2R12/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Rechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch Dr. Martin Deuretsbacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. B* e.U. , **, vertreten durch Mag. Dr. Francisco Javier Rumpf, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, und 2. C* , **, vertreten durch Mag. Dr. Ulla Reisch, Rechtsanwältin in Wien, als Verfahrenshelferin, diese vertreten durch die Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in Wien, wegen EUR 27.000 samt Anhang, über die Berufung der zweitbeklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom 9.9.2024, GZ **-11, in nicht öffentlicher Sitzung
I. durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden und die Richter MMag. Popelka und Mag. Viktorin den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Berufung wegen Nichtigkeit wird verworfen.
II. durch den Senatspräsidenten Mag. Hofmann als Vorsitzenden, den Richter MMag. Popelka und den Kommerzialrat Giefing, MBA, zu Recht erkannt:
Im Übrigen wird der Berufung nicht Folge gegeben.
Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.875,92 (darin EUR 479,32 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte von den Beklagten zur ungeteilten Hand EUR 27.000 samt Zinsen als (restlichen) Kaufpreis für ein Lebensmittelgeschäft.
Die Beklagten erhoben am 25.4.2024 – durch einen gemeinsamen Rechtsanwalt vertreten – Einspruch (ON 6) gegen den erlassenen Zahlungsbefehl.
Die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung vom 9.9.2024 wurde dem damals ausgewiesenen Beklagtenvertreter am 26.4.2024 zugestellt (ON 7).
Mit Schriftsatz vom 24.6.2024 (ON 8) gab dieser bekannt, dass er das Vollmachtsverhältnis beendet habe. Die Bestellung eines anderen Beklagtenvertreters wurde nicht angezeigt.
Bei Aufruf der vorbereitenden Tagsatzung erschien der Zweitbeklagte persönlich ohne Rechtsanwalt. Das Erstgericht erörterte mit ihm die absolute Anwaltspflicht iSd § 27 ZPO und die Vollmachtsauflösung iSd § 36 ZPO (ON 10).
Auf Antrag der Klägerin erließ das Erstgericht sodann antragsgemäß das angefochtene Versäumungsurteil .
Dagegen richtet sich die Berufung des Zweitbeklagten wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Abänderungsantrag, die Klage abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
I. Zur Berufung wegen Nichtigkeit :
1. Die Berufung macht Nichtigkeit gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO geltend. Sie argumentiert, das Erstgericht wäre verpflichtet gewesen, den zur vorbereitenden Tagsatzung ohne Rechtsanwalt erschienenen Zweitbeklagten im Rahmen der Manuduktionspflicht über das Bestehen der absoluten Anwaltspflicht aufzuklären und die Tagsatzung zu vertagen, um für ihn rechtliches Gehör zu gewährleisten. Der Zweitbeklagte sei von seiner ursprünglich gewählten Rechtsvertretung zwar über den Termin der vorbereitenden Tagsatzung, nicht jedoch für ihn verständlich über das Bestehen der absoluten Anwaltspflicht oder die Möglichkeit, Verfahrenshilfe zu beantragen, aufgeklärt worden. Er sei auch bei der Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung nicht gemäß § 131 Abs 2 ZPO über die Folgen fehlender Vertretung belehrt worden.
2. Gemäß § 131 Abs 2 ZPO muss im Anwaltsprozess nur die erste Ladung zur mündlichen Verhandlung, sofern dieselbe nicht bereits an einen Rechtsanwalt ergeht, auch die Aufforderung enthalten, rechtzeitig einen Rechtsanwalt als Vertreter zu bestellen, und den Parteien bekanntzugeben, welche Nachteile das Gesetz mit der Nichtbestellung eines Rechtsanwalts und mit dem Versäumen der Tagsatzung verbindet (RS0036686 [T1]).
Die Ladung zur vorbereitenden Tagsatzung erging an den damals ausgewiesenen rechtsanwaltlichen Vertreter der beiden Beklagten und hatte daher keinen Hinweis iSd § 131 Abs 2 ZPO zu enthalten.
Im Übrigen wird die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses im Anwaltsprozess gegenüber dem Gegner und dem Gericht grundsätzlich erst dann wirksam, wenn sowohl das Erlöschen der Vollmacht angezeigt als auch die Bestellung eines anderen Rechtsanwalts mitgeteilt (oder Verfahrenshilfe beantragt) wurde (vgl RS0035675 [T3]; RS0035682), was hier nicht geschehen ist. Zustellungen an den Zweitbeklagten persönlich hatten schon deshalb nicht zu erfolgen (vgl RS0035634).
Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO wegen einer Verletzung der Belehrungspflicht des § 131 Abs 2 ZPO (vgl 7 Ob 233/08b) liegt daher nicht vor.
Soweit sich der Zweitbeklagte auf eine Verletzung der Manuduktionspflicht anlässlich der vorbereitenden Tagsatzung stützt, ist er auf die Behandlung der Verfahrensrüge zu verweisen.
Allfällige Kommunikationsschwierigkeiten zwischen dem Zweitbeklagten und seinem früheren Rechtsanwalt begründen jedenfalls weder eine Nichtigkeit des Urteils noch einen Verfahrensmangel.
II. Zur Berufung im Übrigen :
1. Der Zweitbeklagte rügt die behauptete Verletzung der Manuduktionspflicht auch als Verfahrensmangel. Bei entsprechender Aufklärung wäre er gewillt gewesen, einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Wäre er über die Rechtsfolgen der mangelnden Vertretung ordnungsgemäß aufgeklärt worden, so hätte er rechtzeitig vor der vorbereitenden Tagsatzung die Beigebung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenshilfe beantragt.
2. Gemäß § 133 Abs 3 ZPO gilt eine Tagsatzung als versäumt, wenn die Partei im Anwaltsprozess ohne Rechtsanwalt erscheint.
§ 185 Abs 1 ZPO sieht eine Erstreckung der Tagsatzung für den Fall vor, dass eine ohne Bevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung erschienene Partei einer verständlichen Äußerung über den Gegenstand des Rechtsstreites oder der mündlichen Verhandlung nicht fähig ist. Diese Bestimmung ist aber auf die Postulationsunfähigkeit als Folge des unvertretenen Erscheinens einer Partei bei absoluter Anwaltspflicht nicht anzuwenden (RS0125954).
Da das Erstgericht den Zweitbeklagten somit zutreffend als säumig betrachtete, bestand anlässlich der Tagsatzung auch kein Raum für eine Anleitungspflicht. Dass auch vor der Tagsatzung keine Pflicht bestand, dem Zweitbeklagten eine Belehrung iSd § 131 Abs 2 ZPO zu übermitteln, wurde bereits bei Behandlung der geltend gemachten Nichtigkeit ausgeführt.
3. Einen Verfahrensmangel sieht der Zweitbeklagte auch darin, dass das Erstgericht sich nicht mit seinem Einspruchsvorbringen auseinandergesetzt habe. Infolge Streiteinlassung durch begründeten Einspruch handle es sich um ein unechtes Versäumungsurteil. Das Gericht wäre daher verpflichtet gewesen, sich in der Entscheidung mit dem Vorbringen und den Anträgen des Zweitbeklagten auseinanderzusetzen.
4. Bleibt eine der Parteien nach rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung oder nach rechtzeitigem Einspruch von einer Tagsatzung aus, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat, so ist auf Antrag der erschienenen Partei gemäß § 396 Abs 2 ZPO ein Versäumungsurteil nach Abs 1 dieser Bestimmung zu fällen. Demnach ist das auf den Gegenstand des Rechtsstreites bezügliche tatsächliche Vorbringen des Klägers für wahr zu halten, soweit es nicht durch die vorliegenden Beweise widerlegt wird, und auf dieser Grundlage über das Klagebegehren zu erkennen.
Die Voraussetzung des § 396 Abs 2 ZPO lag vor, weil der Zweitbeklagte bei der vorbereitenden Tagsatzung - somit vor mündlicher Streiteinlassung – als säumig zu betrachten war.
Die tatbestandsmäßige Säumnis bewirkt, dass das Gericht das Tatsachenvorbringen der nicht säumigen Partei grundsätzlich für wahr zu halten hat; insofern dürfen daher keine Beweise aufgenommen werden (vgl Frössel in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 396 ZPO Rz 26 mwN). Auf schriftliche Eingaben der nicht erschienenen Partei – soweit sie den Inhalt des Rechtsstreits selbst betreffen – ist kein Bedacht zu nehmen (vgl Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 §§ 396-397 Rz 4 mwN).
Zu Recht hat das Erstgericht daher das Einspruchsvorbringen des Zweitbeklagten nicht überprüft.
Das (früher so genannte) „unechte“ Versäumungsurteil, auf das sich der Zweitbeklagte bezieht (§ 399 ZPO idF RGBl Nr 113/1895), wurde mit der ZVN 2002 abgeschafft (vgl Rechberger/Klicka, aaO Vor § 396 Rz 2).
5. Die Berufung ist daher insgesamt nicht erfolgreich.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.
7. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung standen.