JudikaturJustiz9Ob75/23d

9Ob75/23d – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Fichtenau als Vorsitzende sowie die Hofräte und Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Mag. Waldstätten als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache der Betroffenen C*, über den Revisionsrekurs der Betroffenen, vertreten durch den gerichtlichen Erwachsenenvertreter VertretungsNetz Erwachsenenvertretung, *, dieser vertreten durch die Mag. Dr. Stephan Medwed Rechtsanwalts-Kommanditpartnerschaft in Klagenfurt am Wörthersee, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 25. Oktober 2023, GZ 1 R 212/23f 33, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 19. Juni 2023, GZ 3 P 68/12h 29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Für die im Jahr 1994 geborene Betroffene ist der Verein VertretungsNetz zum Erwachsenenvertreter unter anderem für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten, die Erstellung und Unterfertigung von Verträgen sowie für die Verwaltung von Einkünften und Sparguthaben bestellt. Sie wird seit dem Jahr 2011 stationär in einer Einrichtung für psychisch kranke Menschen betreut. Bis einschließlich Mai 2022 wurde ein Teil der erhöhten Familienbeihilfe als Kostenbeitrag für diese Betreuung an das Land Kärnten abgeführt.

[2] Zu 6 Ob 192/22m sprach der Oberste Gerichtshof aus, dass das Kärntner Mindestsicherungsgesetz (K MSG) bei verfassungskonformer Auslegung so zu verstehen ist, dass die erhöhte Familienbeihilfe nur dann zu berücksichtigen ist, wenn der Lebensunterhalt einer stationär betreuten Person einschließlich der besonderen Bedürfnisse, die diese Person aufgrund von Einschränkungen hat, durch diese Art der Betreuung vollends gesichert ist. Aufgrund dieser Entscheidung wird von der erhöhten Familienbeihilfe der Betroffenen seit Jänner 2023 nichts mehr an das Land Kärnten abgeführt, sondern diese verbleibt ihr zur Gänze.

[3] Das Land Kärnten bot der Betroffenen an – wie auch anderen, vom Verein VertretungsNetz vertretenen Betroffenen (vgl 5 Ob 191/23h; 6 Ob 194/23g; 7 Ob 175/23w; 8 Ob 106/23f; 9 Ob 57/23g; 9 Ob 64/23m) –, die erhöhte Familienbeihilfe für die Jahre 2020 bis einschließlich 2022 (hier in Höhe von insgesamt 5.066,30 EUR) zurückzuzahlen, wenn sie einen Antrag mit folgendem Inhalt unterzeichnet:

„Ich ..., vertreten durch den/die Erwachsenenvertreter/in beantrage die Rückzahlung des von mir eingezahlten Anteils der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. 1. 2020 bis 31. 12. 2022 auf folgendes Konto ... Ich bestätige, dass mein Lebensbedarf während der stationären Unterbringung in folgenden Einrichtung/en ... nicht vollends gedeckt war. Durch meine Unterschrift bestätige ich, dass durch die Rückzahlung des beantragten Anteils der erhöhten Familienbeihilfe sämtliche Ansprüche auf Rückzahlung der erhöhten Familienbeihilfe gegen das Land Kärnten abgegolten sind.“

[4] Die Erwachsenenvertretung beantragte namens der Betroffenen die pflegschaftsgerichtliche Genehmigung der Abgabe der Verzichtserklärung. Diese sei vom Land Kärnten zur Bedingung für die Auszahlung der seit 1. 1. 2020 zustehenden Beträge gemacht worden.

[5] Das Erstgericht wies den Antrag ab. Von einer Verjährung der über den dreijährigen Zeitraum hinausgehenden Rückzahlungsansprüche der Betroffenen sei nicht zwingend auszugehen, der Verzicht entspreche daher nicht ihrem Wohl.

[6] Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Schlechterstellung der Betroffenen durch die Abgabe einer Verzichtserklärung sei nicht auszuschließen, weil der Ausgang eines Zivilprozesses über ein Rückzahlungsbegehren betreffend diese Zahlungen unklar sei. Wenn auch Bereicherungsansprüche nach § 1431 ABGB grundsätzlich der 30 jährigen Verjährungsfrist unterlägen, sei nach jüngerer Rechtsprechung die Verjährung von Kondiktionsansprüchen analog zu § 1486 Z 1 ABGB nach der Art des Anspruchs zu beurteilen, an dessen Stelle die Kondiktion trete. Eine analoge Anwendung der dreijährigen Verjährungsfrist auf Bereicherungsansprüche auf Rückforderung zu Unrecht eingehobener periodischer Leistungen sei erwägenswert. Nach einigen höchstgerichtlichen Entscheidungen seien die Leistungen des Sozialhilfeträgers in den sozialrechtlichen Vorschriften allerdings abschließend geregelt; inwieweit Verjährungsvorschriften des ABGB auch im öffentlichen Recht überhaupt anzuwenden seien, sei ungewiss. Die Abgabe der Verzichtserklärung sei daher nicht zu genehmigen.

[7] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, weil seine Auffassung, die Verjährungsfrage sei zweifelhaft, im Widerspruch zur Judikatur des Obersten Gerichtshofs stehen könnte.

[8] In ihrem durch die Erwachsenenvertretung eingebrachten Revisionsrekurs beantragt die Betroffene, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ihr Antrag genehmigt werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Betroffene persönlich hat sich nicht am Revisionsrekursverfahren beteiligt.

[10] Der Revisionsrekurs ist ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruchs des Rekursgerichts nicht zulässig , weil er keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

[11] 1.1. Gemäß § 258 Abs 4 ABGB bedürfen Vertretungshandlungen eines Erwachsenenvertreters in Vermögensangelegenheiten zu ihrer Rechtswirksamkeit der Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit – wie hier – nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört; § 167 Abs 3 ABGB gilt sinngemäß.

[12] 1.2. Ein Rechtsgeschäft darf durch das Pflegschaftsgericht nur genehmigt werden, wenn der Abschluss im Interesse des Pflegebefohlenen liegt und somit seinem Wohl entspricht. Dies ist der Fall, wenn das Vermögen des Pflegebefohlenen vermehrt wird. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn eine Verminderung des Vermögens des Pflegebefohlenen nicht ausgeschlossen werden kann (RS0048176). Es sind aber nicht nur allein materielle Gesichtspunkte maßgebend, sondern auch die Interessen und Wünsche des Pflegebefohlenen, seine Befindlichkeit und seine konkreten Lebensumstände sind zu berücksichtigen (3 Ob 99/14a; 4 Ob 146/16y).

[13] 1.3. Bei der Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Klage ist nicht unter Vorwegnahme des Zivilprozesses zu untersuchen, ob der Anspruch besteht, vielmehr ist unter Einbeziehung aller Eventualitäten lediglich das Prozessrisiko abzuwägen. Abzustellen ist darauf, ob in vergleichbaren Fällen ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter den Klageweg beschreiten würde (RS0108029 [T1]). Dem Pflegschaftsgericht obliegt dabei die Prüfung, ob eine beabsichtigte Klagsführung im wohlverstandenen Interesse des Pflegebefohlenen liegt oder daraus mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Vermögensnachteil droht, etwa durch eine Belastung mit Prozesskosten (RS0108029 [T8]). Es ist zu prüfen, ob die konkret zu beurteilende Klage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgreich sein wird (RS0048142 [T6]). Eine abschließende Beurteilung der Tat-und Rechtsfrage ist hingegen nicht vorgesehen (RS0108029 [T9]).

[14] 1.4. Ob die Voraussetzungen für eine pflegschaftsgerichtliche Genehmigung vorliegen, kann immer nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden (RS0048176 [T2]). Auch ob ein Vergleich dem Wohl des Pflegebefohlenen entspricht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0112025). Bei dieser Prüfung ist daher in der Regel keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen (RS0048176 [T6]).

[15] 2.1. Die Revisionsrekurswerberin geht in ihrem Rechtsmittel selbst davon aus, dass die Beurteilung der Verjährungsfrage im Genehmigungsverfahren nicht zu erfolgen hat und eine Vermögensverminderung im Hinblick auf eine allenfalls vorliegende 30 jährige Verjährungsfrist im konkreten Fall nicht auszuschließen ist. Die rechtliche Beurteilung des Rekursgerichts zieht sie insoweit nicht in Zweifel. Dass die Rekursentscheidung mit höchstgerichtlicher Rechtsprechung in Widerspruch stünde, wird im Revisionsrekurs nicht behauptet. Ein näheres Eingehen auf die dies in den Raum stellende Zulassungsbegründung des Rekursgerichts erübrigt sich daher (vgl RS0102059).

[16] 2.2. Als einziges Argument führt der Revisionsrekurs ins Treffen, die Genehmigung der Verzichtserklärung entspreche hier ausnahmsweise dem Wohl der Betroffenen, weil sie bei Abgabe dieser Erklärung zeitnah und ohne gerichtliche Auseinandersetzung die Rückzahlung der erhöhten Familienbeihilfe vom Land Kärnten für den Zeitraum seit 1. 1. 2020 erhalten würde. Bei Versagen dieser Genehmigung müsste sie die geleistete Familienbeihilfe ab Beginn der Heimunterbringung hingegen einklagen, was mit einem beträchtlichen Prozesskostenrisiko verbunden wäre. Eine erhebliche Rechtsfrage zeigt der Revisionsrekurs auch damit nicht auf.

[17] 2.3. Im Rahmen der Prüfung, ob die Genehmigung der Zustimmung zum „Antragsformular“ des Landes Kärnten dem Wohl der Betroffenen entspricht, weil sie zwar auf (nicht unerhebliche) Ansprüche verzichtet, die Rückzahlung der zu viel geleisteten Beträge der letzten drei Jahre aber unverzüglich erhält, ist zu bedenken, dass ein verantwortungsbewusster gesetzlicher Vertreter bei Ablehnung des verlangten Verzichts nicht dazu gezwungen wäre, die zu viel geleisteten erhöhten Familienbeihilfebeträge für sämtliche Jahre ab der Unterbringung der Betroffenen zur Gänze einzuklagen. Sollte das Land Kärnten die Auszahlung der erhöhten Familienbeihilfebeträge für die Jahre 2020 bis 2022 tatsächlich auch bei Ablehnung der Verzichtserklärung verweigern, könnten diese auf Basis der höchstgerichtlichen Entscheidung 6 Ob 192/22m mit guten Erfolgsaussichten (und daher mit Kostenersatzanspruch) eingeklagt werden. Mit Abgabe der verlangten Verzichtserklärung würde die Betroffene hingegen jedenfalls endgültig ihre gesamten allfälligen Ansprüche vor 2020 verlieren. Dass die Vorinstanzen die Genehmigung der Verzichtserklärung versagten, ist daher nicht korrekturbedürftig.

[18] 3. Der Revisionsrekurs war somit zurückzuweisen, ohne dass dies einer weiteren Begründung bedürfte (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtssätze
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