannten Waren um vom Wortlaut der Position 4811 der KN umfasste Papperzeugnisse, die unmittelbar zur Herstellung von Getränke bzw. Nahrungsmittelkartons („Tetra Pak“) bestimmt seien.

17 Das verfahrensgegenständliche Erzeugnis sei hingegen für die unmittelbare Herstellung als Umschließung nicht geeignet, weil für die Herstellung der Verpackungseinheit (Chipsdosen) noch weitere Verarbeitungsschritte notwendig seien. Es handle sich bloß um ein Vorprodukt, das noch mit dem „Papieraußenliner“ verklebt werden müsse. Das Erzeugnis entspreche somit nicht den in den Erläuterungen genannten Papieren oder Pappen.

18 Durch die Verwendung des verfahrensgegenständlichen Verbundstoffes im Rahmen der späteren Herstellung der Chipsdosen solle vor allem der Schutz der Chips vor dem Austrocknen gewährleistet werden. Bei dieser Schutzfunktion handle es sich nach Überzeugung des Bundesfinanzgerichts um eine der zentralen Anforderungen an die Chipsdosen. Diese Sperrschichtfunktion werde durch die Aluminiumfolie erreicht.

19 Aus der Sicht des Bundesfinanzgerichts lasse die Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der vorliegenden Ware als Teil einer Chipsdose den Schluss zu, dass der Charakter dieses Verbundstoffes durch das Aluminium bestimmt werde, das für den geforderten Schutz vor dem Austrocknen sorge. Dem Papier komme hingegen bloß Trägerfunktion zu.

20 Dem Einwand, die für Chipsdosen notwendige Sperrschichtfunktion des Aluminiums könne auch durch andere Materialien (wie z.B. mit reinen Kunststoffbarrierefolien oder mittels keramischer Schichten) erzielt werden, sei zu entgegnen, dass es auf jene Stoffe ankomme, aus denen die verfahrensgegenständliche Ware tatsächlich bestehe und nicht etwa auf jene Materialien, die allenfalls alternativ dazu eingesetzt werden könnten.

21 Diese „Feststellungen“ würden bei einer gesamthaften Bewertung für eine Einreihung der Ware in die Position 7607 gemäß AV 3b) auf Grund der Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der Ware sprechen.

22 Andererseits sei die Revisionswerberin im Recht, wenn sie meine, Eigenschaften einzelner Bestandteile wie Umfang, Menge und Gewicht seien geeignete Kriterien, um Rückschlüsse auf den wesensbestimmenden Charakter eines aus mehreren Stoffen bestehenden Erzeugnisses zu liefern. Ausgehend davon lasse sich argumentieren, dass die Papierschicht charakterbestimmende Eigenschaften erfülle. Gleiches gelte wohl für andere Merkmale wie etwa Wärmeausdehnungskoeffizient, Wärmeleitfähigkeit oder Dichte. Dies könnte insgesamt zu einer Einreihung des Erzeugnisses in die Position 4811 der KN führen. Das Bundesfinanzgericht sei überzeugt, dass sich noch weitere Argumente finden ließen, die einen bestimmten Bestandteil des Verbundstoffes charakterbestimmende Eigenschaften zuschreiben würden und dass diese Betrachtung, je nachdem, auf welche Merkmale der Fokus gelegt werde, zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen somit entweder für die Einreihung in die Position 4811 oder in die Position 7607 der KN führe könne. Es ließen sich somit diesbezüglich keine eindeutige Aussage hinsichtlich des wesensbestimmenden Charakters treffen.

23 Eine Einreihung nach AV 3b) sei allerdings nur möglich, wenn der Stoff oder Bestandteil, der dem Erzeugnis seinen wesentlichen Charakter verleihe, ermittelt werden könne. Vorliegend lasse sich ein solcher wesensbestimmender Bestandteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Eindeutigkeit feststellen. Es komme daher AV 3c) zur Anwendung, wonach wenn mehrere Positionen der KN gleichermaßen in Betracht kommen würden, die Ware in die zuletzt genannte Position vorliegend somit die Position 7607 der KN zugewiesen werden müsse.

24 Betreffend die Produktgruppe der Kühlschrankrückwände („Backwall“) zu der eine einzige der verfahrensgegenständlichen Waren gehört führte das Bundesfinanzgericht nach wörtlicher Wiedergabe des diesbezüglichen Vorbringens der Revisionswerberin in der Beschwerde und im Vorlageantrag im Wesentlichen aus, im Rahmen der mündlichen Verhandlung sei von einem Vertreter der Revisionswerberin eingeräumt worden, dass die Alufolie in diesem Verbundstoff für die geforderte Reflexion der Strahlungswärme sorge, womit verhindert werde, dass Wärme in die Kühlvorrichtung eintrete.

25 Nach wörtlicher Wiedergabe der im Rahmen der mündlichen Verhandlung getroffenen Aussagen eines Technikers der TUA sowie eines Technikers der Revisionswerberin führte das Bundesfinanzgericht weiters aus, die Beschreibung der Ware und die Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der Ware als Dämmschicht bei Kühlgeräten lasse den Schluss zu, dass der Charakter der betreffenden Verbundstoffe durch das Aluminium bestimmt werde, das für den geforderten Schutz vor Strahlungswärme sorge. Dem Papier komme hingegen bloß Trägerfunktion zu, weil es lediglich der mechanischen Stabilität diene.

26 Dem auch hier vorgebrachten Einwand, die für derartige Dämmschichten notwendige Sperrschichtfunktion des Aluminiums könne auch durch andere Materialien (wie z.B. mit reinen Kunststoffbarrierefolien oder mittels keramischer Schichten) erzielt werden, sei zu entgegnen, dass es auf jene Stoffe ankomme, aus denen die verfahrensgegenständliche Ware tatsächlich bestehe und nicht etwa auf jene Materialien, die allenfalls alternativ dazu eingesetzt werden könnten.

27 Diese „Feststellungen“ würden bei einer gesamthaften Bewertung für eine Einreihung der Ware in die Position 7607 gemäß AV 3b) auf Grund der Bedeutung der Alufolie in Bezug auf die Verwendung der Ware sprechen. Diese Einschätzung finde ihre Bestätigung u.a. auch durch eine vZTA aus Deutschland, mit der eine vergleichbare Ware ebenfalls in die Position 7607 der KN eingereiht worden sei.

28 Andererseits sei die Revisionswerberin im Recht, wenn sie meine, Eigenschaften einzelner Bestandteile wie Umfang, Menge und Gewicht seien geeignete Kriterien, um Rückschlüsse auf den wesensbestimmenden Charakter eines aus mehreren Stoffen bestehenden Erzeugnisses zu liefern. Ausgehend davon lasse sich argumentieren, dass die Papierschicht charakterbestimmende Eigenschaften erfülle. Gleiches gelte wohl für andere Merkmale wie etwa Wärmeausdehnungskoeffizient, Wärmeleitfähigkeit oder Dichte. Dies könnte insgesamt zu einer Einreihung des Erzeugnisses in die Position 4811 der KN führen. Das Bundesfinanzgericht sei überzeugt, dass sich noch weitere Argumente finden ließen, die einem bestimmten Bestandteil des Verbundstoffes charakterbestimmende Eigenschaften zuschreiben würden und dass diese Betrachtung, je nachdem, auf welche Merkmale der Fokus gelegt werde, zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen somit entweder für die Einreihung in die Position 4811 oder in die Position 7607 der KN führe könne. Es ließen sich somit diesbezüglich keine eindeutige Aussage hinsichtlich des wesensbestimmenden Charakters treffen.

29 Eine Einreihung nach AV 3b) sei allerdings nur möglich, wenn der Stoff oder Bestandteil, der dem Erzeugnis seinen wesentlichen Charakter verleihe, ermittelt werden könne. Vorliegend lasse sich ein solcher wesensbestimmender Bestandteil nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Eindeutigkeit feststellen. Es komme daher AV 3c) zur Anwendung, wonach wenn mehrere Positionen der KN gleichermaßen in Betracht kommen würden, die Ware der zuletzt genannten Position vorliegend somit die Position 7607 der KN zugewiesen werden müsse.

30 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende Revision. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis sei mit relevanten Verfahrensfehlern belastet, weil das Bundesfinanzgericht ohne Ermittlung des wesentlichen Charakters der verfahrensgegenständlichen Waren den nur als „ultima ratio“ anzuwendenden Auffangtatbestand des AV 3c) zu Anwendung gebracht habe. Das Bundesfinanzgericht hätte vielmehr zur Zusammensetzung der Waren und zu ihrem wesentlichen Charakter weitere Ermittlungen durchführen sollen, die zu einer Einstufung unter die Position 4811 der KN hätten führen können.

31 Nach Einleitung des Vorverfahrens brachte das Zollamt eine Revisionsbeantwortung ein, zu der die Revisionswerberin eine Replik erstattete.

32 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

33 Die Revision ist zulässig und begründet.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch einer Frage des Verfahrensrechts grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet; eine verfahrensrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG liegt bei einem Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze vor (vgl. etwa VwGH 30.6.2016, Ra 2016/16/0092, mwN).

34Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichts erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Gericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Mit der dazu erforderlichen zusammenhängenden Sachverhaltsdarstellung ist nicht etwa die Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens oder des Inhaltes von Aussagen, Urkunden oder gegebenenfalls Sachverständigengutachten gemeint, sondern die Anführung jenes Sachverhaltes, den das Verwaltungsgericht als Ergebnis seiner Überlegungen zur Beweiswürdigung als erwiesen annimmt. Die zusammenhängende Darstellung des vom Verwaltungsgericht festgestellten Sachverhaltes kann nicht durch den bloßen Hinweis auf „Aktenmaterial“ oder auf den Verfahrensgang ersetzt werden (vgl. VwGH 31.1.2024, Ro 2021/13/0010; 28.9.2023, Ra 2021/15/0049; 17.5.2023, Ro 2023/13/0008, jeweils mwN).

35Der Verwaltungsgerichtshof kann die ihm gemäß § 41 VwGG obliegende Gesetzmäßigkeitsprüfung nur vornehmen, wenn diese Entscheidung die Beurteilung des Vorliegens einer Verletzung der als verletzt geltend gemachten Rechte der revisionswerbenden Partei (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. einer Rechtswidrigkeit im Rahmen der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) auf der Grundlage der Begründung der Entscheidung auch ermöglicht. Lässt die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine solche Beurteilung gar nicht zu, dann führt ein solcher Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwangsläufig schon aus diesem Grund (VwGH 20.3.2024, Ro 2022/15/0038; 16.11.2023, Ra 2022/15/0079).

36Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif, ABl. L 256 vom 7. September 1987, (KN VO) wird eine Warennomenklatur Kombinierte Nomenklatur (KN) eingeführt, die u.a. den Erfordernissen des Gemeinsamen Zolltarifs genügt, welche u.a. gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchstabe c) der KN VO die Einführenden Vorschriften und die Zusätzlichen Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln umfasst und welche gemäß Art. 1 Abs. 3 KN VO in Anhang I der KN VO enthalten ist.

37 Die Kombinierte Nomenklatur (Anhang I der KN VO) enthält in Teil I die Einführenden Vorschriften und darunter in Titel I die Allgemeinen Vorschriften (AV) und in Teil II den Zolltarif. Z 3 der Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN legt die Vorgehensweise fest, wenn für die Einreihung von Waren zwei oder mehr Positionen in Betracht kommen. Dabei geht nach Z 3 lit. a AV die Position mit der genaueren Warenbezeichnung den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Gemäß Z 3 lit. b AV werden Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen sofern sie nach Z 3 lit. a AV nicht eingereiht werden können nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann. Z 3 lit. c AV sieht schließlich vor, dass wenn die Einreihung nach Z 3 lit. a und b AV nicht möglich ist, die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen in dieser Nomenklatur zuletzt genannten Position zugewiesen wird (vgl. zur Subsidiarität der in Z 3 AV festgelegten Auslegungsmodalitäten etwa EuGH 22.6.2023, PR Pet BV , C 24/22).

38 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten und Kapiteln festgelegt sind (vgl. etwa EuGH 5.9.2024, BIOR , C344/23; vgl. auch VwGH 26.5.2021, Ra 2018/16/0110, mwN). Dementsprechend beruht die Einreihung einer Ware in den Zolltarif nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auf einer reinen Tatsachenfeststellung (vgl. etwa EuGH 25.5.2023, Danish Fluid System Technologies A/S , C368/22; vgl. ebenso VwGH 14.5.2024, Ro 2023/16/0016).

39 Bei der Frage, welcher Stoff oder Bestandteil einer Ware ihren „wesentlichen Charakter“ verleiht, handelt es sich um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung nur auf Grundlage entsprechender Feststellungen etwa betreffend die physikalischen Eigenschaften der jeweiligen Bestandteile, insbesondere im Hinblick auf die Funktion der Ware (vgl. zur Relevanz des Verwendungszweckes einer Ware als objektives Einreihungskriterium etwa EuGH 27.6.2024, Prysmian Cabluri și Sisteme SA , C 168/23, mwN), allenfalls im Hinblick auf die Frage, ob die Ware auch ohne den einen oder anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen, funktionsbedingten Eigenschaften behalten würde (vgl. etwa EuGH 5.9.2024, BIOR , C 344/23) erfolgen kann.

40 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis abgesehen von einer groben Beschreibung der zur ersten (von insgesamt drei) verfahrensgegenständlichen Produktgruppe gehörenden Waren („Verbund in Form einer Rolle, bestehend aus Papier, Kunststoff Polymere und Aluminiumfolie“)keine eigenständigen Feststellungen getroffen, auf deren Grundlage die Bestimmung eines den wesentlichen Charakter der Waren verleihenden Bestandteils möglich wäre. Die Wiedergabe des Vorbringens der Revisionswerberin, sowie von Aussagen der im Rahmen der mündlichen Verhandlung einvernommenen Zeugen (Techniker der Revisionswerberin und Techniker der TUA) zu bestimmten technischen bzw. physikalischen Eigenschaften der Waren (bzw. der einzelnen Bestandteile und ihre Relevanz für die Funktion der Waren) können eigenständige Feststellungen des Bundesfinanzgerichts nicht ersetzen (vgl. erneut VwGH 31.1.2024, Ro 2021/13/0010).

41 Die Beurteilung des Bundesfinanzgerichts, wonach die verfahrensgegenständlichen Waren nach Z 3 lit. c AV in die von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen der KN zuletzt genannte Position einzureihen sei, weil ein wesensbestimmender Bestandteil der Waren nicht mit der erforderlichen Sicherheit und Eindeutigkeit festgestellt werden könne, erweist sich somit schon deshalb als rechtswidrig, weil es das Bundesfinanzgericht verabsäumt hat, ihr ausreichende die Anwendbarkeit der Z 3 lit. c AV eröffnenden Feststellungen zugrunde zu legen. Die Begründung des Bundefinanzgerichts erweist sich im Übrigen auch teilweise als widersprüchlich, weil zunächst ausgeführt wird, dass „der Charakter der vorliegenden Verbundstoffe durch das Aluminium bestimmt“ werde, in der Folge jedoch die Möglichkeit der Identifizierung eines wesensbestimmenden Bestandteils verneint wird.

42Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Sachverständigenbeweis „notwendig“ im Sinn des § 177 Abs. 1 BAO, wenn die Behörde nicht selbst über die entsprechenden Kenntnisse verfügt oder sich die Kenntnisse anderweitig aneignen kann. Das Gutachten eines Sachverständigen besteht in der fachmännischen Beurteilung von Tatsachen. Auch Sachverständigengutachten unterliegen der freien Beweiswürdigung; hiebei hat die Behörde nicht nur die Feststellungen des Befundes zu überprüfen, sondern auch aufgrund des Befundes die Schlüssigkeit des Gutachtens (vgl. wiederum VwGH 30.6.2016, Ra 2016/16/0092, mwN).

43 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesfinanzgericht daher mit den genannten Tatsachenfragen allenfalls unter Beiziehung eines (Amts )Sachverständigen bzw. nach Einholung eines entsprechenden (technischen) Gutachtens aus dem Bereich der Materialkunde auseinanderzusetzen und entsprechende Feststellungen zu treffen haben, die eine rechtliche Beurteilung dahingehend ermöglichen, welche Stoffe oder Bestandteile den verfahrensgegenständlichen Waren ihren wesentlichen Charakter verleihen, und, ob der Anwendungsbereich der AV Z 3 lit. c zur KN eröffnet ist.

44Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 21. November 2024