JudikaturJustiz3Ob62/13h

3Ob62/13h – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Mai 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Längle Fussenegger Singer Rechtsanwälte Partnerschaft in Bregenz, gegen die beklagte Partei S***** (KG), *****, vertreten durch Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO, Streitwert 189.954,12 EUR sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 24. Jänner 2013, GZ 2 R 6/13t 14, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom 23. Oktober 2012, GZ 8 C 38/12w 8, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Rechtsvorgängerin der nunmehrigen Oppositionsbeklagten vermietete im Jahr 1981 ein Geschäftslokal an eine GmbH Co KG und deren Kommanditistin, eine GmbH. Die nunmehrige Oppositionsklägerin ist Rechtsnachfolgerin der KG.

Am 1. Dezember 2005 kündigte die nunmehrige Oppositionsbeklagte der nunmehrigen Oppositionsklägerin das gemietete Geschäftslokal zum 31. Dezember 2006 gerichtlich auf. Mit Urteil vom 8. Februar 2007, GZ 4 C 2192/05w 36, sprach seinerzeit das Erstgericht aus, dass die Aufkündigung vom 2. Dezember 2005, GZ 4 C 2192/05w 2 rechtswirksam ist, und erkannte die nunmehrige Oppositionsklägerin schuldig, das Geschäftslokal binnen 14 Tagen zu räumen und geräumt zu übergeben. Nach einer längerdauernden Unterbrechung des Verfahrens bestätigte das Berufungsgericht diese Entscheidung (Urteil vom 24. März 2011, AZ 3 R 84/07m). Mit Beschluss vom 29. November 2011, AZ 2 Ob 101/11h, wies der Oberste Gerichtshof die außerordentliche Revision der nunmehrigen Oppositionsklägerin zurück.

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs wurde dem Vertreter der nunmehrigen Oppositionsbeklagten am 21. Dezember 2011 zugestellt. Am 27. Dezember 2011 beantragte die nunmehrige Oppositionsbeklagte die Räumungsexekution hinsichtlich des Bestandobjekts.

In ihrer Oppositionsklage beruft sich die klagende Partei auf ein ausdrücklich erklärtes, zumindest schlüssig aus dem Verhalten der beklagten Partei abzuleitendes Fallenlassen der Kündigung einschließlich des Räumungsbegehrens. So seien beispielsweise nach dem 2. Dezember 2005 Mietzinsforderungen gestellt und Indexerhöhungen geltend gemacht worden; Mietzinszahlungen seien unbeanstandet angenommen worden; nach Vorliegen des vollstreckbaren Berufungsurteils des Landesgerichts Feldkirch sei keine Räumungsexekution beantragt worden. Dieses widersprüchliche Verhalten mache die Exekutionsführung rechtsmissbräuchlich.

Das Erstgericht wies die Oppositionsklage ab. Aus dem Verhalten der Oppositionsbeklagten, die den Aufkündigungs- und Räumungsprozess konsequent geführt habe, lasse sich kein Schluss darauf ziehen, dass die Oppositionsbeklagte in Wirklichkeit das Bestandverhältnis fortsetzen habe wollen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage im Hinblick auf die Einzelfallbezogenheit nicht zu. Insgesamt habe es keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Oppositionsbeklagte mit ihrem unklaren und widersprüchlichen Verhalten ernstlich auf die Aufkündigung des Bestandobjekts verzichten und das Bestandverhältnis fortsetzen habe wollen.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer außerordentlichen Revision gelingt es der Oppositionsklägerin nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Beurteilung des Vorhandenseins von Kündigungsgründen grundsätzlich die Umstände im Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung maßgeblich (anstatt vieler RIS Justiz RS0069693, RS0070232, RS0070282). Wird auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes im Laufe des Verfahrens über die Aufkündigung verzichtet, kann dieser Umstand bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz geltend gemacht werden (3 Ob 20/09a); für nach Schluss der Verhandlung in erster Instanz abgegebene Verzichtserklärungen steht die Oppositionsklage zur Verfügung (3 Ob 50/80 = SZ 53/111; RIS Justiz RS0001280 [T1] uva).

2. Die Beweislast für alle Umstände, die zu einer materiellen Beseitigung des Titels führen, trifft den Oppositionskläger (RIS-Justiz RS0048064) und nicht wie die klagende Partei offenbar irrig meint die beklagte Partei. Die in der Revision angeführte Entscheidung 3 Ob 25/11i ist diesbezüglich nicht einschlägig. Dort ging es ua um die für die Beurteilung eines qualifizierten Zahlungsverzugs wesentliche Frage, ob eine schlüssig erklärte Mahnung aufrecht erhalten wurde. Ihre Beantwortung hing von den Umständen des Einzelfalls ab. Daraus ist für den Standpunkt des Klägers nichts abzuleiten.

2.1. Die auch hier einzelfallbezogene Beurteilung der Vorinstanzen, aus dem Verhalten der beklagten Partei nach Schluss der Verhandlung im Titelverfahren lasse sich kein eindeutiger Verzicht auf Kündigung und Räumung und keine schlüssige Fortsetzung des Mietverhältnisses ableiten, ist im Hinblick auf die Feststellungen durchaus vertretbar und bedarf keiner Korrektur.

2.2. Im Fall eines klagestattgebenden Berufungsurteils über ein Räumungsbegehren, in dem die Revision für nicht zulässig erklärt wurde, beginnt die Frist nach § 575 Abs 2 ZPO nach der Rechtsprechung nicht vor Eintritt der Rechtskraft zu laufen (RIS-Justiz RS0125159), weshalb aus dem Umstand, dass die Räumungsexekution erst nach Vorliegen der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs beantragt wurde, für die klagende Partei nichts zu gewinnen ist.

2.3. Ist von der beklagten Partei wie hier im Hinblick auf ihr nicht eindeutiges Verhalten auch kein zurechenbar schutzwürdiges Vertrauen erzeugt worden, dass das Bestandverhältnis fortgeführt werden sollte, stellt sich auch die Frage eines Rechtsmissbrauchs aufgrund „venire contra factum proprium“ (dazu zuletzt 2 Ob 214/11a = RIS Justiz RS0128483) nicht.

Rechtssätze
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