9Rs107/24g – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Mag. Pöhlmann als Vorsitzenden, den Richter Mag. Kegelreiter, die Richterin Mag.Dr. Vogler sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf North und Mag. Irene Holzbauer in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, **, wegen Alterspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 22.4.2024, **10, gemäß § 2 ASGG, § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es lautet:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei eine Alterspension von EUR 1.217,60 brutto monatlich ab 1.11.2023 nach Maßgabe der Fälligkeit nach den §§ 104 und 105 ASVG und unter Berücksichtigung bereits geleisteter Zahlungen zu zahlen.
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab 1.11.2023 eine höhere Alterspension zu zahlen, wird abgewiesen.“
Die klagende Partei hat ihre Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat in Österreich bis 1.12.2006 236 Versicherungsmonate erworben. Sie bezieht aufgrund in Luxemburg erworbener Versicherungszeiten seit 1.11.2023 aus Luxemburg eine vorzeitige Alterspension.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 16.11.2023 den Anspruch der Klägerin auf Alterspension anerkannt und deren Höhe ab 1.11.2023 mit EUR 1.217,60 brutto monatlich festgestellt.
Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrte die Klägerin den Zuspruch einer höheren Alterspension mit dem Vorbingen, die Beklagte habe bei der Berechnung der Pensionshöhe die von der Klägerin in Luxemburg erworbenen 203 Versicherungsmonate nicht berücksichtigt. Damit habe die Beklagte gegen Art 54 VO (EG) Nr. 883/2004 verstoßen, wonach innerhalb der Europäischen Union erworbene Versicherungszeiten bei der Pensionsberechnung miteinzubeziehen seien. Die Versicherungszeiten seien zu addieren und zu berechnen, welche Rente sie erhalten hätte, wenn sie während ihrer gesamten Berufstätigkeit in Österreich pensionsversichert gewesen wäre. Der so errechnete Rentenbetrag sei mit den tatsächlich in Österreich erworbenen Versicherungszeiten zu aliquotieren. Die Pensionsversicherungsanstalt habe die anteilige und die selbstständige Leistung zu vergleichen und den höheren der beiden Beträge als Pension zu gewähren.
Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, die Alterspension der Klägerin sei als autonome Leistung im Sinne Art 52 Abs 1 lit a VO 883/2004 nur auf Basis der von der Klägerin in Österreich erworbenen 236 Versicherungsmonate zu errechnen.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es legte seiner Entscheidung den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt zugrunde und folgerte rechtlich, dass bei der Berechnung der Alterspension Art 52 Abs 1 bis 3 der VO 883/2004 nicht anzuwenden sei. Das Primärrecht der europäischen Union sehe die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten aus anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Berechnung der Höhe der Leistung nicht vor.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte hat sich am Berufungsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Aus Zweckmäßigkeitsgründen ist vorweg auf die Rechtsrüge einzugehen.
I. Zum Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung
In ihrer Rechtsrüge vertritt die Klägerin den Standpunkt, die vom Erstgericht in seiner Begründung herangezogene höchstgerichtliche Entscheidung zu 10 ObS 21/20s sei nicht einschlägig, weil es im dortigen Fall um deutsche Versicherungszeiten von weniger als einem Jahr gegangen und daher die Ausnahmebestimmung des Art 57 VO 883/2004 anzuwenden gewesen sei. Diese Judikatur sei auf den hier vorliegenden Fall nicht übertragbar. Die Einbeziehung der von der Klägerin in Luxemburg erzielten Einkünfte in die Bemessungsgrundlage führe zu einer höheren österreichischen Alterspension.
1. Bei der von der Klägerin bezogenen Alterspension nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) handelt es sich um eine Leistung bei Alter im Sinn Art 3 Abs 1 lit d VO 883/2004, weil sie den Zweck hat, den Lebensunterhalt von Versicherten sicherzustellen, die bei Erreichen eines bestimmten Alters ihre Beschäftigung aufgegeben haben und nicht mehr verpflichtet sind, der Arbeitsmarktverwaltung zur Verfügung zu stehen (EuGH C-171/82, Valentini , Rz 14). Daher sind - neben den allgemeinen Bestimmungen der VO 883/2004 - auch die Koordinierungsregeln nach Art 50 ff anwendbar.
Die Verordnung unterscheidet zwischen der Zusammenrechnung von Zeiten (Art 6, 51) und der Feststellung der Leistung (Art 52).
2. Im Rahmen der Zusammenrechnung von Zeiten (Art 6, 51 VO 883/2004) hat der Versicherungsträger in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Versicherungszeiten zu berücksichtigen; dies allerdings nur soweit nach seinen eigenen Rechtsvorschriften der Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des (Leistungs-)Anspruchs von der Zurücklegung einer gewissen Anzahl an (Versicherungs-)Zeiten abhängig ist. Zeiten unterschiedlicher Mitgliedstaaten werden in diesem Rahmen somit nur zur Begründung oder Erhaltung eines Anspruchs zusammengerechnet (das „Ob“ des Anspruchs), nicht hingegen für die Berechnung des Leistungsumfangs (das „Wieviel“ des Anspruchs; 10 ObS 21/20s Rz 3.4 f).
Im hier zu beurteilenden Fall ist der Anspruch der Klägerin auf eine Alterspension nicht strittig. Die Klägerin hat die für den Anspruch auf Alterspension erforderlichen Versicherungszeiten bereits in Österreich erworben, sodass eine gemäß Art 6 VO 883/2004 vorgesehene Zusammenrechnung von Versicherungszeiten aus einem anderen Mitgliedstaat (hier: Luxemburg) für das Entstehen des Anspruchs nicht erforderlich ist.
3. Die Berechnung der Höhe der konkreten Versicherungsleistung erfolgt nach Art 52 VO 883/2004(„ Feststellung der Leistung “).
3.1 Art 52 Abs 1 VO 883/2004 ordnet eine doppelte Berechnung an (10 ObS 155/16s Rz 3.3.1): Neben der Berechnung der Leistung nach innerstaatlichen Vorschriften („autonome Leistung“, Abs 1 lit a) ist eine Berechnung pro rata temporis durchzuführen („anteilige Leistung“, Abs 1 lit b), wobei der betreffenden Person der jeweils höhere Betrag zusteht (Abs 3).
3.2 Diese doppelte Berechnung gilt jedoch nicht für Systeme, in denen Zeiträume für die Berechnung der Versicherungsleistung keine Rolle spielen, sofern das System in Anhang VIII, Teil 2, genannt ist. Die betreffende Person hat in diesen Fällen Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats berechnete Leistung (Abs 5).
3.3. Mit dem seit 1. Jänner 2005 geltenden Pensionskonto (§§ 10 ff APG) wurde für Personen, die nach dem 31.12.1954 geboren sind, ein neues System der Pensionsberechnung eingeführt. Die Pension wird nicht mehr am Pensionsstichtag nach den erworbenen Versicherungszeiten und Ersatzzeiten, auf Basis einer Bemessungsgrundlage und von Steigerungsbeträgen und zu dem am Stichtag geltenden Recht berechnet (vgl §§ 238 ff ASVG), sondern entwickelt sich entlang des Versicherungsverlaufs in einem Pensionskonto parallel zu dieser Versicherungskarriere. Das Ausmaß der Alterspension ergibt sich gemäß § 5 Abs 1 APG aus der bis zum Stichtag (§ 223 Abs 2 ASVG) ermittelten Gesamtgutschrift (§ 11 Z 5 APG) geteilt durch 14 (10 ObS 21/20s).
Diese neue Pensionsberechnung stellt weder zur Ermittlung eines Steigerungsprozentsatzes noch einer Bemessungsgrundlage auf Versicherungszeiten ab (§ 5 iVm §§ 10 ff APG), auch deren zeitliche Lagerung spielt keine Rolle für die Pensionshöhe. Die Pension wird im Pensionskonto nach dem Bausteinprinzip aufgebaut: Der Versicherte bekommt für jedes Jahr Teilgutschriften ausgewiesen, die in der Folge zu einer Gesamtgutschrift addiert werden. Die Teilgutschrift beträgt 1,78 % der beitragspflichtigen Jahresbeitragsgrundlage, begrenzt mit der jeweiligen Höchstbeitragsgrundlage (dieser Prozentsatz resultiert aus der Formel, wonach im Alter von 65 Jahren nach 45 Versicherungsjahren ca 80 % des Durchschnittseinkommens als Pensionsleistung gebühren sollen). Pensionsbaustein für die monatliche Pension ist 1/14 der Gesamtgutschrift. Die Summe der Teilgutschriften, also die Gesamtgutschrift, wird am 1.1. eines jeden Jahres mit der Aufwertungszahl (§ 108a ASVG) multipliziert. Die neue Teilgutschrift wird danach hinzugerechnet. Die Höhe der Alterspension nach dem APG errechnet sich daher ausschließlich nach den eingezahlten Beiträgen und deren Aufwertung („Verzinsung“). Zeiträume iSd Art 52 Abs 5 VO 883/2004 spielen für die Berechnung der Versicherungsleistung damit keine Rolle.
3.4. Nachdem Zeiträume für die Leistungsberechnung nach dem APG keine Rolle spielen und Alterspensionen nach APG in Anhang VIII, Teil 2, ausdrücklich angeführt sind, findet die doppelte Berechnungsmethode (Art 52 Abs 1 bis 3 VO 883/2004) keine Anwendung. Die Klägerin hat folglich nur Anspruch auf die nach den österreichischen Rechtsvorschriften berechnete (Pensions-)Leistung (Abs 5; RS0131277).
3.5. Ob die Ausklammerung der in Luxemburg von der Klägerin erworbenen Einkünfte zu einer niedrigeren österreichischen Alterspension für die Klägerin führt – wie von ihr behauptet – wäre allenfalls bei einer Berechnung nach Art 52 Abs 1 lit a VO 883/2004 für die Ausnahmebestimmung nach Abs 4 relevant. Nachdem die Berechnung aber auf Basis des Art 52 Abs 5 S 2 VO 883/2004 zu erfolgen hat, kann diese Frage dahingestellt bleiben. Ohnedies bezieht die Klägerin neben der österreichischen auch eine luxemburgische Pension. Einem Erwerbstätigen ist durch die VO 883/2004 nicht garantiert, dass die Ausweitung seiner Tätigkeit auf mehrere Mitgliedstaaten hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist (EuGH C 134/18, Vester, Rn 32; 10 ObS 21/10s).
4. Der Rechtsrüge kommt damit keine Berechtigung zu.
II. Zum Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens
Die Klägerin moniert, dass das Erstgericht das von ihr beantragte versicherungsmathematische Sachverständigengutachten nicht eingeholt habe. Das Gutachten sei notwendig, um die in Luxemburg erzielten Einkünfte in die Bemessungsgrundlage bis zum Stichtag des Pensionsantritts zu erfassen und in die Pensionsberechnung einzubeziehen. Durch die Einbeziehung ergäbe sich eine höhere Alterspension.
Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049). Der Rechtsmittelwerber ist gehalten, die abstrakte Eignung des Verfahrensmangels darzutun, wenn dessen Erheblichkeit nicht offenkundig ist (RS0043027 [T10], RS0043049 [T6]), und muss nachvollziehbar aufzeigen, in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (RS0043039 [T5]).
Wie bei der Behandlung der Rechtsrüge dargelegt, haben Versicherungszeiten der Klägerin in Luxemburg keinen Einfluss auf die Berechnung der österreichischen Pensionsversicherungsleistung. Der Einholung eines versicherungsmathematische Sachverständigengutachtens, um die in Luxemburg erwirtschafteten Einkünfte in die österreichische Pension einzurechnen, bedarf es daher nicht.
Der Berufung war daher nicht Folge zu geben und das angefochtene Urteil mit der Maßgabe zu bestätigen, dass im Sinne einer Bescheidwiederholung die im angefochtenen Bescheid als unwiderruflich anerkannte Leistungsverpflichtung in den Urteilsspruch aufzunehmen war (RS0085721; RS0089217 [T3, 4 und 7]).
Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.
Die ordentliche Revision war mangels einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen. Die Rechtsmittelentscheidung hält sich im Rahmen der zitierten oberstgerichtlichen Rechtsprechung.