JudikaturJustiz4Ob293/00t

4Ob293/00t – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. November 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden und durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Florian Z*****, geboren am *****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Parwiz H*****, vertreten durch Dr. Hans Wille, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 13. September 2000, GZ 43 R 476/00v-34, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 24. Juli 2000, GZ 2 P 132/97z-29, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der mj Florian Z***** befindet sich in Pflege und Erziehung seiner Mutter Martina Z*****. Der Vater bezieht Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Wertpapiervermittler. In der Zeit vom 1. 1. 1996 bis 31. 12. 1998 hat er dem Betrieb durchschnittlich 20.380 S netto monatlich entnommen.

Der Unterhaltssachwalter, das Amt für Jugend und Familie 1., 8., 9. Bezirk, beantragte am 13. 5. 1997, den Vater ab 1. 8. 1996 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 3.000 S zu verpflichten. Der Unterhaltspflichtige sei seit 31. 1. 1997 mit der G***** GmbH selbstständig tätig. Bis Juni 1996 sei er bei der B***** Vermögensberatung als freier Mitarbeiter tätig gewesen. Er habe monatlich 18.000 bis 19.000 S verdient. Zur Zeit verfüge er über kein Einkommen. Im Sinne der Anspannungstheorie sei er jedoch verpflichtet, seine Arbeitskraft so einzusetzen, dass es ihm möglich sei, einen angemessenen Unterhaltsbeitrag zu leisten.

Der Vater erhielt den Antrag zur Äußerung zugestellt. Er äußerte sich nicht.

Das Erstgericht setzte den Unterhalt beginnend mit 1. 8. 1996 antragsgemäß mit 3.000 S monatlich fest. Da sich der Vater nicht geäußert habe, werde angenommen, dass er keine Einwendungen gegen den Antrag habe.

Der Vater begehrt nunmehr, den Unterhalt für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 12.1997 auf 700 S und ab 1. 1. 1998 auf 900 S herabzusetzen und den Minderjährigen zu verpflichten, die für die Zeit vom 1. 1. bis 31. 12. 1997 zuviel gezahlten Unterhaltsbeiträge von monatlich 2.300 S und für die seit 1. 1. 1998 zuviel gezahlten Unterhaltsbeiträge von monatlich 2.100 S zurückzuzahlen. Von 1994 bis 31. 7. 1996 habe er freiberuflich mit einem Brokerunternehmen zusammengearbeitet. Danach habe er völlig selbstständig gearbeitet. Im Jänner 1997 habe er sich mit einem Geschäftsanteil von 25 % an der G***** GmbH beteiligt. Er habe monatlich nie mehr als rund 4.000 S entnehmen können. Am 28. 2. 1998 habe er die restlichen 75 % der Geschäftsanteile übernommen und davon am 6. 5. 1998 20 % an Dipl. Ing. Johannes R*****abgetreten. Seit 26. 8. 1998 seien beide je zur Hälfte an der G***** GmbH beteiligt. 1997 habe sein monatliches Nettoeinkommen 4.584 S betragen. Dem Minderjährigen stünden ausreichend Mittel für die Rückzahlung zur Verfügung, weil im August 1999 70.000 S an rückständigen Unterhaltsbeiträgen gezahlt worden seien.

Der Unterhaltssachwalter sprach sich gegen die Herabsetzung aus. Das aus der selbstständigen Tätigkeit erzielte geringe Einkommen könne nicht als Bemessungsgrundlage dienen. Dem Vater sei es zwar überlassen, welcher Beschäftigung er nachgehe, er müsse jedoch ein angemessenes Einkommen erzielen, das ihm die Leistung eines entsprechenden Unterhalts ermögliche.

Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag und den Rückzahlungsantrag ab. Der Minderjährige habe Anspruch auf 16 % des väterlichen Nettoeinkommens. Bei einer Bemessungsgrundlage von 20.380 S liege der mit 3.000 S festgesetzte Unterhalt unter dem dem Minderjährigen zustehenden Betrag.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss mit der Maßgabe, dass das Rückzahlungsbegehren zurückgewiesen werde, und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Der Unterhalt sei auf Basis der Privatentnahmen zu bemessen, weil diese den Gewinnanteil überstiegen. Der Vater behaupte, aus der Gesellschaft kein Geld entnommen zu haben, sondern von Dipl. Ing. Johannes R***** ein privates Darlehen erhalten zu haben, das er zurückzahlen müsse. Daraus folge aber nicht, dass das Darlehen nicht zu berücksichtigen wäre. Es mache nämlich keinen Unterschied, ob der Unterhaltspflichtige die den Reingewinn seines Unternehmens übersteigenden Privatentnahmen aus Reserven oder Rückstellungen oder durch Erhöhung seiner Bankschulden finanziere. Für private Ausleihungen müsse das Gleiche gelten. Wenn der Unterhaltspflichtige daher seinen Lebensunterhalt durch ein privates Darlehen finanziere, so sei dieses Darlehen der Unterhaltsbemessung zugrundezulegen. Im vorliegenden Fall komme noch dazu, dass dem dem Vater gewährten Darlehen keine nachweisbaren Rückzahlungsverpflichtungen gegenüberstünden. Darüber hinaus habe der Vater dem Darlehensgeber Teile seines Geschäftsanteils zu einem unter dem Nominalwert liegenden Betrag abgetreten. Auch diese Umstände sprächen für die Einbeziehung der Darlehensbeträge in die Unterhaltsbemessung. Ein Unterhaltspflichtiger dürfe auch nur dann eine selbstständige Tätigkeit ausüben, wenn er mit einem entsprechenden Einkommen rechnen könne. Erziele er längerfristig ein nur geringes Einkommen, so sei er auf das erzielbare Einkommen anzuspannen, wenn - wie im vorliegenden Fall - bei dem aus der selbstständigen Tätigkeit erzielten Einkommen der Durchschnittsbedarf des Kindes gefährdet wäre.

Der gegen diesen Beschluss gerichtete Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Zum Herabsetzungsantrag

Rechtliche Beurteilung

Der Vater macht geltend, keine Privatentnahmen getätigt zu haben. Die Aufnahme von Krediten könne die Unterhaltspflicht nicht beeinflussen, weil auch Kreditrückzahlungen die Bemessungsgrundlage nicht minderten. Zu berücksichtigen sei nur jener Zeitraum, für den die Unterhaltsherabsetzung begehrt werde; 1996 habe daher außer Betracht zu bleiben. 1997 habe der Vater monatlich nur 4.309 S netto verdient, 1998 5.694 S netto. Von einer Anspannung des Vaters sei im gesamten Verfahren keine Rede gewesen.

Diese Behauptung ist unrichtig: Der Unterhaltssachwalter hat den Unterhaltsantrag darauf gestützt, dass der Vater, soweit er ein den begehrten Unterhaltsbeitrag rechtfertigendes Einkommen nicht erziele, auf ein Einkommen in dieser Höhe anzuspannen sei. Der Vater hat dagegen keine Einwendungen erhoben. Der Unterhalt wurde daher auf Basis eines fiktiven Einkommens des Vaters bemessen.

In einem solchen Fall scheidet eine - zwar auch für die Vergangenheit zulässige (ua SZ 63/81 = RZ 1991/52) - Unterhaltsherabsetzung auf Grundlage des tatsächlich erzielten Einkommens von vornherein aus:

Gemäß § 140 Abs 1 ABGB haben die Eltern zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen. Den Unterhaltspflichtigen trifft daher die Obliegenheit, für die Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten im zumutbaren Rahmen alle seine "Kräfte anzuspannen". Verletzt der Unterhaltspflichtige diese Obliegenheit schuldhaft, so wird der Unterhaltsbemessung jenes Einkommen zugrundegelegt, das er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit nach den konkreten Umständen tatsächlich erzielen könnte (Schwimann/Schwimann, ABGB**2 § 140 Rz 60; Pichler in Rummel, ABGB**2 § 140 Rz 6; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 245 ff, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung).

Die Herabsetzung des auf Basis eines fiktiven Einkommens bemessenen Unterhalts ist nur möglich, wenn die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen weggefallen sind (9 Ob 23/98t). Der Vater kann sich aber nicht darauf berufen, dass er in dem Zeitraum, in dem der Unterhalt auf Basis eines fiktiven Einkommens bemessen wurde, nur ein geringes Einkommen erzielt hat, weil gerade dies die Voraussetzung für seine Anspannung auf ein seinen Fähigkeiten und Verpflichtungen entsprechendes Einkommen war.

Es hilft dem Vater daher nicht, dass - käme es auf das von ihm erzielte Einkommen an - nur das während jenes Zeitraums erzielte Einkommen zu berücksichtigen wäre, für den die Herabsetzung begehrt wird. Nach herrschender Auffassung ist nur bei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft bei selbstständig Erwerbstätigen regelmäßig das Durchschnittseinkommen der letzten drei, der Beschlussfassung vorangehenden Wirtschaftsjahre festzustellen, um zu verhindern, dass die Unterhaltsbemessungsgrundlage durch Einkommensschwankungen verzerrt wird, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführen sind (stRsp ua SZ 67/221 mwN); bei einer Unterhaltsbemessung für vergangene Zeiträume sind hingegen immer die tatsächlichen Lebensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen im jeweiligen Zeitraum maßgebend (Schwimann, Unterhaltsrecht**2 49 mwN; 4 Ob 94/99y; 4 Ob 102/99z).

Welche tatsächlichen Verhältnisse das sind, hängt davon ab, auf welcher Grundlage der Unterhalt bemessen wurde. Bei einem auf fiktiver Grundlage bemessenen Unterhalt kommt es nur darauf an, ob die für die Anspannung maßgebenden Verhältnisse vorgelegen sind; dass das Einkommen tatsächlich gering war, bestätigt nur die Berechtigung der Anspannung und kann daher nicht zur Herabsetzung des Unterhalts für die Vergangenheit führen.

Für die Entscheidung ist es demnach unerheblich, ob die dem Vater von seinem Mitgesellschafter zur Verfügung gestellten Mittel in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen wären. Auf die gegen eine Einbeziehung gerichteten Ausführungen des Vaters ist nicht weiter einzugehen.

2. Zum Rückzahlungsantrag

Der Vater verweist auf die Rechtsprechung zur Irrtumsanfechtung von Unterhaltsvereinbarungen und setzt die Entscheidung über einen Rückzahlungsantrag der Entscheidung über die vom Unterhaltsberechtigten geltend gemachte Anfechtung einer Unterhaltsvereinbarung wegen Irrtums gleich. Der Vater macht weiters geltend, dass es für den Minderjährigen wegen des fehlenden Kostenrisikos von Vorteil wäre, wenn über das Rückzahlungsbegehren im Außerstreitverfahren entschieden würde.

Seine Ausführungen vermögen nicht zu überzeugen:

Die Entscheidung über die gesetzlichen Unterhaltsansprüche minderjähriger (ehelicher wie unehelicher) Kinder gehört, wenn auch eine ausdrückliche gesetzliche Bestimmung fehlt, nach allgemein anerkannter Auffassung in das Außerstreitverfahren (SZ 44/161; Schwimann aaO 101 mwN). Im Außerstreitverfahren ist daher zu entscheiden, ob und in welcher Höhe einem Minderjährigen ein Unterhaltsanspruch zusteht. Nach der Entscheidung ÖA 1991, 136 = RZ 1990/117 ist über einen für die Vergangenheit gestellten Unterhaltsantrag auch dann im Außerstreitverfahren zu entscheiden, wenn der Unterhaltsberechtigte behauptet, bei Abschluss eines diesen Zeitraum regelnden Vergleichs in Irrtum geführt worden zu sein; einer Anfechtung des Vergleichs im streitigen Verfahren bedarf es nicht.

Aus dieser Rechtsprechung kann nicht abgeleitet werden, dass auch ein Begehren auf Rückzahlung zuviel gezahlten Unterhalts im Außerstreitverfahren zu erledigen wäre. Das Außerstreitverfahren ist vor allem wegen der größeren Gestaltungsmöglichkeiten und wegen seiner Amtswegigkeit für die Entscheidung über die Unterhaltsansprüche Minderjähriger besser geeignet als das streitige Verfahren (s SZ 44/161). Die fehlende Kostersatzpflicht ist hingegen nicht ausschlaggebend, weil das Kostenrisiko des Kindes im Unterhaltsverfahren - gäbe es eine Kostenersatzpflicht - regelmäßig nur gering wäre.

Das fehlende Kostenrisiko allein reicht daher nicht aus, um die Zulässigkeit des Außerstreitverfahrens für eine den Unterhaltsanspruch des Kindes betreffende Rechtssache zu begründen. Maßgebend muss immer sein, ob das Kind seinen Unterhaltsanspruch geltend macht und es daher gerechtfertigt ist, dass die Geltendmachung dieses Anspruchs durch die größeren Gestaltungsmöglichkeiten und die Amtswegigkeit des Außerstreitverfahrens erleichtert wird. Mit dem Rückzahlungsantrag verfolgt nicht das Kind seinen Unterhaltsanspruch, sondern es wird gegen das Kind ein Anspruch geltend gemacht wird. Damit fehlt jede Rechtfertigung, auch die Verfolgung dieses Anspruchs zu begünstigen, wie dies durch die Verweisung der gesetzlichen Unterhaltsansprüche eines Minderjährigen in das Außerstreitverfahren geschieht.

Der Revisionsrekurs musste erfolglos bleiben.