JudikaturJustiz8ObA10/08s

8ObA10/08s – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Spenling und die Hofrätin Dr. Lovrek und die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Thomas Keppert und Mag. Canan Aytekin Yildirim als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Monika P*****, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab, Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, wider die beklagte Partei V*****, vertreten durch Dr. Franz Gütlbauer, Dr. Siegfried Sieghartsleitner und Dr. Michael Pichlmair, Rechtsanwälte in Wels, wegen 1.953,24 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Dezember 2007, GZ 12 Ra 95/07p 25, womit über Berufung der Klägerin das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Juli 2007, GZ 10 Cga 2/07m 21, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass das Dienstverhältnis der Klägerin, die zuvor bereits längere Zeit freiberuflich für die beklagte Partei als Tagesmutter tätig und ab 1. 7. 1997 bei der beklagten Partei als Tagesmutter beschäftigt war, durch Dienstgeberkündigung vom 12. 7. 2006 am 31. 8. 2006 endete. Unstrittig ist ferner, dass der beklagte Verein Mitglied des Tagesmütterverbands ***** ist.

Die Klägerin begehrt der Höhe nach unstrittige 1.953,24 EUR samt 9,97 % Zinsen ab 1. 9. 2006 an (restlicher) Kündigungsentschädigung bis 31. 12. 2006. Das Dienstverhältnis habe durch Dienstgeberkündigung zum 31. 8. 2006 geendet. Da die Klägerin im Angestelltenverhältnis beschäftigt gewesen sei und die Bestimmungen des AngG auf das Dienstverhältnis anzuwenden seien, hätte sie tatsächlich erst zum 31. 12. 2006 gekündigt werden können. Auf das Dienstverhältnis zur Klägerin sei der Kollektivvertrag für die Arbeiter und Angestellten für die Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe anzuwenden (in der Folge immer: BAGS KV). Die anzuwendenden kollektivvertraglichen Bestimmungen sähen unter anderem auch für Arbeiter nach einer Dienstzugehörigkeit von drei Jahren die Anwendung der Angestelltenbestimmungen für den Kündigungsschutz vor (§ 39 BAGS KV).

Die Beklagte wendete ein, das Dienstverhältnis zur Klägerin habe durch einvernehmliche Beendigung zum 31. 8. 2006 geendet. Die Tätigkeit der Klägerin unterliege nicht dem AngG. Der BAGS KV sei nicht anzuwenden, weil die beklagte Partei nicht Mitglied der Bundesvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf Feststellungen über die Tätigkeit der Klägerin und die Beendigung ihres Dienstverhältnisses sowie folgende weitere Feststellung (S 6 des Ersturteils):

„Mit Schreiben vom 19. April 2004 kündigte der Tagesmütterverband O***** geschlossen die seit 4. 6. 1997 bestehende Mitgliedschaft bei der Berufsvereinigung für Arbeitgeber der Gesundheits- und Sozialberufe per 30. 4. 2004 auf. Als Beweggrund wird darin angegeben, dass das Land Oberösterreich sich derzeit noch nicht in der Lage sehe, die Erhöhungen, die sich aufgrund des Kollektivvertrags ergeben, zu finanzieren."

Ferner stellte das Erstgericht, wenngleich disloziiert im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung (S 8 des Ersturteils), fest, dass die beklagte Partei vom 4. 6. 1997 bis 30. 4. 2004 Mitglied der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe war.

Rechtlich erachtete das Erstgericht, dass für das Dienstverhältnis der Klägerin das AngG nicht gelte. Der BAGS KV sei auf das Dienstverhältnis nicht anzuwenden, weil die beklagte Partei (nur) bis 30. 4. 2004 Mitglied der Berufsvereinigung der Arbeitgeber für Gesundheits- und Sozialberufe gewesen sei. Der Kollektivvertrag sei daher auf das Dienstverhältnis nicht mehr anwendbar.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung Folge, änderte das Urteil des Erstgerichts im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht ging auf die ausdrücklich erhobene Beweisrüge in der Berufungsbeantwortung der beklagten Partei, die die im Rahmen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts enthaltene Feststellung bekämpft, dass die beklagte Partei vom 4. 6. 1997 bis 30. 4. 2004 Mitglied der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe gewesen sei, nicht ein. Es erachtete vielmehr rechtlich, dass der Austritt des Arbeitgebers aus der Körperschaft, der er zur Zeit des Kollektivvertragsabschlusses angehört habe, noch nicht den Verlust der Kollektivvertragsangehörigkeit bewirke. Durch den Austritt des Arbeitgebers aus einer freiwilligen Berufsvereinigung (wie der BAGS) werde die durch diese Vereinigung vermittelte Kollektivvertragsunterworfenheit grundsätzlich nicht beendet. Das gelte so lange, bis der Arbeitgeber aus dem Geltungsbereich des Kollektivvertrags ausscheide oder er kraft Mitgliedschaft zu einer anderen kollektivvertragsfähigen Körperschaft einem anderen Kollektivvertrag angehöre. Maßgeblich für die Ermittlung der Mitgliedschaft sei der Tag seines Abschlusses.

Der BAGS KV zwischen der Berufsvereinigung von Arbeitgebern für Gesundheits- und Sozialberufe (BAGS) und der Gewerkschaft der Privatangestellten, der Gewerkschaft Hotel, Gastgewerbe, persönlicher Dienst und der Gewerkschaft Handel, Transport und Verkehr sei am 17. 12. 2003 geschlossen worden und mit 1. 7. 2004 in Kraft getreten. In der Folge seien verschiedene Änderungen eingetreten. Der Kollektivvertrag gelte gemäß § 2 fachlich für Mitglieder der BAGS und persönlich für Arbeitnehmerinnen und Lehrlinge, deren Arbeitgeber Mitglied der BAGS seien. Ob der Kollektivvertrag dynamisch (unter Berücksichtigung der Abänderungen und/oder Ergänzungen nach dem Austritt des Arbeitgebers) oder versteinert (Änderungen würden nicht mitgemacht) nach dem Austritt weiter gelte, sei strittig. Allerdings spiele diese Frage im vorliegenden Fall keine Rolle, weil der relevante § 39 BAGS KV unverändert geblieben sei. Es sei unstrittig, dass die beklagte Partei Mitglied des Tagesmutterverbands O***** sei. „Unbekämpft" festgestellt worden sei, dass der Tagesmutterverband O***** geschlossen die seit 4. 6. 1997 bestehende Mitgliedschaft bei der BAGS mit Schreiben vom 19. 4. 2004 per 30. 4. 2004 gekündigt habe. Daraus folge, dass auch die beklagte Partei in dem betreffenden Zeitraum Mitglied der BAGS gewesen sei. Ein „geschlossener" Austritt könne nur so verstanden werden, dass alle beim Tagesmütterverband O***** zusammengefassten Vereine ausgetreten seien, was wiederum deren Beitritt voraussetze. Die beklagte Partei habe kein Vorbringen erstattet, dass der Tagesmütterverband O***** nicht befugt gewesen wäre, im Namen der beklagten Partei der BAGS beizutreten oder wieder auszutreten. Abgesehen davon sei Zweck eines Fachverbands, für die einzelnen Mitglieder aufzutreten und mit einer Stimme zu sprechen, um dadurch mehr Gewicht für die Vertretung der Interessen zu erlangen. Davon ausgehend sei die Kollektivvertragsunterworfenheit der beklagten Partei zu bejahen.

Es sei daher § 39 BAGS KV anzuwenden, wonach nach einem unterbrochenen Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber von drei Jahren auch für Arbeitnehmerinnen, die nicht unter das AngG fielen, die Bestimmungen des § 20 AngG gelten. Nach § 20 Abs 2 AngG sei nur eine Kündigung zum Quartalsende unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist möglich. Das der Höhe nach unstrittige Klagebegehren sei daher samt den begehrten Zinsen zuzusprechen.

Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, der Revision im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens (Wiederherstellung des Ersturteils) Folge zu geben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen; in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Erledigung der von der beklagten Partei in ihrer Berufungsbeantwortung erhobenen Beweisrüge zur - entscheidungswesentlichen - Feststellung der Mitgliedschaft der beklagten Partei bei der BAGS unterließ. Diese in der außerordentlichen Revision gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens begründet als Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze eine erhebliche Rechtsfrage des Verfahrensrechts ( Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 502 ZPO Rz 110; RIS Justiz RS0041806). Die Revision ist im Sinne des gestellten Eventualantrags auch berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nicht mehr strittig, dass das Dienstverhältnis der Klägerin durch Arbeitgeberkündigung zum 31. 8. 2006 endete und dass auf die Klägerin das AngG nicht anwendbar ist.

Verfahrensentscheidend ist allein, ob der BAGS KV auf das Dienstverhältnis zur Klägerin anzuwenden war: Bejahendenfalls gilt dessen § 39 Abs 2, der (unverändert seit Inkrafttreten des Kollektivvertrags) vorsieht, dass nach einem unterbrochenen Arbeitsverhältnis zum selben Arbeitgeber von drei Jahren auch für Arbeitnehmerinnen, die nicht unter das Angestelltengesetz fallen, die Bestimmungen des § 20 AngG gelten.

Der BAGS KV wurde zwar per 1. 5. 2006 zur Satzung erklärt. Daraus ist allerdings für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsfalls nichts zu gewinnen, weil ua die Kinderbetreuung durch Tagesmütter von der Satzung ausdrücklich ausgenommen wurde ( Höfle , BAGS Kollektivvertrag wurde zur Satzung erklärt, ASok 2006, 151).

Zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, dass durch den Austritt aus einer freiwilligen Berufsvereinigung die durch diese Vereinigung vermittelte Kollektivvertragsunterworfenheit grundsätzlich nicht beendet wird. Das ergibt sich aus § 8 Z 1 ArbVG, der normiert, dass - sofern der Kollektivvertrag nichts anderes bestimmt - Kollektivvertragsangehörige (innerhalb des räumlichen, fachlichen und persönlichen Geltungsbereichs) die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer sind, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später wurden. Das bedeutet, dass der nach dem Abschluss des Kollektivvertrags erfolgte Austritt des Arbeitgebers an dessen Kollektivvertragsunterworfenheit nichts ändert. Der Kollektivvertrag gilt trotz des Austritts des betroffenen Arbeitgebers weiter, obwohl der Arbeitgeber dem Arbeitgeberverband, der den Vertrag abgeschlossen hat, nicht mehr angehört (8 ObA 125/00s = SZ 73/211 = DRdA 2001/47 [ Weiss ]; Löschnigg/Resch , BAGS KV 2007 [2007] § 2 Erl 3; Strasser , ArbVG Kommentar § 8 Rz 15; Runggaldier in Tomandl , Arbeitsverfassungsgesetz, § 8 Rz 5 f; Cerny in Cerny/Gahleitner/Kundtner/Preiss/Schneller , Arbeitsverfassungsrecht Band II³ 111).

Daraus folgt, dass das Berufungsgericht grundsätzlich zutreffend erkannte, dass für den Fall, dass die beklagte Partei Mitglied bei der BAGS war und erst nachträglich austrat - wobei zu dem im Raum stehenden Austrittszeitpunkt 2004 das Dienstverhältnis zur Klägerin schon begründet war - das Klagebegehren zu Recht bestünde. Ob allerdings die beklagte Partei je Mitglied der BAGS war, stellt eine Tatfrage dar, die mangels Erledigung der Beweisrüge in der von der beklagten Partei erhobenen Berufungsbeantwortung nicht abschließend feststeht: Das Erstgericht stellte dazu fest, dass der Tagesmütterverband O***** (Dachverband) „geschlossen die seit 4. 6. 1997 bestehende Mitgliedschaft" aufkündigte. In der rechtlichen Beurteilung traf das Erstgericht die weitere Feststellung, dass die beklagte Partei vom 4. 6. 1997 bis 30. 4. 2004 Mitglied der BAGS war. Ob das der Fall ist, kann jedoch nicht beurteilt werden, weil das Berufungsgericht auf die in der Berufungsbeantwortung erhobene Beweisrüge zu diesem Thema nicht einging: Es mag zutreffen, dass es Zweck eines Dachverbands ist, für die einzelnen Mitglieder aufzutreten und „mit einer Stimme zu sprechen", um dadurch mehr Gewicht für die Vertretung der Interessen zu erlangen. Daraus allein ergibt sich jedoch noch nicht zwingend eine Mitgliedschaft der beklagten Partei bei der BAGS: Dass der Tagesmütterverband O***** die Erklärung abgab, „mit seinen Vereinen" auszutreten, impliziert zwar möglicherweise die Feststellung, dass der Dachverband auch mit seinen Mitgliedern der BAGS beitrat, lässt aber noch nicht den Schluss zu, dass dieser Beitritt für die beklagte Partei rechtswirksam erfolgte: Dabei handelt es sich, wie auch die Revisionsbeantwortung der Klägerin erkennt, um eine Tatfrage. Es mag zwar schon aus dem vom Berufungsgericht zutreffend hervorgehobenen Zweck des Beitritts des Dachverbands zur BAGS der Schluss naheliegen, dass der Dachverband für seine Mitglieder handeln wollte und auch rechtlich konnte. Ohne abschließende Erledigung der dazu erhobenen Beweisrüge ist aber diese entscheidungswesentliche Tatfrage nicht ausreichend geklärt.

Das Berufungsgericht wird sich daher mit der in der Berufungsbeantwortung erhobenen Beweisrüge der beklagten Partei auseinanderzusetzen haben; gegebenenfalls wird das Berufungsgericht iSd § 496 Abs 3 ZPO nach Erörterung mit den Parteien ergänzende Feststellungen zu treffen haben, welche eine Beurteilung zulassen, ob die beklagte Partei je Mitglied der BAGS - sei es auch im Wege einer „mittelbaren Mitgliedschaft" über den Dachverband - war. Eine solche Mitgliedschaft kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Dachverband rechtsgeschäftlich bevollmächtigt war, für die beklagte Partei zu handeln, sondern auch dann, wenn die entsprechenden Vereinssatzungen (s dazu Schrammel , Die Kollektivvertragsangehörigkeit gemäß § 8 Z 1 ArbVG, ZAS 1993, 5 [6]) eine solche „mittelbare Mitgliedschaft" vorsehen. Die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht vertretene Auffassung, es wäre Sache der beklagten Partei gewesen, vorzubringen, dass der Dachverband nicht befugt gewesen wäre, im Namen der beklagten Partei zur BAGS beizutreten, lässt außer Acht, dass die beklagte Partei von allem Anfang an ihre Mitgliedschaft bei der BAGS bestritt.

Aus den dargelegten Gründen war daher eine Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts unumgänglich.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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