5R103/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Guggenbichler als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Aigner und Mag. Zwettler-Scheruga in der Rechtssache der klagenden Partei A* e.U. Inhaber B* , FN **, **, vertreten durch die Viehböck Breiter Schenk Nau Linder Rechtsanwälte GmbH Co KG in Mödling, wider die beklagte Partei C* d.o.o. , **, HR-**, wegen EUR 25.944,49 sA und Rechnungslegung (Strw EUR 4.000), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 4.8.2025, **-2, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .
Text
Begründung:
Mit seiner am 30.7.2025 eingebrachten Klage begehrt der Kläger Rechnungslegung sowie die Zahlung von EUR 25.944,49 sA beinhaltend offene Provisionen, einen Schadenersatzanspruch gemäß § 23 HVertrG für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist und einen Ausgleichsanspruch gemäß § 24 HVertrG. Der Kläger sei für die Beklagte ab Jänner 2023 bis 20.6.2024 in Österreich als Handelsvertreter tätig gewesen und habe Geschäfte vermittelt. Ein mündlicher Vertrag sei nicht abgeschlossen worden. Ansprechpartner des Klägers sei D* gewesen, der unter „C* d.o.o.“ in **, Bosnien-Herzegowina, aufgetreten sei und die Zusammenarbeit unter Nichteinhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist mit E-Mail vom 20.6.2024 aufgelöst habe. Tatsächlich seien die vom Kläger für „C*“ vermittelten Geschäfte aber mit der Beklagten zustande gekommen, auf die auch die Auftragsbestätigungen gelautet hätten und an die der Kläger die Provisionsrechnungen gerichtet habe. Die Beklagte sei daher als Unternehmer/Geschäftsherr im Sinne des Handelsvertreter-rechts anzusehen und passiv legitimiert. Die Zuständigkeit österreichischer Gerichte ergebe sich aus Art 7 EuGVVO.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück.
Rechtlich führte das Erstgericht zusammengefasst aus, bei der Beklagten handle es sich zwar nach den Klagsangaben (d.o.o.) um eine GmbH nach kroatischem Recht. Schadenersatzansprüche gegen einen Unternehmer gehörten aber nur dann vor die Handelsgerichte, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines Handelsgeschäfts (unternehmensbezogenen Geschäfts) abgeleitet würden. Beruhe der Haftungsgrund aber unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus einem Handelsgeschäft, sei nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig. Den Klagsangaben zufolge sei kein (mündlicher) Vertrag mit der Beklagten abgeschlossen worden. Der Umstand, dass die vermittelten Geschäfte letztlich von der Beklagten mit den Kunden abgeschlossen und de facto für die Beklagte vermittelt worden seien, ändere nichts daran, dass ein Vertragsverhältnis mit der Beklagten nicht einmal behauptet werde. Wenn überhaupt, habe der Kläger ein Vertragsverhältnis mit der C* d.o.o. in **, Bosnien-Herzegowina, gehabt, welches seitens dieser einseitig aufgelöst worden sei. Dafür spreche auch die vom Kläger vorgelegte Provisionsaufstellung der C* d.o.o. in **, Bosnien-Herzegowina. Die hier geltend gemachten Ansprüche stellten damit keine direkten vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte dar, sondern stütze der Kläger seinen Anspruch aufgrund der vermittelten Geschäfte direkt auf das Handelsvertretergesetz, weshalb die sachliche Zuständigkeit des Handelsgerichts Wien zu verneinen sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs des Klägerswegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den Beschluss ersatzlos aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen. Hilfsweise beantragt der Kläger, die Rechtssache an das offenbar nicht unzuständige Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu überweisen. Anzumerken ist, dass zur Entscheidung über diesen Antrag nicht das Rekursgericht, sondern das Erstgericht funktionell zuständig wäre (2 Ob 12/21k; 6 Ob 16/20a; Mayr in Fasching/Konecny 3III/1 § 230a ZPO [Stand 1.8.2017, rdb.at] Rz 11).
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist berechtigt .
I.Voranzustellen ist, dass die Rechtssache derzeit noch nicht streitanhängig ist und demnach die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte (der Kläger beruft sich auf Art 7 EuGVVO), noch nicht überprüfbar und auch nicht gegenständlich ist (RIS-Justiz RS0111247). Die Zuständigkeitsprüfung ist auf die Frage der sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts beschränkt.
II. Zur Rechtsrüge:
1. In seiner Rechtsrüge wendet sich der Kläger gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach er ein Vertragsverhältnis nicht einmal behauptet, sondern sich direkt auf das Handelsvertretergesetz gestützt habe. Tatsächlich habe er sich auf ein Vertragsverhältnis mit der Beklagten berufen. Zudem sei es auch gar nicht möglich, sich ohne zugrunde liegendes Vertragsverhältnis „direkt auf das Handelsvertretergesetz“ zu stützen. Das irrtümliche Vorbringen, es sei kein mündlicher Vertrag geschlossen worden, erkläre sich im Zusammenhang mit Art 7 EuGVVO. Damit sei gemeint gewesen, dass kein schriftlicher Vertrag (der regelmäßig einen abweichenden Gerichtsstand enthalte) geschlossen worden sei. Dies sei bereits aus dem Zusammenhang zu erschließen, wenn die Klägerin doch eindeutig von einem Handelsvertretervertrag ausgehe. Selbst ausgehend vom Vorbringen, es läge kein mündlicher Vertrag vor, könne das übrige Vorbringen naheliegenderweise jedenfalls dahin verstanden werden, dass der Handelsvertretervertrag schlüssig zustande gekommen sei.
2.Gemäß § 41 Abs 1 JN hat das Gericht, sobald eine Rechtssache der streitigen Gerichtsbarkeit anhängig wird, also zum Zeitpunkt der Klagseinbringung, seine Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. Die Prüfung hat zunächst auf Grund der Angaben des Klägers zu erfolgen, sofern diese nicht dem Gericht bereits als unrichtig bekannt sind (§ 41 Abs 2 JN). Daraus folgt, dass die Klagsangaben grundsätzlich ungeprüft für wahr zu halten und der Zuständigkeitsprüfung zugrunde zu legen sind. Das Gericht darf nur eine abstrakte Prüfung der Zuständigkeit unter der Annahme der Richtigkeit der Klagsangaben vornehmen (formelles Prüfungsrecht) ( Scheuer in Fasching/Konecny 3§ 41 JN [Stand 30.11.2013, rdb.at] Rz 3f; RS0046236; RS0005896). Ob die die Zuständigkeit begründenden Angaben richtig sind, ist erst über Einwendung der Unzuständigkeit durch den Beklagten zu prüfen ( Scheuer aaO Rz 3).
3.Auf jeden Fall muss das Gericht aber aus den Sachverhaltsbehauptungen des Klägers (Zuständigkeits-tatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration muss er nicht benennen – vgl RS0046236 [T3]) seine (sachliche, örtliche, individuelle) Zuständigkeit ableiten können (Kompetenzsachverhalt). Unzureichende Angaben zur Zuständigkeit können von Amts wegen aus vorgelegten Urkunden vervollständigt werden ( Scheuer aaO Rz 7). Sind die vorhandenen Zuständigkeitsbehauptungen lediglich unvollständig oder unklar, so ist unabhängig davon, ob es sich um eine prorogable oder eine unprorogable Unzuständigkeit handelt, ein Verbesserungsverfahren durchzuführen.
4.Gemäß § 51 Abs 1 Z 1 JN gehören Streitigkeiten aus unternehmensbezogenen Geschäften, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet und das Geschäft auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft ist, vor die selbstständigen Handelsgerichte, wenn der Streitgegenstand an Geld oder Geldeswert den Betrag von EUR 15.000 übersteigt.
4.1.Betrifft die Klage, wie hier, einen ausländischen Rechtsträger, so ist § 51 Abs 1 Z 1 JN analog anzuwenden, wenn dieser seinem Wesen nach den typischerweise im österreichischen Firmenbuch eingetragenen Unternehmern annähernd gleichzusetzen ist, insbesondere wenn er mit einem Unternehmer kraft Rechtsform iSd § 2 UGB vergleichbar ist (RS0123482; Simotta in Fasching/Konecny³ § 51 JN [Stand 30.11.2013, rdb.at] Rz 42/3). Nach den Klagsangaben ist diese Voraussetzung bei der Beklagten (einer GmbH nach kroatischem Recht) erfüllt.
4.2. Zu prüfen ist daher, ob eine Streitigkeit „aus einem unternehmensbezogenen Geschäft“ auf Seiten der Beklagten vorliegt.
4.2.1.Voraussetzung dafür ist, dass der Anspruch aus einem Handelsgeschäft abgeleitet wird, also in einem sachlichen Zusammenhang mit der Gewerbetätigkeit der Beklagten steht und aus dem Handelsgeschäft selbst geltend gemacht wird (RS0046425). Letzteres ist dann der Fall, wenn das Handelsgeschäft den rechtserzeugenden Sachverhalt darstellt, auf welchen der Kläger den Anspruch stützt. Es genügt nicht, dass der eingeklagte Anspruch anlässlich der kaufmännischen Tätigkeit des Beklagten entstanden ist, sondern es ist das Hervorgehen des Anspruchs, somit auch der Streitigkeit selbst, aus einem Handelsgeschäft, erforderlich (RS0046425 [T1]). Ein direkter Geschäftsabschluss zwischen den Prozessparteien wird grundsätzlich nicht gefordert (RS0046402). Die Zuständigkeit des Handelsgerichts ist etwa auch gegeben, wenn der Anspruch, der sich aus einem Handelsgeschäft ableitet (zB durch Legalzession), auf den Kläger übergegangen ist ( SimottaaaO § 51 JN Rz 64).
4.2.2.Schadenersatzansprüche gegen einen Kaufmann gehören nur dann vor die Handelsgerichte, wenn sie aus der Erfüllung, Schlechterfüllung oder Nichterfüllung eines Handelsgeschäfts abgeleitet werden (RS0113977; RS0046419). Auch Ansprüche auf Rückabwicklung eines durch Rücktritt vom Vertrag aufgelösten Rechtsgeschäfts, das auf Seiten des Beklagten ein unternehmensbezogenes Geschäft war, gehören vor die Handelsgerichte, weil erst der rechtliche Charakter und Inhalt des Rechtsgeschäfts Aufschluss über die Zulässigkeit des Rücktritts geben kann (RS0123493). Beruht jedoch der Haftungsgrund unmittelbar auf dem Gesetz und nicht auf der Verletzung von Pflichten aus einem Handelsgeschäft, ist nicht das Handelsgericht, sondern das allgemeine Zivilgericht zuständig (1 Ob 298/02h; 7 Ob 302/02s mwN ua; auch 9 Ob 84/18w).
4.2.3. Der Kläger beruft sich darauf, als "Handelsvertreter“ für die Beklagte (als Geschäftsherrin) im angeführten Zeitraum Geschäfte vermittelt zu haben, verweist eingangs seiner Klage darauf, dass ein mündlicher Vertrag nicht abgeschlossen worden sei und stützt seine Ansprüche auf das Handelsvertretergesetz (HVertrG). Das - laut Rekursausführungen im Zusammenhang mit Art 7 EuGVVO irrtümlich - erstattete Klagsvorbringen, es sei kein mündlicher Vertrag geschlossen worden, ist im Zusammenhang mit den weiteren Klagsangaben tatsächlich nicht ganz eindeutig und veranlasste letztlich das Erstgericht zur rechtlichen Schlussfolgerung, dass von keinem Vertragsverhältnis mit der Beklagten auszugehen sei. Diese Conclusio ist jedoch unter Zugrundelegung der Klagsangaben in ihrer Gesamtheit nicht zutreffend.
4.2.4. Wie der Kläger im Rekurs zutreffend darlegt, impliziert schon die Bezugnahme auf das Handelsvertretergesetz als Anspruchsgrundlage das Vorliegen eines Auftragsverhältnisses.
Gemäß § 1 Abs 1 HVertrG 1993 ist Handelsvertreter derjenige, der von einem anderen mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften über bewegliche Sachen in dessen Namen und für dessen Rechnung ständig betraut ist und diese Tätigkeit selbstständig und gewerbsmäßig ausübt. Mit der Vermittlung oder dem Abschluss von Geschäften betraut zu sein bedeutet, damit beauftragt und daher verpflichtet zu sein, sich darum zu bemühen; „ständig“ bedeutet nicht unbedingt, dass das Handelsvertreterverhältnis langfristig oder auf unbestimmte Zeit eingegangen worden sein muss, entscheidend ist vielmehr, dass das Vertragsverhältnis auf eine unbestimmte Vielzahl von Abschlüssen für oder durch den Unternehmer angelegt sein muss ( Nocker in Nocker , HVertrG 2 [2015] zu § 1 HVertrG Rz 114f). Insoweit hat der Kläger grundsätzlich auch Art 7 EuGVVO zutreffend herangezogen, weil sich die Zuständigkeit für eine Klage auf Schadenersatz wegen missbräuchlicher Aufhebung eines Handelsvertreter-vertrags nach Art 7 Nr 1 EuGVVO 2012 richtet ( Simotta in Fasching/Konecny 3 V/1 Art 7 EuGVVO 2012 [Stand 30.6.2022, rdb.at] Rz 44).
Zudem geht auch aus dem Punkt 2. der Klage deutlich hervor, dass der Kläger einen vertraglichen Anspruch (gegen die Beklagte als Geschäftsherrin – vgl S 1 der Klage) geltend macht, indem er auf seinen Provisionsanspruch gemäß HVertrG für den gesamten Vertrags zeitraum verweist. Vervollständigt werden diese Angaben zum Vertragsverhältnis überdies durch das an die Beklagte gerichtete Aufforderungsschreiben (Beilage ./H), worin ebenfalls auf die Tätigkeit des Klägers für die Beklagte als Handelsvertreter sowie auf den Vertrag, nämlich auf dessen Beendigung per 20.6.2024, abgestellt wird.
4.2.5. Entgegen den rechtlichen Ausführungen des Erstgerichts geht damit aus den Klagsangaben trotz des Vorbringens zum Nichtvorliegen eines mündlichen Vertrags ausreichend deutlich und ohne Verbesserungsnotwendigkeit hervor, dass der Kläger vertragliche Ansprüche geltend macht, die aus einem Handelsgeschäft mit der Beklagten entspringen und somit nicht bloß – losgelöst von einem Vertrag – aus dem Gesetz abgeleitet werden. Auch der vom Erstgericht bezugnehmend auf die Beilage ./E rechtlich gezogene Schluss betreffend ein allfälliges Vertragsverhältnis zu C* d.o.o. lässt sich unter Zugrundelegung der weiteren Klagsangaben so nicht ziehen. Das Erstgericht hätte die Klage nicht a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückweisen dürfen.
5. Dem Rekurs war daher Folge zu geben. Auf die Mängelrüge ist demnach nicht mehr einzugehen.
III. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Das Rechtsmittelverfahren nach einer a limine erfolgten Zurückweisung der Klage ist kein Zwischenstreit ( Obermaier , Kostenhandbuch 4 Kapitel 1 Rz 1.322).
IV. Der Kläger ist durch die Aufhebung der Zurückweisung nicht beschwert, weshalb der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist (Kodek in Rechberger/Klicka , ZPO 5 [2019], §527 ZPO Rz 3). Auch dem Beklagten steht ein Rechtsmittel gegen den Beschluss, mit dem das Rekursgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens über eine vom Erstgericht vor Streitanhängigkeit zurückgewiesene Klage aufträgt, nach ständiger Rechtsprechung nicht zu (RS0039200 [T25]; Klauser / Kodek , JN-ZPO 18§ 41 JN [Stand 1.9.2018, rdb.at] E 23, 24 ).