JudikaturJustiz8ObA54/22g

8ObA54/22g – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner, den Hofrat Dr. Thunhart und die fachkundigen Laienrichter Mag. Sibylle Wagner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D* GesmbH, *, vertreten durch Mag. Norbert Huber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 924,24 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. April 2022, GZ 10 Ra 20/22t 24, mit welchem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 2. Juni 2021, GZ 36 Cga 171/20k-18, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war bei der Beklagten als Buchhalterin und später als „Business Development Manager“ beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für Angestellte im Hotel- und Gastgewerbe anzuwenden. Im Dienstvertrag wurde vereinbart, dass die Klägerin ein „ Bruttogehalt für die Normalarbeitszeit “ von 3.023,30 EUR zuzüglich eines Überstundenentgelts samt Zuschlägen für 22 Überstunden von 576,70 EUR, insgesamt daher ein „ Bruttoentgelt gesamt “ von 3.600 EUR erhält (Grundlohn 3.023,30 EUR; „Überstundengrundlohn/ Gehalt“ samt Zuschlägen 576,70 EUR).

[2] Während des ersten Covid-19-Lockdowns schloss die Beklagte mit 20. 3. 2020 entsprechend der WKO-ÖGB Formularversion 4.0 vom 19. 3. 2020 eine „Sozialpartnervereinbarung/Betriebsvereinbarung“ mit folgendem Inhalt:

1. Kurzarbeit (…) Die Arbeitsleistung entfällt vom 23. 3. 2020 bis 3. 5. 2020 zur Gänze; während der übrigen Dauer dieser Kurzarbeitsvereinbarung beträgt sie 40 Prozent der ursprünglich vereinbarten Normalarbeitszeit. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt im Durchrechnungszeitraum somit wiederum durchschnittlich 4 Stunden (…)

[3] 4. Kurzarbeitsunterstützung (...) Das vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer auszuzahlende Entgelt beträgt 90 % vom vor der Kurzarbeit bezogenen Nettogehalt, wenn das davor bezogene Bruttogentgelt bis zu 1.700 EUR beträgt, 85 % bei einem Bruttoentgelt zwischen 1.700 EUR und 2.685 EUR und 80 % bei höheren Bruttoentgelten.

Ausgangspunkt der Berechnung der Nettoersatzrate ist das durchschnittliche Nettoentgelt für die Normalarbeitszeit der letzten 13 Wochen/3 Monate vor Beginn der Kurzarbeit. Insofern sind Zulagen und Zuschläge der letzten 13 Wochen miteinzubeziehen.

[4] Am 25. 3. 2020 erließ das Arbeitsmarktservice aufgrund der Ermächtigung in § 37b AMSG die Bundesrichtlinie Kurzarbeitsbeihilfe (KUA-Richtlinie), wonach sich die Höhe der Kurzarbeitsbeihilfe nach dem Entgelt inklusive Zulagen und Zuschläge, aber ohne Überstundenentgelte richtet, unwiderrufliche Überstundenpauschalen und All inclusive-Entgelte aber nicht als Überstundenentgelte anzusehen sind. Diese Richtlinie trat rückwirkend mit 1. 3. 2020 in Kraft. Am 27. 3. 2020 wurde auch das Formular für die Vereinbarung von Corona Kurzarbeit in der WKO-ÖGB Formularversion 6.0 dahin geändert, dass es fortan hinsichtlich der Berechnung des Kurzarbeitsentgelts lautete:

„Ausgangspunkt der Berechnung der Nettoersatzrate ist das Nettoentgelt (§ 49 ASVG) des letzten vollentlohnten Monats/der letzten vollentlohnten vier Wochen vor Einführung der Kurzarbeit. Dabei ist das Nettoentgelt insbesondere inkl. Zulagen und Zuschlägen, aber ohne Überstundenentgelte heranzuziehen. Als Überstundenentgelt in diesem Sinne gelten auch widerrufliche Überstundenpauschalen, nicht aber unwiderrufliche Überstundenpauschalen und Anteile von All inclusive-Entgelten, die der Abgeltung allfälliger Überstundenleistungen gewidmet sind.“

[5] Die Klägerin begehrt 924,24 EUR brutto sA, weil die Beklagte bei der Berechnung des Kurzarbeitsentgelts neben dem Grundlohn auch die vereinbarte Überstundenpauschale berücksichtigen hätte müssen, wie dies auch in der KUA-Richtlinie vom 25. 3. 2020 und der überarbeiteten Sozialpartnervereinbarung vorgesehen sei.

[6] Die Beklagte wendete ein, dass sich das Kurzarbeitsentgelt der Klägerin aufgrund der in der Formularversion 4.0 abgeschlossenen Betriebsvereinbarung nach der Normalarbeitszeit richte und Überstundenentgelte deshalb nicht zu berücksichtigen seien.

[7] Das Erstgericht gab der Klage statt. Da nach der KUA-Richtlinie, die rückwirkend mit 1. 3. 2020 in Kraft getreten sei und eine bloße Klarstellung der bisherigen Rechtslage enthalte, unwiderrufliche Überstundenpauschalen in die Bemessungsgrundlage für die Kurzarbeitsbeihilfen einzubeziehen seien, hätte die Beklagte das Kurzarbeitsentgelt der Klägerin aufgrund einer Bemessungsgrundlage von 3.600 EUR berechnen müssen.

[8] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, wobei es im Gegensatz zum Erstgericht davon ausging, dass es zur Auslegung der Betriebsvereinbarung keines Rückgriffs auf die KUA-Richtlinie bedürfe. Da nach der Betriebsvereinbarung bei der Berechnung des Kurzarbeitsentgelts auch Zulagen und Zuschläge der letzten 13 Wochen miteinzubeziehen seien, umfasse dies auch Überstundenzuschläge, woraus zu schließen sei, dass auch der Überstundengrundlohn berücksichtigt werden müsse. Die im Dienstvertrag angeführte durchschnittliche wöchentliche Dienstzeit von 45 Stunden sei als individuelle Normalarbeitszeit anzusehen, weshalb auch das der Klägerin gebührende Kurzarbeitsentgelt auf dieser Grundlage zu berechnen sei. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Auslegung der Betriebsvereinbarung in der WKO-ÖGB Formularversion 4.0 für eine Vielzahl von Arbeitnehmern relevant sein könne.

[9] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[10] Die Klägerin beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[11] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[12] 1. Der normative Teil von Betriebsvereinbarungen ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen; die für die Interpretation von rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen normierten Grundsätze des ABGB haben daher keine Anwendung zu finden (RIS Justiz RS0050963). In erster Linie ist bei der Auslegung von Betriebsvereinbarungen deshalb der Wortsinn zu erforschen und die sich aus dem Text ergebende Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen (RS0010089 [T3, T5, T23, T28]). Dabei darf den Parteien der Betriebsvereinbarung zumindest im Zweifel unterstellt werden, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung von Dienstnehmern vermeiden wollten (RS0008897 [T2]).

[13] 2. In der vorliegenden Betriebsvereinbarung ist entsprechend der WKO-ÖGB Formularversion 4.0 vorgesehen, dass sich das Kurzarbeitsentgelt nach dem „Nettoentgelt für die Normalarbeitszeit“ richtet. Die KUA-Richtlinie vom 25. 3. 2020 kann zur Auslegung der Betriebsvereinbarung nicht unmittelbar herangezogen werden, weil diese Richtlinie erst nachträglich erlassen wurde und der Beklagten keine Verpflichtung auferlegt werden darf, die über die von ihr abgeschlossene Betriebsvereinbarung hinausgeht. Auch die Änderungen in der WKO-ÖGB Formularversion 6.0 hat insoweit keine zwingenden Auswirkungen auf die Auslegung der vorliegenden Betriebsvereinbarung, weil die Beklagte die Betriebsvereinbarung in der Formularversion 4.0 abgeschlossen hat.

[14] 3 . Der Begriff der Normalarbeitszeit entstammt dem Arbeitszeitgesetz, wobei die wöchentliche Normalarbeitszeit nach § 3 Abs 1 AZG mit 40 Stunden beschränkt ist. Werden die Grenzen der zulässigen wöchentlichen Normalarbeitszeit überschritten, so liegt nach § 6 Abs 1 AZG Überstundenarbeit vor, die – soweit es nicht zu einem Zeitausgleich kommt – nach § 10 Abs 1 AZG mit einem Zuschlag von 50 % zu vergüten ist.

[15] 4 . Nach der Rechtsprechung ist auch eine Pauschalentlohnung von Überstunden grundsätzlich zulässig (RS0051519). Voraussetzung der wirksamen Vereinbarung einer Überstundenpauschale ist, dass sowohl die Zahl der durchschnittlich zu leistenden Normalstunden als auch der Überstunden von vorneherein bestimmt wird und die Gesamtentlohnung die vereinbarten Überstunden berücksichtigt (RS0051623). Eine Überstundenpauschale darf im Durchschnitt nicht geringer sein als das Entgelt, das der tatsächlich geleisteten Überstundenzahl entspricht (RS0051623). Nachdem im Dienstvertrag der Klägerin für eine wöchentliche Dienstzeit von 45 Stunden für die darin enthaltenen fünf Überstunden pro Woche ein Überstundenentgelt samt Zuschlägen für monatlich 22 Überstunden von 576,70 EUR vereinbart wurde, liegt – wie dies von den Vorinstanzen bereits zutreffend erkannt wurde – eine wirksam vereinbarte Überstundenpauschale vor.

[16] 5 . Wurde eine Pauschalentlohnung von Überstunden ohne Vorbehalt des Widerrufs vereinbart, wird sie fester Entgeltbestandteil und kann vom Arbeitgeber nicht einseitig widerrufen werden, selbst wenn die vom Arbeitnehmer geleisteten Überstunden nicht das seinerzeit vereinbarte Ausmaß erreichen (RS0021447; RS0051648). Da die Klägerin sohin auch dann Anspruch auf das vereinbarte Gesamtentgelt von 3.600 EUR hatte, wenn sie tatsächlich keine Überstunden leistet, ist die vereinbarte Überstundenpauschale insoweit auch als „Zuschlag“ zur Normalarbeitszeit im Sinne der Betriebsvereinbarung zu qualifizieren und dementsprechend bei der Bemessung des Kurzarbeitsentgelts zu berücksichtigen (siehe auch 8 ObA 104/21h).

[17] 6 . Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

[18] 7. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 2 Abs 1 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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