7Ob162/24k – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Mag. J* F*, und 2. Mag. E* F*, vertreten durch Mag. Maximilian Donner Reichstädter, LL.M., LL.M. (SCU), Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. K* G*, vertreten durch Mag. Claus Steiner und DDr. Gernot Satovitsch, Rechtsanwälte in Baden bei Wien, und 2. U* AG, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 477.298,18 EUR sA und Feststellung, infolge der außerordentlichen Revision der erstbeklagten Partei gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 31. Juli 2024, GZ 4 R 39/24w 50, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Dezember 2023, GZ 48 Cg 19/22m 41, großteils bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
1. Die Akten werden dem Erstgericht hinsichtlich nachstehender Schadenersatzforderungen gegenüber der erstbeklagten Partei zurückgestellt:
* Forderung der erstklagenden Partei von 23.542,33 EUR sA
* Forderung der zweitklagenden Partei von 22.735,13 EUR sA
* Forderung beider klagenden Parteien von 28.984,83 EUR sA
2. Nach Abklärung der Zulässigkeit der Revision dazu sind die Akten dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung über die außerordentliche Revision wieder vorzulegen.
Text
Begründung:
[1] Neben Klagebegehren, die jeweils zwei weitere Pensionsversicherungsverträge des Erstklägers und der Zweitklägerin betreffen und hinsichtlich der der Wert des Entscheidungsgegenstands im Berufungsverfahren jeweils 30.000 EUR übersteigt, stellten die klagenden Parteien noch folgende Begehren:
[2] Der Erstkläger begehrt vom erstbeklagten Versicherungsmakler Schadenersatz von 23.542,33 EUR sA infolge Falschberatung im Zusammenhang mit dem Abschluss des Pensionsversicherungsvertrags zur Polizzennummer * 9. Hilfsweise stellte er dazu ein Feststellungsbegehren.
[3] Die Zweitklägerin begehrt vom erstbeklagten Versicherungsmakler infolge Falschberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb des Pensionsversicherungsvertrags mit der Polizzennummer * 6 Schadenersatz von 22.735,13 EUR sA. Hilfsweise stellte sie dazu ein Feststellungsbegehren.
[4] Beide Kläger begehren zur ungeteilten Hand vom Erstbeklagten 28.984,33 EUR sA an Schadenersatz aus dessen Fehlberatung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kreditvertrags der Kläger mit einem Kreditunternehmen.
[5] Das Erstgericht gab den drei genannten (Haupt )Begehren statt.
[6] Das Berufungsgericht bestätigte (insofern) das Urteil des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
[7] Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Erstbeklagten .
Rechtliche Beurteilung
[8] Das Erstgericht legte das Rechtsmittel dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vor. Diese Vorgangsweise entspricht jedoch hinsichtlich der vorstehend genannten drei Forderungen nicht der Rechtslage:
[9]1. Für die Zulässigkeit der Revision ist, wenn – wie hier hinsichtlich der Forderung des Erstklägers von 23.542,33 EUR und der Zweitklägerin von 22.735,13 EUR – nur über das Hauptbegehren entschieden wurde, allein dessen Wert entscheidend (1 Ob 204/21p [Rz 7] mwN; vgl RS0039370 [T2]; RS0042305 [T7, T9]).
[10]2. Werden in einer Klage mehrere Forderungen geltend gemacht, dann bilden sie nur dann einen einheitlichen Streitgegenstand – und damit einen einheitlichen Entscheidungsgegenstand des Berufungsgerichts –, wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 JN vorliegen; andernfalls sind sie getrennt zu behandeln (RS0053096).
[11]Mehrere in einer Klage geltend gemachte Forderungen sind zusammenzurechnen, wenn sie von einer einzelnen Partei gegen eine einzelne Partei erhoben werden und in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen (§ 55 Abs 1 Z 1 JN) oder von mehreren Parteien oder gegen mehrere Parteien geltend gemacht werden, die eine materielle Streitgenossenschaft nach § 11 Z 1 ZPO sind (§ 55 Abs 1 Z 2 JN).
[12]3. Mehrere Parteien sind materielle Streitgenossen, wenn sie hinsichtlich des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind (RS0035615 [T25]). Das ist hinsichtlich der Schadenersatzforderung beider Kläger gegenüber dem Erstbeklagten von 28.984,83 EUR sA infolge Fehlberatung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kreditvertrags der Fall.
[13]4. Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang im Sinn des § 55 Abs 1 Z 1 JN liegt nur vor, wenn die Forderungen aus einer gemeinsamen Tatsache oder einem gemeinsamen Rechtsgrund entstanden sind (RS0037905). Ein tatsächlicher Zusammenhang ist dann zu bejahen, wenn alle Klageansprüche aus demselben Sachverhalt abzuleiten sind, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RS0042766). Im rechtlichen Zusammenhang stehen Ansprüche insbesondere, wenn sie aus einer Gesetzesvorschrift oder aus einem einheitlichen Rechtsgeschäft abgeleitet werden. Ein rechtlicher, zumindest aber ein tatsächlicher Zusammenhang mehrerer Ansprüche wird in der Regel auch bei einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang dieser Ansprüche bestehen (RS0037648).
[14]5.1. Ein innerer, tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht aber dann nicht, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches oder tatsächliches Schicksal haben kann; in einem solchen Fall ist jeder Anspruch gesondert zu beurteilen, ohne dass eine Zusammenrechnung stattfindet (RS0037899).
[15] 5.2. Der Erstkläger macht Schadenersatzansprüche aus Falschberatung des Erstbeklagten betreffend den Versicherungsvertrag mit der Polizzennummer * 9, die Zweitklägerin betreffend den Versicherungsvertrag mit der Polizzennummer *6 und beide Kläger gemeinsam wegen mangelhafter und falscher Beratung im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Kreditvertrags geltend. Der Erstkläger und die Zweitklägerin erheben jeweils Schadenersatz-ansprüche gegenüber dem erstbeklagten Versicherungsmakler im Zusammenhang mit dem Abschluss von zwei unterschiedlichen Pensionsversicherungsverträgen und gemeinsam aus dem Abschluss eines Kreditvertrags. Diese Ansprüche sind nicht zusammenzuzählen, liegt den Leistungen des Erstbeklagten doch kein einheitlicher Auftrag zugrunde. Der Umstand, dass es sich teilweise um „gleichartige“ Verträge gehandelt hat, reicht für eine Zusammenrechnung nicht aus (vgl RS0110872 [T7]).
[16]6. Hat das Berufungsgericht über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte – wie hier – nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN). Die von der Revision umfassten Ansprüche übersteigen jeweils 5.000 EUR. Die übrigen Ansprüche, über die das Berufungsgericht entschieden hat (Spruchpunkte 1.a., 1.b., 2.a., 4.a.) übersteigen auch jeweils 30.000 EUR, was aber nicht auf die vorstehend genannten drei Ansprüche des Erstklägers, der Zweitklägerin und der beiden Kläger zutrifft.
[17]7. Da das Berufungsgericht ausgesprochen hat, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig ist, kann der Erstbeklagte gemäß § 508 Abs 1 ZPO den Anspruch des Erstklägers von 23.542,33 EUR sA, der Zweitklägerin von 22.735,13 EUR sA und beider Kläger gemeinsam von 28.984,83 EUR betreffend (nur) einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde.
[18]Wird gegen eine solche Entscheidung eine ordentliche oder eine außerordentliche Revision erhoben, hat – auch wenn das Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist – das Erstgericht dieses Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen. Solange eine Abänderung des Zulassungsausspruchs durch das Berufungsgericht hinsichtlich der drei genannten Ansprüche nicht erfolgt, mangelt es dem Obersten Gerichtshof an der funktionellen Zuständigkeit (7 Ob 56/19i [Punkt 4.] mwN). Er darf nur und erst dann entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei (RS0109623).
[19] 8. Der Akt ist daher dem Erstgericht zurückzustellen, welches das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen hat.
[20]9. Ob die im Schriftsatz enthaltenen Ausführungen den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entsprechen, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RS0109620 [insbesondere T2]; RS0109623 [insbesondere T5, T8]).
[21] 10. Nach Abklärung sind die Akten umgehend dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung hinsichtlich der außerordentlichen Revision betreffend die übrigen Forderungen der klagenden Parteien vorzulegen.