JudikaturJustiz4Ob87/08k

4Ob87/08k – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Agnes O*****, geboren am 22. November 2001, *****, vertreten durch Dr. Josef Lechner und andere Rechtsanwälte in Steyr, gegen die beklagte Partei Dr. Lothar B*****, vertreten durch Dr. Reinhold Gsöllpointner und Dr. Robert Pirker, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 20.500 EUR sA und Feststellung (Streitwert 10.000 EUR), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. Februar 2008, GZ 2 R 207/07k-33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 18. Juli 2007, GZ 26 Cg 7/06h-27, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die am 22. 11. 2001 geborene Klägerin leidet an Trisomie 21 (Down-Syndrom) mit damit verbundener Kurzsichtigkeit. Nach Auskunft des Schwagers der Mutter, eines Optikers sollen auch Kleinkinder eine „Einmonatsdauerlinse“, die monatlich von einem Augenarzt gewechselt wird, tragen können. Der Augenarzt der Mutter hielt eine Sehkorrektur bei der Klägerin bei „engmaschiger“ augenärztlicher Kontrolle für möglich und verwies die Mutter infolge seiner bevorstehenden Pensionierung an den Beklagten, einen Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie.

Am 10. 1. 2003 suchte die Mutter die Ordination des Beklagten mit ihrer damals 13 Monate alten Tochter auf. Nach Feststellung des Ausmaßes der Fehlsichtigkeit der Klägerin stellte der Beklagte ein Rezept für Kontaktlinsen aus. Am 15. 1. 2003 setzte der Schwager der Mutter der Klägerin die Kontaktlinsen ein. Am 17. 1. 2003 stellte deren Vater, ein Zahnarzt, bei seiner Tochter gerötete Augen fest. Die Mutter suchte noch am Vormittag des 17. 1. 2003 den Beklagten - auch zur ohnehin vereinbarten routinemäßigen Kontrolle des Sitzes der Kontaktlinsen - auf. Der Beklagte stellte eine Bindehautentzündung mit Trübung der Hornhaut rechts fest. Er entfernte die Kontaktlinse aus dem linken Auge, fand jedoch die Kontaktlinse im rechten Auge der Klägerin nicht. Er ging davon aus, die Klägerin habe sich diese Linse bereits aus dem Auge gerieben. Der Beklagte verordnete fachgerecht eine antibiotische Therapie mittels Augensalbe und Augentropfen. Dennoch verschlechterte sich der Zustand der Klägerin, weshalb ihre Eltern am nächsten Tag ein Krankenhaus aufsuchten. Dort fand der behandelnde Arzt im rechten Auge eine Kontaktlinse und entfernte sie. Es wurde eine Hornhautperforation am rechten Auge der Klägerin festgestellt, die operativ in Intubationsnarkose saniert wurde. Nach dem Ergebnis mehrerer Untersuchungen unter Narkose entspricht die aktuelle Sehschwäche nahezu dem präoperativen Sehfehler.

Die Klägerin begehrte zuletzt Zahlung von 20.500 EUR sA an Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für zukünftige Schäden aufgrund der Behandlungen vom 10. und 17. 1. 2003. Der Beklagte habe den zwischen den Streitteilen geschlossenen Behandlungsvertrag schlecht erfüllt, weil er ihre Eltern vor Verordnung der Kontaktlinsen nicht ausreichend über allfällige Risiken und Gefahren aufgeklärt, die eingesetzte Kontaktlinse am rechten Auge anlässlich der Untersuchung am 17. 1. 2003 übersehen und im Zuge der Behandlung fünfmal mit Daumen und Zeigefinger gegen die Hornhaut des Auges der Klägerin gestoßen habe, um die Kontaktlinse entfernen zu können. Wären die Eltern der Klägerin über die tatsächlich eingetretenen (an sich möglichen) Folgen der Anwendung von Kontaktlinsen aufgeklärt worden, so hätten sie sich dagegen entschieden. Der Behandlungsfehler des Beklagten habe zu massiven Einschränkungen der Gesundheit und körperlichen Integrität der Klägerin (Hornhauttransplantation, Nachfolgeuntersuchungen unter Vollnarkose) geführt. Nach der Operation habe die Klägerin mehrere Monate lang Plastikstützen an beiden Armen zur Verhinderung jeder Berührung des Auges mit den oberen Extremitäten tragen müssen. Aufgrund des bestehenden Krankheitsbildes werde die Klägerin auch in Zukunft nicht in der Lage sein, das Geschehen psychisch zu verarbeiten, zumal Dauerschäden bestünden und auch eine zukünftige ausgeprägte Sehbehinderung nicht auszuschließen sei. Schmerzengeld in der begehrten Höhe sei angemessen; weil der Eintritt von Spätschäden gewiss sei, habe die Klägerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche zukünftige vorfallskausalen Schäden.

Der Beklagte bestritt einen Aufklärungs- oder Behandlungsfehler. Er habe die Mutter darauf hingewiesen, dass der bei der Klägerin diagnostizierte Sehfehler (Kurzsichtigkeit von rechts und links minus 4,25 Dioptrien) nicht korrigiert werden müsse, und dass Kontaktlinsen bei Kleinkindern problematisch seien. Dennoch habe die Mutter, die als Kontaktlinsenträgerin mit möglichen Problemen vertraut sein müsse, auf der Ausstellung eines Verordnungsscheins bestanden, welchem Drängen der Beklagte letztlich nachgekommen sei. Die bereits zwei Tage nach dem Einsetzen der Kontaktlinsen vorhandene Infektion am rechten Auge der Klägerin sei entweder auf eine fehlerhafte - nämlich zu „steile“ - Anpassung der Kontaktlinse zurückzuführen oder darauf, dass die Hornhaut beim Einsetzen der Linse verletzt worden sei. Die Komplikationen wären nicht eingetreten, hätte der Optiker die Linsen fachgerecht angepasst und eingesetzt. Am 17. 1. 2003 habe der Beklagte in sachgerechter Weise versucht, die Kontaktlinse mit Zeigefinger und Daumen aus dem rechten Auge der Klägerin zu entfernen. Nur bei Untersuchung in Vollnarkose hätte mit absoluter Sicherheit festgestellt werden können, ob die Linse noch im Auge oder bereits herausgerieben gewesen sei. Hätten die Eltern den Anweisungen des Beklagten Folge geleistet, wären die Komplikationen nicht aufgetreten. Die tatsächlich eingetretene Komplikation einer Hornhautperforation sei nicht vorhersehbar gewesen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf im Wesentlichen noch folgende Feststellungen: Die Mutter erklärte gegenüber dem Beklagten, sie möchte Kontaktlinsen für ihre Tochter versuchen. Der Beklagte bezweifelte, ob eine Sehhilfe überhaupt notwendig sei; er bejahte jedoch die Frage der Mutter, ob er die vom Optiker empfohlenen sauerstoffdurchlässigen Kontaktlinsen monatlich wechseln könne. Schließlich stellte der Beklagte „aus kollegialen Gründen zum Vater der Klägerin“- einem Zahnarzt - das Rezept für die Kontaktlinsen aus. Darüber, dass bei Kleinkindern das Problem der mangelnden Hygiene vermehrt auftrete und ein erhöhtes Infektionsrisiko bei Kontaktlinsen bestehe, wurde nicht gesprochen.

Rechtlich vertrat das Erstgericht die Auffassung, über allseits bekannte Risken müsse der Arzt nicht aufklären. Die Aufklärung der Mutter und das Wissen der Eltern um bekannte Risken seien der mj. Klägerin zuzurechnen. Der Beklagte habe medizinisch fachgerecht versucht, die Linse aus dem Auge der Klägerin zu entfernen, und habe davon ausgehen dürfen, dass die Linse nicht mehr im Auge sei. Eine Aufklärung darüber, dass eine Inspektion in Narkose das Vorhandensein der Linse im Auge zur Gänze ausgeschlossen hätte, sei nicht notwendig gewesen. Zwar habe der Beklagte nicht auf das erhöhte Infektionsrisiko und auch nicht darauf hingewiesen, dass bei Kleinkindern mangelnde Hygiene erschwerend hinzukomme; allerdings sei die Mutter der Klägerin selbst Kontaktlinsenträgerin und habe auch bereits eine Augenentzündung gehabt. Der Vater der Klägerin habe eine Ausbildung zum Allgemeinmediziner absolviert. Beiden Eltern sei das erhöhte Infektionsrisiko bewusst gewesen. Ihnen hätte klar sein müssen, dass Kleinkinder nicht auf Hygiene achteten und sich am Auge rieben. Allgemeines Wissen eines Laien reiche aus, um zu beurteilen, dass Kontaktlinsen bei einem 13 Monate alten Kind problematisch sein könnten. Dass Kontaktlinsen wie jeder in den menschlichen Körper eingebrachte Fremdkörper ein Entzündungsrisiko bildeten, sei allgemein bekannt. Der Vater habe über das Risiko der später eingetretenen Komplikationen Bescheid gewusst, weshalb dem Beklagten die mangelnde Aufklärung darüber nicht schade.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurück; es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich das Maß der ärztlichen Aufklärungspflicht bei Behandlung eines nicht einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen allein am Kenntnisstand des mit dem Arzt unmittelbar in Kontakt getretenen Elternteils richte oder der (vorauszusetzende) medizinische Kenntnisstand des nicht anwesenden Elternteils das Maß der Aufklärungspflicht herabsetze. Die damals rund 13 Monate alte Klägerin sei nicht einsichts- und urteilsfähig gewesen, weshalb die Einwilligung in die medizinische Behandlung der obsorgeberechtigten Person oblegen sei. Im Fall einer gemeinsamen Obsorge beider Elternteile genüge die Zustimmung eines von ihnen. Da die Klägerin mit ihrer Mutter die Ordination des Beklagten aufgesucht habe und der Vater nicht anwesend gewesen sei, habe sich das erforderliche Maß der Aufklärung durch den Beklagten an den Kenntnissen eines medizinischen Laien orientieren müssen; dem Kenntnisstand des Vaters komme daher keine entscheidende Bedeutung zu. Die Mutter habe nicht wissen müssen, dass die Verwendung von sauerstoffdurchlässigen Kontaktlinsen bei einem Kleinkind zu einer Hornhautperforation führen könne. Der Beklagte habe dazu in der Berufungsbeantwortung ausgeführt, es handle sich dabei zwar keinesfalls um eine typische, aber doch um eine äußerst seltene Komplikation. Sei ein Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten wenig vordringlich, müsse der Patient auch auf das Risiko äußerst seltener Zwischenfälle hingewiesen werden. Unstrittig sei eine Korrektur der bei der Klägerin diagnostizierten Fehlsichtigkeit medizinisch nicht zwingend indiziert gewesen. Der Beklagte habe sich deshalb nicht darauf beschränken dürfen, die Notwendigkeit einer Sehhilfe anzuzweifeln, sondern er hätte die Mutter auf die mit der Verwendung von Kontaktlinsen verbundenen Gefahren und Risken einschließlich der - wenn auch äußerst seltenen - Komplikation einer Hornhautperforation hinweisen müssen. Dem Beklagten sei daher eine Verletzung seiner Aufklärungspflicht vorzuwerfen. Als Folge seiner unrichtigen Rechtsansicht habe es das Erstgericht unterlassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob die Mutter der Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die gerade bei Kleinkindern mit der Verwendung von Kontaktlinsen verbundenen Risken und Gefahren von dieser Form der Sehhilfe Abstand genommen hätte. Damit erweise sich die Sache als nicht spruchreif, weshalb das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen sei. Je nach dem Ergebnis der in dieser Richtung erforderlichen Verbreiterung der Sachverhaltsgrundlage werde auch der für die Beurteilung der Höhe des der Klägerin zustehenden Schmerzengelds erforderliche Sachverhalt zu ermitteln und zu erörtern sein, ob zum Beweis psychischer und physischer Unbill als Folge der Notwendigkeit der mehrmonatigen Fixierung der Oberarme der Klägerin mittels Plastikstützen die Einholung des Gutachtens eines Sachverständigen aus dem Bereich der Kinderpsychiatrie zweckmäßiger sei als (antragsgemäß) aus dem Bereich der Pädiatrie.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, er habe davon ausgehen können, dass die Eltern der Klägerin ihr Vorgehen betreffend die Verwendung von Kontaktlinsen für ihre Tochter abgesprochen und ihrer Entscheidung den Wissensstand des Vaters der Klägerin als Arzt über mögliche Probleme im Zusammenhang mit dieser Sehhilfe zu Grunde gelegt hätten; es sei daher nicht entscheidend, dass nur die Mutter mit der Klägerin beim Beklagten vorgesprochen habe. Davon abgesehen habe die dem Beklagten obliegende Aufklärungspflicht einen Hinweis auf eine Hornhautperforation als mögliches Risiko nicht umfasst, weil es sich dabei um eine praktisch nicht vorhersehbare (äußerst seltene) Komplikation handle und der Umfang der gebotenen Aufklärung nicht überspannt werden dürfe.

1.1. Im Rahmen der Erfüllung des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, wofür der aktuell anerkannte Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft maßgeblich ist (5 Ob 148/07m mwN). Grundlage für die Haftung eines Arztes oder Krankenhausträgers wegen Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die Behandlung eingegriffen wird. Der Patient muss in die konkrete Behandlungsmaßnahme einwilligen; Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt (4 Ob 137/07m mwN; RIS-Justiz RS0118355).

1.2. Es ist deshalb Aufgabe der ärztlichen Aufklärung, dem Patienten die für seine Entscheidung maßgebenden Kriterien zu liefern, um ihn in die Lage zu versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung zur Behandlung bzw zum Eingriff zu überschauen (4 Ob 249/02z; siehe ferner RIS-Justiz RS0026413 [T3] und RS0026499 [T6]). Aufklärungsadressat ist deshalb primär der Patient selbst ( Engljähringer , Ärztliche Aufklärungspflicht vor medizinischen Eingriffen [1996] 139 mwN).

1.3. Somit setzt eine wirksame Einwilligung des Patienten voraus, dass dieser das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs in seinen Grundzügen erkannt hat (RIS-Justiz RS0026473 [T1]). Fehlt daher einem Patienten die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist Aufklärungsadressat jene Person, die an Stelle des nicht willensfähigen Patienten die Einwilligung in die ärztliche Behandlungsmaßnahme zu geben hat ( Prutsch , Die ärztliche Aufklärung² [2004] 82).

1.4. Mit Einführung des § 146c ABGB durch das KindRÄG 2001 BGBl I 2000/135 wurde die Einwilligung Minderjähriger in eine medizinische Behandlung gesetzlich näher geregelt. Die Neuregelung brachte Klarheit in die vorherige uneinheitliche Gesetzeslage, Rechtsprechung und Lehre betreffend die zustimmungsberechtigte Person (siehe dazu näher Haidenthaller , Die Einwilligung Minderjähriger in medizinische Behandlungen, RdM 2001, 163, 168 f).

1.5. Fehlt einem Minderjährigen die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so bedarf seine medizinische Behandlung der Zustimmung der mit der gesetzlichen Vertretung in Pflege- und Erziehungsangelegenheiten betrauten Person (§ 146c Abs 1 zweiter Satz ABGB). Sind beide Elternteile gemäß § 144 ABGB Obsorgeträger, so genügt die Zustimmung eines von ihnen (§ 154 Abs 1 ABGB); eine gerichtliche Genehmigung ist nicht erforderlich ( Hopf in KBB² § 146c Rz 5).

1.6. Damit die ärztliche Aufklärung ihren zuvor erläuterten Zweck erreichen kann, muss sich deren Umfang nach den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Aufklärungsadressaten richten. Dies hat der Oberste Gerichtshof schon in der Entscheidung 5 Ob 148/07m (RIS Justiz RS0026413 [T9]) sinngemäß zum Ausdruck gebracht, wenn er dort im Fall einer Pränataldiagnostik auf die „nach den persönlichen Verhältnissen der Frau“ indizierten Informationen abgestellt hat. Unbeachtlich ist insofern der (vorauszusetzende) Kenntnisstand eines beim Aufklärungsgespräch nicht anwesenden (weiteren) gesetzlichen Vertreters des Patienten.

1.7. Die voranstehenden Erwägungen lassen sich in folgender Weise zusammenzufassen:

Fehlt einem Patienten die Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist Aufklärungsadressat jene Person, die an Stelle des Patienten berufen ist, in eine ärztliche Behandlungsmaßnahme einzuwilligen. Im Fall eines Minderjährigen ist es die mit der gesetzlichen Vertretung in Pflege- und Erziehungsangelegenheiten betraute Person. Sind beide Elternteile Obsorgeträger, so genügt die Zustimmung eines von ihnen. Der Umfang der vor einem Eingriff oder einer sonstigen Behandlung gebotenen ärztlichen Aufklärung hat sich nach den persönlichen Verhältnissen des jeweiligen Aufklärungsadressaten zu richten. Unbeachtlich ist insofern der (vorauszusetzende) Kenntnisstand eines beim Aufklärungsgespräch nicht anwesenden (weiteren) gesetzlichen Vertreters des Patienten.

1.8. Nach diesen Grundsätzen kann dem Beklagten nicht beigepflichtet werden, für den Umfang seiner Aufklärungspflicht sei (auch) auf den Wissensstand des Vaters der Klägerin abzustellen. Da es sich bei der Patientin um eine Minderjährige ohne Einsichts- und Urteilsfähigkeit handelte, bedurfte ihre Behandlung der Zustimmung zumindest eines mit der gesetzlichen Vertretung in Pflege- und Erziehungsangelegenheiten betrauten Elternteils.

Diese Voraussetzung traf auf die mit ihrem Kind in der Ordination des Beklagten vorsprechende Mutter zu. Der Umfang der gebotenen ärztlichen Aufklärung hatte sich daher - wovon das Berufungsgericht zutreffend ausging - nur an den persönlichen Verhältnissen der Mutter zu orientieren, weil sie als allein in der Ordination anwesende Obsorgeberechtigte die einzige Gesprächspartnerin des Arztes war. Ihr hatte der Beklagte deshalb die ihrem Kenntnisstand als Laie entsprechende Aufklärung zu erteilen, um eine informierte Entscheidung über die gewünschte ärztliche Behandlung ihres Kindes zu ermöglichen, war doch der Vater des Kindes während des gesamten Aufklärungsgesprächs nicht anwesend. Dass aber die Mutter im Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs - etwa aufgrund einer vorangegangenen Erörterung mit ihrem Mann - bereits vollständig über alle Informationen verfügt hätte, um die Tragweite ihrer Einwilligung zur Behandlung bzw zum Eingriff zu überschauen, hat der dafür beweispflichtige Beklagte nicht einmal behauptet.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist die ärztliche Aufklärungspflicht umso umfassender, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig. In einem solchen Fall ist die ärztliche Aufklärungspflicht selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind; es ist dann auch auf die Möglichkeit seltener - aber gravierender - Risken hinzuweisen (RIS-Justiz RS0026772 [T4]). Die Aufklärungspflicht entfällt nicht schon bei einer Risikodichte im Promillebereich (RIS-Justiz RS0026437 [T6]).

2.2. Die Parteien stimmen darin überein, dass eine Korrektur der Fehlsichtigkeit der Klägerin zum gegebenen Zeitpunkt nicht zwingend medizinisch geboten war (Klägerin: Streitverhandlung vom 6. 6. 2007, ON 26, S 4; Beklagter: Klagebeantwortung ON 2 S 3). Der Beklagte ging in der Berufungsbeantwortung (ON 29 S 4 unten) und geht auch im Rekurs selbst davon aus, dass eine Hornhautperforation eine äußerst seltene Komplikation bei der Verwendung von Kontaktlinsen ist. Nach den voranstehend erläuterten Grundsätzen ist dem Berufungsgericht somit darin beizupflichten, dass bei dieser Sachlage die ärztliche Aufklärung der Mutter auch Informationen über das seltene Risiko einer Hornhautperforation zu umfassen gehabt hätte; solches ist unterblieben. Das Berufungsgericht hat daher eine Verletzung der Aufklärungspflicht rechtsfehlerfrei bejaht.

3. Mangels Feststellungen zu den Folgen rechtmäßigen Alternativverhaltens bzw allenfalls zur Höhe des Anspruchs ist die Streitsache noch nicht abschließend entscheidungsreif.

4. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Rechtssätze
8
  • RS0123136OGH Rechtssatz

    21. November 2023·3 Entscheidungen

    a) Im Rahmen des ärztlichen Behandlungsvertrags schuldet der Arzt Diagnostik, Aufklärung und Beratung nach den aktuell anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst. Die pränatale Diagnostik dient nicht zuletzt der Ermittlung von Entwicklungsstörungen und Fehlbildungen des ungeborenen Kindes und soll damit auch der Mutter (den Eltern) im Falle, dass dabei drohende schwerwiegende Behinderungen des Kindes erkannt werden, die sachgerechte Entscheidung über einen gesetzlich zulässigen, auf § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB beruhenden Schwangerschaftsabbruch ermöglichen. Dass in einem solchen Fall die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch auch wegen der erheblichen finanziellen Aufwendungen für ein behindertes Kind erfolgen kann, ist objektiv voraussehbar, weshalb auch die finanziellen Interessen der Mutter (der Eltern) noch vom Schutzzweck des ärztlichen Behandlungsvertrags umfasst sind. b) Wird beim Organscreening im Rahmen pränataler Diagnostik ein Hinweis auf einen beginnenden Wasserkopf als Folge einer Meningomyelozele nicht entdeckt und unterbleibt eine Wiederbestellung der Schwangeren, obwohl diagnoserelevante Strukturen nicht einsehbar waren, dann liegt ein ärztlicher Kunstfehler vor. Hätten sich die Eltern bei fachgerechter Aufklärung über die zu erwartende schwere Behinderung des Kindes und einen deshalb gesetzlich zulässigen Schwangerschaftsabbruch gemäß § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB zu Letzterem entschlossen, haftet der Arzt (der Rechtsträger) für den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind. In einem solchen Fall stünden sowohl die Ablehnung eines Schadenersatzanspruchs mit der Behauptung, es liege kein Schaden im Rechtssinn vor, als auch der bloße Zuspruch nur des behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwands mit den Grundsätzen des österreichischen Schadenersatzrechts nicht im Einklang.

  • RS0026473OGH Rechtssatz

    18. Oktober 2022·3 Entscheidungen

    Ein ärztlicher Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten ist nur insoweit vertragsmäßig und nicht rechtswidrig, als die Einwilligung des Patienten reicht. Der Arzt muss sich vor jedem Eingriff der klaren, auf zutreffenden Vorstellungen über die Art und Folgen des Eingriffs beruhenden Einwilligung des Patienten versichern. Eine wirksame Einwilligung des Patienten setzt voraus, dass dieser das Wesen, die Bedeutung und die Tragweite des ärztlichen Eingriffs in seinen Grundzügen erkannt hat. Dabei ist nicht der innere Wille, sondern der erklärte Wille des Patienten maßgebend. Maß und Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht gegenüber dem Patienten wird mitbestimmt von dem Grad der Gefährlichkeit des Eingriffs in die körperliche Integrität. Der Arzt hat die Verpflichtung, die Entschließungsfreiheit des Patienten über einen Eingriff grundsätzlich zu achten. Soweit die mit der Einholung der Einwilligung verbundene Aufklärung - auch über mögliche schädliche Folgen der Therapie - die Stimmung oder sogar das Allgemeinbefinden herabdrückt, handelt es sich um unvermeidbare Nachteile, die in Kauf genommen werden müssen. Die Aufklärungspflicht des Arztes über mögliche schädliche Folgen der Therapie gehört gerade mit zum ärztlichen Beruf, der die Persönlichkeit und die körperliche Integrität nicht außer acht lassen darf. Diese Grundsätze gelten auch bei psychisch Kranken. Die Aufklärungspflicht, die den Ärzten hinsichtlich der Therapie obliegt, ist keine rein ärztliche, der Weisungspflicht entzogene Angelegenheit. Dem Vorstand eines Krankenhauses obliegt daher insoweit eine Leitung und Aufsichtspflicht, für deren Verletzung der Unternehmer einzustehen hat. Eine ohne angemessene ärztliche Aufklärung und ohne Einwilligung vorgenommene Elektroschockbehandlung ist nach den in der Literatur erkennbaren Angaben, vor allem im Hinblick auf die unterschiedliche Beurteilung ihrer Folgen nicht als harmloser Eingriff anzusehen, sondern widerrechtlich. BGH vom 10.07.1954, VI ZR 45/54; Veröff: NJW 1956,1106; hiezu Neidhardt, Behandlungsrecht des Arztes und ärztliche Aufklärungspflicht in der Sicht des Arztes und des Juristen. NJW 1956,1097