JudikaturJustiz6Ob113/23w

6Ob113/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Außerstreitsache des Antragstellers K*, Ukraine, vertreten durch Mag. Verena Stagl, Rechtsanwältin in Wien als Verfahrenshelferin, diese vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in Wien, wider die Antragsgegnerin Y*, vertreten durch Mag. Markiyan Otava, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rückführung der Minderjährigen A* 2017, nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Mai 2023, GZ 43 R 208/23s-33, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

[1] Das Kind reiste mit der Stiefmutter des Vaters (Antragsteller) mit dessen Zustimmung bei Kriegsbeginn im März 2022 aus der Ukraine nach Deutschland. Am 15. 11. 2022 zog die Mutter (Antragsgegnerin) mit dem Kind nach Österreich, ohne den Vater zu informieren.

[2] Der Antragsteller beantragt die Rückführung des Kindes in die Ukraine nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen.

[3] Die Vorinstanzen wiesen den Antrag ab. Das Rekursgericht bejahte, dass das Kind unmittelbar vor dem Verbringen nach Österreich seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland gehabt habe. Angesichts dessen sei die begehrte Rückführung in die Ukraine nach Art 3 HKÜ rechtlich nicht möglich.

Rechtliche Beurteilung

[4] Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[5] 1. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt nach Art 3 HKÜ vorliegt, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RS0126369 [T8, T9]). Ein solcher kann regelmäßig nach einer Aufenthaltsdauer von sechs Monaten angenommen werden, wobei letztlich die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich sind (RS0126369 [T5]). Im Fall eines – wie hier – rechtmäßigen Umzugs (von der Ukraine nach Deutschland) kann sich der gewöhnliche Aufenthalt auch nach sehr kurzer Frist in den Zuzugsstaat verlagern (RS0126369 [T6]).

[6] Die Beurteilung des Rekursgerichts hält sich angesichts des Aufenthalts des Kindes in Deutschland in der Dauer von ungefähr acht Monaten im Rahmen dieser Rechtsprechung.

[7] 2. Dass allenfalls Rechtsprechung zur Frage fehlt, ab wann man als Kriegsflüchtling einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat hat, den man sofort verlassen möchte, wenn der Krieg beendet ist, wirft im Licht der zitierten Rechtsprechung wegen der Einzelfallbezogenheit dieser Beurteilung keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[8] Von welcher ständigen Rechtsprechung das Rekursgericht abgewichen wäre, legt das Rechtsmittel nicht dar (vgl RS0043650).

[9] 3. Gegen das tragende Argument des Rekursgerichts, dass angesichts des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes in Deutschland vor der Verbringung eine Rückführung in die Ukraine vom HKÜ nicht gedeckt sei, bringt der Revisionsrekurs nichts vor. Unter dieser Prämisse kommt es darauf, ob im Fall der Rückführung des Kindes in die Ukraine dessen Wohl nicht gefährdet wäre, nicht mehr an.

[10] 4. Erstinstanzliche Mängel hat das Rekursgericht verneint und können daher in dritter Instanz nicht mehr releviert werden (RS0042963 [T61]). Der Verweis auf Rekursausführungen ist unzulässig (RS0007029). Betreffend die behaupteten Mängel des Rekursverfahrens legt das Rechtsmittel deren Relevanz nicht dar (RS0043027 [T8, T10]).

Rechtssätze
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