JudikaturOGH

7Ob173/25d – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Oktober 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei A* S*, gegen den Gegner der gefährdeten Partei D* B*, vertreten durch Dr. Alexander Lison, Rechtsanwalt in Braunau, wegen einstweiliger Verfügung gemäß §§ 382b, 382c EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Ried im Innkreis als Rekursgericht vom 16. Juli 2025, GZ 18 R 47/25d-17, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 402 Abs 4 EO, § 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die gefährdete Partei (idF Antragstellerin) ist die Mutter des Gegners der gefährdeten Partei (idF Antragsgegner).

[2] Die Antragstellerin begehrte während aufrechtem Betretungs und Annäherungsverbot (§ 38a Abs 10 S PG ) die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §§ 382b, 382 cEO, mit welcher über den Antragsgegner ein Rückkehrverbot in das Haus sowie ein Kontakt und Annäherungsverbot, jeweils für die Dauer von sechs Monaten, verhängt werden sollte.

[3] De r Antragsgegner wurde zur Äußerung binnen drei Tagen aufgefordert. Er verweigerte die Annahme.

[4] Die Vorinstanzen erließen die einstweilige Verfügung .

Rechtliche Beurteilung

[5] Der Antragsgegner zeigt mit seinem außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[6]1. Wenn der Verhandlung oder Einvernehmung ein Antrag einer Partei oder ein von Amts wegen in Aussicht genommenes Vorgehen des Gerichts zugrunde liegt, so sind nach § 56 Abs 2 EO, falls das Gesetz nichts anderes bestimmt, diejenigen Personen, die trotz gehöriger Ladung nicht erscheinen, als diesem Antrag oder diesem Vorgehen zustimmend zu behandeln; der wesentliche Inhalt des Antrags oder des von Amts wegen in Aussicht genommenen Vorgehens und die mit dem Nichterscheinen verbundenen Rechtsfolgen sind in der Ladung anzugeben. Diese Bestimmungen gelten nach § 56 Abs 3 EO auch für die Versäumung von Fristen, die für schriftliche Erklärungen oder Äußerungen der Parteien oder sonstigen Beteiligten gegeben werden.

[7]Damit die Versäumung der Frist zur schriftlichen Erklärung oder Äußerung die in § 56 Abs 2 und 3 EO normierte Fiktion der Zustimmung zur Folge hat, müssen die in § 56 Abs 2 EO genannten Voraussetzungen kumulativ gegeben sein. Es muss einerseits der Partei der wesentliche Inhalt des Antrags mit der Aufforderung zur Stellungnahme bekanntgegeben worden sein, und andererseits muss die Säumnisfolge der fingierten Zustimmung für den Fall der Versäumung der gesetzten Frist in der Aufforderung zur Stellungnahme angedroht werden (vgl 7 Ob 188/21d [Rz 10 f]).

[8] Beides war in der an den Antragsgegner gerichteten Aufforderung zur Äußerung, deren Annahme der Antragsgegner verweigerte, enthalten.

[9] Eine Belehrung des Empfängers durch den Zusteller über die mit der gesetzlich vorgesehenen Zustellfiktion bei Annahmeverweigerung (allenfalls) einhergehenden prozessualen Säumnisfolgen ist schon deshalb nicht möglich, weil der Zusteller in der Regel den Inhalt des Dokuments und somit auch die Folgen der Verweigerung nicht kennt.

[10]2. Das Recht auf Widerspruch setzt voraus, dass dem Antragsgegner vor Erlassung der einstweiligen Verfügung kein rechtliches Gehör eingeräumt wurde. Maßgebend ist nur, ob der Gegner die Gelegenheit zur Äußerung hatte, nicht aber, ob er sich auch tatsächlich geäußert hat (RS0002100).

[11]Dem Antragsgegner, der bei seiner Wegweisung keine Abgabestelle bekannt gegeben hat, wurde die Aufforderung zur Äußerung (ua) im Wege der Polizeiinspektion, wo er die Übernahme verweigerte, und durch Hinterlegung bei Gericht (vgl § 38a Abs 2 Z 5 SPG) zugestellt. Gründe für das Vorliegen einer nicht gehörigen Zustellung, die zur Zulässigkeit eines Widerspruchs führen würde, zeigt der Revisionsrekurs nicht auf.

[12]Dass man sich den Wirkungen einer Zustellung nicht durch Verweigerung der Übernahme und – hier – dem Verlassen der Behörde entziehen kann, ist für jedermann klar ersichtlich und bedarf deshalb keiner gesonderten Belehrung. Dementsprechend ist eine Belehrungspflicht in § 20 ZustG nicht geregelt.

[13]3. Das Neuerungsverbot gilt auch im Rechtsmittelverfahren gegen eine einstweilige Verfügung, und zwar auch in den Fällen, in denen keine vorherige Anhörung des Gegners stattfand (RS0002445 [T4]).

[14] Die Ansicht des Rekursgerichts, das im Rekurs erstattete und vom Antrag abweichende Vorbringen des Antragsgegners – dem sogar eine Äußerungsmöglichkeit eingeräumt wurde – verstoße gegen das Neuerungsverbot, ist daher nicht zu beanstanden.

[15]4. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO – ebenso wie nach § 382c EO [vormals § 382e EO] (RS0110446 [T16]) – sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits – auch schon länger zurückliegenden – angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei – ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung. Entscheidend sind dabei stets die Umstände des Einzelfalls (RS0110446 [T4, T19]). Sie stellt damit grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO dar (RS0110444 [T8]).

[16] Nach dem von den Vorinstanzen zugrunde gelegten Sachverhalt kam es immer wieder zu verbalen Streitigkeiten, bei denen der Antragsgegner die Antragstellerin sehr oft bespuckt hat. Am Tag der Wegweisung hat der Antragsgegner die Antragstellerin drei Mal bespuckt, worauf sie ihm ein paar Ohrfeigen mit der flachen Hand gegeben hat. In der Folge riss der Antragsgegner der Antragstellerin die Brille aus der Hand, beschädigte sie und schmiss sie weg. Weiters gab er ihr einen heftigen Kopfstoß, wodurch sie eine Beule und Kopfschmerzen erlitt. In der Erlassung der einstweiligen Verfügung ist unter diesen Umständen keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung zu erblicken.