4Ob25/25t – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätin Dr. Annerl, Mag. Waldstätten, Dr. Stiefsohn und Mag. Böhm in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Wijnkamp Stachowitz Rechtsanwälte GmbH in Mils bei Imst, gegen die beklagte Partei * Aktiengesellschaft *, vertreten durch die GPK Pegger Kofler Partner Rechtsanwälte GmbH Co KG in Innsbruck, wegen 95.423,77 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 9. Jänner 2025, GZ 5 R 75/24d 75, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin verletzte sich im Endbereich einer Winter-Rodelbahn, weil sie mit ihrem Knie gegen einen Zaunpfosten aus Eisen prallte. Wäre dieser beplankt gewesen, wäre die Verletzung weniger schwer gewesen oder gar nicht eingetreten.
[2] Dessen ungeachtet wiesen die Vorinstanzen die auf Schadenersatz gerichtete Klage gegen die beklagte Betreiberin der Rodelbahn ab, weil diese ihren (vertraglichen) Verkehrssicherungspflichten ausreichend nachgekommen sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision der Klägerin ist mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen .
[4] 1. Der konkrete Inhalt einer Verkehrssicherungspflicht und das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt richtet sich jeweils nach den Umständen des Einzelfalls und begründet daher – von Fällen korrekturbedürftiger Fehlbeurteilung abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage (vgl RS0110202, RS0029874, RS0111380). Ob ein Pistenhalter in dem, im Wesentlichen von der konkreten örtlichen Situation abhängigen Rahmen, das ihm zur Absicherung von Gefahrenquellen Zumutbare unterlassen hat, entzieht sich wegen der Einzelfallbezogenheit generellen Aussagen (vgl RS0023237 [T3], RS0109002).
[5] 2. Die Vorinstanzen haben die ständige Rechtsprechung zu Verkehrssicherungspflichten von Pistenhaltern zutreffend wiedergegeben:
[6] Die den Pistenhalter treffende Pflicht zur Sicherung der Piste bedeutet nicht die Verpflichtung, den Nutzer vor jeder möglichen Gefahr zu schützen, die ihm von der Piste her droht, würde doch eine solche Forderung dem Pistenhalter unerträgliche Lasten aufbürden, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Schutzeffekt stünden; eine vollkommene Verkehrssicherung ist weder auf Pisten noch sonstwo zu erreichen (vgl RS0023233, RS0023271). Auch (vertragliche) Pistensicherungspflichten dürfen daher nicht überspannt werden (vgl RS0023487 [T17], RS0023417 [T24]). Vielmehr hat ein Pistennutzer Hindernisse und Gefahren, die sich aus dem Wesen der Abfahrt und der Gefährlichkeit des Sports ergeben, in Kauf zu nehmen und muss sie selbst bewältigen (vgl RS0023485 [T1]).
[7] Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich nach der Wahrscheinlichkeit der Schädigung und vor allem danach, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen können (RS0023726, RS0023487 [T7]). Ein Pistenhalter ist grundsätzlich verpflichtet, dort entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, wo den Nutzern durch nicht oder schwer erkennbare Hindernisse Gefahren drohen (vgl RS0023255). Künstlich geschaffene Hindernisse und Gefahrenquellen sind zu entfernen oder doch so kenntlich zu machen, dass sie für den vernünftigen Durchschnittsfahrer auch bei schlechten Sichtverhältnissen keine besondere Gefahr darstellen (RS0023469).
[8] Ist ein Weg für das Befahren mit Rodeln freigegeben, kann der Benützer auf dessen verkehrssicheren Zustand vertrauen und damit rechnen, dass atypische Gefahrenquellen entweder ganz fehlen, oder, soweit vorhanden, ausreichend gekennzeichnet oder durch Absicherungen entschärft sind (RS0023735). Atypische Gefahren einer Rodelbahn sind solche, die bei zweckgerechter Bahnbenützung über die mit dem Rodeln normalerweise verbundenen Gefahren hinausgehen, mit denen der Benützer daher nicht rechnet und die für ihn noch dazu nicht ohne weiteres erkennbar sind (RS0106491; vgl auch RS0023485). Atypisch ist demnach eine Gefahr, die unter Bedachtnahme auf das Erscheinungsbild und den angekündigten Schwierigkeitsgrad der Piste auch für einen verantwortungsbewussten Nutzer unerwartet ist (vgl RS0023417).
[9] Daneben sind solche Hindernisse zu sichern, die ein Nutzer trotz Erkennbarkeit nur schwer vermeiden kann (vgl RS0023417). Feste Hindernisse auf einer Piste bedeuten – ungeachtet ihrer Erkennbarkeit – gerade für stürzende Fahrer eine nur schwer abzuwehrende Gefahr. Ihre Absicherung ist daher jedenfalls dort erforderlich, wo mit Stürzen und insbesondere einem unkontrollierbaren Abrutschen gerechnet werden muss, etwa im steilen Gelände (vgl 1 Ob 63/11p Pkt 3.3).
[10] Dem Pistennutzer obliegt die Verpflichtung zu einer kontrollierten Fahrweise, die auf die genaue Beobachtung der Abfahrt und die Einhaltung einer den Geländeverhältnissen angepassten Geschwindigkeit hinlänglich Bedacht nimmt (vgl RS0023485). Auch bei einer Rodelbahn gilt das Gebot des Fahrens auf Sicht (vgl RS0106491), dh der Nutzer muss einen so großen Raum vor sich beobachten, dass er bei einer Kollisionsgefahr in der Lage ist, dem Hindernis rechtzeitig auszuweichen oder vor diesem anzuhalten (vgl RS0023544).
[11] Für die Art und den Umfang der Pistensicherungspflicht ist das Verhältnis zwischen Größe und Wahrscheinlichkeit der atypischen Gefahr sowie ihre Abwendbarkeit einerseits durch das Gesamtverhalten eines verantwortungsbewussten Pistenbenützers und andererseits durch den Pistenhalter mit den nach der Verkehrsanschauung adäquaten Mitteln maßgebend (RS0023237).
[12] 3. Nach den (noch relevanten) erstinstanzlichen Feststellungen war die Rodelbahn auf der Webseite der Beklagten mit dem Schwierigkeitsgrad „mittel“ ausgewiesen; der tatsächliche Schwierigkeitsgrad lag bei „mittel“ bis „knapp schwierig“. Am Beginn der Rodelbahn befanden sich mehrere Schilder mit Hinweisen auf Deutsch, Englisch und teils auch Niederländisch, ua zu Rodelregeln des Kuratoriums für Verkehrssicherheit, dem Streckenverlauf und dem Umstand, dass der schwierigste Teil der Strecke erst im unteren Bereich komme und man bei erstmaliger Benützung zum Kennenlernen so langsam wie möglich fahren solle.
[13] Im (mehrere Meter breiten) Endbereich der Bahn befinden sich eine Endversteilung und eine Kurve, die seitlich von gepolsterten Holzpaneelen abgesichert wird. Diese gehen im letzten, horizontalen Auslaufbereich der Bahn bei der Talstation in einen Holzzaun mit Metallstehern über. Der Beginn des Zauns ist für einen Benutzer der Rodelbahn zu einem Zeitpunkt erkennbar, zu dem eine sinnvolle Reaktion auch für einen Rodel-Anfänger und bei einer Doppelsitzerrodel möglich ist.
[14] Die Klägerin, die hinten auf einer Doppelsitzerrodel fuhr, war davor nur einmal rodeln und hatte sich weder über das Rodeln an sich noch die gegenständliche Strecke, insbesondere deren Schwierigkeitsgrad informiert. Die Hinweisschilder am Beginn der Rodelbahn wären für sie wahrnehmbar gewesen; ob sie diese tatsächlich wahrnahm, konnte nicht festgestellt werden. Aufgrund eines Fahrfehlers, der ausschließlich auf eine mangelnde Rodeltechnik der Klägerin und ihrer Mitfahrerin zurückzuführen war, fuhren sie im Auslauf nicht geradeaus, sondern verzogen ihre Rodel nach links an den Rand und kollidierten mit dem zweiten Steher des dort aufgestellten Zauns. Sie hätten eine Kollision ab Erkennbarkeit des Zauns sowohl durch ein symmetrisches Bremsen als auch durch eine kontrollierte Geradeausfahrt verhindern können, bei der sie von Selbst zum Stillstand gekommen wären. Die Klägerin und ihre Mitfahrerin waren technisch nicht in der Lage, die geforderte Geradeausfahrt im Endbereich der Rodelbahn zu bewältigen. Dabei handelt es sich um eine Technik von minimal erfahrenen Freizeitrodlern, die bei der Fahrt einer Rodelbahn mit dem Schwierigkeitsgrad „mittel“ jedenfalls beherrscht werden muss.
[15] 4. Die Revision der Klägerin vermag keine Unvertretbarkeit der Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuzeigen, die in dem Zaunsteher keine Gefahrenquelle sahen, die zu sichern gewesen sei, sondern ein allgemeines Pistenrisiko, das die Klägerin selbst zu bewältigen gehabt habe.
[16] Soweit die Klägerin damit argumentiert, dass die Werbung auf der Webseite mit Fotos von rodelnden Kindern und dem Gütesiegel für Naturrodelbahnen den Eindruck einer sicheren, für unerfahrene Touristen geeigneten Rodelbahn erweckt habe, hielt ihr bereits das Berufungsgericht entgegen, dass die Bahn dort ausdrücklich als mittelschwer beschrieben wurde. Auch die Hinweistafeln verharmlosten deren Risiko nicht.
[17] Das Vorhandensein von Hindernissen im Zielbereich einer Rodelbahn (Begrenzungen, andere Personen, zurückgelassene Gegenstände, Schneehaufen odgl) ist erwartbar, und der offene Zaun im Auslaufbereich war so rechtzeitig erkennbar, dass sogar ein Rodelanfänger darauf adäquat reagieren hätte können. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach darin keine atypische Gefahr liege, ist sohin jedenfalls vertretbar.
[18] Die Kollision mit dem Zaunsteher war schließlich auch nicht, wie in der von der Klägerin ins Treffen geführten Entscheidung 2 Ob 132/15y, schwer zu vermeiden, hätte es dafür doch genügt geradeaus zu fahren, was bereits von „minimal erfahrenen Freizeitrodlern“ beherrscht wird. Auch zu 4 Ob 1585/95 wurde eine Pflicht zur Ummantelung der Steher eines Fangnetzes primär wegen der Gefahr von unkontrollierbaren Stürzen im steilen und kurvigen Gelände bejaht, während sich der Steher hier im flachen Auslaufbereich am Ende der Rodelbahn befand.
[19] Weiters argumentiert die Klägerin mit einer Kombination von Gefahrenquellen, weil im Bremsbereich unregelmäßige Schneehaufen lagen. Solche sind nach den Feststellungen üblich, können bei Anwendung einer ungenauen Rodeltechnik beim Bremsen aber ein Verziehen der Rodel in die eine oder andere Richtung bewirken. Dass der Zielbereich so eng gewesen wäre, dass eine Kollision mit dem Zaun auch bei erwartbaren Bremsfehlern eines dem Schwierigkeitsgrad entsprechend geschulten Rodlers vorhersehbar gewesen wäre, steht allerdings nicht fest. Es ist ebenso vertretbar, den Zaun auch nicht in Kombination mit den – üblichen – Schneehaufen als unerwartete oder unabwendbare Gefahr zu qualifizieren. Nach den Feststellungen war die Kollision ausschließlich auf die mangelnde Rodeltechnik der Klägerin und ihrer Mitfahrerin zurückzuführen, ein Auslaufenlassen oder symmetrisches Bremsen hätte gereicht.
[20] Müsste die Beklagte – trotz Kennzeichnung der Rodelbahn als mittelschwer – auf Personen Rücksicht nehmen, die nicht einmal grundlegende Rodeltechniken wie ein kontrolliertes Geradeausfahren oder ein symmetrisches Bremsen beherrschen, müsste sie auch jegliche andere, sogar typische Pistengefahr absichern, was nicht mehr im Bereich des Zumutbaren liegt. Soweit die Klägerin damit argumentiert, dass die Interessenabwägung zu ihren Gunsten als „verantwortungsbewusste Rodelbahnbenutzerin“ ausschlagen müsse, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wonach sie die Bahn ohne entsprechende Kenntnisse und Fähigkeiten nutzte und auch keinerlei Erkundigungen dazu einholte.
[21] Daher ist auch nicht ersichtlich, warum in concreto die Kennzeichnung mit „mittel“ anstatt mit (richtig:) „mittel bis knapp schwierig“ sowie die Negativfeststellung zum Aushang der Richtlinien des Gütesiegels für Naturrodelbahnen oder der ÖNORM S 4612 zu Lasten der Beklagten gehen sollten.
[22] Aus dieser Norm ergibt sich schließlich zwar eine generelle Pflicht zur Absicherung von Naturrodelbahnen und insbesondere atypischen Gefahren, aber keine zwingende Verpflichtung zur Verplankung oder Polsterung eines Auslaufbereichs.
[23] Die Entscheidung der Vorinstanzen, wonach die Beklagte keine Verkehrssicherungspflichten verletzt habe, bewegt sich somit im Rahmen der ständigen Rechtsprechung und des ihnen im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums, sodass die Revision der Klägerin zurückzuweisen ist.