JudikaturJustiz5Ob12/12v

5Ob12/12v – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden und die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Grundbuchsache betreffend die Verbücherung des Anmeldungsbogens GZ A 143/98 des Vermessungsamtes Leibnitz vom 19. Mai 1998, über den Revisionsrekurs der M***** K*****, geboren am *****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Mag. Werner Diebald, Mag. Kuno Krommer, Rechtsanwälte in Köflach, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 31. August 2011, AZ 4 R 71/11g, womit infolge des Rekurses der M***** K*****, wie vor, der Beschluss des Bezirksgerichts Mureck vom 29. Juni 1998, TZ 881/98 (3 Nc 19/98k), bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanezn werden aufgehoben und die Grundbuchsache an das Bezirksgericht Bad Radkersburg zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Aufgrund eines Anmeldungsbogens des Vermessungsamts Leibnitz vom 19. 5. 1998, GZ A 143/98, eines Plans des DI Alexander L***** vom 24. 10. 1996, GZ 14.515, und des Bescheids des Vermessungsamts Leibnitz vom 18. 9. 1997, GZ P 289/97, ordnete das (später durch § 1 der Bezirksgerichte-Verordnung Steiermark, BGBl II 2002/82, mit dem Bezirksgericht Bad Radkersburg zusammengelegte) Bezirksgericht Mureck mit Beschluss vom 29. 6. 1998, 3 Nc 19/98k, zur Verbücherung der Anlage „KG ***** Weg Grundstück 1365, 1301/2, 1303/16; KG ***** Teil des Weges 1083/2“ gemäß §§ 15 ff LiegTeilG aF von Amts wegen in der EZ 286 KG ***** die lastenfreie Abschreibung des Trennstückes 9 aus dem Grundstück 162/4 und dessen Zuschreibung zur EZ 50000 öffentliches Gut (Straßen und Wege) unter gleichzeitiger Einbeziehung in das Grundstück 1301/2 sowie die Löschung des Grundstückes 162/4 an.

Zu Gunsten der Revisionsrekurswerberin sind ob der Liegenschaften EZ 286 KG ***** ein Vorkaufsrecht sowie ein Fruchtgenussrecht verbüchert. Der Beschluss des Bezirksgerichts Mureck wurde ihr erst am 15. 2. 2011 zugestellt.

In ihrem Rekurs machte die grundbücherliche Berechtigte geltend, es sei mit ihr weder ein Einvernehmen über die Rechtsabtretung bzw den Rechtsverlust hergestellt worden, noch habe jemals ein förmliches Enteignungsverfahren stattgefunden. Die Voraussetzungen für das vereinfachte Verfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG hätten nicht vorgelegen, weil es sich bei den von der Abschreibung betroffenen Grundstücken nicht ausschließlich um Weganlagen handle; der Anmeldungsbogen decke sich nicht mit dem Bescheid des Vermessungsamts. „Für den Fall der rechtskräftigen Verwerfung (Ab bzw Zurückweisung)“ ihres Rekurses erhob die Buchberechtigte auch „Einspruch gemäß § 20 LiegTeilG“.

Das Rekursgericht sprach aus, dass das Rechtsmittel, soweit darin der Einwand erhoben werde, die Rekurswerberin sei in ihren bücherlichen Rechten verletzt worden, weil kein Einvernehmen über die Rechtsabtretung bzw den Rechtsverlust vorliege, als Einspruch iSd § 20 LiegTeilG idF der GB Novelle 2008 zu behandeln sei und die Entscheidung hierüber dem Erstgericht zukomme (Punkt 1a des Spruchs). Im Übrigen gab es dem Rekurs keine Folge (Punkt 1b). Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 20 LiegTeilG in der durch die GB Novelle 2008 geänderten Fassung nicht vorliege. Insbesondere fehle Rechtsprechung, wie „mit dem doppelgleisigen Rechtsschutzssystem vorzugehen sei“.

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs der bücherlichen Berechtigten ist zulässig und berechtigt, weil die Auslegung der Übergangsbestimmung des § 39 Abs 5 LiegTeilG idF Art III Z 12 BGBl I 2008/100 durch das Rekursgericht korrekturbedürftig ist.

Rechtliche Beurteilung

1. Dem angefochtenen Beschluss des Bezirksgerichts Mureck liegt ein Anmeldungsbogen des Vermessungsamts Leibnitz zugrunde. Zutreffend ist das Rekursgericht daher davon ausgegangen, dass auf das Rechtsmittelverfahren die Vorschriften des Verfahrens außer Streitsachen zur Anwendung kommen. Da das Datum der Entscheidung erster Instanz vor dem 31. 12. 2004 liegt, sind nach der Übergangsvorschrift des § 203 Abs 7 AußStrG BGBl I 2003/111 die Bestimmungen des Außerstreitgesetzes 2005 über das Rekurs und Revisionsrekursverfahren hier noch nicht anzuwenden. Das Rechtsmittelverfahren ist daher einseitig.

2. Das Vermessungsamt hat im Anmeldungsbogen bestätigt, dass es sich bei den fraglichen Grundstücken um eine Weganlage handelt. Soweit die Buchberechtigte daher ihre bereits im Rekursverfahren vertretene Ansicht wiederholt, es wäre Aufgabe des Grundbuchsgerichts gewesen, zu prüfen, ob die von der Anmeldung betroffenen Grundstücke tatsächlich zu den in § 15 LiegTeilG aufgezählten Grundstücken gehören, genügt es ihr kurz zu erwidern, dass es sich beim Verfahren nach §§ 15 ff LiegTeilG um ein reines Urkundenverfahren handelt, weswegen sich die für die Verbücherung maßgeblichen Umstände aus den Urkunden selbst zu ergeben haben (RIS Justiz RS0066243 [T1]). Eine inhaltliche Prüfung der Richtigkeit der vorgelegten Urkunden ist nicht vorzunehmen (RIS Justiz RS0066286). Die vom Vermessungsamt bestätigte Tatsache, dass eine Anlage gemäß §§ 15 ff LiegTeilG vorliegt bzw die abzuschreibende Teilfläche für die Herstellung einer Anlage nach diesen Bestimmungen verwendet wird, kann nicht mehr überprüft werden (RIS Justiz RS0066286 [T2]). Dass die Verbücherung des Anmeldungsbogens mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht durchzuführen gewesen wäre, wird auch im Revisionsrekursverfahren nicht dargelegt.

3. Die Buchberechtigte wendet sich auch gegen die Auffassung des Rekursgerichts, sie sei mit ihrem Einwand, es fehle am Einvernehmen über die Rechtsabtretung bzw den Rechtsverlust, auf den mit BGBl I 2008/100 (GB Novelle 2008) neu geschaffenen Einspruch nach § 20 LiegTeilG zu verweisen und zeigt dabei eine fehlerhafte Interpretation der Übergangsbestimmungen der GB Novelle 2008 durch das Rekursgericht auf.

4. Das LiegTeilG behandelt in den §§ 15 ff Sonderbestimmungen für die Verbücherung von Straßen , Weg , Eisenbahn und Wasserbauanlagen, die in der bis zur GB Novelle 2008 geltenden Fassung für geringfügige Veränderungen eine Art grundbücherliches „Bagatell“ Verfahren vorsahen (siehe dazu Mahrer in Kodek , Grundbuchsrecht § 18 LiegTeilG [aF] Rz 4). Diese Regelungen haben durch die GB Novelle 2008 eine tiefgreifende Änderung erfahren. Der Anwendungsbereich des Sonderverfahrens wurde erweitert, sodass es nunmehr unabhängig vom Wert des von der Anlage betroffenen Grundstücks anwendbar ist. Auch wurde der Katalog der zu verbüchernden Grundstücke ausgedehnt (Näheres dazu bei Rassi , Die Grundbuchsnovelle 2008: Ein Überblick, NZ 2008/61, 226 [234]; Auinger , Die Grundbuchs Novelle 2008, ÖJZ 2009/2, 5 [12]). Im Bereich des Rechtsschutzes für die Beteiligten erfolgte die Einführung eines Einspruchsverfahrens nach dem Vorbild des § 14 LiegTeilG aF. Mit diesem Einspruch kann der Eigentümer oder ein Buchberechtigter binnen 30 Tagen die Verletzung seiner bücherlichen Rechte geltend machen. Inhaltlich sind die Einwendungen beschränkt: Nur das fehlende Einvernehmen bzw die fehlende Enteignung kann im Einspruch aufgezeigt werden (§ 20 Abs 1 Satz 1 LiegTeilG nF; Auinger aaO, 13; Rassi in Kodek , Grundbuchsrecht ErgBd §§ 15 20 LiegTeilG Rz 8; ders NZ 2008, 226 [235]).

5. Die Neuregelung des Sonderverfahrens nach den §§ 15 ff LiegTeilG trat mit 1. 1. 2009 in Kraft. Gleichzeitig trat § 17 LiegTeilG, der die Wertgrenzen für das Sonderverfahren alter Prägung (Bagatellverfahren) enthielt, außer Kraft (§ 39 Abs 2 LiegTeilG). Die Bestimmung des § 20 LiegTeilG, die den Einspruch regelt, stellt dabei unzweifelhaft eine verfahrensrechtliche Norm dar. Verfahrensgesetze sind grundsätzlich immer nach dem letzten Stand anzuwenden (RIS Justiz RS0008733). Ein laufendes Verfahren ist daher, soweit nicht Übergangsbestimmungen etwas anderes anordnen, vom Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschrift an nach den neuen Verfahrensgesetzen fortzusetzen und zu beenden (4 Ob 12/06b SZ 2006/37; 8 Ob 89/06f; 1 Ob 234/09g; Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 § 503 ZPO Rz 203). Eine „Rückwirkung“ von Verfahrensgesetzen auf Verfahrensschritte, die zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten einer neuen Verfahrensregelung gesetzt wurden, kommt ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht in Betracht (8 Ob 89/06f; 1 Ob 234/09g).

6. Nach § 39 Abs 5 LiegTeilG sind ua die §§ 15, 16, 18 und 20 idF des Bundesgesetzes BGBl I 2008/100 (GB Novelle 2008) nach dem 31. 12. 2008 auch dann anzuwenden und § 17 nach diesem Zeitpunkt auch dann nicht mehr anzuwenden, wenn der Anmeldungsbogen vor dem 1. 1. 2009 beim Grundbuchsgericht eingelangt ist. Das Rekursgericht leitet daraus ab, dass die Rechtsmittelwerberin mit ihrem Einwand, es fehle am Einvernehmen über die Rechtsabtretung bzw den Rechtsverlust, auf den mit dieser Novelle neu geschaffenen Einspruch zu verweisen ist, weil ihr der Beschluss vom 29. 6. 1998 erst am 15. 2. 2011 zugestellt wurde. Diese Auffassung kann indes nicht geteilt werden.

7. § 39 Abs 5 LiegTeilG differenziert hinsichtlich der durch die GB Novelle 2008 geänderten Bestimmungen nicht, sondern erklärt die gesamten Neuregelungen für das Sonderverfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG für anwendbar, wenn der Anmeldungsbogen vor dem 1. 1. 2009 beim Grundbuchsgericht eingelangt ist. Eine Rückwirkung des Regelungsregimes nach der GB Novelle 2008 auch auf Fälle, in denen das Datum der Beschlussfassung über den Anmeldungsbogen vor dem 1. 1. 2009 liegt, hätte somit zur Folge, dass die Entscheidung wie hier jene des Bezirksgerichts Mureck insgesamt an der mit der GB Novelle 2008 neu geschaffenen Rechtslage zu messen wäre. Ein solches Ansinnen kann dem Gesetzgeber der GB Novelle 2008 nicht unterstellt werden. Damit kann die Rückwirkungsanordnung der Übergangsbestimmung des § 39 Abs 5 LiegTeilG auch nicht so verstanden werden, dass die §§ 15 ff LiegTeilG idF der GB Novelle 2008 auch dann anzuwenden sind, wenn nicht nur der Anmeldungsbogen vor dem 1. 1. 2009 beim Grundbuchsgericht einlangte, sondern dieses auch seine Entscheidung über diesen vor dem 1. 1. 2009 getroffen hat. Aus § 39 Abs 5 LiegTeilG kann daher eine ausdrückliche Anordnung einer Rückwirkung der Verfahrensbestimmung des § 20 LiegTeilG auch auf Fälle der Beschlussfassung vor dem 1. 1. 2009 nicht abgeleitet werden. Der Oberste Gerichtshof hat zum Liegenschaftsteilungsgesetz in einem ähnlich gelagerten Fall auch bereits ausgesprochen, dass die erst nach Verfahrenseinleitung und nach der Entscheidung des Grundbuchsgerichts in Kraft getretene Rechtslage nach der GB Novelle 2008 nicht anzuwenden ist und es insoweit bei der Rechtslage vor dieser Novelle zu bleiben hat (5 Ob 192/09k).

8. Zusammengefasst ergibt sich damit, dass die Buchberechtigte wegen der bereits vor dem 1. 1. 2009 erfolgten Beschlussfassung über den Anmeldungsbogen mit ihren Einwendungen nicht auf den erst mit der GB Novelle 2008 geschaffenen Einspruch verwiesen werden kann. Insoweit ist von den in 5 Ob 108/06b (= NZ 2007/677 [zustimmend Hoyer ] = Zak 2007/79, 53) zum Verfahren nach den §§ 15 ff LiegTeilG aF entwickelten Grundsätzen auszugehen. Danach stand der Rechtsmittelwerberin als Buchberechtigter auch noch im Rekursverfahren der Einwand offen, es sei weder Einvernehmen über die Rechtsabtretung bzw ein Rechtsverlust noch ein Enteignungsverfahren erfolgt. Aufgrund der zu Recht in den Rekurs aufgenommenen Einwendungen der Buchberechtigten hat das Grundbuchsgericht den Beteiligen die Möglichkeit zu eröffnen, das erzielte Einvernehmen urkundlich nachzuweisen. Das hat zur Behebung des Beschlusses des Bezirksgerichts Mureck zu führen. Weitere vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfragen zur „Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzsystems“ stellen sich schon mangels Anwendbarkeit des § 20 LiegTeilG idF der GB Novelle 2008 nicht.

Rechtssätze
4