JudikaturJustiz5Ob196/02p

5Ob196/02p – OGH Entscheidung

Entscheidung
01. Oktober 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann, Dr. Baumann, Dr. Hradil und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Mietrechtssache des Antragstellers Reinhard T*****, vertreten durch Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin Elisabeth R*****, vertreten durch Dr. Peter Rustler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anerkennung als Hauptmieter (§ 2 Abs 3 iVm § 37 Abs 1 Z 1 MRG), infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Sachbeschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Jänner 2002, GZ 41 R 251/01t-20, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 31. Mai 2001, GZ 9 Msch 34/00g-16, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Sachbeschluss wird aufgehoben.

Die außerstreitige Mietrechtssache wird zur neuerlichen, nach allfälliger Verfahrensergänzung zu fällenden Entscheidung an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Der Antragsteller strebt gemäß § 2 Abs 3 MRG die Anerkennung als Hauptmieter der Wohnung Nr 7 im Haus ***** an. Sein diesbezüglicher Sachantrag richtet sich gegen die Eigentümerin des genannten Hauses; die formelle Hauptmieterin wurde dem Verfahren nicht beigezogen. Das gemäß § 40 Abs 2 MRG mit der Sache befasste Erstgericht wies den Sachantrag ab, weil es zur Überzeugung gelangt war, dass den auf Vermieterseite Beteiligten die in § 2 Abs 3 MRG vorausgesetzte Umgehungsabsicht fehle. Ein Eingehen auf die diesbezüglichen Feststellungen erübrigt sich, weil eine dagegen vom Antragsteller erhobene Beweisrüge noch unerledigt ist.

Das Rekursgericht nahm nämlich andere Gründe für die Abweisung des Sachantrages wahr. Es bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung aus folgenden Erwägungen:

Der Anspruch des "Schein"-Untermieters nach § 2 Abs 3 MRG sei nach ständiger Judikatur auf die Feststellung gerichtet, dass ihm in Wahrheit Hauptmietrechte zustehen (Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20, Rz 13 zu § 2 MRG). Die Rechtsfolge einer solchen Feststellung sei einerseits die Nichtigkeit des (Schein-) Hauptmietverhältnisses, andererseits der "Eintritt" des Liegenschaftseigentümers bzw eines anderen Vermieters im Sinne des § 2 Abs 1 MRG in den (Schein )Untermietvertrag, dessen Bestimmungen insoweit aufrecht blieben, als sie mit dem Wesen eines Hauptmietvertrages vereinbar sind (Würth/Zingher Miet- und Wohnrecht20, Rz 18 zu § 2 MRG). Erwirkt ein Mieter seine Anerkennung als Hauptmieter gemäß § 2 Abs 3 MRG, so scheide der bisherige "formelle" Hauptmieter aus dem Vertragsverhältnis aus. Einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG seien daher nach ständiger Judikatur nicht nur der Hauseigentümer und der "Untermieter", sondern auch der "Untervermieter" als Partei zuzuziehen (MietSlg 50.268 mwN). In seiner Entscheidung 5 Ob 74/85 (MietSlg 37.511) habe der Oberste Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass es auch in einem solchen Fall genüge, wenn dem Untervermieter im Verfahren erster Instanz rechtliches Gehör eingeräumt wird, was trotz Vorschaltung der Schlichtungsstelle auch erst im gerichtlichen Verfahren erfolgen könne. Die danach ergangene Judikatur habe es regelmäßig genügen lassen, wenn jener Partei, die nicht von Anfang an beigezogen war, die Möglichkeit zur Erstattung von Sachvorbringen im Verfahren erster Instanz gegeben wurde (MietSlg 37.512; 37.513 ua).

In seiner Entscheidung 5 Ob 49/95 (WoBl 1996/55) habe der Oberste Gerichtshof in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 8 MRG jedoch ausgesprochen, dass ein Antrag auf Feststellung der Überschreitung des gesetzlich zulässigen Zinsausmaßes nur gegen alle Miteigentümer als Vermieter gestellt werden könne; sei er bei der Schlichtungsstelle bloß gegen einen Teil der Miteigentümer gerichtet gewesen, so könne er nicht erst im Verfahren vor Gericht auf die anderen ausgedehnt werden, weil dem die Unzulässigkeit des Rechtsweges nach § 39 Abs 1 MRG entgegenstehe. In einem dem Zivilprozess nachgebildeten Zweiparteienverfahren, in dem dem Antragsteller als Mieter mehrere Miteigentümer als Mitvermieter und damit eine eindeutig festgelegte Gruppe von Personen gegenüberstehe, die im Streitverfahren notwendige Streitgenossen wären, könne nämlich der Antrag im gerichtlichen Verfahren nicht gegen andere Personen gerichtet werden als bei der Schlichtungsstelle gestellt, weil damit eine Änderung des vor der Schlichtungsstelle geltend gemachten Anspruches verbunden wäre. Diese Ansicht widerspreche auch nicht der Entscheidung MietSlg 37.511, in der der OGH - wie bereits ausgeführt - bei einem Antrag nach § 2 Abs 3 MRG die Beiziehung der vor der Schlichtungsstelle übergangenen Partei erst im Gerichtsverfahren für zulässig erachtete), weil sich in einem Mehrparteienverfahren oft erst im Laufe des Verfahrens herausstelle, wem auf Grund des dort maßgeblichen materiell-rechtlichen Parteienbegriffes Parteistellung und damit rechtliches Gehör zu gewähren sei. In seiner bereits zitierten Entscheidung MietSlg 50.268 habe der Oberste Gerichtshof demgegenüber jedoch festgehalten, dass Hauseigentümer und Untervermieter in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 (§ 2 Abs 3) MRG wegen der erweiterten Rechtskraftwirkung notwendigen Streitgenossen vergleichbar seien, und daraus die Konsequenz gezogen, dass jedenfalls keine Teilentscheidung gegen einen der Streitgenossen ergehen dürfe.

Gestützt auf diese jüngere oberstgerichtliche Judikatur habe das Landesgericht für ZRS Wien in seiner Entscheidung MietSlg 52.439 die Ansicht vertreten, dass der aktuelle Hauseigentümer, der bei einem Antrag nach § 2 Abs 3 MRG vor der Schlichtungsstelle nicht in Anspruch genommen worden war, im gerichtlichen Verfahren nicht mehr beigezogen werden könne, weil damit eine Änderung des vor der Schlichtungsstelle geltend gemachten Anspruches verbunden wäre. Auch der erkennende Senat vertrete die Ansicht, dass ein Antrag nach § 2 Abs 3 MRG von vornherein sowohl gegen den Vermieter, also diejenige Person zu richten ist, mit der nach dem Vorbringen des antragstellenden Mieters in Wahrheit sein (Haupt ) Mietverhältnis besteht, als auch gegen den Untervermieter und nominellen Hauptmieter, mit dem der als nichtig bekämpfte Untermietvertrag abgeschlossen wurde, weil durch eine stattgebende Entscheidung notwendigerweise das Rechtsverhältnis gegenüber beiden Parteien und auch dieser Parteien untereinander eine Änderung erfährt. Deren Rechtsstellung entspreche der notwendiger Streitgenossen im Zivilverfahren, weshalb ein nur gegen eine dieser Parteien gerichteter Antrag vor der Schlichtungsstelle im Gerichtsverfahren wegen der Vorschrift des § 39 Abs 1 MRG nicht auf den bisher nicht in Anspruch genommenen Antragsgegner erweitert werden könne. Im vorliegenden Fall sei das Verfahren vor der Schlichtungsstelle und auch vor Gericht allein gegen die Liegenschaftseigentümerin Elisabeth R*****, nicht aber gegen die Untervermieterin Barbara R***** geführt worden. Da Barbara R***** nach der dargelegten Ansicht des Rekursgerichtes im Gerichtsverfahren nicht mehr als Partei beigezogen werden kann, weil dies eine wegen § 39 Abs 1 MRG unzulässige Antragsänderung wäre, scheide auch die von der Judikatur für "echte" Mehrparteienverfahren entwickelte Möglichkeit eines Heilungsversuches durch Zustellung der erstgerichtlichen Entscheidung aus. Das Erstgericht hat daher im Ergebnis zu Recht den nur gegen die Vermieterin (Liegenschaftseigentümerin) gerichteten Antrag auf Feststellung der Hauptmietereigenschaft des Antragstellers abgewiesen, weil der Feststellungsmangel nach § 2 Abs 3 MRG nur gegen Vermieter und Untervermieter gemeinsam bestehen kann. Schon aus diesem Grund sei der Rekurs des Antragstellers gegen den erstinstanzlichen Sachbeschluss nicht berechtigt; ein Eingehen auf die Beweisrüge erübrige sich.

Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, dass der Revisionsrekurs zulässig sei; auf Grund der dargestellten Judikaturdifferenzen erscheine nämlich eine oberstgerichtliche Klarstellung zur Frage notwendig, ob die Beiziehung des bisher nicht in Anspruch genommenen Untervermieters im Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG noch im Gerichtsverfahren möglich ist.

Den rekursgerichtlichen Sachbeschluss ficht nunmehr der Antragsteller „aus den Gründen der Nichtigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung" an. Sein Revisionsrekurs enthält den Antrag, den angefochtenen Sachbeschluss entweder so abzuändern, dass der Antragsteller als Hauptmieter der verfahrensgegenständlichen Wohnung festgestellt wird, oder ihn – hilfsweise – aufzuheben (erforderlichenfalls auch den Sachbeschluss des Erstgerichtes) und die Sache zur ergänzenden Verhandlung unter Beiziehung der Untervermieterin Barbara R***** und neuerlichen Entscheidung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Die Antragsgegnerin hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig; er erweist sich iS seines Aufhebungsantrags auch als berechtigt.

Was den im Revisionsrekurs geltend gemachten Nichtigkeitsgrund betrifft, wird er vom Antragsteller offenbar darin erblickt, dass keine der Vorinstanzen von sich aus die formelle Untervermieterin dem Verfahren beigezogen hat („... sohin ist auch die Entscheidung des Rekursgerichtes mit Nichtigkeit behaftet"). Mit diesem beiläufigen Vorbringen wurde jedoch kein Rechtsmittelantrag verbunden. Auf dies Argument wird ohnehin noch einzugehen sein. Eines eigenen Ausspruchs, den Revisionsrekurs in diesem Punkt zurückzuweisen, bedurfte es nicht.

In der Sache selbst stützt sich der Rechtsmittelwerber im Wesentlichen auf jene höchstgerichtliche Judikatur, die es als zulässig erachtete, in einem „Streit" um die Anerkennung als Hauptmieter eine nicht schon dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle beigezogene Partei – wie hier etwa den formellen Untervermieter – dem Verfahren vor Gericht beizuziehen. Im Übrigen sei die formelle Untervermieterin – die Tochter der Antragsgegnerin – wenn auch nicht formell, so doch materiell durch die Antragsgegnerin selbst bzw deren Hausverwalter – die Kanzlei R – vertreten.

Dazu wurde erwogen:

Schon das Rekursgericht hat darauf hingewiesen, dass der OGH die im konkreten Fall als unzulässig erachtete Beiziehung des der Schlichtungsstelle in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG nicht genannten formellen Hauptmieters (des „Untervermieters") im nachträglich eingeleiteten gerichtlichen Verfahren ausdrücklich gebilligt hat (MietSlg 37.511). Diese Rechtsansicht hatte er im Übrigen schon in der Entscheidung MietSlg 35/18 zum Ausdruck gebracht, in der er dem Erstgericht auftrug, „die Untervermieterin als Partei beizuziehen und sodann in der Sache neu zu entscheiden". Davon ist der OGH auch später nicht abgerückt, sondern hat die jetzt in Frage gestellte Praxis mit dem Argument zu untermauern versucht, in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG (das er einem Mehrparteienverfahren gleichstellte) stelle sich oft erst im Lauf des Verfahrens heraus, wem Parteistellung und damit rechtliches Gehör zu gewähren sei (WoBl 1996/95). Da die nachträgliche Beiziehung des Untervermieters durch das mit einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG befasste Gericht nie abgelehnt wurde, kann von einer echten Judikaturdifferenz in dieser Frage keine Rede sein. Dem Rekursgericht ist jedoch beizupflichten, dass die Gründe der Entscheidung WoBl 1996/95, in der ausgesprochen wurde, in einem dem Zivilprozess nachgebildeten Zweiparteienverfahren nach § 37 Abs 1 MRG (im Anlassfall nach Z 8 leg cit) müssten Parteien, die wie notwendige Streitgenossen zueinander stünden, schon dem Verfahren vor der Schlichtungsstelle beigezogen worden sein, um später vor Gericht agieren zu können, nicht mit jener Judikatur harmonieren, die einerseits Hauseigentümer und Untervermieter in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG wie notwendige Streitgenossen behandelt (MietSlg 50.268), solange deren formelles Mietverhältnis aufrecht ist (MietSlg 38/37), andererseits die nachträgliche Beiziehung des nicht am Verfahren vor der Schlichtungsstelle beteiligten „Streitgenossen" durch das Gericht zulässt.

An der Zulässigkeit der nachträglichen Beiziehung ist jedoch auch dann festzuhalten, wenn man aus den nach wie vor überzeugenden Gründen der Entscheidung MietSlg 50.268 die Parteien des formellen Hauptmietverhältnisses – Hauseigentümer und Untervermieter – wie notwendige Streitgenossen behandelt. Das bedeutet nur, dass eine für beide Parteien gleichlautende Entscheidung zu fällen ist und keine Teilentscheidung ergehen darf, weshalb vor einer Entscheidung – sei es durch die Schlichtungsstelle oder das Gericht - beide dem Verfahren beizuziehen sind, doch ist eine Anrufung des Gerichtes bei obligatorisch vorgeschalteter Schlichtungsstelle auch dann möglich, wenn die Schlichtungsstelle – wie im gegenständlichen Fall - keine Entscheidung gefällt hat (§ 40 Abs 2 MRG). Es muss nur vorher das Verfahren (§ 39 Abs 1 MRG), nämlich die „Sache" (§ 40 Abs 1 MRG) bei der Schlichtungsstelle anhängig gemacht worden sein. Dann bei Gericht die nachträgliche Beiziehung eines vergessenen „Streitgenossen" nicht zuzulassen, würde dem Zweck eines erleichterten Rechtszugangs zuwiderlaufen, den der Gesetzgeber mit der Verweisung der in § 37 Abs 1 MRG angeführten Mietrechtssachen ins außerstreitige Verfahren beabsichtigte. Soweit bezogen auf den hier zu beurteilenden Fall aus der Entscheidung WoBl 1996/65 = 5 Ob 49/95 (die ohnehin an der Zulässigkeit einer nachträglichen Beiziehung des Untervermieters in einem Verfahren nach § 37 Abs 1 Z 1 MRG festhielt) Gegenteiliges herausgelesen werden kann, sind deren Argumente nicht aufrecht zu erhalten.

Damit erweist sich der vom Rekursgericht für die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses herangezogene Grund als nicht tragfähig. Es wird sich mit den Möglichkeiten einer Sanierung des aufgezeigten Verfahrensfehlers bzw mit der bislang nicht erledigten Beweisrüge des Antragstellers zu befassen haben.