JudikaturJustiz8ObA86/23i

8ObA86/23i – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner, den Hofrat Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S* T*, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei C* GmbH, *, vertreten durch Mag. Stefan Hajos, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt 500,84 EUR brutto sA, über die ordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 483,31 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2023, GZ 10 Ra 49/23h 16.1, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 11. Jänner 2023, GZ 5 Cga 39/22y 11, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 303,02 EUR (darin 50,50 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger war bei der Beklagten als Monteur (Kälteanlagentechniker) beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Handelsarbeiterinnen/Handelsarbeiter anwendbar, welcher (idF vom 1. 1. 2021) in lit C seines Anhangs 1 Folgendes bestimmt:

„C. Reisekostenentschädigung

Eine Dienstreise liegt vor, wenn die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer zur Ausführung eines ihm erteilten Auftrages die Arbeitsstätte der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers verlässt. [...]

Die Dienstreise beginnt, wenn sie von der Arbeitsstätte aus angetreten wird, mit dem Verlassen der Arbeitsstätte. In allen anderen Fällen beginnt die Dienstreise mit dem reisenotwendigen Verlassen der Wohnung. Die Dienstreise endet mit der Rückkehr zur Arbeitsstätte bzw. mit der reisenotwendigen Rückkehr in die Wohnung.

[.....]

Für die Bestreitung des mit der Dienstreise verbundenen persönlichen Mehraufwandes erhält die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer ein Taggeld [.....]. Ein Taggeld fällt bei einer Dienstreise von mehr als 3 Stunden Dauer an. [.....]“

[2] Die Arbeit des Klägers, nämlich die Montage und Inbetriebnahme von Klimaanlagen und Kälteanlagen sowie deren Wartung, war vor Ort bei den Kunden der Beklagten in Wien und Wien-Umgebung auszuführen. Der Kläger fuhr regelmäßig mit einem Dienstwagen von seinem Wohnort in Wien zu den Kunden und dann wieder zurück zu seinem Wohnort. Lediglich an Montagen begab er sich für Besprechungen zum Betriebsstandort der Beklagten, wo er auch regelmäßig Material abholte.

[3] Gegenstand des Rechtsstreits ist im Revisionsstadium nur das – von den Vorinstanzen ausgehend vom eingangs genannten Sachverhalt übereinstimmend bejahte – Bestehen eines – der Höhe nach nicht strittigen – Anspruchs des Klägers auf Taggeld nach Anhang 1 Pkt C des Kollektivvertrags. Das Berufungsgericht begründete die Klagestattgebung zusammengefasst damit, dass der kollektivvertragliche Dienstreisebegriff auf die Arbeitsstätte des Arbeitgebers abstelle und der Kläger mit dem jeweiligen Verlassen seines Wohnorts mit der Dienstreise begonnen und diese mit der Rückkehr an seine Wohnadresse wieder beendet habe.

[4] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, der Auslegung von Bestimmungen in Kollektivverträgen komme regelmäßig wegen des größeren Personenkreises der davon betroffenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu.

[5] Gegen das Berufungsurteil richtet sich die aus dem Rechtsmittelgrund des § 503 Z 4 ZPO erhobene Revision der Beklagten mit einem auf Klageabweisung gerichteten Abänderungsantrag.

[6] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig , aber nicht berechtigt .

[8] Die Beklagte führt in ihrer Rechtsrüge ins Treffen, für die Frage, ob die eingeklagten Taggelder zustünden, sei wesentlich, dass der Dienstort bzw die Arbeitsstätte des Klägers nicht mit dem Betriebsstandort, dies sei die Geschäftsanschrift der Beklagten, zusammengefallen sei. Als Monteur sei der Kläger an wechselnden Arbeitsorten tätig gewesen. Die Erbringung seiner regelmäßigen Arbeitsleistung habe sich auf einen mit dem Betriebsstandort der Beklagten nicht zusammenfallenden örtlichen Bereich erstreckt. Nur wenn dieser so groß gewesen wäre, dass es dem Kläger nicht mehr möglich gewesen wäre, täglich nach Hause zurückzukehren, wäre nach RS0030826 eine Dienstreise und damit ein Anspruch auf Taggeld anzunehmen gewesen.

[9] Die Rechtsrüge vermag nicht zu überzeugen.

[10] 1. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist nach ständiger Rechtsprechung gemäß §§ 6 und 7 ABGB auszulegen (vgl RIS Justiz RS0008807; RS0010088). In erster Linie ist bei seiner Auslegung deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RS0010089).

[11] 2. Nach der im Kollektivvertrag enthaltenen Definition liegt eine Dienstreise vor, „wenn die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer zur Ausführung eines [ ihr/ ; sprachliche Ergänzung des Senats] ihm erteilten Auftrages die Arbeitsstätte der Arbeitgeberin/des Arbeitgebers verlässt“ .

[12] 2.1. Der Kollektivvertrag stellt – wie bereits vom Berufungsgericht erkannt – auf die „Arbeitsstätte der Arbeitgeberin / des Arbeitgebers“ ab, nicht – wie von der Revision suggeriert – auf den Dienstort des Arbeitnehmers iSd § 905 ABGB (zu einer dahin formulierten Dienstreise-Definition in einem anderen Kollektivvertrag 9 ObA 310/00d). Wo sich der Dienstort iSd § 905 ABGB befand, ist für die Entscheidung, ob dem Kläger ein Anspruch auf Taggeld nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag zusteht, hier ohne Belang. Die Ausführungen der Beklagten, dass nach der Rechtsprechung ein Arbeitnehmer auch wechselnde Dienstorte haben kann bzw einen Dienstort, der ein gesamtes Gebiet umfasst, und ihre Ableitung, dass hier der Kläger seinen so verstandenen Dienstort nie verlassen habe, weshalb auch keine Dienstreise im Sinne des Kollektivvertrags vorliegen könne, verfehlen ihr Ziel.

[13] 2.2. Mit „Arbeitsstätte der Arbeitgeberin / des Arbeitgebers“ in lit C des Anhangs 1 des anzuwendenden Kollektivvertrags kann hier nur die eigentliche Betriebsstätte des Arbeitgebers gemeint sein. Der Kläger hat nach den Feststellungen diese lediglich an Montagen zum Zweck von Besprechungen und um Material abzuholen aufgesucht, ansonsten aber außerhalb derselben gearbeitet. Er tat dies auf Weisung der Beklagten, gab diese ihm doch die Kunden vor, in deren Häusern und Wohnungen er seine Montage-, Inbetriebnahme- und Wartungsarbeiten verrichtete. Dass er – außer an den Montagen – nicht von der Arbeitsstätte der Beklagten, sondern von seinem Wohnsitz aus zu seinen Kunden und von diesen zurück zu sich nach Hause fuhr, steht der Qualifikation dessen als „Dienstreise“ im Sinne des Kollektivvertrags nicht entgegen, sieht dieser doch ausdrücklich vor, dass die Dienstreise auch „mit dem reisenotwendigen Verlassen der Wohnung“ beginnen und enden kann.

[14] 2.3. Der Einwand der Beklagten, hier sei keine Dienstreise anzunehmen, weil es dem Kläger möglich gewesen sei, täglich zu seinem Wohnort zurückzukehren, was nach RS0030826 Voraussetzung für die Annahme einer Dienstreise sei, geht ebenso fehl. Der anzuwendende Kollektivvertrag enthält keine solche Voraussetzung. Anderes kann auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht entnommen werden. Der Rechtssatz RS0030826 beruht auf der Entscheidung 4 Ob 155/82 = Arb 10.194, die zu einem anderen Kollektivvertrag erging. Jener Kollektivvertrag verwies auf § 26 Z 7 EStG (in der damaligen Fassung), wonach eine Dienstreise vorlag, „wenn ein Arbeitnehmer über Auftrag des Arbeitgebers seinen Dienstort (Büro, Betriebsstätte, Werksgelände, Lager usw) zur Durchführung von Dienstverrichtungen verlässt oder so weit weg von seinem ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) arbeitet, dass ihm eine tägliche Rückkehr an seinen ständigen Wohnort (Familienwohnsitz) nicht zugemutet werden kann“ . Dass die Möglichkeit, täglich nach Hause zurückzukehren, auch nach dem hier maßgeblichen Kollektivvertrag Voraussetzung für eine Dienstreise sei, kann der Entscheidung Arb 10.194 nicht entnommen werden. Der Rechtssatz RS0030826 wurde im Übrigen (nur) zu § 26 Z 7 EStG gebildet. Ob auch eine Dienstreise iSd EStG vorliegt, ist nur für die steuerrechtliche Behandlung eines dem Arbeitnehmer zustehenden Taggeldes von Relevanz, nicht aber für das Zustehen nach dem hier anzuwendenden Kollektivvertrag.

[15] 2.4. Dass die täglichen Dienstreisen die im Kollektivvertrag normierte Mindestdauer von mehr als drei Stunden überschritten, ist unstrittig.

[16] 2.5. Ein Taggeld dient der pauschalen Abdeckung des finanziellen Aufwands des Arbeitnehmers, den dieser dadurch hat, dass er den Tag auswärts verbringen muss, so insbesondere auch, dass er gezwungen ist, sich auswärts – und damit typischerweise teurer als in seinem gewöhnlichen Umfeld – zu verpflegen (8 ObA 72/18y [Pkt 3.4.]). Auch in teleologischer Hinsicht ist die Bejahung des Taggeldanspruchs durch die Vorinstanzen hier nicht zu beanstanden, verbrachte der Kläger doch seine Arbeitstage in einem stets anderen Umfeld.

[17] 2.6. Zusammengefasst liegen die Voraussetzungen einer Dienstreise im Sinne von lit C des Anhangs 1 des anzuwendenden Kollektivvertrags vor. Dass hiervon ausgehend der Kläger Anspruch auf das im Kollektivvertrag vorgesehene Taggeld hat, zog die Beklagte in ihrer Revision mit Grund nicht in Zweifel.

[18] Der Revision der Beklagten war der Erfolg zu versagen.

[19] 3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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