JudikaturOGH

2Ob28/25v – OGH Entscheidung

Entscheidung
Vertragsrecht
29. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger als weitere Richter und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch Mag. Hans Georg Popp und Mag. Armin Posawetz, Rechtsanwälte in Gratwein-Straßengel, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch die Holler Fauland Hirschbichler Rechtsanwälte GmbH in Leibnitz, wegen 43.750,00 EUR sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 28. November 2024, GZ 2 R 154/24w 45, mit welchem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 16. August 2024, GZ 21 Cg 51/23a 39, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben .

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im stattgebenden Teil aufgehoben, und die Rechtssache wird insofern zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Die Großmutter der Streitteile verstarb am 10. 11. 2021 und hinterließ zwei Kinder, nämlich den vorverstorbenen Vater der Klägerin und die Mutter des Beklagten. Die Verlassenschaft war überschuldet und wurde der Mutter des Beklagten an Zahlungs statt überlassen.

[2] Obwohl die Verstorbene ihre Liegenschaft mit dem darauf befindlichen Wohnhaus ursprünglich ihrer Tochter übergeben wollte, hat sie die Liegenschaft auf Anraten einer Rechtsanwältin mit Übergabsvertrag vom 21. 7. 2015 dem Beklagten übertragen. Da die Eltern des Beklagten im Jahr 1976 und 1991 erhebliche Zu- und Umbauten auf der Liegenschaft vorgenommen hatten, wurde vereinbart, dass ihre sich daraus ergebenden bereicherungsrechtlichen Ansprüche auf den Beklagten „übergehen“. Darüber hinaus wurde den Eltern des Beklagten ein lebenslanges Wohnungsgebrauchsrecht samt Belastungs- und Veräußerungsverbot zu ihren Gunsten eingeräumt. Die Mutter des Beklagten verpflichtete sich „ für sich und ihren Sohn im Eigentum der (…) Liegenschaft “ zu Ausgedingeleistungen, wobei auf eine grundbücherliche Sicherstellung dieser „ Reallast “ ausdrücklich verzichtet wurde. Der Übergabsvertrag wurde dementsprechend auch von den Eltern des Beklagten unterfertigt.

[3] Die Klägerin begehrt vom Beklagten ausgehend vom indexierten Wert der Liegenschaft und einer unstrittigen Pflichtteilsquote von einem Achtel einen Pflichtteil von 43.750 EUR sA. Der Beklagte habe keine Verpflichtungen gegenüber der Verstorbenen übernommen, sodass er sich den gesamten Wert der Liegenschaft „anrechnen“ lassen müsse. Das Wohnungsgebrauchsrecht samt Belastungs- und Veräußerungsverbot sei eine Zuwendung des Beklagten an seine Eltern gewesen und habe daher bei der Bemessung des Pflichtteils außer Betracht zu bleiben. Sollte das Gericht aber zur Ansicht gelangen, dass es sich dabei um eine Zuwendung der Verstorbenen handle, wäre auch diese Schenkung für die Bemessung des Pflichtteils hinzuzurechnen.

[4] Der Beklagte wandte ein, dass die Investitionen seiner Eltern bei der Bemessung des Pflichtteils der Klägerin außer Betracht bleiben müssten. Darüber hinaus sei das Wohnungsgebrauchsrecht samt Belastungs- und Veräußerungsverbot wertmindernd zu berücksichtigen. Nachdem als Gegenleistung das Ausgedinge sowie die Übernahme der bereicherungsrechtlichen Ansprüche der Eltern vereinbart worden sei, verbleibe keine pflichtteilsrelevante Schenkung.

[5] Das Erstgericht folgte der Argumentation des Beklagten und wies die Klage ab.

[6] Das Berufungsgerichtänderte die Entscheidung dahin ab, dass der Klägerin ein Pflichtteil von 19.858,44 EUR sA bei sonstiger Exekution in die Liegenschaft zugesprochen und das darüber hinausgehende Klagebegehren abgewiesen wurde. Ein Bereicherungsanspruch der Eltern des Beklagten würde eine Zweckverfehlung ihrer Leistungen voraussetzen, die aber angesichts des ihnen eingeräumten Wohnungsgebrauchsrechts auszuschließen sei. Da sich der Beklagte zu keinen Ausgedingeleistungen verpflichtet habe, liege eine reine Schenkung vor. Die Hinzurechnung der Zuwendungen an den nicht pflichtteilsberechtigten Vater des Beklagten komme wegen des Ablaufs der Zweijahresfrist des § 782 Abs 1 ABGB nicht in Betracht. Wohl aber seien das Wohnungsgebrauchsrecht der Mutter des Beklagten sowie das zu ihren Gunsten einverleibte Belastungs- und Veräußerungsverbot abzüglich der Ausgedingeleistung, zu der sie sich gegenüber der Verstorbenen verpflichtet habe, als pflichtteilsrelevante Schenkung zu qualifizieren. Die Werte der Schenkungen an den Beklagten und seine Mutter seien zusammenzurechnen und davon die Überschuldung der Verlassenschaft in Abzug zu bringen. Für den sich daraus ergebenden Pflichtteilsanspruch der Klägerin hafte der Beklagte dem Wert der Schenkungen entsprechend anteilig.

[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage zulässig sei, inwieweit das einem Dritten eingeräumte Belastungs- und Veräußerungsverbot bei der Ermittlung des Pflichtteils zu berücksichtigen ist.

Rechtliche Beurteilung

[8] Die dagegen erhobene Revision des Beklagten, mit der sie eine zur Gänze abweisende Entscheidung anstrebt , ist zulässig , weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum fehlenden Vermögenswert eines Belastungs- und Veräußerungsverbots abgewichen ist, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrags auch berechtigt .

1. Zum Übergabsvertrag als Schenkung

[9]1.1. Schenkungen, die ein Pflichtteilsberechtigter oder ein Dritter vom Verstorbenen zu dessen Lebzeiten erhalten hat, sind auf Verlangen eines Pflichtteilsberechtigten nach § 781 ABGB der Verlassenschaft hinzuzurechnen, sodass von der dadurch vergrößerten Verlassenschaft die Pflichtteile zu ermitteln sind. Wenn zur Bestimmung des Pflichtteils Schenkungen hinzugerechnet werden, die Verlassenschaft aber zur Deckung des Pflichtteils nicht ausreicht, kann der verkürzte Pflichtteilsberechtigte nach § 789 Abs 1 ABGB vom Geschenknehmer die Zahlung des Fehlbetrags verlangen.

[10]1.2. Ausgangspunkt des Regelungskonzepts des § 781 Abs 1 ABGB ist das Vorliegen einer Schenkung im Sinne der§§ 938 ff ABGB (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 33 ).Nach § 938 ABGB ist die Schenkung ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, einem anderen eine Sache unentgeltlich zu überlassen. Das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Wortlaut des Vertrags nur die Mutter des Beklagten eine Ausgedingeverpflichtung übernommen hat. Die fälschliche Bezeichnung dieser Verpflichtung als „ Reallast “ kann schon deshalb keine abweichende Auslegung rechtfertigen, weil eine Verbücherung dieser Verpflichtung ausgeschlossen wurde. Selbst wenn im Vertrag festgehalten wurde, dass die Mutter diese Leistungen für sich und den Beklagten erbringt, kann daraus doch kein Anspruch der Übergeberin gegenüber dem Beklagten abgeleitet werden.

[11] 1.3. Dies bedeutet aber nicht, dass die Übertragung der Liegenschaft ohne Gegenleistung erfolgt wäre.

[12] Es ist allgemein anerkannt, dass nicht nur eine aus dem Vermögen des Übernehmers stammende, sondern auch eine aus dem Vermögen eines Dritten für ihn erbrachte Leistung als Gegenleistung zu veranschlagen ist ( RS0012978 ; RS0050247 ; Parapatits in Schwimann / Kodek 5 § 938 ABGB Rz 19; Kellner in Rummel / Lukas / Geroldinger 4 § 938 ABGB Rz 18; Löcker in Kletečka / Schauer , ABGB ON 1.04 § 938 Rz 10). Im vorliegenden Fall wurde vereinbart, dass die Mutter des Beklagten die Ausgedingeleistungen für sich und den Beklagten erbringt, sodass es sich dabei nach dem Willen der Vertragsparteien nicht nur um eine Gegenleistung für das der Mutter des Beklagten eingeräumte Wohnungsgebrauchsrecht, sondern auch um eine Gegenleistung für die Übertragung der Liegenschaft an den Beklagten handelt. Da dem Übergabsvertrag keine Hinweise auf eine abweichende Aufteilung zu entnehmen sind, muss im Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Ausgedingeleistungen der Mutter und dem Beklagten zu gleichen Teilen zuzurechnen sind. Die „Gegenleistung“ des Beklagten für die Übertragung der Liegenschaft beschränkt sich dementsprechend auf den halben Wert der Ausgedingeleistungen, zu denen sich seine Mutter gegenüber der Verstorbenen verpflichtet hat.

[13]1.4. Soweit der Beklagte meint, dass auch die Übernahme der bereicherungsrechtlichen Ansprüche seiner Eltern als Gegenleistung zu berücksichtigen sei, hat schon das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass sich aus seinem Vorbringen nicht ergibt, auf welcher Rechtsgrundlage seine Eltern solche Ansprüche geltend machen könnten. Dass sich der Beklagte im Vertrag zur Übernahme solcher Ansprüche verpflichtete, kann nichts daran ändern, dass ihm der Nachweis solcher Ansprüche nicht gelungen ist. § 1407 ABGB sieht nämlich ausdrücklich vor, dass die Verbindlichkeiten des Übernehmers mit den Verbindlichkeiten des bisherigen Schuldners in Rücksicht auf die übernommene Schuld eben dieselben sind. Haben – wie hier – die Eltern keinen Anspruch gegen den Übergeber, so kann die „Übernahme“ nicht existierender Ansprüche nicht als Gegenleistung für die Übergabe angesehen werden.

[14]1.5. Auch die Rechtsansicht des Beklagten, wonach die Verstorbene bezüglich der Investitionen seiner Eltern kein (eigenes) Vermögensopfer erbracht habe, ist unzutreffend. In welchem Ausmaß eine Liegenschaftsübergabe als entgeltlich oder als unentgeltlich zu werten ist, muss nämlich nach den Umständen, insbesondere nach den Wertverhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses beurteilt werden (RS0012978). Damit ist für die Frage, ob eine Schenkung vorliegt, auf den Zustand der Liegenschaft im Zeitpunkt der Übergabe an den Beklagten abzustellen, sodass ein Abzug für die von seinen Eltern zuvor getätigten Investitionen, von denen nunmehr der Beklagte als Eigentümer der Liegenschaft profitiert, nicht in Betracht kommt. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 2 Ob 9/23x, auf die sich der Beklagte beruft, ist nicht einschlägig, weil sie Investitionen des Zuwendungsempfängers betraf, die schon im Hinblick auf die spätere Schenkung getätigt worden waren.

[15]1.6. Wohl aber kann dem Einwand des Beklagten, dass die Vertragsparteien nichtsdestoweniger davon ausgegangen seien, dass seinen Eltern solche bereicherungsrechtlichen Ansprüche zustehen würden, sodass eine Schenkungsabsicht zu verneinen sei, eine Berechtigung nicht von vornherein abgesprochen werden. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs setzt eine gemischte Schenkung nämlich das Vorliegen einer Schenkungsabsicht voraus (RS0018795; RS0018833; RS0019356). Der Oberste Gerichtshof hat zu 2 Ob 248/23vklargestellt, dass es selbst bei Vorliegen eines – hier vorliegenden – krassen Missverhältnisses (vgl 2 Ob 248/23v Rz 83) zwischen Leistung und Gegenleistung einer Festellung zur Schenkungsabsicht bedarf. Da das Erstgericht keine Feststellungen zur Schenkungsabsicht der Verstorbenen getroffen hat, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob eine nach § 781 Abs 1 ABGB pflichtteilsrelevante Schenkung vorliegt, was eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung unumgänglich macht.

2. Zur Zuwendung an die Mutter des Beklagten

[16]2.1. Die Revision des Beklagten ist auch insofern berechtigt, als sie sich gegen die Qualifikation des zu Gunsten seiner Mutter eingeräumten Belastungs- und Veräußerungsverbots als pflichtteilsrelevante Schenkung richtet. Ein solches Belastungs- und Veräußerungsverbot schränkt die Verfügungsbefugnis des Beklagten ein, sodass es nach § 762 ABGB wertmindernd zu berücksichtigen wäre, wenn es um die Bewertung der dem Beklagten zugewendeten Liegenschaft geht (ErläutRV 688 BlgNR 25. GP 25; Barth / Pesendorfer , Praxishandbuch des neuen Erbrechts [2016] 163; Nemeth in Schwimann / Kodek 5 § 762ABGB Rz 4). Dennoch stellt ein Belastungs- und Veräußerungsverbot, das nur zwischen den in § 364c ABGB genannten Familienmitgliedern begründet werden kann, nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kein Vermögensobjekt dar, weil es sich um ein höchstpersönliches und nicht verwertbares Recht handelt (RS0010723; RS0010805).Das Berufungsgericht nennt keine Gründe, die ein Abgehen von dieser Rechtsprechung rechtfertigen würden. Dass dieses Belastungs- und Veräußerungsverbot die Rechtsposition der Mutter im Hinblick auf das damit verbundene Mitbestimmungsrecht über die Liegenschaft maßgeblich stärkt, wie dies vom Berufungsgericht betont wird, ist zwar richtig, ändert aber nichts daran, dass es sich dabei um keine vermögenswerte Rechtsposition handelt, deren Begründung als Schenkung im Sinne des § 781 ABGB qualifiziert werden könnte.

[17]2.2. Demgegenüber sind Nutzungsrechte, welche anlässlich der Übertragung einer Liegenschaft einer anderen Person eingeräumt wurden, bei der Bemessung des Pflichtteils grundsätzlich als Schenkungen im Sinne des § 781 ABGB zu berücksichtigen ( Umlauft in Klang 3 § 788 ABGB Rz 17; zum Fruchtgenussrecht 2 Ob 119/20v). Im Gegensatz zum Fruchtgenussrecht umfasst das in § 521 ABGB geregelte Wohnungsgebrauchsrecht nur das Recht, die Wohnung zum persönlichen Gebrauch zu benützen (RS0011821). Das Wohnungsgebrauchsrecht ist auch nicht übertragbar ( RS0011828 ). Dies ändert aber nichts daran, dass es sich um ein vermögenswertes Recht handelt (für das Aufteilungsverfahren 1 Ob 133/17s und 1 Ob 67/21s ). Die Werthaltigkeit des Wohnungsgebrauchsrechts besteht darin, dass sich der Berechtigte die Kosten einer anderweitigen Wohnversorgung erspart.

[18] 2.3. Die Rechtsansicht des Beklagten, dass das Wohnungsgebrauchsrecht seiner Mutter nur der Sicherung des Ausgedinges dienen würde, geht schon deshalb ins Leere, weil das Wohnungsgebrauchsrecht nach dem Vertrag unabhängig von Ausgedinge besteht. Wohl aber ist zu beachten, dass sich die Mutter des Beklagten gegenüber der Verstorbenen zu Ausgedingeleistungen verpflichtet hat, die zur Hälfte als Gegenleistung für ihr Wohnungsgebrauchsrecht anzusehen sind. Die Annahme einer gemischten Schenkung in Bezug auf das Wohnrecht würde auch hier eine Schenkungsabsicht erfordern, zu der das Erstgericht aber keine Feststellungen getroffen hat. Es kann daher derzeit nicht beurteilt werden, ob das Wohnungsgebrauchsrecht der Mutter des Beklagten eine pflichtteilsrelevante Schenkung ist.

[19] 3. Im Ergebnis ist die Rechtssache daher noch nicht entscheidungsreif, was zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen muss. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht Feststellungen zur Schenkungsabsicht im Zusammenhang mit der Übertragung der Liegenschaft an den Beklagten treffen müssen. Das Vorliegen der Schenkungsabsicht hat die Klägerin zu beweisen, die darauf ihren Anspruch gründet ( RS0019370). Angesichts des vorliegenden krassen Missverhältnisses zwischen dem nur zur Hälfte zu berücksichtigenden Wert des Ausgedinges und dem Wert der Liegenschaft wird ihr aber der Anscheinsbeweis zuzubilligen sein (2 Ob 248/23v). Falls eine (gemischte) Schenkung der Liegenschaft zu bejahen ist, wird das Erstgericht zudem Feststellungen zur Schenkungsabsicht gegenüber der Mutter des Beklagten treffen müssen, um auf dieser Grundlage neuerlich über den Anspruch der Klägerin zu entscheiden.

[20] 4. Die Kostenentscheidungberuht auf § 52 Abs 1 Satz 3 ZPO.