JudikaturJustiz5Ob132/22f

5Ob132/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. C* W*, 2. S* S*, 3. F* M*, alle vertreten durch Dr. Harald Schwendinger, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Mag. S* H*, vertreten durch Mag. Carl Handlechner, Rechtsanwalt in Salzburg, 2. F* H*, vertreten durch Mag. Klaudius May, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Ausschließung eines Wohnungseigentümers (Streitwert 15.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 5. Mai 2022, GZ 53 R 48/22y 41, mit dem über die Berufungen der erstbeklagten und der zweitbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Hallein, vom 22. Dezember 2021, GZ 2 C 169/21b 26, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die Parteien haben die ihnen im Rekursverfahren entstandenen Verfahrenskosten jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Gegenstand des Verfahrens ist die auf § 36 WEG gestützte Klage der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer, die Beklagten aus der Wohnungseigentumsgemeinschaft auszuschließen. Die Erstbeklagte ist Wohnungseigentümerin zweier Wohnungen und einer Werkstätte, bei der eine Eigentümerpartnerschaft mit dem Zweitbeklagten besteht.

[2] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[3] Die Beklagten seien Eigentümerpartner, der von einem Partner verwirklichte Ausschließungsgrund führe daher zum Ausschluss beider.

[4] Die Erstbeklagte habe auf die für die Eigentümergemeinschaft geführten Betriebskosten und Rücklagenkonten keine Zahlungen geleistet. Allfällige Zahlungen auf ein anderes Konto und auf Rücklagensparbücher seien nicht schuldbefreiend gewesen. Zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung habe die Erstbeklagte daher die vorgeschriebenen Rücklagen von September 2018 bis September 2021 und die Betriebskostenakkontierungen von September 2018 bis Oktober 2021 nicht geleistet. Die Zahlungsverweigerung der Erstbeklagten sei als beharrlich einzustufen.

[5] Ein Rückstandsbeschluss nach § 36 Abs 2 WEG habe jedenfalls für die Rücklagenforderung nicht gefasst werden müssen, weil die Beklagten diese weder dem Grunde noch der Höhe nach substantiiert bestritten hätten. Der während der letzten Tagsatzung vor Schluss der Verhandlung beim Rechnungsführer des Erstgerichts mit der Intention der gerichtlichen Hinterlegung der Betriebskosten und der Rücklagenschuld zugunsten der Eigentümergemeinschaft getätigten Zahlung komme mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nach § 1425 ABGB keine schuldbefreiende Wirkung zu.

[6] Die Erstbeklagte habe daher die ihr obliegenden Zahlungen bis zum Schluss der dem erstinstanzlichen Urteil vorangehenden Verhandlung nicht geleistet. Damit sei der Ausschlussgrund nach § 36 Abs 1 Z 1 WEG erfüllt. Die Beweisaufnahme zu den weiteren geltend gemachten Ausschlussgründen habe sich daher erübrigt.

[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Erstbeklagten und des Zweitbeklagten Folge und hob das Urteil des Erstgerichts auf.

[8] Der Ausschließungsgrund der Nichtleistung der Zahlungen iSd § 36 Abs 1 Z 1 WEG erfordere kein Verschulden, sodass objektiver Verzug für die Erfüllung des Tatbestands ausreiche. Die Klage sei abzuweisen, wenn der Rückstand bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz vollständig beglichen werde. Die Ausschlussklage sei dabei im Gegensatz zur Parallelbestimmung nach § 33 Abs 2 MRG bei rechtzeitiger Zahlung auch dann abzuweisen, wenn den Beklagten am Rückstand grobes Verschulden treffe. Das Gesetz gewähre dem Betroffenen daher immer eine – durch die Prozesskosten erkaufte – Nachfrist für die Zahlung.

[9] Wenn strittig sei, welche Zahlungen der Auszuschließende zu leisten habe, sei hierüber abgesondert zu verhandeln und mit separatem Beschluss zu entscheiden. Das Tatbestandsmerkmal der „Strittigkeit“ sei schon bei widerstreitenden Behauptungen der Prozessparteien verwirklicht. Die Unterlassung der Beschlussfassung bewirke daher einen Verfahrensmangel.

[10] Keiner gesonderten Beschlussfassung nach § 36 Abs 2 WEG bedürfe es nur dann, wenn der rückständige Zahlungsbetrag nicht mehr strittig sei, der Wohnungseigentümer also wisse, welchen Betrag er schulde. Ein solcher Fall liege hier – entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts – aber nicht vor. Das parallel abgeführte Verfahren über die rückständigen Betriebskosten sei zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen. Es habe daher keine rechtskräftige Entscheidung gegeben, aus der auf den strittigen Betriebskostenrückstand geschlossen werden hätte können. Wer meine, allein der Umstand, dass die Erstbeklagte ohnehin keinerlei Zahlungen an die Verwalter des Betriebskostenkontos und des Rücklagenkontos geleistet habe, führe zum Ausschluss der Beklagten, übersehe die mit § 36 Abs 2 WEG gesetzlich eingeräumte Nachfrist für die Zahlung. Das Erstgericht habe es der Erstbeklagten verwehrt, nach abgesonderter Verhandlung über den Rückstand und Fällung eines separaten Beschlusses über denselben, dem Ausschluss durch Zahlung zuvorzukommen. Dies bilde den von beiden Beklagten – unschädlich unter dem falsch bezeichneten Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung – geltend gemachten Verfahrensmangel.

[11] Im fortgesetzten Verfahren werde das Erstgericht über die Höhe, Zusammensetzung und Rechtfertigung der Rückstände an Betriebskosten und Rücklagen für die einzelnen Wohnungseigentumsobjekte zu verhandeln, den in § 36 Abs 2 WEG genannten Beschluss zu fällen und nach Zustellung des Beschlusses eine (letzte) Tagsatzung auf eine Art anzuberaumen haben, dass den Beklagten eine Nachfrist zur Nachzahlung des festgestellten Rückstands bleibe. Eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB sei dabei nicht gerechtfertigt und könne daher zu keiner Zahlung von Rückständen durch die Beklagten geführt haben.

[12] Das Berufungsgericht ließ den Rekurs gegen seinen Aufhebungsbeschluss zu, weil das Ausschließungsverfahren generell und die Beschlussfassung über den Rückstand im Besonderen in der Rechtsprechung weitgehend unbehandelt geblieben sei, und die Rechtsfrage, ob im konkreten Fall eine solche Beschlussfassung notwendig sei und wie diese zu erfolgen habe, die Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufweise.

[13] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Kläger (sinngemäß) mit dem Antrag, die klagestattgebende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[14] Die Erstbeklagte und der Zweitbeklagte beantragen in ihren Rekursbeantwortungen jeweils, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

[15] Der Rekurs ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 Satz 2 ZPO) – nicht zulässig und zurückzuweisen, weil er keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

Rechtliche Beurteilung

[16] 1. Ein Wohnungseigentümer ist auf Klage der Mehrheit der übrigen Wohnungseigentümer aus der Gemeinschaft auszuschließen, wenn er seinen Pflichten aus der Gemeinschaft nicht nachkommt, insbesondere die ihm obliegenden Zahlungen auch nicht bis zum Schluss der dem erstinstanzlichen Urteil vorangehenden Verhandlung leistet (§ 36 Abs 1 Z 1 WEG).

[17] Für den Ausschließungstatbestand der Nichterfüllung von Pflichten aus der Gemeinschaft insbesondere durch Nichtleistung der obliegenden Zahlungen genügt der objektive Verzug; Verschulden ist nicht erforderlich (8 Ob 527/77 MietSlg 29.515/29; RIS Justiz RS0083065).

[18] 2. Ist strittig, welche Zahlungen der beklagte Wohnungseigentümer zu leisten hat, so ist darüber abgesondert zu verhandeln und mit Beschluss zu entscheiden. Zahlt der beklagte Wohnungseigentümer vor Schluss der dem erstinstanzlichen Urteil vorangehenden Verhandlung den geschuldeten Betrag, so ist die Klage abzuweisen; der beklagte Wohnungseigentümer hat jedoch die Kosten des Verfahrens zu ersetzen, soweit ihn ohne Zahlung eine Kostenersatzpflicht getroffen hätte (§ 36 Abs 2 WEG).

[19] Zahlt der beklagte Wohnungseigentümer bis zum Schluss der Verhandlung, so ist die Klage – im Gegensatz zu § 33 Abs 2 und 3 MRG – auch dann abzuweisen, wenn ihn ein grobes Verschulden am Rückstand trifft. Diese von den Rekurswerbern aufgeworfene Rechtsfrage lässt sich nicht nur unmittelbar aufgrund des klaren Gesetzeswortlauts zweifelsfrei lösen, auch der Oberste Gerichtshof hat zu 8 Ob 527/77 (MietSlg 29.515/29) zur im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängerbestimmung des § 22 Abs 1 Z 1 WEG 1975 schon ausgesprochen, dass für die Aufhebung dieses Ausschließungsgrundes der Nachweis eines mangelnden groben Verschuldens nicht erforderlich ist (8 Ob 527/77 = RS0083068).

[20] Diese Rechtsfrage vermag daher die Zulässigkeit des Rekurses iSd § 502 Abs 1 ZPO iVm § 519 Abs 2 ZPO nicht zu begründen (vgl RS0042656; RS0103384).

[21] 3. Für die Frage, was unter dem „geschuldeten Betrag“ zu verstehen ist, ist wegen der insoweit wörtlichen Nachbildung der Bestimmung des § 33 Abs 2 MRG die zu dieser Bestimmung bestehende Rechtsprechung heranzuziehen. Maßgeblich ist, was von den Ausschließungsklägern in der Klage und im Lauf des Verfahrens als die Ausschließung begründender Zahlungsrückstand geltend gemacht wird (5 Ob 308/01g = RS0116608).

[22] Bei Strittigkeit dieses Zahlungsrückstands kommt eine Entscheidung über das Ausschließungsbegehren erst dann in Betracht, wenn rechtskräftig geklärt ist, welche Zahlungen der beklagte Wohnungseigentümer zu leisten hat, und sich beurteilen lässt, ob vor Schluss der dem Urteil des Gerichts erster Instanz vorangehenden Verhandlung der geschuldete Betrag bezahlt wurde (5 Ob 308/01g = RS0083054 [T2]).

[23] Sind die noch zu leistenden Zahlungen – dem Grunde (RS0070416) und/oder der Höhe nach – strittig, ist demnach ein Beschluss iSd § 36 Abs 2 WEG zu fassen. Einer solchen gesonderten Entscheidung iSd § 36 Abs 2 WEG vor Entscheidung über das Ausschließungsbegehren bedarf es freilich nicht, wenn bereits eine rechtskräftige Entscheidung über den zum Gegenstand des Ausschließungsbegehrens gemachten Zahlungsrückstand vorliegt (5 Ob 174/08m = RS0070435 [T3]; 5 Ob 308/01g = RS0116608).

[24] 4. Nicht strittig iSd § 36 Abs 2 WEG ist auch ein vom beklagten Wohnungseigentümer anerkannter (Teil )Betrag des Zahlungsrückstands, sodass sich eine gesonderte Beschlussfassung nach § 36 Abs 2 WEG insofern erübrigt, als der anerkannte Betrag vor Schluss der Verhandlung entrichtet worden sein muss, um den Ausschluss abzuwehren (zur vergleichbaren Bestimmung des § 33 Abs 2 MRG: RS0070298; RS0069149 [T1]).

[25] Die Beurteilung, ob der beklagte Wohnungseigentümer den zum Gegenstand des Ausschließungsbegehrens gemachten Zahlungsrückstand (zum Teil) im Verfahren in dem Sinn anerkannt hat, dass dieser (zum Teil) nicht mehr strittig iSd § 36 Abs 2 WEG ist, ist nach den Prozesserklärungen im Einzelfall vorzunehmen. Dieser Frage kommt daher in der Regel keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu.

[26] Eine vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigen die Kläger in ihrem Rekurs nicht auf. Die Strittigkeit der noch zu leistenden Zahlungen ergibt sich hier – losgelöst von den sonstigen Prozessstandpunkten der Beklagten, wie insbesondere die Behauptung, die Erstbeklagte habe während des Streits um die Neuordnung der Aufgabenverteilung im Rahmen der Selbstverwaltung (vgl 5 Ob 207/19f) schuldbefreiend Rücklagen auf Sparbücher gezahlt – schon allein aus dem Streit um die gerichtliche Hinterlegung. Die Erstbeklagte will ja zum Zweck der Nachzahlung der ihr vorgeworfenen Zahlungsrückstände und damit zur Abwendung der Ausschließung beim Rechnungsführer des Erstgerichts die ihrer Auffassung nach höchstens offen aushaftenden Beträge für Betriebskosten und Rücklagen erlegt haben.

[27] Die gerichtliche Hinterlegung nach § 1425 ABGB befreit, wenn sie rechtmäßig geschehen und dem Gläubiger bekannt gemacht worden ist, den Schuldner von seiner Verbindlichkeit. Sie ist damit auf die Schuldbefreiung des Erlegers gerichtet (RS0033640 [T3]) und soll dem leistungsbereiten Schuldner, der sich aus wichtigen Gründen nicht von seiner Schuld befreien kann, als Erfüllungssurrogat dienen (RS0033636 [T6]). Dem Versuch der gerichtlichen Hinterlegung nach § 1425 ABGB geht somit die Behauptung der Beklagten einher, die Zahlungsverpflichtungen der Erstbeklagten seien erfüllt.

[28] Behauptet der beklagte Wohnungseigentümer eine schuldbefreiende gerichtliche Hinterlegung nach § 1425 ABGB, ist strittig, ob er noch Zahlungen zu leisten hat. Daran ändert sich auch nichts, sollte dem Erlag der Erstbeklagten die behauptete Erfüllungs und damit Befreiungswirkung – wie von den Vorinstanzen übereinstimmend vertreten – mangels der gesetzlichen Voraussetzungen für eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB tatsächlich nicht zukommen. Auf die Berechtigung der Bestreitung der Zahlungspflicht durch den beklagten Wohnungseigentümer oder auch nur deren Erfolgsaussichten kommt es nicht an. Darüber ist vielmehr iSd § 36 Abs 2 WEG abgesondert mit Beschluss zu entscheiden.

[29] 5. Der behauptete Rekursgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft; er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 528a ZPO).

[30] Die Bestimmung des § 36 Abs 2 WEG ist eine reine Verfahrensvorschrift, deren Nichtbeachtung mit dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu rügen ist (5 Ob 174/08m = RS0043204 [T1]; RS0042358). Es kommt dabei allerdings nicht darauf an, wie die geltend gemachten Berufungsgründe bezeichnet werden, sondern darauf, welchem Berufungsgrund die Ausführungen im Rechtsmittel zuzuzählen sind (RS0111425; RS0041851).

[31] Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagten in ihren Berufungen die Unterlassung der Beschlussfassung nach § 36 Abs 2 WEG der Sache nach als Verfahrensmangel gerügt haben, ist keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[32] 6. Der Rekurs war somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO iVm § 519 Abs 2 ZPO zurückzuweisen.

[33] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit eines Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nicht statt (RS0123222; RS0035976 [T2]). Der Rekurs der Kläger wurde als unzulässig zurückgewiesen, die Beklagten haben auf diese Unzulässigkeit aber nicht hingewiesen; beide Parteien haben ihre Kosten daher selbst zu tragen (RS0123222 [T8]).

Rechtssätze
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