JudikaturVwGH

Ra 2016/16/0092 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. November 2016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann über die Revision der p m GmbH in G, vertreten durch Dr. Brigitte Birnbaum, Dr. Rainer Toperczer und Mag. Diether Pfannhauser, Rechtsanwälte in 1030 Wien, Beatrixgasse 3, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 20. Juni 2016, Zl. RV/7200057/2015, betreffend Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Revisionswerberin hatte mit Formblatt vom 25. März 2014 beim Zollamt Wien die Erteilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft (in der Folge auch kurz: VZTA) für 3 mg-Melatonin-Kapseln mit dem Einreihungsvorschlag 2106 90 92 60 beantragt.

Dem Antrag war u.a. folgende Warenbeschreibung angeschlossen:

" What is it?

Melatonin is a hormone produced by the pineal gland, the organ that regulates the body's wake/sleep/wake cycle. The hormone is activated by darkness and depressed by light.

Uses for Melatonin

Promotes Natural Sleep Cycles: Melatonin nutritionally augments the functioning of the pineal gland, supporting the body's natural sleep cycle. In one study, melatonin supported sleep onset when taken in the evening and did not cause morning

drowsiness. A ... study suggested that melatonin supplementation

enhanced sleep onset and sleep quality in subjects. One ... study

involving an international flight crew suggested that melatonin supported healthy sleep and recovery patterns in these individuals. What Is The Source?

...

Recommendations

Pure Encapsulations recommends 0.5 - 3 mg, ½ to 1 hour before

bedtime.

Are There Any Potential Side Effects Or Precautions?

Not to be taken by pregnant or lactating women. May have sedating effects ...

Are There Any Potential Drug Interactions?

Individuals taking MAO inhibitors or corticosteroids should not

use this product.

..."

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis bestätigte das Bundesfinanzgericht die zolltarifliche Einreihung der Ware mit der Handelsbezeichnung "pure encapsualtions, Melatonin 3 mg, hypoallergenic dietary supplement, 180 capsules" als Arzneiware im Sinne des Kapitels 30 der Kombinierten Nomenklatur, pharmazeutische Erzeugnisse, und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

Im Rahmen seiner Entscheidungsgründe schilderte das Gericht

zunächst die verfahrensrechtlichen Grundlagen:

" Sachverhalt

Über schriftlichen Antrag (Vordruck Za 275) der (Revisionswerberin) auf Erteilung einer Verbindlichen Zolltarifauskunft (VZTA) vom 25. März 2013 (beim Zollamt Wien am 11. April 2014 eingelangt), dem u.a. ein Warenmuster und eine Warenbeschreibung angeschlossen war, erteilte das Zollamt Wien am 23. Dezember 2014 für eine Ware mit der Handelsbezeichnung ‚pure encapsulations, Melatonin 3 mg, hypo-allergenic dietary Supplement, 180 Capsules' die VZTA mit der Nummer: AT 2014/000xxx.

Das Warenmuster wurde zuvor von der Technischen Untersuchungsanstalt (TUA), Vordere Zollamtstraße 5, 1030 Wien, untersucht und über die durchgeführte Untersuchung der ETOS-Untersuchungsbefund .../2014 erstellt.

Die Ware wurde im Untersuchungsbefund im Wesentlichen wie folgt beschrieben:

Die Einreihung in diese Nummer wurde in der VZTA (Feld 9)

- mit den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der KN

(AV) 1 und 6;

- damit, dass Anmerkung 1, lit. a zu Kapitel 30 nicht

zutrifft;

- mit den Erläuterungen zur KN zu Kapitel 30, Allgemeines,

1. Absatz;

- mit den Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) zu

Position 3004;

- mit dem Urteil (richtig: Beschluss) des EuGH Rs C-40/06

vom 9.  Jänner 2007 und

- mit dem Untersuchungsbefund der TUA vom 16. Mai 2014,

Zl. aaa/204,

begründet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass eine Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision nach § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

8 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann auch einer Frage des Verfahrensrechts grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet; eine verfahrensrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt bei einem Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze vor (vgl. etwa den Beschluss vom 30. Juni 2016, Ra 2016/16/0025, mwN).

9 Die vorliegende außerordentliche Revision erweist sich aus folgenden Gründen für zulässig und auch berechtigt:

10 Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den gemeinsamen Zolltarif in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 4. Oktober 2013, mit 1. Jänner 2014 in Kraft getreten, regelt die Kombinierte Nomenklatur (KN).

11 Die Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur legen Grundsätze für die Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur fest. Kommen für die Einreihung von Waren bei Anwendung der Allgemeinen Vorschrift 2b oder in irgendeinem anderen Fall zwei oder mehr Positionen in Betracht, so wird nach Z. 3 wie folgt verfahren:

a. "Die Position mit der genaueren Warenbezeichnung geht den Positionen mit allgemeiner Warenbezeichnung vor. Zwei oder mehr Positionen, von denen sich jede nur auf einen Teil der in einer gemischten oder zusammengesetzten Ware enthaltenen Stoffe oder nur auf einen oder mehrere Bestandteile einer für den Einzelverkauf aufgemachten Warenzusammenstellung bezieht, werden im Hinblick auf diese Waren als gleich genau betrachtet, selbst wenn eine von ihnen eine genauere oder vollständigere Warenbezeichnung enthält.

b. Mischungen, Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Bestandteilen bestehen, und für den Einzelverkauf aufgemachte Warenzusammenstellungen, die nach der Allgemeinen Vorschrift 3a nicht eingereiht werden können, werden nach dem Stoff oder Bestandteil eingereiht, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht, wenn dieser Stoff oder Bestandteil ermittelt werden kann.

c. Ist die Einreihung nach den Allgemeinen Vorschriften 3a und 3b nicht möglich, wird die Ware der von den gleichermaßen in Betracht kommenden Positionen im Warenverzeichnis zuletzt genannte Position zugewiesen."

12 Unter KN-Code 2106 sind Lebensmittelzubereitungen, anderweit weder genannt noch inbegriffen, geregelt. Nach der Anmerkung Z. 1 lit. f gehören zu Kapitel 21 nicht Hefen, als Arzneiwaren aufgemacht, und andere Waren der Position 3003 und 3004.

13 Kapitel 30 der Kombinierten Nomenklatur erfasst pharmazeutische Erzeugnisse. Zum KN-Code 3004 zählen Arzneiwaren (ausgenommen Erzeugnisse der Positionen 3002, 3005 oder 3006), die aus gemischten oder ungemischten Erzeugnissen zu therapeutischen oder prophylaktischen Zwecken bestehen, dosiert (einschließlich solcher, die über die Haut verabreicht werden) oder in Aufmachungen für den Einzelverkauf. Unter KN-Code 30043900 fallen andere Arzneiwaren.

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist nach den Allgemeinen Vorschriften über die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur für Einreihung der Waren der Wortlaut der Positionen und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln maßgebend, während die Überschriften der Abschnitte, Kapitel und Teilkapitel nur Hinweise sind. Im Interesse der Rechtssicherheit und der leichteren Nachprüfbarkeit ist das entscheidende Kriterium für die zolltarifliche Einreihung von Waren grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu ihren Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (vgl. etwa jüngst das Urteil des EuGH vom 26. Mai 2016, C-262/15 - GD European Land Systems - Steyr GmbH , mwN).

15 Die von der Kommission ausgearbeiteten Erläuterungen zur KN sind ein wichtiges, wenn auch nicht verbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen. Der Verwendungszweck der Ware kann ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich an Hand der objektiven Merkmale und Eigenschaften der Ware beurteilen lassen muss (vgl. jüngst etwa das Urteil des EuGH vom 26. Mai 2016, C-198/15 - Invamed Group Ltd u.a., mwN).

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist für die Einreihung eines Erzeugnisses in Kapitel 30 der KN zu prüfen, ob diese eindeutig bestimmbare therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und ob sie zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können. Auch wenn das betroffene Erzeugnis keine eigene therapeutische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit und eines Leidens Anwendung findet, ist es als zu therapeutischen Zwecken zubereitet anzusehen, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 30. April 2014, C-267/13 - Nutricia NV , mwN).

17 In seinem Urteil vom 12. März 1998, C-270/96 - Laboratoires Sarget SA , führte der EuGH zur Frage Einreihung verschiedener Produkte unter "pharmazeutische Produkte" aus:

"23.

Der Begriff ‚pharmazeutisches Erzeugnis' im Sinne der KN unterscheidet sich tatsächlich vom Begriff ‚Arzneimittel' im Sinne der Richtlinie 65/65. Diese Richtlinie soll die Hindernisse für den innergemeinschaftlichen Handel mit Arzneispezialitäten - zumindest teilweise - beseitigen und das grundlegende Ziel des

Gesundheitsschutzes verwirklichen ... Die Richtlinie 65/65

ermöglicht es also zur Förderung des Handelsverkehrs und gleichzeitig zum Schutz der Gesundheit, daß ein verhältnismäßig weites Spektrum von Erzeugnissen unter das in der Arzneimittelgesetzgebung geregelte Kontrollsystem fällt. Wie der Gerichtshof im Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C- 369/88 (Delattre, Slg. 1991, I-1487, Randnrn. 27 und 29) in Bezug auf die Richtlinie 65/65 festgestellt hat, kann der Umstand, daß ein Erzeugnis in einem Mitgliedstaat als Lebensmittel qualifiziert wird, es nicht ausschließen, daß es in einem anderen Staat als Arzneimittel qualifiziert wird, wenn es die Merkmale eines solchen aufweist. Er hat weiter festgestellt, daß Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten in der Qualifizierung der Erzeugnisse im Kontext der Richtlinie bestehen bleiben, solange die zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erforderlichen Maßnahmen nicht stärker harmonisiert sind.

24.

Hingegen ist es nach der achten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 2658/87 ‚unverzichtbar, daß die Kombinierte Nomenklatur und jede andere Nomenklatur, die ganz oder teilweise auf dieser beruht ..., in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt wird'. Die Bestimmungen der KN müssen somit von allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise ausgelegt werden.

25.

Der Umstand, daß die zuständigen französischen Behörden gemäß der Richtlinie 65/65 für die im Ausgangsverfahren fraglichen Erzeugnisse eine Verkehrsgenehmigung erteilt haben und daß diese Erzeugnisse daher nach den Rechtsvorschriften dieses Staates als Arzneimittel betrachtet werden, bedeutet demnach nicht zwangsläufig, daß sie als pharmazeutische Erzeugnisse in die KN einzureihen sind.

26.

Das gleiche gilt hinsichtlich der Bedeutung der Bezeichnung eines Erzeugnisses für seine Tarifierung nach der KN. Zwar ist die Bezeichnung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ein Indiz dafür, daß die betreffenden Erzeugnisse Arzneimittel im Sinne der Richtlinie 65/65 sind (vgl. in diesem Sinne Urteil LTM, Randnr. 27), doch ist, wie in Randnummer 16 des vorliegenden Urteils ausgeführt, das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren nach der KN grundsätzlich in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Position der KN festgelegt sind.

27.

...

28.

Im Übrigen hat der Gerichtshof im Urteil vom 14. Januar 1993 in der Rechtssache C-177/91 (Bioforce, Slg. 1993, I-45, Randnr. 12) festgestellt, daß ein pharmazeutisches Erzeugnis im Sinne der Position 3004 der KN ein solches ist, das genau umschriebene therapeutische und vor allem prophylaktische Eigenschaften aufweist und dessen Wirkung auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert ist.

29.

Daher ist zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Erzeugnisse therapeutische und prophylaktische Eigenschaften aufweisen und ob sie insbesondere zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können.

..."

18 Abschließend hielt der EuGH im genannten Urteil vom 12. März 1998 unter Rz. 37 fest, es sei nicht Sache des Gerichtshofes, zu entscheiden, ob die (im damaligen Fall in Rede stehende) Asthenie ein von der normalen Ermüdung zu unterscheidender krankhafter Zustand sei.

19 Zur Frage der Einreihung von Melatonin-Kapseln unter die Position 3004 der KN hat der EuGH in seinem Beschluss vom 9. Jänner 2007, C-40/06 - Juers Pharma Import-Export GmbH , zum einen ausgesprochen, dass "Arzneiwaren" im Sinne dieser Position Erzeugnisse sind, die genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften aufweisen und deren Wirkung auf ganz bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert sind, zum anderen, dass die Darbietung solcher Erzeugnisse in dosierter Form oder ihre Aufmachung für den Einzelverkauf, wie schon aus dem Wortlaut der Position 3004 hervorgeht, eine Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung ist. Fallbezogen gelangte der EuGH im zitierten Beschluss vom 9. Jänner 2007 in der Frage der zolltariflichen Einreihung von Melatonin-Kapseln unter die Position 3004 zum Schluss,

"25 Erstens stellen die Kapseln nach den Feststellungen des

vorlegenden Gerichts dank ihrer stabilisierenden Wirkung auf das menschliche Nervensystem hauptsächlich ein Mittel zur Behandlung von Schlafstörungen und von Jetlag dar. Sie weisen daher genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften auf.

26 Zweitens wird, wie sich aus Randnr. 6 des vorliegenden

Beschlusses ergibt, das im Ausgangsverfahren streitige Erzeugnis

in Form von Kapseln verkauft, wobei jede Kapsel einer Tagesdosis

entspricht.

27 Daher sind Erzeugnisse wie die im Ausgangsverfahren

streitigen Melatoninkapseln zum Zweck der Einreihung in die KN nach den Informationen, über die der Gerichtshof verfügt, als ‚Arzneiwaren' im Sinne der Position 3004 anzusehen."

20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Sachverständigenbeweis "notwendig" im Sinn des § 177 Abs. 1 BAO, wenn die Behörde nicht selbst über die entsprechenden Kenntnisse verfügt oder sich die Kenntnisse anderweitig aneignen kann. Das Gutachten eines Sachverständigen besteht in der fachmännischen Beurteilung von Tatsachen. Auch Sachverständigengutachten unterliegen der freien Beweiswürdigung; hiebei hat die Behörde nicht nur die Feststellungen des Befundes zu überprüfen, sondern auch aufgrund des Befundes die Schlüssigkeit des Gutachtens (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14. Dezember 2011, 2010/17/0167, mwN, sowie Ritz , BAO5, Rz. 1 und 5 zu § 177 BAO).

Nach § 269 Abs. 1 erster Satz BAO haben im Beschwerdeverfahren die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden auferlegt und eingeräumt sind.

21 Unbestritten ist, dass die verfahrensgegenständlichen Kapseln den Wirkstoff Melatonin, ein Hormon, enthalten; die Revisionswerberin hat bereits im Verwaltungsverfahren bestritten, dass diesen Kapseln therapeutische oder prophylaktische Wirkung zukäme.

22 Sowohl Zollbehörde als auch Gericht legten ihrer Entscheidung den eingangs zitierten Untersuchungsbefund der technischen Untersuchungsanstalt zugrunde. Dieser Untersuchungsbefund beschreibt einerseits die Ware und kommt andererseits zum Schluss, "aufgrund der Analysen in Verbindung mit den Angaben des Herstellers handelt es sich um eine Zubereitung auf der Basis von Arzneiwirkstoff Melatonin (Hormon) und Cellulosefaser". Abschließend schlägt der Untersuchungsbefund eine zolltarifliche Einreihung vor.

23 Nach der eingangs wiedergegebenen Rechtsprechung ist es für die Beantwortung der Frage der Einreihung (hier: unter die Tarifnummer 3004) Sache des Gerichts festzustellen, ob die Ware eindeutig bestimmbare therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften aufweist, deren Wirkung sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus konzentriert, und ob sie zur Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens angewandt werden können; auch wenn das betroffene Erzeugnis keine eigene therapeutische Wirkung hat, aber bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung findet, ist es als zu therapeutischen Zwecken zubereitet anzusehen, sofern es eigens für diese Verwendung bestimmt ist.

24 Für die Feststellung des Bundesfinanzgerichtes, die hier in Rede stehende Ware stimme mit allen Kriterien mit dem beim EuGH (in der Rs. C-40/06) gegenständlich gewesenen Präparat überein, bietet das angefochtene Erkenntnis keine tragfähige Begründung. Insbesondere fehlen dem Beschluss des EuGH vom 9. Jänner 2007 in jener Rechtssache Angaben der Dosierung, auf Grund welcher das damals vorlegende Gericht zu den in Rn 25 des EuGH-Beschlusses wiedergegebenen Feststellungen gelangt. Dass bei der Dosierung im nunmehr vorliegenden Revisionsfall die ausschlaggebende therapeutische oder prophylaktische Eigenschaft erreicht wird, hat das Bundesfinanzgericht nicht festgestellt.

25 Der Behörde und dem Gericht ist es nicht verwehrt, auch im Rahmen des Beweisverfahrens einen bloßen Befund, d.h. die (sachverständige) Schilderung von Tatsachen, zu verwerten. Der eingangs zitierte Untersuchungsbefund der Technischen Untersuchungsanstalt beschränkt sich auf die Beschreibung der Ware und entbehrt insbesondere im Hinblick auf die zu beantwortenden Tatsachenfragen für die Einreihung einer nachvollziehbaren Aussage über therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften der Ware; vielmehr endet er mit einem eigenen Tarifierungsvorschlag, somit mit der Beantwortung der Rechtsfrage, was jedoch niemals Gegenstand eines Gutachtens im Sinn des § 177 Abs. 1 BAO sein kann.

26 Zwar hat sich das Gericht über den Untersuchungsbefund hinausgehend mit den Argumenten der Revisionswerberin auseinander gesetzt und aus dem Umstand der arzneimittelrechtlichen Zulassung von Circadin, das den Wirkstoff  Melatonin in geringerer Dosis enthält als die verfahrensgegenständlichen Kapseln, darauf geschlossen, dass diese "Arzneiware" im Sinne der Kombinierten Nomenklatur seien, ohne damit allerdings die für die zolltarifliche Einreihung ausschlaggebenden Tatsachenfragen von therapeutischen oder prophylaktischen Eigenschaften einer Beantwortung auf fachlicher Ebene zuzuführen.

27 Damit belastete das Gericht sein Verfahren mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c aufzuheben ist.

28 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH- Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. November 2016

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