20Bs186/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Neubauer als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Wolfrum, LL.M., und Dr. Bahr als weitere Senatsmitglieder in der Vollzugssache des A* nach § 21 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Vereins B* gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juni 2025, GZ ** 75, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Aus Anlass der Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Mit seiner Beschwerde wird der Verein B* auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Begründung:
Mit – vom Akteninhalt nicht umfassten – rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 14. Mai 2021, (richtig (vgl. diesbezüglich ON 4 und ON 13:) AZ **, wurde A* gemäß § 21 Abs 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen, weil er unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustandes (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer akuten manisch psychotischen Exazerbation bei zugrundeliegender schizoaffektiver Psychose, am 25. Februar 2021 in ** auf der dort befindlichen Tankstelle anlasslos I./ C* dadurch, dass er ihm einen wuchtigen Kopfstoß gegen dessen Gesicht versetzte, wodurch dieser ein Hämatom an der Stirn erlitt, am Körper verletzte und dadurch eine schwere Körperverletzung, und zwar eine knöcherne Verletzung der Schädelknochen, herbeizuführen versuchte, II./ Nachgenannte gefährlich mit dem Tod bedrohte, um die Genannten in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwarA./ C*, D*, E* und F* durch die sinngemäße Aussage „Ich stech euch alle ab. Dann haue ich euch die Zähnt heraus. Dann rasiere ich euch. Dann verbrenne ich euch noch. Dann kommt ihr zu de Sau in den Saustall, dass euch keiner mehr findet.“, wobei er dabei ein Bundesheer-Feldmesser drohend in der Hand hielt; B./ D* und E* nachdem diese nach der Tat zu I./ in ihr Auto flüchteten dadurch, dass er mit einem Bundesheer-Messer auf die Seitenscheibe einstach, wodurch diese ein Loch bekam; C./ kurze Zeit nach der Tat zu B./ C*, D*, E* und F* durch die sinngemäße Aussage „Ihr seits lauter Hurenkinder, ich bring euch alle um“, wobei er nachwievor das Messer drohend in der Hand hielt, sohin Taten begangen hat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind und die ihm, wäre er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als I./ das Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und II./ das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB zuzurechnen wäre, wobei nach der Person und dem Zustand des Betroffenen sowie der Art der Taten zu befürchten ist, dass er sonst unter dem Einfluss seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, konkret eine schwere Körperverletzung oder gefährliche Drohung mit dem Tod, begehen werde.
Mit Beschluss des (damals zuständigen) Vollzugsgerichts vom 14. Dezember 2023, GZ **-14 des Landesgerichts Steyr (ON 13), wurde A* per 20. Dezember 2023 gemäß § 47 StGB aus dem Maßnahmenvollzug bedingt entlassen und ihm unter anderem die Weisung der Wohnsitznahme in der vollbetreuten Nachsorgeeinrichtung der B* G* erteilt. Gemäß § 179a StVG wurde festgestellt, dass der Bund die mit den Weisungen verbundenen Kosten unter den in § 179a StVG genannten Voraussetzungen sowie bis zu der dort genannten Höhe übernehme (ON 13, 3).
Nachdem am 17. Jänner 2024 das Verfahren gemäß § 179 Abs 1 StVG an das Landesgericht für Strafsachen Wien übertragen wurde, übermittelte der Verein B* diesem am 4. April 2024 (ON 30), am 3. Juli 2024 (ON 44), am 21. Jänner 2025 (ON 61) und am 29. April 2025 (ON 71), somit jeweils quartalsweise Rechnungen, wobei die Kosten jeweils in der begehrten Höhe bestimmt und angewiesen wurden. Auf Aufforderung des Vollzugsgerichts mit Note vom 13. Mai 2024 (ON 1.16), ua zu A*s Einkommens- und Vermögensverhältnissen zu berichten und diesbezüglich Nachweise vorzulegen, legte B* eine Mitteilung des AMS über den Leistungsanspruch betreffend Notstandshilfe vor, berichtete über dessen Unterhaltspflicht gegenüber dem minderjährigen Sohn, bezifferte dessen Schulden mit ca. 60.000 Euro und wies in einem darauf hin, dass ein Privatkonkurs vorbereitet werde, allerdings ohne entsprechende Belege beizuschließen (ON 37). Das Vollzugsgericht holte in der Folge hinsichtlich des Bezugs der Notstandshilfe eine Auskunft ein (ON 51) und beauftragte B* erneut, einen aktuellen Einkommensnachweis des Betroffen zu übermitteln (ON 1.49), woraufhin dieser einen Kontoauszug über die Unterhaltszahlung an den Sohn übermittelte, zu den angeblichen Schulden und einem „am 6.2.25 verhandelten Privatkonkurs“ jedoch weiterhin Informationen schuldig blieb (ON 63). Mit Note vom 29. April 2025 ersuchte das Vollzugsgericht die Generaldirektion für Vollzugsangelegenheiten (BMJ) um Bekanntgabe, ob mit dem Verein B* eine Pauschalvereinbarung über "ambulante Betreuung" abgeschlossen wurde, sowie um Übermittlung der „kompletten Pauschalvereinbarungen mit B* und H*“ (ON 1.64), wobei dem Akteninhalt keine Beantwortung dieses Ersuchens zu entnehmen ist.
Mit dem nunmehr bekämpften Beschluss vom 12. Juni 2025 (ON 75) sprach das Vollzugsgericht aus, dass die Kosten des Aufenthaltes in der therapeutischen Wohneinrichtung B* ab 1. Jänner 2025 vom Bund gemäß § 179a Abs 2 StVG nur mehr teilweise übernommen werden (1./), der bedingt Entlassene von seinem Einkommen den 700 Euro monatlich übersteigenden Teil seines Nettoeinkommens abzüglich der Unterhaltszahlung an seinen Sohn zu den Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung beizutragen hat (2./) und der Restbetrag gemäß § 179a Abs 3 StVG vom Bund übernommen wird. „Es ist quartalsweise eine entsprechende Abrechnung samt Einkommensnachweisen dem Gericht vorzulegen“ (3./). Begründend führte es aus, dass der Betroffene Notstand iHv 49,25 Euro täglich beziehe und er davon 400 Euro monatlich an Unterhalt für seinen Sohn bezahle. Mit Verfügung vom 12. Juni 2025 stellte es den Beschluss nicht nur dem Betroffenen, sondern auch der „Wohneinrichtung“ zu und teilte dieser mit Note mit, dass bezüglich des betroffenen Zeitraums eine neue, Punkt 3./des Beschlusses entsprechende Abrechnung samt Beilagen einzubringen sei. Die bislang vorhandenen Rechnungen würden aus dem System gelöscht werden (ON 1.69).
Gegen diesen Beschluss richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Vereins B* zur Förderung von Wohnraumbeschaffung (ON 77), die moniert, nach § 87 Abs 1 StPO beschwerdelegitimiert zu sein, zumal er als Folge des Beschlusses in seinen unmittelbaren Rechten und Interessen benachteiligt werde, ihm mittels der auferlegten Abrechnung samt Vorlage von Einkommensnachweisen unmittelbar Pflichten entstehen und in das privatrechtliche Schuldverhältnis zwischen dem Bund und dem Beschwerdeführer eingegriffen werde. Weiters verweist er auf den zwischen ihm und dem „Justizministerium“ abgeschlossen Rahmenvertrag, ohne diesen dem erkennenden Senat vorzulegen, zieht die rechtliche Grundlage „dieser Vorgangsweise“ in Zweifel, behauptet, der Beschluss wäre dem Beschwerdeführer nicht formal zugestellt worden, könne der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Beschluss daher nicht dazu verhalten werden, eine andere Abrechnung zu legen als jene, die in dem zwischen dem Bund und ihm abgeschlossenen Vertrag entspreche. Dem Beschwerdeführer zufolge könne die Abrechnung und Vorlage von Einkommensnachweisen ausschließlich dem bedingt Entlassenen aufgetragen werden und sei es ihm nicht zumutbar und möglich, auf sein Risiko die nicht vom Bund übernommenen Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung von der bedingt entlassenen Person einzufordern. Bis dato seien die Leistungen des Beschwerdeführers gemäß dem Vertrag mit dem Bund ausschließlich und zu 100 % vom Bund getragen worden. Letztlich entspreche auch die Verpflichtung des Beschwerdeführers, rückwirkend ab 1. Jänner 2025 die Kostenbeiträge einzufordern, nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlass der Beschwerde ist wie im Spruch ersichtlich vorzugehen.
Zur Rechtsmittellegitimation des Vereins B* ist vorauszuschicken, dass nach § 87 Abs 1 StPO gegen gerichtliche Beschlüsse der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten (Angeklagten, Verurteilten, Betroffenen), soweit dessen Interessen unmittelbar betroffen sind, und jeder anderen Person, der durch den Beschluss (selbst) unmittelbar Rechte verweigert werden oder Pflichten entstehen oder die von einem Zwangsmittel betroffen ist, Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zusteht. Beschwerden, die von einer Person eingebracht werden, der ein Rechtsmittel nicht zusteht, hat das Rechtsmittelgericht als unzulässig zurückzuweisen (§ 89 Abs 2 StPO).
§ 179a Abs 2 StVG räumt ausschließlich dem bedingt Entlassenen bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen einen Anspruch auf Kostenübernahme durch den Bund ein. Sind jedoch der Einrichtung oder Vereinigung bereits Kosten erwachsen, ist auch diese beschwerdelegitimiert (Pieber in Höpfel/Ratz, WK 2StVG § 179a Rz 9; OLG Linz RIS-Justiz RL0000126; OLG Innsbruck RIS-Justiz RI0100012; OLG Wien 22 Bs 116/18x). Mit Blick auf die vom Erstgericht bislang bestimmten Kosten der Einrichtung, die auch aus der glaubhaft behaupteten Zusage der Kostenübernahme durch den Bund abgeleitet werden kann, war dem Beschwerdeführer fallkonkret eine Beschwerdelegitimation zuzubilligen, weil er in seinen Rechten selbst unmittelbar betroffen ist.
Wenn einem (hier:) Betroffenen die Weisung erteilt wurde, sich einer Entwöhnungsbehandlung, einer psychotherapeutischen oder einer medizinischen Behandlung zu unterziehen oder in einer sozialtherapeutischen Wohneinrichtung Aufenthalt zu nehmen, hat der Bund nach § 179a Abs 2 erster Satz StVG dann die Kosten der Behandlung oder des Aufenthaltes ganz oder teilweise zu übernehmen, wenn der Betreffende nicht Anspruch auf entsprechende Leistungen aus einer Krankenversicherung hat und durch die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten sein Fortkommen erschwert würde. Der Höhe nach übernimmt der Bund die Kosten jedoch grundsätzlich nur bis zu dem Ausmaß, in dem die I* für die Kosten aufkommen könnte, wenn der Entlassene in der Krankenversicherung öffentlich Bediensteter versichert wäre; einen Behandlungsbeitrag (§ 63 Abs 4 B-KUVG) hat der bedingt Entlassene nicht zu erbringen. Die Entscheidung über die Übernahme der Kosten steht dem für die Erteilung der Weisung zuständigen Gericht zu und soll nach Möglichkeit zumindest dem Grunde nach bereits bei der Entscheidung über die bedingte Entlassung (hier: das vorläufige Absehen vom Vollzug) in geeigneter Form berücksichtigt werden (Abs 2 letzter Satz leg cit).
Grundsätzlich hat der bedingt Entlassene die mit der Erfüllung der ihm erteilten Weisung verbundenen Kosten selbst zu tragen (Pieber, WK 2StVG § 179a Rz 3; RIS-Justiz RS0132825). Nur das kumulative Vorliegen beider in § 179a Abs 2 StVG genannten Voraussetzungen (kein Anspruch auf entsprechende Leistungen aus der Krankenversicherung undErschwerung des Fortkommens durch die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten) begründet die Übernahmeverpflichtung des Bundes (OGH 14 Os 84/14f). Das in § 330a ASVG normierte Verbot des Pflegeregresses (Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten) ist nach dem klaren Gesetzeswortlaut auf den Bereich der Sozialhilfe beschränkt. Bei der nach § 179a Abs 2 erster Satz StVG gebotenen Beurteilung, ob durch die Verpflichtung zur Zahlung der Behandlungskosten das Fortkommen des bedingt Entlassenen erschwert würde, ist daher auch dessen Vermögen in Anschlag zu bringen (RIS-Justiz RS0132826; OGH 13 Os 77/19a; 10 Bs 289/18b OLG Graz).
Nachdem sich der erstinstanzliche Beschluss auf Feststellungen zur Notstandshilfe und den Kindesunterhalt beschränkt, Hinweise im Akteninhalt auf Schulden des bedingt Entlassenen („Zahlungsverpflichtungen im fünfstelligen Bereich (Kredit, Unterhaltsschulden aus der Haft udgl.“)) und das Schuldenregulierungsverfahren (vgl. ON 80; ON 63.2) völlig außer Acht lässt, weshalb die Höhe und Ursache allfälliger Verbindlichkeiten des A* völlig im Dunkeln liegen, wird sich das Erstgericht im weiteren Verfahren im Einzelnen mit den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Betroffenen auseinanderzusetzen haben, um die Frage zu klären, ob die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten sein Fortkommen erschweren würde (Pieber aaO Rz 3). Dabei wird auch die (gerichtlich festgelegte?) Höhe des Kindesunterhalts, die bislang nur mittels eines Kontoauszugs (vgl. ON 63.3, 3) belegt wurde, genau zu eruieren sein.
Abgesehen davon, dass die Sachverhaltsgrundlage bereits aus diesem Grund unzureichend ist, weil nur das kumulative Vorliegen beider in § 179a Abs 2 StVG genannten Voraussetzungen (kein Anspruch auf entsprechende Leistungen aus der Krankenversicherung undErschwerung des Fortkommens durch die Verpflichtung zur Zahlung der Kosten) die Übernahmeverpflichtung des Bundes begründet (14 Os 84/14f) und bereits dieser Begründungsmangel ein Vorgehen nach § 89 Abs 2a Z 3 StPO erfordert, erweist sich Punkt 3. des Beschlusses, mit welchem festgelegt wird, dass quartalsweise eine Abrechnung und Einkommensnachweise vorzulegen sind, als zu unbestimmt, wurde doch weder im Spruch noch in der Begründung konkretisiert, an wen - den bedingt Entlassenen oder den Verein B* – sich diese Verpflichtung tatsächlich richtet. Die unter Verweis auf die Note in ON 1.69 getroffene Annahme des Beschwerdeführers, wonach jedenfalls er der Adressat dieser Verpflichtung sei, lässt sich aus dem Beschluss nicht ohne Weiteres ableiten. Letztlich wird zu Punkt 3./ auch zu konkretisieren sein, was dem Erstgericht zufolge unter einer „entsprechenden Abrechnung“ zu verstehen ist.
Vom Erstgericht wird im weiteren Verfahren weiters der vom Beschwerdeführer genannte, aber unerklärlicherweise nicht vorgelegte, zwischen ihm und dem Bundesministerium für Justiz abgeschlossene Rahmenvertrag beizuschaffen und zu überprüfen sein, welche Vereinbarungen dieser über die Rechte und Pflichten des Beschwerdeführers in Bezug auf die Abrechnung, die Vorlage von Einkommensnachweisen und sonstigen Mitwirkungspflichten zur Beurteilung eines allfälligen finanziellen Beitrags des bedingt Entlassenen zu den Kosten der therapeutischen Wohneinrichtung enthält.
Zur Klärung all dieser Fragen war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen.