JudikaturJustiz9Ob48/15x

9Ob48/15x – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. August 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, den Hofrat Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin Dr. Dehn, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj T***** L*****, vertreten durch den Vater O***** O*****, und die Mutter D***** L*****, diese vertreten durch Dr. Katharina Sedlazeck Gschaider, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Dr. H***** B*****, vertreten durch Dr. Friedrich Oedl Mag. Otmar Moser, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 29.674,81 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 4.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz vom 2. Juni 2015, GZ 11 R 14/15f 65, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Wegen hohen Fiebers und Teilnahmslosigkeit des damals ca acht Monate alten Klägers kontaktierte seine Mutter den ärztlichen Bereitschaftsdienst und wurde mit dem Beklagten als diensthabenden Arzt verbunden. Dieser forderte sie auf, zu ihm in die Ordination zu kommen. Die Mutter des Klägers ging jedoch fälschlicherweise davon aus, dass der Beklagte zu ihr kommen werde. Dadurch kam es zu einer Verzögerung von etwa eineinhalb Stunden, ehe die Rettung verständigt wurde. Beim Kläger wurde eine Gehirnhautentzündung durch Meningokokken diagnostiziert.

Rechtliche Beurteilung

1. Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (RIS Justiz RS0021335). Ein Verstoß gegen die Regeln medizinischer Kunst liegt vor, wenn die vom Arzt gewählte Maßnahme hinter dem in Fachkreisen anerkannten Standard zurückbleibt. Ein Arzt handelt fehlerhaft, wenn er das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte und Fachärzte vorausgesetzte Verhalten unterlässt (RIS Justiz RS0026368). Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risiken ihrer Unterlassung hinzuweisen. Wird eine notwendige Aufklärung nicht oder nicht ausreichend erteilt, liegt auch darin eine fehlerhafte Behandlung. Die Belehrung hat umso ausführlicher und eindringlicher zu sein, je klarer für den Arzt die schädlichen Folgen des Unterbleibens sind und je dringlicher die weitere Behandlung aus der Sicht eines vernünftigen und einsichtigen Patienten erscheinen muss (9 Ob 64/08i).

2. Soweit die Revision dem Beklagten vorwirft, die Symptome der Erkrankung des Klägers nicht gewissenhaft abgefragt zu haben, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach banale virale Infekte und eine Infektion mit Meningokokken gerade in der Anfangsphase nur schwierig zu differenzieren sind und eine Abgrenzung eine genaue ärztliche Untersuchung voraussetzt.

3. Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagte aufgrund des Verlaufs des Gesprächs, insbesondere der Erörterung der Ordinationsadresse, keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Mutter des Klägers seine Aufforderung, zur Untersuchung und Behandlung in die Ordination zu kommen, nicht verstanden hatte und daher keine Veranlassung hatte, dies weiter zu überprüfen, ist nicht korrekturbedürftig.

4. Die im ÄrzteG 1998 geregelte Übertragung einzelner ärztlicher Tätigkeiten im Einzelfall an Laien (§ 50a) lässt familien und pflegschaftsrechtlich gebotene Maßnahmen ausdrücklich unberührt. Der Transport eines Kleinkindes zum behandelnden Arzt durch die Eltern stellt keinen ärztlich angeordneten Krankentransport, sondern eine Betreuungshandlung der Eltern im Rahmen der Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kleinkindes dar, für die es üblicherweise keiner Anleitung und Unterweisung durch den Arzt bedarf.

5. Dem in der Revision angesprochenen Verfahren 5 Ob 165/05h lag ein mit dem vorliegenden Fall nicht zu vergleichender Sachverhalt zu Grunde. In dieser Entscheidung wurde von einer Sorgfaltspflichtverletzung des behandelnden Arztes ausgegangen, weil er die werdende Mutter an eine Risikoambulanz überwies, ohne sie über die möglichen Folgen und Risiken einer Unterlassung sowie das Ausmaß der ihrem Kind drohenden Behinderung zu informieren. Demgegenüber wirft auch die Revision dem Beklagten nicht vor, dass es Unklarheiten über die Notwendigkeit einer medizinischen Abklärung gab, sondern nur ein Missverständnis darüber, wo die Untersuchung stattzufinden hatte.

6. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf diese Zurückweisung nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

Rechtssätze
6
  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.