7Rs52/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Zechmeister sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Michael Böhm und Univ.Prof.Mag.Dr. Monika Drs in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch Mag.Dr. Klaus Gimpl, Rechtsanwalt in Ybbs an der Donau, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle **, **, wegen Feststellung von Schwerarbeitszeiten, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 30.1.2025, **-18, gemäß den §§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren auf Anerkennung von Schwerarbeitszeiten gemäß § 247 Abs 1 und 2 ASVG iVm § 1 Abs 1 SchwerarbeitsV im Zeitraum vom 1.12.2006 bis 31.3.2024 ab.
Das Erstgericht stellte den aus den Seiten 2 bis 10 des angefochtenen Urteils ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird.
Hervorzuheben sind folgende Feststellungen:
„[…]
Der Kläger war im klagsgegenständlichen Zeitraum als Fleischereigehilfe bei der B* C* GmbH beschäftigt. Bei der B* C* GmbH handelt es sich um einen Kleinbetrieb mit 6 Leuten bzw. insgesamt 30 Mitarbeitern. Die Arbeitszeiten des Klägers sind täglich von 5:00 Uhr bis 14:00 Uhr mit einer Pausenzeit von insgesamt 1 Stunde (20 Minuten Jause und 40 Minuten Mittagspause). Überstunden waren immer verschieden gewesen, haben sich aber ausgeglichen.
Zur Tätigkeit des Klägers: Grundsätzlich finden und fanden im klagsgegenständlichen Zeitraum regelmäßig täglich 5x pro Woche immer 3 bis 4 Stunden (im Durchschnitt 3,5h) Fein- und Grobzerlegung von Rinder- und Schweinehälften statt. Reinigungsarbeiten beanspruchen pro Tag (5x pro Woche) jeweils 1 Stunde und werden mit der Niederdruckanlage einhändig durchgeführt. Es sind dabei in den tägliche Reinigungsarbeiten die Reinigung und Desinfektion der Arbeitsbereiche, Maschinen und Betriebsmittel beinhaltet.
[…]
Der Kläger verbrauchte mit seiner dargelegten Arbeitstätigkeit unter Berücksichtigung von Leerzeiten/Nichtproduktivzeiten (mit einem allgemeinen Abschlagssatz von zumindest 10 %) als
- Fleischergehilfe im Zeitraum 01.12.2006 bis 31.03.2024 montags im Rahmen der Tätigkeit „Warenübernahme und Einbringen Schweinehälften, Grob- und Feinzerlegung inklusive Verwiegen, Verpackungs- und/oder Vakuumierarbeiten, Wursten und Reinigungsarbeiten“ bei 8 Nettoarbeitsstunden 1.660,74 kcal. Der Break-even-point liegt bei 9,63 Nettoarbeitsstunden.
- Fleischergehilfe im Zeitraum 01.12.2006 bis 31.03.2024 dienstags im Rahmen der Tätigkeit „Grob- und Feinzerlegung inklusive Verwiegen, Verpackungs- und/oder Vakuumierarbeiten, Pökelarbeiten, Schinken einlegen und Reinigungsarbeiten“ bei 8 Nettoarbeitsstunden 1.561,63 kcal. Der Break-even-point liegt bei 10,25 Nettoarbeitsstunden
- Fleischergehilfe im Zeitraum 01.12.2006 bis 31.03.2024 mittwochs im Rahmen der Tätigkeit „Warenübernahme und Einbringen Rinderhälften, Grob- und Feinzerlegung, Rindervierteln inklusive Verwiegen, Verpackungs- und/oder Vakuumierarbeiten und Reinigungsarbeiten“ bei 8 Nettoarbeitsstunden 1.764,77 kcal. Der Break-even-point liegt bei 9,07 Nettoarbeitsstunden.
- Fleischergehilfe im Zeitraum 01.12.2006 bis 31.03.2024 donnerstags im Rahmen der Tätigkeit „Wurst-Tag, Grob- und Feinzerlegung inklusive Verwiegen, Verpackungs- und/oder Vakuumierarbeiten und Reinigungsarbeiten“ bei 8 Nettoarbeitsstunden 1293,18 kcal. Der Break-even-point liegt bei 12,37 Nettoarbeitsstunden.
- Fleischergehilfe im Zeitraum 01.12.2006 bis 31.03.2024 freitags im Rahmen der Tätigkeit „Grob- und Feinzerlegung inklusive Verwiegen, Verpackungs- und/oder Vakuumierarbeiten, Verräumarbeiten und Reinigungsarbeiten für das Wochenende“ bei 8 Nettoarbeitsstunden 1.443,15 kcal. Der Break-even-point liegt bei 11,09 Nettoarbeitsstunden.
Es kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Kläger im klagsgegenständlichen Zeitraum 1.12.2006 bis 31.3.2024 an zumindest 15 Tagen pro Monat einen Arbeitskalorienverbrauch von zumindest 2.000 kcal erreicht hätte.“
Rechtlich kam das Erstgericht zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass den Feststellungen folgend die Voraussetzungen gemäß § 1 Abs 1 Z 4 SchwerarbeitsV im klagsgegenständlichen Zeitraum nicht vorgelegen seien, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, unrichtiger Tatsachenfeststellung auf Grund unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung einschließlich rechtlicher Feststellungsmängel mit dem erkennbaren Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Zur Tatsachenrüge:
Die Tatsachenrüge geht bereits deswegen ins Leere, weil sie nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
Um die Tatsachenrüge iSd ständigen Rechtsprechung „gesetzmäßig“ auszuführen, muss der Rechtsmittelwerber nämlich deutlich zum Ausdruck bringen, welche konkrete Feststellung bekämpft wird, infolge welcher unrichtigen Beweiswürdigung sie getroffen wurde, welche Feststellung begehrt wird und aufgrund welcher Beweisergebnisse und Erwägungen die begehrte Feststellung zu treffen gewesen wäre (RIS-Justiz RS0041835 [T5]; 10 ObS 129/02x; 10 ObS 15/12x; 1 Ob 202/13g; 1 Ob 85/15d; 3 Ob 118/18a).
Der Kläger gibt in seiner Tatsachenrüge nicht einmal an, welche konkreten Feststellungen des Erstgerichts er überhaupt bekämpft. Schon aus diesem Grund geht die Tatsachenrüge mangels gesetzmäßiger Ausführung ins Leere.
Die Tatsachenrüge beschränkt sich im Wesentlichen darauf, auf mehreren Seiten angeführte Feststellungen zu begehren. Diese Ausführungen widersprechen auch dem im gegenständlichen Berufungsverfahren geltenden Neuerungsverbot (§§ 2 Abs 1 ASGG, 482 ZPO). Nach ständiger Rechtsprechung können Neuerungen iSd § 482 Abs 2 ZPO nur zur Dartuung oder Widerlegung der Berufungsgründe der Nichtigkeit oder der Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgebracht werden, somit nicht zur Dartuung einer Tatsachenrüge (Näheres dazu s. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 482 ZPO Rz 5 mwN).
Soweit der Kläger im Rahmen der Tatsachenrüge fehlende Feststellungen behauptet, macht er in Wahrheit rechtliche Feststellungsmängel (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO) geltend, die jedoch mittels einer Rechtsrüge aufzugreifen wären ( KodekaaO § 496 ZPO Rz 7 mwN). Da der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren kein Vorbringen in die Richtung erstattet hat, wie er sie nunmehr in der Tatsachenrüge in Form von zusätzlichen Feststellungen begehrt, scheiden rechtliche Feststellungsmängel aus (Näheres dazu s. Kodek aaO Rz 11 mwN).
Eine Verletzung der Anleitungspflicht durch das Erstgericht ist in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich, da in der Tagsatzung vom 30.1.2025 in Anwesenheit unter anderem des Klägers und des berufskundlichen Sachverständigen Mag. D* dessen schriftliches berufskundliches Sachverständigengutachten ON 13 erörtert wurde und im Anschluss daran sich aus dem Tagsatzungsprotokoll ON 15 ergibt, dass an den Sachverständigen keine weiteren Fragen mehr gestellt wurden und auch sonst keine weiteren Anträge gestellt wurden (s. ON 15.3, S 2).
Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass auch bei gesetzmäßiger Ausführung der Tatsachenrüge für den Kläger nichts gewonnen wäre. Eine inhaltliche Prüfung der erstgerichtlichen Feststellungen ergibt, dass diese Deckung in der gutachterlichen Beurteilung des Sachverständigen Mag. D* finden. Dessen Ausführungen scheinen auch dem Berufungssenat nachvollziehbar und überzeugend. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass das Erstgericht bei seinen Feststellungen der gutachterlichen Beurteilung des Sachverständigen Mag. D* gefolgt ist.
Zur Mängelrüge:
Der Kläger verweist hier im Wesentlichen auf seine Ausführungen in der Tatsachenrüge. Insbesondere hebt er hervor, dass sich das Erstgericht durch die Einvernahme „der Zeugen“ ein besseres Bild von der Arbeit des Klägers hätte machen müssen.
Auch die Mängelrüge geht bereits deswegen ins Leere, weil sie nicht gesetzmäßig ausgeführt ist.
Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der behauptete Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RIS-Justiz RS0043049, RS0043027). Der Rechtsmittelwerber hat die abstrakte Eignung darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RIS-Justiz RS0043049 [T6]). Er muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0043039 [T4, T5]), und welche streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts er ohne den behaupteten Verfahrensfehler zu widerlegen können glaubt (RIS-Justiz RS0043039 [T3]; 6 Ob 86/12h mwN uva).
Wie sich aus den diesbezüglichen Berufungsausführungen ergibt, hat der Kläger die Erheblichkeit des behaupteten Verfahrensmangels im Sinne der oben dargestellten herrschenden Rechtsprechung nicht aufgezeigt. So führt er nicht aus, welche für ihn günstigen (konkreten) Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären und welche streitentscheidenden Feststellungen des Erstgerichts widerlegt hätten werden können, wenn das Erstgericht das von ihm vermisste mängelfreie Verfahren durchgeführt hätte.
Aber auch bei gesetzmäßiger Ausführung der Mängelrüge wäre für den Kläger nichts gewonnen. Eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens ist nicht ersichtlich. Für den Berufungssenat ist nicht erkennbar, inwiefern durch den Umstand, dass das Erstgericht „die Zeugen“ nicht selbst vernommen hat, eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens verwirklicht sein sollte. Der berufskundliche Sachverständige Mag. D* hat bei seiner Befundaufnahme am 10.9.2024 nicht nur den Kläger, sondern auch die vom Kläger namhaft gemachten Zeugen E* C*, F* und G* zu den Tätigkeiten des Klägers in der B* C* GmbH befragt. Ausgehend von dessen Angaben hat der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ON 13 näher festgehalten, wie die Tätigkeit des Klägers als Fleischergehilfe in der B* C* GmbH im klagsgegenständlichen Zeitraum aussah (Näheres dazu s. ON 13.1, S 5 ff). Dass diese Ausführungen des Sachverständigen in seinem schriftlichen Gutachten unrichtig oder unvollständig gewesen wären, hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet. Vielmehr fand in der Tagsatzung vom 30.1.2025 – wie oben bereits aufgezeigt wurde – eine Erörterung des schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen Mag. D* unter anderem im Beisein des Klägers statt. Aus dem Tagsatzungsprotokoll ergibt sich nicht, dass der Kläger der Ansicht gewesen wäre, dass das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Mag. D* unrichtig oder unvollständig gewesen wäre. Vielmehr wurde protokolliert, dass weder weitere Fragen an den Sachverständigen noch weitere Anträge gestellt werden. Somit ist davon auszugehen, dass nicht einmal der Kläger selbst eine zusätzliche gerichtliche Einvernahme der genannten drei Zeugen für erforderlich erachtete. In diesem Zusammenhang ist ausgehend von der Aktenlage auch kein Verstoß des Erstgerichts gegen § 87 Abs 1 ASGG ersichtlich.
Da weder der Tatsachenrüge noch der Mängelrüge Berechtigung zukommt, übernimmt das Berufungsgericht die erstgerichtlichen Feststellungen und legt sie seiner Entscheidung zugrunde (§§ 2 Abs 1 ASGG, 498 Abs 1 ZPO).
Zur Rechtsrüge:
Insgesamt ist der Rechtsrüge nicht nachvollziehbar zu entnehmen, aus welchen Gründen die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts unrichtig sein sollte. Damit ist die gesamte Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl. KodekaaO § 471 ZPO Rz 16 mwN; RS0043603).
Der Kläger behauptet hier – ohne dies näher zu konkretisieren -, dass vom Erstgericht ein „unrichtiger bzw. unvollständiger Sachverhalt“ zugrunde gelegt worden sei. Insofern ist dem Kläger zu erwidern, dass – wie oben bereits eingehend aufgezeigt wurde – rechtliche Feststellungsmängel hier ausscheiden.
Mit den weiteren Ausführungen entfernt sich der Kläger unzulässigerweise von den erstgerichtlichen Feststellungen.
Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.
Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine erhebliche Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung vorlag, zumal eine in der Berufung unterlassene oder nicht gesetzmäßig ausgeführte Rechtsrüge in der Revision nicht mehr nachgetragen werden kann (RS0043573 ua), wobei dieser Grundsatz ungeachtet § 87 Abs 1 ASGG auch in Verfahren in Sozialrechtssachen gilt (RS0043480).