Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger und die Hofrätin Dr. in Lachmayer, den Hofrat Dr. Bodis, die Hofrätin Dr. in Wiesinger sowie den Hofrat Mag. M. Mayr, LL.M., als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Ing. H E in W, vertreten durch die Jirovec Partner RechtsanwaltsGesmbH in 1010 Wien, Bauernmarkt 24, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 14. März 2018, RV/7102156/2014, betreffend Einkommensteuer 2010 und 2011, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Mit Bescheiden vom 16. September 2013 setzte das Finanzamt nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens die Einkommensteuer des Revisionswerbers für die Jahre 2010 und 2011 unter Annahme seiner unbeschränkten Steuerpflicht und (aufgrund des zur Anwendung kommenden Doppelbesteuerungsabkommens) Anrechnung der für seine im Ausland erzielten Einkünfte dort einbehaltenen Steuer fest.
2 In der gegen beide Einkommensteuerbescheide erhobenen (damals) Berufung vom 10. Oktober 2013 brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, er sei ab dem Herbstsemester 2010 in der Schweiz als Lehrer (in einer Privatschule) tätig gewesen und habe seine Wohnung in Österreich bis Juni 2012 nicht (selbst) genutzt, sondern vermietet.
3 Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidungen vom 20. März 2014 (samt gesondert ausgefertigter Begründung vom selben Tag) als unbegründet ab.
4 Der Revisionswerber stellte in der Folge einen Antrag auf Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag).
5 Mit der angefochtenen Entscheidung wies das Bundesfinanzgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
6 Das Bundesfinanzgericht führte nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe nach den vorgelegten Lohnausweisen im Zeitraum 1. August 2010 bis 31. Dezember 2011 in der Schweiz als Lehrer gearbeitet und sei seit 8. August 2010 in M (Schweiz) gemeldet.
7 Er habe die vom Vormieter teilmöbliert übernommene Genossenschaftswohnung in W (Österreich) ab 1. August 2010 gemietet und am 30. Dezember 2012 gekauft. Der Revisionswerber habe in dieser Wohnung seit 1. August 2010 seinen Hauptwohnsitz. Der Vermieter habe die Untervermietung und entgeltliche Überlassung dieser Wohnung an nicht dem engen Familienkreis angehörende Personen verboten.
8 Der Revisionswerber habe ausgesagt, dass er die Wohnung tatsächlich vermietet habe, keinen Zutritt gehabt habe und sie daher nicht habe benützen können. Er habe nicht gewusst, dass er eine Arbeit in der Schweiz bekommen werde, als er die Wohnung in Österreich angemietet habe. Eine Rückkehr nach Österreich sei damals mangels persönlicher Beziehungen (mit Ausnahme der Mutter und der volljährigen Kinder) nicht beabsichtigt gewesen, zumal er eine Freundin in der Schweiz gehabt habe.
9 Die Zeugin Katharina W habe bestätigt, aufgrund eines Hausumbaus von November 2010 bis November 2011 mit ihrem Lebensgefährten in der Wohnung des Revisionswerbers gewohnt und an den Revisionswerber von November 2010 bis März 2011 monatlich 200 €, ab April 2011 bis Oktober 2011 monatlich 600 € und im November 2011 schließlich 450 € als „Kostenersatz“ gezahlt zu haben. Ihr Stiefvater habe den Hausumbau und die Überweisung von „Geldbeträgen“ durch seine Stieftochter an den Revisionswerber bestätigt und ausgesagt, den Kontakt zum Revisionswerber hergestellt zu haben. Er bestreite, der Freund „aus dem Schreiben“ vom 20. Juni 2013 zu sein, der die Wohnung laut diesem Schreiben wegen Renovierung des eigenen Hauses vom Revisionswerber angemietet habe.
10 Die Zeugin S habe ausgesagt, nach der Trennung von ihrem Freund Anfang Dezember 2011 in die Wohnung des Revisionswerbers gezogen zu sein und den Schlüssel von einer ihr nicht persönlich bekannten Vormieterin namens „Kathi“ bekommen zu haben. Sie habe in der Wohnung bis Juni 2012 gewohnt und habe den Revisionswerber nicht gesehen, weil alles telefonisch abgewickelt worden sei. Die Miete habe sie überwiesen.
11 Alle Mietverträge seien mündlich abgeschlossen worden. Der Revisionswerber habe keinen Zutritt zur Wohnung gehabt und habe diese nicht benützen können. Die Stromrechnung für die Wohnung in W sei an den Revisionswerber adressiert. Während der Kurzbesuche in Österreich habe der Revisionswerber bei seinen Eltern in K gewohnt.
12 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Frage, ob der Revisionswerber in Österreich einen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt habe, sei auf der Ebene der Beweiswürdigung zu beantworten, wobei jedes geeignete und zweckdienliche Beweismittel verwendet werden dürfe und nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen sei, welche Fakten als erwiesen oder nicht erwiesen anzunehmen seien.
13 Die Wohnung in W sei eine Mietwohnung mit Kaufoption, weshalb davon auszugehen sei, dass der Revisionswerber die Kündigung des Mietvertrages und seine Kaufoption nicht dadurch riskiere, dass er diese Wohnung untervermiete oder fremden Personen entgeltlich überlasse.
14 Die Aussage des Revisionswerbers, er habe nicht gewusst, dass er „einen Job“ in der Schweiz bekommen werde, als er die Wohnung in W angemietet habe, sei unglaubwürdig, weil er diese Wohnung am 1. August 2010 angemietet und laut dem schweizerischen Lohnzettel ab 1. August 2010 als Lehrer in der Schweiz gearbeitet habe. Habe der Revisionswerber die Wohnung am selben Tag angemietet und die Stelle in der Schweiz angetreten, spreche dies in einem Ausmaß dagegen, dass er an eben diesem Tag beschlossen haben soll, nicht mehr nach Österreich zurückzukehren und den an diesem Tag durch die Anmietung der Wohnung begründeten Wohnsitz am selben Tag aufzugeben, dass die Beschwerde schon aus diesem Grund abzuweisen sei.
15 Da laut Schreiben vom 20. Juni 2013 ein Freund, der ein Haus renoviert habe, und laut Bestätigung vom 21. Juli 2013 Katharina W, die ein Haus umbaue, die Wohnung in W angemietet habe, lägen widersprechende Aussagen über die Identität jener Person vor, von der der Revisionswerber behaupte, sie habe die Wohnung tatsächlich benützt. Die Bestätigung vom 21. Juli 2013 sei als zeitlich später verfasster Beleg unglaubwürdiger als das Schreiben vom 20. Juni 2013, was gegen die inhaltliche Richtigkeit dieser Bestätigung spreche.
16 Der Revisionswerber und S hätten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgesagt, dass die Schlüssel zur Wohnung von Katharina „Kathi“ W an S übergeben worden seien. Diese Vorgangsweise sei zwar ungewöhnlich, da Schlüssel dem Mieter vom Vermieter übergeben würden, hätte aber wie beschrieben stattfinden können. S hätte aber damals, als sie sich von ihrem Freund kurzzeitig getrennt habe, ihren Hauptwohnsitz in X beziehen können und hätte keine Wohnung anmieten müssen, um zu verhindern, dass sie obdachlos werde. Beide Aussagen seien daher unglaubwürdig, obwohl sie übereinstimmen würden.
17 Dass die Wohnung in W am 1. August 2010 nur teilmöbliert gewesen sei, hätte den Revisionswerber nicht daran gehindert, dort zu wohnen. Er habe vor Abschluss des Mietvertrages für diese Wohnung bereits in einer Mietwohnung gewohnt und hätte aus dieser Mietwohnung ausziehen müssen und die sich darin befindenden Möbel in die Wohnung in W stellen können.
18 Dass Katharina W ihr Wohnhaus umgebaut habe, beweise nicht ihren Umzug in die Wohnung des Revisionswerbers, weil sie auch während des Umbaus in ihrem Wohnhaus, in der Wohnung ihres Lebensgefährten oder andernorts hätte wohnen können.
19 Schriftliche Mietverträge seien nicht abgeschlossen worden und der Revisionswerber habe keine Mieteinkünfte erklärt. Nach außen sei daher nicht einmal ansatzweise erkennbar gewesen, dass die Wohnung untervermietet wäre. Die Liste mit den Buchungszeilen sei erkennbar aus mehreren Kontoauszügen zusammengesetzt worden. Dass der Revisionswerber der Kontoinhaber gewesen sei, sei daraus nicht erkennbar. Die Liste sei daher nicht geeignet, Mietzahlungen nachzuweisen und Rücküberweisungen auszuschließen.
20 Die Meldung der Wohnung in W als Hauptwohnsitz spreche dafür, dass der Revisionswerber seinen Wohnsitz in W habe, weil er andernfalls unrichtige Angaben gegenüber den Meldebehörden gemacht hätte. Auch die an den Revisionswerber adressierte Stromrechnung spreche dafür, dass er seinen Wohnsitz in W nicht aufgegeben habe.
21 Mit den vorgelegten Kontoauszügen habe der Revisionswerber nicht nachgewiesen, dass er seinen ständigen Aufenthalt in der Schweiz habe, da alle darin aufgezählten Orte und Städte in Österreich liegen würden. Die von ihm selbst als Beweismittel angebotenen Gesamtkontoauszüge habe der Revisionswerber auch in der Verhandlung nicht vorgelegt, obwohl er dazu ausdrücklich aufgefordert worden sei. Er habe daher nicht nachgewiesen und nicht glaubhaft gemacht, dass er sich ständig in der Schweiz aufgehalten habe.
22 Nach dieser Sach und Beweislage sei wahrscheinlicher, dass der Revisionswerber in den Streitjahren in W einen Wohnsitz iSd § 26 BAO gehabt habe und deshalb in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig sei.
23 Abschließend verneinte das Bundesfinanzgericht mit näherer Begründung das Vorliegen von vom Revisionswerber im Vorlageantrag in eventu beantragten Werbungskosten für doppelte Haushaltsführung und Familienheimfahrten.
24 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof.
25 Mit Beschluss vom 23. September 2019, E 1741/2018 6, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
26 Gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts wendet sich auch die vorliegende außerordentliche Revision vom 5. Dezember 2019, die vom Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht vom 27. März 2025 dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Das Finanzamt erstattete keine Revisionsbeantwortung.
27 Zur Zulässigkeit der Revision werden Abweichungen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der unbeschränkten Steuerpflicht aufgrund eines Wohnsitzes gemäß § 26 Abs. 1 BAO, sowie Verfahrensfehler, insbesondere Feststellungsmängel und eine unvertretbare Beweiswürdigung, geltend gemacht.
28 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
29 Die Revision ist zulässig und begründet.
30 Der Verwaltungsgerichtshof kann die ihm gemäß § 41 VwGG obliegende Gesetzmäßigkeitsprüfung nur vornehmen, wenn die angefochtene Entscheidung die Beurteilung des Vorliegens einer Verletzung der als verletzt geltend gemachten Rechte der Revisionswerber (§ 28 Abs. 1 Z 4 VwGG) bzw. einer Rechtswidrigkeit im Rahmen der Anfechtungserklärung (§ 28 Abs. 2 VwGG) auf der Grundlage der Begründung der Entscheidung auch ermöglicht. Lässt die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung eine solche Beurteilung gar nicht zu, dann führt ein solcher Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zwangsläufig schon aus diesem Grund (vgl. VwGH 16.11.2023, Ra 2022/15/0079, mwN).
31 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, welcher Sachverhalt ihr zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für die Verfahrensparteien als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa VwGH 19.10.2022, Ra 2021/15/0011, mwN).
32 Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht.
33 Das Bundesfinanzgericht ist in der angefochtenen Entscheidung zum Ergebnis gelangt, der Revisionswerber habe im (gesamten) verfahrensgegenständlichen Zeitraum seinen Wohnsitz iSd § 26 Abs. 1 BAO in Österreich (in der Genossenschaftswohnung in W) gehabt und sei folglich gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 unbeschränkt steuerpflichtig gewesen.
34 Feststellungen, die diese Beurteilung tragen könnten, hat das Bundesfinanzgericht allerdings nicht getroffen.
35 Entscheidend im vorliegenden Fall ist, ob der Revisionswerber im Streitzeitraum eine Wohnung iSd § 26 Abs. 1 BAO „innehatte“. Unter dem „Innehaben“ einer Wohnung ist die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, über diese Wohnung zu verfügen, insbesondere sie für den Wohnbedarf jederzeit benützen zu können, zu verstehen. Es ist nicht entscheidend, in welchem zeitlichen Ausmaß eine Wohnung tatsächlich genutzt wird (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0145, mwN; vgl. auch 21.7.2021, Ra 2021/13/0080, mwN). Wird eine Wohnung durch ihren Eigentümer vermietet und hat der Eigentümer nicht die Möglichkeit zur jederzeitigen Benutzung der Wohnung, dann liegt für ihn hinsichtlich dieser Wohnung kein Wohnsitz vor (vgl. VwGH 4.9.2014, 2011/15/0133, mwN).
36 Unter der Überschrift „Sach und Beweislage“ finden sich im angefochtenen Erkenntnis im Wesentlichen Schilderungen der (zum Teil widersprüchlichen) Beweisergebnisse ohne erkennbare beweiswürdigende Erwägungen. Das Bundesfinanzgericht scheint dabei aber auch davon auszugehen, dass der Revisionswerber keinen Zutritt zur Wohnung gehabt habe und er diese nicht habe benützen können. Unter der Überschrift „rechtliche Würdigung“ finden sich sodann beweiswürdigende Erwägungen. Abschließend kommt das Bundesfinanzgericht dabei zu dem (rechtlichen) Ergebnis, der Revisionswerber habe in den Streitjahren einen Wohnsitz iSd § 26 BAO in W gehabt. Es ist aber nicht erkennbar, wie diese rechtliche Beurteilung aus der geschilderten „Sach und Beweislage“ folgen soll.
37 Das angefochtene Erkenntnis war daher schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
38 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren (zusätzliche Umsatzsteuer) findet in diesen Vorschriften keine Deckung (vgl. etwa VwGH 19.2.2025, Ra 2024/13/0107, mwN).
Wien, am 25. Juni 2025