JudikaturOGH

15Os59/25b – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
16. Juli 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Juli 2025 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Sadoghi und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Artner in der Strafsache gegen * H* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten und über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Schöffengericht vom 18. Februar 2025, GZ 29 Hv 44/24f 20.4, ferner über die Beschwerde der Angeklagten gegen den zugleich ergangenen Beschluss gemäß § 494 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * H* des V erbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (I./) und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (II./1./ und 2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat sie am 12. November 2024 in W* * S*

I./ absichtlich eine schwere Körperverletzung zuzufügen versucht, indem sie mit einer Glasflasche wuchtig gegen seinen Kopf schlug und mit dem abge brochenen Flaschenhals mehrmals auf ihn einstach;

II./ gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie zu ihm

1./ unter Verwendung eines spitzen Küchenmessers, das sie in Richtung des Genannten hielt, sagte: „Ich steche Dich gleich ab“;

2./ beim Verlassen de r Örtlichkeit äußerte , sie werde zu ihm kommen und ihn und seinen Hund im Schlaf abstechen.

Rechtliche Beurteilung

[3] Die dagegen von der Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 4, 5 und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

[4] Die Angeklagte stellte in der Hauptverhandlung den Antrag auf Beischaffung und Verlesung der Anklageschrift sowie des „gesamten Aktes“ aus einem gegen S* geführten Strafverfahren zum Beweis dafür, dass dieser sehr gewaltbereit sei, weshalb glaubhaft wäre, dass die Angeklagte sich bei der zu I./ beschriebenen Tat bloß verteidigt habe (ON 20.3, 49). Der Antrag zielte darauf ab, die Glaubhaftigkeit belastender Aussagen des Genannten als Zeugen zu erschüttern und war solcherart grundsätzlich auf eine erhebliche Tatsache gerichtet, weil die Beweisführung zur Beweiskraft von – wie hier – schulderheblichen Beweismitteln ihrerseits für die Schuldfrage von Bedeutung ist (RIS Justiz RS0028345). Berechtigt ist ein solcher Antrag aber nur dann, wenn sich aus dem Antragsvorbringen konkrete Anhaltspunkte für die Annahme ergeben, der betreffende Zeuge habe in Bezug auf eine entscheidende Tatsache die Unwahrheit gesagt (RIS Justiz RS0120109 [insbesondere T3]; vgl auch RS0107040 [T13]). Diesen Erfordernissen wird der gegenständliche Beweisantrag aber nicht gerecht, weshalb er vom Erstgericht zu Recht abgewiesen wurde. Im Übrigen gingen die Tatrichter ohnehin davon aus, dass der Zeuge „durchaus auch zu Gewalttätigkeiten neigt“ (US 6, 11).

[5] Weiters beantragte die Angeklagte in der Hauptverhandlung die Vernehmung des * O* und der * Ha* als Zeugen zum Beweis dafür, dass * M* erzählt habe, von S* gezwungen worden zu sein, Exkremente zu essen, zum Beweis dafür, dass die Zeugen M* und S* unglaubwürdig seien, weshalb der Verantwortung der Angeklagten zu folgen wäre (ON 20.3, 49). Auch dieser Beweisantrag wurde – entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) – ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abgewiesen. Der Antrag ließ nämlich offen, inwiefern die Vernehmung der Zeugen geeignet sein sollte, eine erhebliche Tatsache zu beweisen (§ 55 Abs 2 Z 2 StPO). Das den Antrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen (RIS Justiz RS0099618).

[6] Betreffend die zu I./ des Schuldspruchs getroffenen Feststellungen zur Absicht der Angeklagten, dem Opfer eine schwere Körperverletzung zuzufügen, behauptet die Mängelrüge, die vom Erstgericht gegebene Begründung wäre „nicht tauglich und völlig unzureichend“ (Z 5 vierter Fall). Entgegen diesem Vorbringen ist die Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus äußeren Umständen der Tat, nämlich dem Schlagen mit einer Glasflasche gegen den Kopf und dem Einstechen mit dem abgebrochenen Flaschenhals gegen die Brust, den Armbereich und die Oberschenkel, unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS Justiz RS0116882).

[7] Entgegen dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) betreffend I./ des Schuldspruchs hat sich das Schöffengericht mit Widersprüchen in den und zwischen den Aussagen der Belastungszeugen M* und S* sehr wohl auseinandergesetzt (US 5 f). Ebenso haben die Tatrichter erwogen, dass der Zeuge M* seine eigene Wahrnehmungsfähigkeit zur Tatzeit mit lediglich 60 % angab (US 5).

[8] Die weitere Mängelrüge (Z 5) erstattet bloß ein Vorbringen nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung, indem sie auf die Erwägungen des Schöffengerichts Bezug nimmt, wonach die Schilderung der Angeklagten, sie wäre von S* gewürgt worden, auch deshalb unglaubwürdig sei, weil sie keinerlei Spuren am Hals hatte (US 8).

[9] Insgesamt verkennt die Mängelrüge (Z 5) mit ihrer Argumentation betreffend die Glaubwürdigkeit der Verantwortung der Angeklagten und die Unglaubwürdigkeit der Angaben der Belastungszeugen, dass der kritisch psychologische Vorgang der freien richterlichen Beweiswürdigung einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (RIS Justiz RS0099419).

[10] Die weitere Argumentation der Mängelrüge, aus der vorliegenden Tonbandaufnahme des Notrufs könne das Vorliegen einer Notwehrsituation nicht ausgeschlossen werden (vgl US 8), entspricht keiner Anfechtungskategorie der Z 5.

[11] Das gilt auch für das Vorbringen, das Erstgericht hätte selbst eingestanden, dass kein Motiv der Angeklagten für die Tat zu I./ des Schuldspruchs erkennbar sei.

[12] Auch betreffend II./ des Schuldspruchs übt die Rechtsmittelwerberin bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer nur im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Schuldberufung, indem sie darauf verweist, der Zeuge M* hätte das Halten des Messers und die Aussagen der Angeklagten als Scherz angesehen (vgl dazu US 6; vgl im Übrigen RIS Justiz RS0097545).

[13] Auch zu II./ des Schuldspruchs ist die vom Schöffengericht vorgenommene Ableitung der Feststellungen zur subjektiven Tatseite aus dem äußeren Geschehensablauf unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit – entgegen der diesbezüglichen Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) – nicht zu beanstanden (US 9 f).

[14] Die weitere Mängelrüge zeigt keinen Widerspruch im Sinn der Z 5 dritter Fall auf, indem sie ausführt, das Erstgericht habe einerseits keinen Angriff des Zeugen S* angenommen, andererseits aber ausgeführt, dass die Angeklagte sich „aus dieser Lage habe befreien wollen“ (US 9; vgl RIS Justiz RS0117402).

[15] Soweit die Mängelrüge auf die Erwägungen der Tatrichter zu den Blutspuren auf der Jacke der Angeklagten Bezug nimmt, wird neuerlich bloß nach Art einer Schuldberufung argumentiert, ohne einen Begründungsmangel im Sinn der Z 5 aufzuzeigen.

[16] Entgegen dem weiteren Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) war die Aussage des Zeugen S*, die Angeklagte hätte sich, als sie die Flasche nahm, vor ihm gefürchtet, dass er „irgendwas mache“, und gedacht, dass sie ihn mit der Flasche außer Gefecht hätte setzen können (ON 20.3, 37), nicht erörterungsbedürftig (vgl RIS Justiz RS0097545).

[17] Die Aussage des Zeugen M*, wonach S* „leichter wen haue als jemand anderer“, war ebenso wenig erörterungsbedürftig, zumal die Tatrichter von einer gesteigerten Gewaltbereitschaft des Letztgenannten ohnehin ausgingen.

[18] Mit dem Vorbringen, das Erstgericht habe einen bestimmten Milderungsgrund nicht berücksichtigt, wird der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 11 StPO nicht zur gesetzmäßigen Darstellung gebracht, sondern lediglich ein Berufungsvorbringen erstattet (RIS Justiz RS0099911). Im Übrigen ist die Berauschung bei der Begehung einer Tat unter Alkoholeinwirkung gemäß § 35 StGB nur insoweit mildernd, als die dadurch bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit nicht durch den Vorwurf aufgewogen wird, den der Genuss oder Gebrauch des berauschenden Mittels den Umständen nach begründet.

[19] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen und die (implizite) Beschwerde (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).

[20] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.