JudikaturJustiz5Ob116/21a

5Ob116/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J*, vertreten durch Dr. Karl Schelling, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei D*, vertreten durch Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in Dornbirn, wegen Feststellung und Zustimmung über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 6. April 2021, GZ 3 R 98/21s 30, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 21. Dezember 2020, GZ 3 C 579/20f 23, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 1.332,54 EUR (darin enthalten 222,09 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte ist Eigentümerin zweier Liegenschaften. Eine Rechtsvorgängerin der Klägerin nahm vor über 30 Jahren von den Rechtsvorgängern der Beklagten diese unbebauten Liegenschaften zur Errichtung und Betrieb eines Büros, Lagers und Betriebsgebäudes in Bestand. Die von ihr errichteten Anlagen und Baulichkeiten sollten in ihrem alleinigen und unbeschränkten Eigentum bleiben. Die Bestandgeber gingen bei Abschluss des Bestandvertrags selbst davon aus, dass die Bestandnehmerin während der Dauer des Bestandverhältnisses mit den Liegenschaften nach Gutdünken verfahren und sie für jeglichen gewerblichen Zweck nutzen könne. Bestandrecht und Superädifikat wurden im Grundbuch eingetragen.

[2] Die Klägerin begehrt als derzeitige Bestandnehmerin – soweit noch relevant – die Feststellung ihrer Berechtigung, das Betriebsgebäude auf eigene Kosten für Geschäftszwecke umzubauen (Punkt 1 des Klagebegehrens) oder abzubrechen und neue Gebäude für geschäftliche Zwecke auf ihre Kosten zu errichten (Punkt 2 des Klagebegehrens) sowie jeweils in Punkt 1 und 2 die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten, in diesem Zusammenhang ihre Zustimmung gegenüber der Baubehörde zu erteilen.

[3] Das Erstgericht gab dem Feststellungsbegehren (teilweise) statt. Das Leistungsbegehren auf Verpflichtung der Beklagten, gegenüber der Baubehörde einem konkreten Bauprojekt zuzustimmen, wies es unbekämpft ab.

[4] Das Berufungsgericht gab den Feststellungsbegehren statt, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigend und ließ die Revision zu, weil Rechtsprechung zu der Frage fehle, ob eine Vertragsgestaltung wie im vorliegenden Fall durch Einräumung des jeweils auch mehrfach auszuübenden Rechts zur Weitergabe des Bestandrechts und zur Bauführung auf den in Bestand gegebenen Liegenschaften im Zusammenhang mit der Anwendung der Kündigungsbeschränkungen des MRG zu einer gesetzwidrigen, einem „geteilten Eigentum“ ähnlichen Rechtsstellung des Bestandnehmers führe.

[5] Die – beantwortete – Revision der Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[6] 1. Gebäude sind grundsätzlich unselbständig und daher sonderrechtsunfähige Bestandteile der Liegenschaft, auf der sie errichtet werden (RIS Justiz RS0009946). Sonderrechtsfähig sind Superädifikate (§ 435 ABGB) als Gebäude, die nicht in der Absicht errichtet wurden, dauernd auf dem Grund zu bleiben (RS0009939). Die fehlende Belassungsabsicht äußert sich entweder im äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes oder in den zwischen dem Grundeigentümer und dem Errichter bestehenden Rechtsverhältnissen (RS0015107; RS0011252).

[7] 2. Die ständige Rechtsprechung wendet die Kündigungsschutzbestimmungen des MRG analog auf die Miete von Grundstücken zur Errichtung von Wohn und Geschäftsräumen an (RS0069261; RS0020986; RS0069454).

[8] 3.1 Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, wirft nur dann eine erhebliche Rechtsfrage auf, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis vorliegt (RS0042936).

[9] 3.2 Gegen das vom Berufungsgericht erzielte Auslegungsergebnis zum vertraglich eingeräumten Recht der Bestandnehmerin, – von ihr errichtete – Baulichkeiten abzureißen und neu zu errichten, wendet die Beklagte in ihrer Revision inhaltlich nichts ein. Sie bekämpft die im Bestandvertrag enthaltene Bauführungsklausel jedoch als gesetzlich unzulässig oder sittenwidrig (§ 879 Abs 1 ABGB) und gröblich benachteiligend (§ 879 Abs 3 ABGB), offenbar mit dem Ziel einer Teilnichtigkeit des Bestandvertrags. In ihrer Argumentation zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[10] 4.1 Sie sieht die Bauführungsklausel – in Verbindung mit dem vertraglich eingeräumten Weitergaberecht – im Ergebnis als gesetzlich unzulässiges „ewiges Baurecht“, das dem im Sachenrecht geltenden Typenzwang widerspreche.

[11] 4.2 Die gesetzliche Befristung eines Baurechts auf maximal 100 Jahre (§ 3 Abs 1 BauRG) nutzt ihrem Standpunkt nichts. Um Bauten auf fremden Grund zu errichten, stehen die Rechtsinstitute des Superädifikats und des Baurechts zur Verfügung. Letzteres ist zufolge § 1 Abs 1 BauRG ein dingliches Recht, das nach § 5 Abs 1 BauRG mit der Verbücherung im Lastenblatt der Liegenschaft begründet und Dritten gegenüber wirksam wird. Das Bauwerk selbst ist Zugehör des Baurechts (§ 6 Abs 1 BauRG).

[12] 4.3 Es wäre den Rechtsvorgängern der Bestandgeberin freigestanden, ein zeitlich befristetes Baurecht einzuräumen, anstelle einen unbefristeten Bestandvertrag mit dem Ziel der Errichtung eines – im Vertrag und im erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten (ON 8 S 1) ausdrücklich als solches bezeichneten – Superädifikats zu schließen. Die in der Revision zitierte Entscheidung 5 Ob 193/19x betrifft die für die Verbücherung eines Fruchtgenussrechts als unregelmäßige Grunddienstbarkeit vorausgesetzte zeitliche Beschränkung eines solchen Nutzungsrechts und damit ein ganz anderes Rechtsinstitut als Superädifikat oder Baurecht.

[13] 4.4 Der Abschluss eines unbefristeten Bestandvertrags schließt nach der Rechtsprechung die Begründung eines Superädifikats nicht zwingend aus (5 Ob 98/90; 5 Ob 607/84; 6 Ob 88/05t – unbefristete Bestandverträge mit Kündigungsverzicht für eine bestimmte Periode). Entscheidend ist das Fehlen der Absicht, das Bauwerk stets – also für seine gesamte natürliche Lebensdauer – auf fremdem Grund zu belassen. Nach der unbekämpften Auslegung der Bauführungsklausel durch das Berufungsgericht waren (auch) Abbruch und Neuerrichtung (nur) davon abhängig, ob die Bestandnehmerin dies zur Verfolgung der Unternehmenszwecke für erforderlich hielt, nicht aber von Abbruchreife und erreichter Lebensdauer bereits errichteter Betriebsgebäude.

[14] 4.5 Das Vorliegen der Superädifikatseigenschaft muss aber ohnehin – so wie schon in einem Vorprozess (6 Ob 151/10i) – nicht abschließend beurteilt werden. Im Ergebnis geht es der Beklagten mit ihrer Argumentation gegen die rechtliche Qualifikation als Superädifikat nämlich um die Frage, ob sämtlichen von der derzeitigen Bestandnehmerin oder von ihren allfälligen Rechtsnachfolgern künftig neu errichteten Gebäuden Superädifiaktseigenschaft zukommt und die Kündigungsbeschränkungen des MRG im Sinn der höchstgerichtlichen Rechtsprechung anzuwenden sind. Dieses Thema ist für die hier begehrte Feststellung, ob die Bestandnehmerin vertraglich (auch) zu Abriss und Neubau berechtigt ist, nicht relevant.

[15] 4.6 Nach Meinung der Beklagten ist die Bauführungsklausel in Verbindung mit dem Weitergaberecht gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB und deshalb nichtig. Diese Rechtsfolge setzt zunächst voraus, dass eine Vertragsbestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblätter enthalten ist. Es muss sich um nicht verhandelte und aus der Sicht des Verwenders eines Vertragsformulars jedenfalls um beizubehaltende Klauseln in Vertragsformularen handeln, auch wenn andere Vertragspunkte erörtert und über Wunsch des Vertragspartners abgeändert wurden (RIS Justiz RS0128571).

[16] 4.7 Nach den Feststellungen übermittelte die Rechtsvorgängerin der Klägerin dem Rechtsanwalt der Bestandgeber einen Vertragsentwurf, den dieser nach Rücksprache mit den Bestandgebern überarbeitete. Diese Fassung sandte er an die Bestandnehmerin, die diesen vorbehaltslos akzeptierte. Die Beklagte behauptet nicht, dass die Klauseln von der Bestandnehmerin als nicht mehr verhandelbar vorgegeben worden seien.

[17] 4.8 Verträge sind iSd § 879 Abs 1 zweiter Fall ABGB sittenwidrig und nichtig, wenn die Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (RS0045886). Dabei ist eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessenabwägung, die auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen hat, vorzunehmen (RS0045886 [T10]). Die Sittenwidrigkeitsklausel ist ein restriktiv einzusetzendes Regulativ, das nur in krassen Fällen die grundsätzlich zu gewährende Vertragsfreiheit einschränkt (vgl RS0113654). Die Beklagte legt nicht konkret dar, warum die den Feststellungsbegehren zugrundegelegte Bauführungsklausel (einschließlich Abbruch und Neuerrichtungsrecht) nach diesen Kriterien sittenwidrig sein soll.

[18] 4.9 Unabhängig davon hat sich die Beklagte in erster Instanz nicht auf eine Nichtigkeit der Bauführungsklausel nach § 879 Abs 1 zweiter Fall ABGB und nach § 879 Abs 3 ABGB berufen, weshalb ihre diesbezüglichen Ausführungen ohnehin als unzulässige Neuerungen unbeachtlich sind.

[19] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Klägerin hat die beiden Feststellungsbegehren (die aus einer Vertragsklausel abgeleitet werden und iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN zusammenzurechnen sind, weshalb kein gesonderter Bewertungsausspruch durch das Berufungsgericht zum jeweiligen Übersteigen des Grenzbetrags von 5.000 EUR zu erfolgen hatte) mit je 10.000 EUR bewertet. Die Bemessungsgrundlage beträgt im Revisionsverfahren insgesamt 20.000 EUR. In diesem Sinn ist das Kostenverzeichnis der Klägerin zu korrigieren.

Rechtssätze
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