7Ob112/25h – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätin sowie die Hofräte Dr. Weber, Mag. Fitz, Mag. Jelinek und MMag. Dr. Dobler als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G* T*, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Weber Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei N* Ltd, *, vertreten durch die Mag. Simon Wallner Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen 109.820,96 EUR, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. Mai 2025, GZ 1 R 18/25v 24, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Der Antrag auf Unterbrechung des Revisionsverfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorabentscheidungsersuchen zu C 9/25 und C 440/23 wird abgewiesen.
II. Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta. Sie verfügt über keine nationale Glücksspiellizenz in Österreich, bietet aber hier auf einer von ihr betriebenen Website Online- Glücksspiele an. Der Kläger beteiligte sich daran und erlitt im Zeitraum April 2020 bis November 2023 Verluste in Höhe des Klagebetrags. Diese Verluste erlitt der Kläger ausschließlich, während er von Österreich aus spielte.
Rechtliche Beurteilung
[2] Die Vorinstanzen gaben der vom Kläger auf die Unwirksamkeit der Glücksspielverträge gestützten Klage auf Rückersatz statt.
[3] I. Der von der Beklagten beantragten Unterbrechung des (Revisions )Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die zu C 9/25, Tipico , und C 440/23, European Lotto and Betting sowie Deutsche Lotto- und Sportwetten , registrierten Vorabentscheidungsersuchen bedarf es nicht, weil die dort zu klärenden unionsrechtlichen Fragen – soweit sie nicht ohnehin die spezifisch deutsche Situation betreffen – im Hinblick auf die Entscheidungen des EuGH zu C 390/12, Pfleger ; C 79/17, Gmalieva ; C 545/18, DP/Finanzamt Linz , C 920/19, Fluctus, bereits geklärt sind (8 Ob 80/25k; vgl auch 9 Ob 64/25i uva).
[4] II. Die Revisionist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn von § 502 Abs 1 ZPO unzulässig:
[5]1. Die behaupteten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens wurden geprüft, liegen jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO):
[6]Eine mangelhafte und unzureichende Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht angefochten werden. Nur wenn sich das Berufungsgericht mit der Beweisfrage überhaupt nicht oder nur so mangelhaft befasst, dass keine nachvollziehbaren Überlegungen über die Beweiswürdigung angestellt und im Urteil festgehalten sind, ist sein Verfahren mangelhaft (RS0043371; RS0043141; RS0043027 [T3]). Die Entscheidung des Berufungsgerichts über eine Beweisrüge ist mangelfrei, wenn es sich – wie hier – mit dieser überhaupt befasst, die Beweiswürdigung des Erstgerichts überprüft und nachvollziehbare Überlegungen über die Beweiswürdigung anstellt sowie in seinem Urteil festhält (RS0043150). Fehlende Feststellungen können schon per se keine (primäre) Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründen.
[7]2. Welche Anforderungen an die Konkretisierung des Klagebegehrens zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO (RS0037874 [T39]). Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf höchstgerichtliche Rechtsprechung hinreichend begründet, warum die vorliegende Zahlungsklage eines Spielers gegen die ohne österreichische Konzession tätige maltesische Online-Glücksspielanbieterin, mit der er den Ersatz seiner Spielverluste anstrebt, nicht am Bestimmtheitsgebot des § 226 ZPO scheitert. Dabei vertrat es die Ansicht, im Hinblick auf die Vielzahl der Transaktionen des Klägers überspannte es das Gebot der Präzisierung des Vorbringens, forderte man für jeden einzelnen der zahlreichen Glücksspielverträge ein gesondertes, detailliertes Vorbringen. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen der Rechtsprechung ( 9 Ob 64/25i; vgl auch 3 Ob 210/24i uva).
[8]3. Der Argumentation der Revisionswerberin, die Verweigerung eines Rückforderungsanspruchs würde dem Spielerschutz besser gerecht werden, weil ansonsten die Möglichkeit eines „risikolosen Spiels“ bestehe, ist der Oberste Gerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen nicht gefolgt (8 Ob 54/25m; 1 Ob 22/25d; uva). Sie lässt die mit dem Glücksspielgesetz verfolgten ordnungspolitischen und fiskalischen Zwecke außer Acht, die eine absolute Nichtigkeit und beiderseitige Rückforderbarkeit erfordern (vgl 8 Ob 21/24g). Den Rückforderungsanspruch zu verweigern, widerspräche im Übrigen dem Zweck der Glücksspielverbote (RS0025607 [T1]). Es wurde bereits mehrmals vom Obersten Gerichtshof dargelegt, dass der Verbotszweck die Rückabwicklung erfordert, wenn sich das Verbot – wie hier – gegen den Leistungsaustausch an sich wendet und es den Schutz der Spieler bewirken soll (3 Ob 17/25h; 6 Ob 77/23a mwN). Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass Spieler ihre verlorenen Einsätze aus verbotenen Glücksspielen zurückverlangen können (RS0134152). Dies gilt im Hinblick auf die Zielsetzung des GSpG nach gefestigter Rechtsprechung auch dann, wenn der Leistende in Kenntnis der Nichtschuld ist und ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt war (3 Ob 17/25h; 6 Ob 77/23a mwN), sodass das Argument der Revision, die Rückforderung erfolge wider Treu und Glauben, keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO begründet.
[9] 4. Der Oberste Gerichtshof hat – im Einklang mit der Rechtsprechung der beiden anderen österreichischen Höchstgerichte – auf Basis der einschlägigen Judikatur des EuGH in mehreren aktuellen Entscheidungen neuerlich festgehalten, dass das österreichische System der GlücksspielKonzessionen einschließlich der Werbemaßnahmen der Konzessionäre im hier relevanten Zeitraum nach gesamthafter Würdigung aller tatsächlichen Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (zuletzt etwa 8 Ob 54/25m). Die Beurteilung des Berufungsgerichts entspricht dieser Rechtsprechung.
[10]5. Zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Glücksspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit liegt bereits umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vor (vgl 5 Ob 30/21d). Entgegen der Darstellung der Revision ergibt sich aus der Entscheidung des EuGH C 920/19, Fluctus, kein Verbot für ein nationales Gericht, sich auf Vorentscheidungen „höherer“ (nationaler) Gerichte (hier auf in zahlreichen Parallelverfahren ergangene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs) zu berufen. Vielmehr sprach der EuGH darin bloß aus, dass eine gegen Art 56 AEUV verstoßende Bestimmung des nationalen Rechts auch dann nicht angewendet werden dürfe, wenn ein „höheres“ nationales Gericht diese als mit dem Unionsrecht vereinbar ansah, dessen Erwägungen aber offensichtlich nicht dem Unionsrecht entsprachen (vgl insbesondere Rn 58 der genannten Entscheidung des EuGH). Dass und bei welcher nationalen Norm dies hier der Fall gewesen wäre, vermag die Revision nicht aufzuzeigen. Der von der Beklagten behauptete Feststellungsmangel und damit eine (sekundäre) Mangelhaftigkeit der Berufungsentscheidung, weil Feststellungen „zum Thema Unionsrechtswidrigkeit“ fehlten, ist damit nicht zu erkennen. Es besteht somit auch kein Anlass, das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen zu stellen (vgl 1 Ob 22/25d; 7 Ob 135/24 mwN).