JudikaturOLG Wien

5R47/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Immaterialgüterrecht
29. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Richter Mag. Guggenbichler als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Einberger und den Kommerzialrat Mag. Krenn in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch die Gheneff – Rami – Sommer Rechtsanwälte GmbH Co KG in Wien, wider die beklagte Partei B* GmbH Co KG , FN **, **, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 10.000 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25.2.2025, GZ **-11, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.458,67 (darin enthalten EUR 243,11 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war von November 2014 bis Mai 2015 bei der Tageszeitung „C*“ tätig. Seit Juni 2017 ist sie als Redakteurin, Kolumnistin und Moderatorin bei der D* Gesellschaft mbH Co KG beschäftigt.

Die Beklagte (s ON 5, S 2, Pkt 1) ist Medieninhaberin (§ 1 Abs 1 Z 8 lit a MedienG) der Website E*, dem Internetauftritt der Tageszeitungen „C*“ und „F*“. Herausgeber dieser Druckwerke ist G*.

Am 20.10.2021 veröffentlichte die Beklagte auf ihrer Website E* folgenden, mit einem Lichtbild der Klägerin versehenen Artikel:

[Bild entfernt]

Mit Klage vom 16.10.2024 begehrte die Klägerin EUR 10.000 s.A. Sie brachte zusammengefasst vor, sie sei vom * der Tageszeitung „C*“ während ihres Beschäftigungsverhältnisses mehrfach sexuell belästigt worden. In dem zitierten Artikel werde ihr jedoch unterstellt, die Anschuldigungen gegen ihn erfunden zu haben. Es werde der Eindruck erweckt, ihre Vorwürfe seien unwahr, gelogen und lediglich Teil einer Konkurrenz-Kampagne der „H*“, um seinen Ruf zu schädigen. Diese Behauptungen seien ihrerseits unwahr, ehrenbeleidigend, kreditschädigend und verwirklichten den Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1, Abs 2 StGB, wodurch berechtigte Interessen der Klägerin iSd § 78 Abs 1 UrhG verletzt würden. Es handle sich um eine ganz empfindliche Kränkung, die den mit jeder Verletzung des UrhG verbundenen Ärger weit übersteige. Die Klägerin habe daher Anspruch auf Abgeltung ihres immateriellen Schadens nach § 87 Abs 2 UrhG in angemessener Höhe.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und replizierte im Wesentlichen, der Artikel besage nur, dass die „H*“ unter anderem der Klägerin Medienprozesse gegen sie finanziere und die Vorwürfe der Klägerin gegen G* unwahr seien. Beides sei weder ehrenbeleidigend noch kreditschädigend und verletze somit keine berechtigten Interessen iSd § 78 UrhG. Die Klägerin habe mit der Klagseinbringung bis kurz vor Ende der Verjährungsfrist zugewartet, was dokumentiere, dass keine qualifizierte Beeinträchtigung iSd § 87 Abs 2 UrhG vorliege.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht der Klage statt. Es stellte (ua) fest, dass die Klägerin gegen G* Privatanklage wegen § 111 Abs 1, Abs 2 StGB erhob, weil er ihre Vorwürfe öffentlich als „völlig frei erfunden“ bezeichnet hatte. In diesem Verfahren bekannte sich G* schuldig und wurde zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt. Rechtlich folgerte das Erstgericht, nach dem maßgeblichen Gesamtzusammenhang und -eindruck des Artikels werde der Klägerin unterstellt, ihren ehemaligen Arbeitgeber bewusst zu Unrecht der sexuellen Belästigung beschuldigt zu haben. Dies greife in die Würde der Klägerin ein und schädige ihren Ruf. Es handle sich um unrichtige Tatsachenbehauptungen, sodass die Beklagte den Wahrheitsbeweis zu erbringen gehabt hätte. Diesen haben sie nicht einmal angetreten. Wegen der damit verbundenen empfindlichen Kränkung stünde der Klägerin gemäß § 87 Abs 2 UrhG auch der Ersatz immateriellen Schadens zu. Eine Rechtspflicht, innerhalb der Verjährungsfrist besonders rasch aktiv zu werden, bestehe nicht, sodass das Vorliegen einer besonders schweren Kränkung nicht bloß deswegen verneint werden könne.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung , der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Die Berufungswerberin hält zunächst ihr Vorbringen aufrecht, in dem angegriffenen Artikel werde nur behauptet, die Vorwürfe der Klägerin seien unwahr und ihre Prozessführung werde von der „H*“ finanziert. Die Behauptung, jemand verbreite unwahre Vorwürfe, sei aber nicht ehrenbeleidigend oder kreditschädigend.

1.1. Ob wegen eines dem Lichtbild beigefügten Begleittextes berechtigte Interessen des Abgebildeten iSd § 78 Abs 1 UrhG verletzt werden, ist eine Rechtsfrage (RS0043508). Entscheidend ist, ob nach dem maßgeblichen Gesamteindruck eines durchschnittlichen Lesers (RS0031883; RS0115084) über den Abgebildeten nach den Wertungen des § 1330 ABGB etwas ehrenbeleidigendes oder kreditschädigendes ausgesagt wird (6 Ob 116/17b [Pkt 2]).

1.2. Der unrichtige Vorwurf, jemand lüge (RS0032212 [T23]; 6 Ob 315/02w [Pkt IV]) oder behaupte wider besseres Wissen die Unwahrheit (RS0032212 [T13]; vgl auch 4 Ob 91/24x [Rn 17]) begründet nach stRsp eine Verletzung berechtigter Interessen. Er geht wegen der subjektiven Komponente weit über die Behauptung hinaus, jemand verbreite bloß objektiv unrichtige Fakten (instruktiv 4 Ob 25/13z [Pkt 2. f]).

1.3. Bereits das Erstgericht hat zutreffend herausgearbeitet (§ 500a ZPO), dass der Klägerin nach dem maßgeblichen Gesamteindruck des Artikels nicht nur vorgeworfen wird, G* zu Unrecht zu beschuldigen, sondern dies bewusst und vorsätzlich zu tun. Schon die Eingangs gewählte Formulierung „überraschend gleichlautender Vorwürfe“ suggeriert eine unlautere Absprache, um erfundene Aussagen aufeinander abzustimmen. Da hinter den „Vorwürfen angeblicher ‚sexueller Belästigung‘ […] in Wahrheit eine Konkurrenz-Kampagne“ durch die unter Druck geratene „H*“ stehe, muss der Leser zwangsläufig annehmen, dass die Beschuldigungen nicht nur unwahr sind, sondern wider besseres Wissen und einzig aus dem verpönten Motiv heraus erhoben wurden, „um [den] Ruf [der Beklagten] zu schädigen“. Entgegen der Berufung hat es die Beklagte daher nicht dabei bewenden lassen, die Vorwürfe der Klägerin als unrichtig zurückzuweisen, sondern sie hat ihr doloses Vorgehen im Rahmen einer gegen sie geführten „Kampagne“ unterstellt.

2. Rechtsfehlerfrei hat das Erstgericht zudem angenommen, dass der festgestellte Sachverhalt auch den Zuspruch einer Entschädigung nach § 87 Abs 2 UrhG rechtfertigt.

2.1. Der Ersatz immateriellen Schadens nach § 87 Abs 2 UrhG gebührt nur bei einer empfindlichen Kränkung, die den mit jeder Zuwiderhandlung gegen das UrhG verbundenen Ärger übersteigt (RS0077369 [T7]). Dabei ist es zwar Sache des Klägers, darzulegen, woraus sich eine empfindliche Kränkung ergeben soll (RS0078172). Dafür kann aber schon das Vorbringen zu den im konkreten Fall beeinträchtigten Interessen (RS0078172 [T3]) und zur Verletzungshandlung ausreichend sein, wenn Art und Intensität des Eingriffs von qualifizierter Schwere sind (RS0110101).

2.2. Das Berufungsgericht judiziert dazu in stRsp, dass die Anschuldigung, im Rahmen einer „Kampagne“ bzw „Intrige“ würden aus niederen (finanziellen) Motiven bewusst unwahre Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben, eine derart qualifizierte Verletzung berechtigter Interessen verwirklicht und Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens gibt (zu § 87 Abs 2 UrhG: OLG Wien, 33 R 171/23v; 33 R 109/23s; zu § 16 Abs 2 UWG: OLG Wien, 5 R 147/22g [betreffend denselben Artikel]; 3 R 158/24p; 4 R 158/24w; 5 R 136/24t; 1 R 12/25d uva).

Davon abzugehen besteht auch vor dem Hintergrund der Entscheidung 4 Ob 91/24x kein Anlass.

2.2.1. Die Vorinstanzen hatten dort einen anderen Artikel (offenbar der Beklagten oder eines im Verbund stehenden Unternehmens zu derselben Thematik) auszulegen und dabei verneint, dass nicht nur den Opfern selbst sondern (auch) der klagenden GmbH Co KG (bei der es sich offenbar um die Medieninhaberin der „H*“ handelte) unterstellt werde, sie führe ihre „Kampagne“ im Wissen um die angebliche Unrichtigkeit der Vorwürfe. Der Oberste Gerichtshof hielt diese Beurteilung im Einzelfall (vgl RS0107768) für vertretbar (4 Ob 91/24x [Rn 17 und insb 19]) und wies die Revision der Klägerin zurück, wobei er zusätzlich das notorischerweise durch öffentlich ausgetragene Streitigkeiten geprägte Konkurrenzverhältnis zwischen den Parteien ins Treffen führt [Rn 20].

2.2.2. Im vorliegenden Fall ist nicht nur ein anderer Artikel zu beurteilen; es klagt auch nicht ein Konkurrenzmedium, sondern das unmittelbare Opfer der sexuellen Belästigung, dem – wie dargelegt (Pkt 1.3) – eine bewusste Falschaussage aus niederen Beweggründen unterstellt wird. Die Entscheidung 4 Ob 91/24x ist daher nicht einschlägig. Im Übrigen bedeutet die Zurückweisung einer Revision mit der Begründung, die Vorinstanzen hätten den ihnen im Einzelfall zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten (4 Ob 91/24x [Rn 18]), noch keine inhaltliche Billigung der dort geäußerten Rechtsansicht (4 Ob 116/16m [Pkt 3]).

2.3. Eine erhebliche Kränkung der Klägerin iSd § 87 Abs 2 UrhG kann auch nicht mit dem Argument verneint werden, sie habe mit der Klagseinbringung bis knapp vor Ende der Verjährungsfrist zugewartet, weil es dafür eine Vielzahl an Gründen abseits mangelnder Betroffenheit geben kann (OLG Wien, 33 R 171/23v). Gegenteiliges kann insbesondere nicht aus der Entscheidung 3 Ob 417/53 abgeleitet werden, weil das Zuwarten des Klägers dort lediglich als Hilfsargument herangezogen, ein Ersatzanspruch aber schon mangels ausreichenden Vorbringens zur eigentlichen Kränkung abgelehnt wurde (OLG Wien, *; *).

3. Letztlich nicht zu beanstanden ist die Höhe des der Klägerin zuerkannten Betrages. Er bewegt sich, wie das Berufungsgericht auch unter Auseinandersetzung mit der Aufstellung von * (Zur Höhe des immateriellen Schadenersatzes bei [ungerechtfertigter] Bildveröffentlichung in Medien, MR 2021, 279) schon wiederholt dargelegt hat, in einem der Schwere des Verstoßes und der damit bewirkten Kränkung der Klägerin angemessenen Rahmen (s die Zitate zu Pkt 2.2). Aus einer empirischen Untersuchung lässt sich nämlich nicht ableiten, dass nicht spezielle – zum Zeitpunkt der Erhebung allenfalls nicht behandelte – Konstellationen einen höheren Entschädigungsbetrag rechtfertigen könnten.

4. Der unberechtigten Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

5. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

6. Die ordentliche Revision ist mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.