JudikaturJustiz6Ob90/69

6Ob90/69 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 1969

Kopf

SZ 42/61

Spruch

Ein gerichtlicher Vergleich kommt im Zweifel erst mit der Unterschrift der Parteien zustande

Entscheidung vom 23. April 1969, 6 Ob 90/69.

I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.

Text

In dem vorliegenden Rechtsstreit wegen Aufkündigung einer Wohnung wurde in der fortgesetzten Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 18. Dezember 1968 in Abwesenheit des erst später erschienenen Beklagtenvertreters Rechtsanwalt Dr. K. ein Vergleich, betreffend die Räumung der aufgekundigten Wohnung, protokolliert. Als Dr. K. zwölf Minuten nach Aufruf der Sache erschien, hatte der Beklagte das dem Vergleichstext enthaltende Protokoll noch nicht unterschrieben. Dr. K. erklärte nun, daß dem Vergleich nur zugestimmt werden könne, wenn 20.000 S Ablöse gezahlt werden. Hierauf lehnte der Beklagte die Unterfertigung des Vergleiches mit der Begründung ab, es sei ihm gesagt worden, er bekomme eine Ablöse. Der Erstrichter vermerkte nun im Verhandlungsprotokoll, daß vor dem Erscheinen des Dr. K. völlige Willensübereinstimmung über den geschlossenen Vergleich vorhanden gewesen sei. Daraufhin brachte der Beklagtenvertreter vor, der Beklagte sei über den Inhalt des Vergleiches offensichtlich nicht informiert gewesen. Der Beklagte habe ihn nämlich jetzt bei erster Gelegenheit gefragt, was mit der Investitionsablöse sei und wer die Kosten trage. Hierüber wurden auch Beweise angeboten.

Der Erstrichter stellte sich auf den Standpunkt, der Prozeß sei durch Vergleich beendet. Die Tagsatzung vom 18. Dezember 1968 ging zu Ende, ohne daß sie erstreckt oder daß eine Entscheidung verkundet worden wäre.

Am 24. Jänner 1969 stellte der Beklagte schriftlich den Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens durch Anberaumung einer Streitverhandlung. Er begrundete ihn damit, daß am 18. Dezember 1968 ein Vergleich wirksam nicht zustande gekommen sei; die geführten Vergleichsbesprechungen seien nicht zum Abschluß gekommen, insbesondere seien die Fragen einer Investitionsablöse und der Tragung der Gerichts- und Anwaltskosten noch nicht angeschnitten gewesen.

Das Erstgericht wies diesen Antrag als unzulässig zurück. Das Rekursgericht gab dem dagegen vom Beklagten erhobenen Rekurs Folge. Es hob den erstgerichtlichen Beschluß auf, trug "in dessen Abänderung" dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens auf und sprach aus, daß die Rekurskosten weitere Verfahrenskosten sind. Das Rekursgericht vertrat die Auffassung, im Regelfall sei Voraussetzung für die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleiches dessen Unterfertigung durch die Parteien; ohne solche Unterfertigung könne die Rechtswirksamkeit eines Vergleiches allenfalls dann angenommen werden, wenn eine Prozeßpartei ausdrücklich erkläre, dem Vergleich auch ohne Unterfertigung zuzustimmen. Im vorliegenden Fall habe aber der Beklagtenvertreter ausdrücklich erklärt, dem Vergleich nicht zuzustimmen. Eine vor Protokollierung des Vergleiches vorhandene Willensübereinstimmung der Parteien könne somit noch nicht zu der Annahme eines rechtswirksamen gerichtlichen Vergleiches führen, denn diese Willensübereinstimmung müsse auch noch nach erfolgter Protokollierung vorliegen. Ein nicht unterschriebener gerichtlicher Vergleich sei keine prozeßbeendende Tatsache.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Revisionsrekurs der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs ist zulässig.

Mit dem angefochtenen Beschluß des Rekursgerichtes wurde dem Erstgericht die Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens aufgetragen. Diese kann bei der gegebenen Sachlage zunächst nur in der Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung bestehen. Da nach § 130 (2) ZPO. die Anberaumung einer Tagsatzung sowie jede Ladung zu einer Tagsatzung durch ein abgesondertes Rechtsmittel nicht angefochten werden kann, erhebt sich die Frage, ob diese Einschränkung des Rechtszuges nicht auch für Beschlüsse gilt, deren unmittelbare Folge die Anordnung einer Tagsatzung ist. Zu einer solchen ausdehnenden Auslegung der Bestimmung des § 130 (2) ZPO. besteht jedoch kein Anlaß. Die gegenteilige Ansicht wurde nur von Eisinger, NotZ. 1909 S. 274, vertreten, während ansonsten Lehre (Fasching Kommentar Bd. II S. 686, Neumann I S. 699 und Eisler in NotZ. 1909 S. 358) und Rechtsprechung (SZ. XIII 1) auf dem Standpunkt stehen, daß die Entscheidung nach den für sie selbst geltenden Anfechtungsmöglichkeiten zu beurteilen ist, wenn die Anordnung einer Tagsatzung nur die amtswegige Folge dieser Entscheidung ist.

Es gilt aber auch die Rechtsmittelbeschränkung des § 527 (2) ZPO. hier nicht, weil der Beschluß des Rekursgerichtes seinem Sinn und seiner Funktion nach eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses darstellt, was das Rekursgericht übrigens schon durch die Formulierung seines Beschlusses zum Ausdruck gebracht hat. Das Rekursgericht hat nämlich eine abschließende Entscheidung über die vom Erstgericht gegenteilig beantwortete Frage getroffen, ob der in der Tagsatzung vom 18. Dezember 1968 protokollierte, vom Beklagten nicht unterschriebene Vergleich prozeßbeendende Wirkung hat, und nicht etwa den Beschluß des Erstgerichtes mit dem Ziel behoben, die neuerliche Entscheidung durch die Unterinstanz über denselben Gegenstand zu erwirken. In einem solchen Fall ist aber die Zulässigkeit des Revisionsrekurses von einem Ausspruch des Rekursgerichtes im Sinne des § 527 (2) ZPO. unabhängig (Fasching, Kommentar Bd. IV S.442; EvBl. 1959 Nr. 115, JBl. 1957 S. 159 u. v. a.).

In der Sache selbst kommt dem Revisionsrekurs jedoch keine Berechtigung zu.

Die Frage, ob ein gerichtlicher, im Sinne des § 204 ZPO. prozeßbeendender und zugleich einen Exekutionstitel darstellender Vergleich schon mit der Aufnahme des Vergleichstextes in das Verhandlungsprotokoll zustande kommt oder ob es dazu auch noch der Fertigung des Verhandlungsprotokolles durch die Parteien bedarf, wurde - soweit sich dies überblicken läßt - vom Obersten Gerichtshof bisher nicht entschieden (die Entscheidung Nowak IV 272 erging vor Inkrafttreten der Zivilprozeßordnung). Von der Lehre wurde sie bis in die jüngste Zeit nicht einheitlich beantwortet.

Die Protokollierung des Vergleiches im Verhandlungsprotokoll durch den Richter wird von Sperl, Lehrbuch S. 480, offenbar als ausreichend erachtet. Neumann[4], S. 829, verweist darauf, daß das aufgenommene Protokoll gemäß § 212 ZPO. den Parteien vorzulesen oder zur Durchsicht vorzulegen und von ihnen zu unterschreiben ist, daß aber der Vergleich auch dann gültig ist, wenn die Parteien das als richtig anerkannte Protokoll nicht unterfertigen, weil die Gültigkeit des gerichtlichen Vergleiches im Gesetz von der Unterfertigung des Protokolles durch die Parteien nicht abhängig gemacht wird. Er vertritt die Ansicht, daß der Vergleich nur dann nicht als gerichtlicher Vergleich und als Exekutionstitel anzusehen ist, wenn die Richtigkeit des protokollierten Inhaltes bestritten wird und wenn eine Einigung über eine von den Parteien als richtig anerkannte Fassung nicht zustande kommt. Dieser Meinung haben sich Fasching, Kommentar Bd. II S. 973 und Petschek - Stagel, S. 292, angeschlossen.

Demgegenüber hat Pollak, System S. 417/418. und zwar ebenfalls unter Berufung auf § 212 ZPO., ausgeführt, der gerichtliche Vergleich bedürfe nicht nur der Beurkundung zu Gerichtsprotokoll und zu diesem Zwecke der Durchsicht des Protokolles oder seiner Verlesung, sondern auch der Unterschrift der beiden Parteien und des Gerichtes. Vor Abgabe dieser Unterschriften liege kein gerichtlicher Vergleich vor, auch wenn der Vergleichsinhalt schon gänzlich vereinbart sei. Ob eine solche Vereinbarung einen gültigen privatrechtlichen Vergleich darstelle, sei eine andere Frage. In diesem Sinne nimmt auch Ohmeyer in ZBl. 1927 S. 572, gegen die Ansicht Neumanns Stellung, der er vorwirft, sie werde insbesondere nicht der Parteienabsicht gerecht, die bei Abschluß eines gerichtlichen Vergleiches offenbar doch dahingehe, daß die Schriftform eingehalten werde. Nach § 884 ABGB. müsse daher angenommen werden, daß die Parteien vor Erfüllung dieser Form, also vor der Aufsetzung der unterschriebenen Vertragsurkunde, nicht gebunden sein wollen. Ebenso lehrt Ehrenzweig, System[2] I/1 S. 359 (so auch schon in der 1. Aufl.), im Zweifel sei anzunehmen, daß nach der Absicht der Parteien der Vergleich erst mit der Unterschrift des Protokolles (durch die Parteien) zustandekommen soll. In Neumann - Lichtblau[4], S. 75 f., wird die Frage in erster Linie unter dem Gesichtspunkte der Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Vergleiches behandelt und zunächst darauf verwiesen, daß Voraussetzung der Vollstreckbarkeit eines gerichtlichen Vergleiches dessen Protokollierung ist, weil ohne eine entsprechende Urkunde keine Exekution bewilligt werden kann. Die Verfasser sind zwar der Ansicht, daß die Beweiskraft des Protokolles als öffentlicher Urkunde durch die Unterlassung der Unterschrift der Parteien nicht beeinträchtigt werde, sodaß eine Exekution auf Grund eines (von den Parteien) nicht unterschriebenen Vergleiches bewilligt werden könne, sie verweisen aber ebenfalls darauf, daß Vergleiche regelmäßig unterschrieben werden und daß die Absicht der Parteien meistens dahin geht, daß sie vor Erfüllung dieser Formalität nicht gebunden sein sollen.

Diesen Gesichtspunkt hält auch der erkennende Senat für ausschlaggebend. Der gerichtliche Vergleich hat zugleich den Charakter einer Prozeßhandlung und eines zivilrechtlichen Vertrages (EvBl. 1968 Nr. 161 u. a.). Auf ihn finden daher, soweit nicht Vorschriften des Prozeßrechtes entgegenstehen, auch die Vorschriften über die Form der Verträge und damit auch die Bestimmungen des § 884 ABGB. Anwendung. Sind die Parteien übereingekommen, einen gerichtlichen Vergleich im Sinne des § 204 ZPO. zu schließen, dann liegt darin die Vereinbarung der Schriftform. Es wird daher, wie das Rekursgericht richtig erkannt hat, mangels anderweitiger Vereinbarung, also im Zweifel, vermutet, daß sie vor Erfüllung dieser Form nicht gebunden sein wollen. Nach § 886 ABGB. wird zwar der schriftliche Abschluß des Vertrages durch gerichtliche oder notarielle Beurkundung ersetzt. Das ändert aber nichts, denn nach ständiger Übung werden gerichtliche Vergleiche von den Parteien zum Zeichen ihres Einverständnisses unterschrieben, sodaß in der Regel eine Absicht der Parteien, auch bei einem gerichtlichen Vergleich nicht vor Leistung der Unterschrift gebunden sein zu wollen, unterstellt werden muß.

Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Parteien an den Vergleich schon vor Unterfertigung des Protokolles gebunden sein wollten. Von einer wirksamen Einigung der Streitteile kann demnach nicht ausgegangen werden. Demzufolge ist dem Rekursgericht beizupflichten, daß ein prozeßbeendender gerichtlicher Vergleich nicht vorliegt. Dem Revisionsrekurs mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.