JudikaturJustiz3Ob168/01d

3Ob168/01d – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Robert R***** und 2. Ilse R*****, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloss, Dr. Hans Pucher, Mag. Volker Leitner und Mag. Reinhard Walther, Rechtsanwälte in St. Pölten, sowie die Nebenintervenientin auf Seite der klagenden Parteien Katharina D*****, vertreten durch Dr. Jörg Baumgärtel, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. Manfred P***** und 2. Anna P*****, beide vertreten durch Dr. Bernd Brunner, Rechtsanwalt in Tulln, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert 150.000 S = 10.900,93 EUR), infolge Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. November 2000, GZ 5 R 85/00g-47, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Mai 2001, AZ 5 R 85/00g, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 12. Jänner 2000, GZ 4 Cg 47/95b-39, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 4. Februar 2000, GZ 4 Cg 47/95b-41, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den beklagten Parteien die mit 699,51 EUR (darin 116,59 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Die Kläger erwarben mit Kaufvertrag vom 21. 8. 1990 von ihrer Nebenintervenientin zwei Grundstücke, die laut Vertrag und Grundbuchsstand satz- und lastenfrei waren. Die Beklagten sind Eigentümer eines benachbarten Grundstücks.

Die Kläger begehrten das Urteil, 1. festgestellt werde, dass den Beklagten auch nicht in deren Eigenschaft als Eigentümer ihres (näher bezeichneten) Grundstücks eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts über die beiden (näher bezeichneten) Grundstücke zustehe, deren Eigentümer die Kläger sind; 2. die Beklagten seien schuldig, das Begehen oder Befahren dieser beiden Grundstücke zu unterlassen. Zur Begründung brachten die Kläger vor, beim Erwerb der beiden Grundstücke (GSte) seien keine Dienstbarkeiten ersichtlich gewesen. Eine etwaige Ersitzung des von den Beklagten behaupteten Geh- und Fahrrechts sei als nicht geltend gemacht als verschwiegen anzusehen. Die Beklagten wendeten ein, die jeweiligen Eigentümer des benachbarten GSt hätten den Weg schon seit mehr als 30 Jahren benützt, wobei es sich um stets gut erkennbare Fahrspuren gehandelt habe. Die Ersitzungszeit sei jedenfalls abgelaufen. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im ersten Rechtsgang statt, weil das von den Rechtsvorgängern der Beklagten von 1933 bis 1963 ersessene, aber nie im Grundbuch einverleibte Wegerecht, mit dem gutgläubigen Erwerb der dienenden GSte durch die Kläger im Jahr 1990 erloschen sei.

Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens durch weitere Prüfung der Gutgläubigkeit der Kläger beim Liegenschaftserwerb auf.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren im zweiten Rechtsgang ab; es wiederholte die bereits in seinem Urteil im ersten Rechtsgang getroffenen Feststellungen und traf zur Frage der Gutgläubigkeit der Kläger, die allein Gegenstand des zweiten Rechtsgangs war, ergänzende Feststellungen über die Lage der GSte und die Bewirtschaftungsmöglichkeiten.

Auf Grundlage dieser Tatsachenfeststellungen verneinte das Erstgericht die Gutgläubigkeit der Kläger beim Liegenschaftserwerb, weil nicht nur die bestehenden Fahrspuren, sondern auch die Beschaffenheit der Wiese selbst für das Bestehen einer Servitut zum Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs durch die Kläger sprächen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Kläger, die sich ausschließlich mit der Frage ihrer Gutgläubigkeit beim Liegenschaftserwerb befasste, nicht Folge und sprach vorerst aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 52.000 S, nicht aber 260.000 S übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliege.

In rechtlicher Hinsicht führte die zweite Instanz aus, die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit verhindere den guten Glauben eines Liegenschaftserwerbers auf den Buchstand, weshalb der gutgläubige lastenfreie Erwerb eines GSt ausgeschlossen sei. Offenkundigkeit liege vor, wenn man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen könne, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten ließen. Dazu könnten schon bloße Fahrspuren ausreichen. In solchen Fällen sei das Vertrauen des Käufers auf den Grundbuchsstand nicht geschützt; er sei verpflichtet, Nachforschungen zu tätigen, um die Sach- und Rechtslage aufzuklären. Hier handle es sich um einen ausgeprägten landwirtschaftlichen Weg. Die Bewirtschaftung der Wiese sei von der oben gelegenen Ackerfläche her bloß schwer und bei Nässe nicht möglich. Da somit der untere Teil des GSt über die vorhandene Böschung mit landwirtschaftlichen Geräten nicht gefahrlos erreicht werden könne, hätten die Kläger nicht "wirklich" darauf vertrauen können, dass das Begehen und Befahren der dienenden Grundstücke durch die Beklagten mit deren Pachtverhältnis und nicht mit einer Servitut zusammenhänge. Ein gutgläubiger lastenfreier Erwerb der dienenden GSt durch die Kläger sei daher ausgeschlossen. Da die Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen nur über den vorhandenen Weg auf den dienenden Grundstücken ihre Liegenschaft bewirtschaften könnten, sei von einer offenkundigen Dienstbarkeit auszugehen. Dass der Weg vorhanden gewesen sei, sei den Klägern zum Zeitpunkt des Liegenschaftserwerbs auch aus der Luftbildaufnahme des Jahres 1972 bekannt gewesen.

Mit Beschluss vom 11. Mai 2001 erklärte das Berufungsgericht die Revision gemäß § 508 ZPO doch für zulässig, weil der "Rechtsfrage der Unterbrechung der Ersitzungszeit, wenn Rechtsvorgängern des Ersitzenden die Nutzung des Grundstücks, an dem die nunmehrigen Eigentümer eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechts geltend machen [richtig: bestreiten], durch Pacht übertragen worden ist", erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukomme.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist entgegen diesem Beschluss, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist, nicht zulässig. Die Beklagten stützen ihr Recht zur Benützung der Grundstücke der Kläger darauf, sie hätten die entsprechende Wegedienstbarkeit ersessen. Maßgeblich ist hier die 30jährige Frist des § 1477 ABGB. Die Ersitzung wird ua dann unterbrochen, wenn dem Ersitzenden die Gewahrsame während laufender Frist rechtsgeschäftlich übertragen wird (EvBl 1987/134 für den Fall der Begründung eines Leiheverhältnisses; Schubert in Rummel2 § 1462 ABGB Rz 1; Mader in Schwimann² § 1462 ABGB Rz 3, § 1497 ABGB Rz 48). Dies gilt auch für die Frist des § 1477 ABGB (SZ 44/41). Unterbrechung der Ersitzung ist die Vernichtung der rechtlichen Relevanz bereits abgelaufender Ersitzungszeiträume mit der Wirkung, dass eine neue Frist zu laufen beginnt (Mader aaO § 1497 ABGB Rz 1); der bisher verstrichene Zeitraum kommt als Ursache der Rechtsänderung nicht mehr in Betracht (Schubert aaO§ 1497 ABGB Rz 1 mwN). Dies verkennen die Beklagten, wenn sie meinen, die Zeit, in der sie nach Beendigung ihres Pachtverhältnisses die Grundstücke wieder benützt hätten, sei zu der davon liegenden Zeit hinzuzurechnen, sodass sich jedenfalls insgesamt eine Zeit der Ausübung der Dienstbarkeit von über 30 Jahren ergebe, sodass die Dienstbarkeit jedenfalls ersessen sei. Vielmehr ist, weil hier die Zeit nach Beendigung des Pachtverhältnisses keinesfalls ausreicht, ausschlaggebend, ob die Rechtsvorgänger der Beklagten bereits zuvor mindestens 30 Jahre lang die Dienstbarkeit ausgeübt haben. Die von den Klägern in der Revision vertretene Ansicht, dies sei nach den Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen nicht der Fall, weshalb dem Klagebegehren bereits auf dieser Grundlage stattzugeben sei, ist aus folgenden Gründen nicht richtig:

Nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichts im zweiten Rechtsgang befindet sich dort "zumindest seit Mitte der 30iger Jahre" ein landwirtschaftlicher Weg, dessen Verlauf sodann näher beschrieben wird. Die Rechtsvorgänger der Beklagten, die diesen Weg benützten, pachteten "1963/64" die betreffenden Grundstücke, über die der Weg, der "in der Natur immer vorhanden" war, führte.

In der Beweiswürdigung (S 10 f der Urteilsausfertigung) verweist das Erstgericht "betreffend den seit längerer Zeit bestehenden Weg ... auf die nachvollziehbare Beweiswürdigung im ersten Rechtsgang, die schlüssig und widerspruchsfrei" sei; die Parteien hätten eine Beweiswiederholung nicht beantragt; betreffend die Benützung des Weges seit den Dreißigerjahren durch Maria und Josef E***** (Rechtsvorgänger der Kläger) bzw die Zeugin S***** bestehe kein Grund, an deren Aussagen zu zweifeln und hier von der Beweiswürdigung im ersten Rechtsgang abzugehen.

In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Kläger bereits im ersten Rechtsgang (AS 12, 48) ein Tatsachenvorbringen in der Richtung erstatteten, dass die Ersitzung während der Zeit unterbrochen worden sei, in der die Rechtsvorgänger der Beklagten die dienenden Grundstücke in Besitz genommen hatten; sie wiesen in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Zeit eines Pachtverhältnisses außer Betracht zu bleiben habe. Das Erstgericht hatte im ersten Rechtsgang - anders als nun im zweiten Rechtsgang - der Klage stattgegeben, sodass das Berufungsgericht über eine Berufung der unterlegenen Beklagten zu entscheiden hatte. Das Erstgericht hat in seinem Urteil im ersten Rechtsgang zu der Frage des Beginns der Ersitzung der Dienstbarkeit durch die Rechtsvorgänger der Beklagten über die - auch nunmehr im zweiten Rechtsgang wiederholten - Tatsachenfeststellungen im entsprechend bezeichneten Abschnitt seines Urteils hinaus im Rahmen der Beweiswürdigung (AS 165) ua ausgeführt, es schenke "der genauen Aussage der Zeugin Josefa

E*****, dass sie ab 1933 auf dem Hof ihres Onkels ... gelebt hat und

damals bereits den gegenständlichen Weg benützte, ... Glauben".

Dementsprechend führte das Erstgericht damals im Rahmen der rechtlichen Beurteilung (AS 169) aus, der zur Ersitzung führende redliche und echte Besitz während eines Zeitraums von 30 Jahren könne hier für die Zeit von 1933 bis 1963 angenommen werden. Da diese Feststellungen auch - wie dargelegt - im zweiten Rechtsgang in ihrer Gesamtheit, also auch die in der Beweiswürdigung enthaltenen, wiederholt wurden, ist auch nun auf Grundlage klarer und eindeutiger Feststellungen zu bejahen, dass die Ersitzungszeit bereits vor Beginn des ersten Pachtverhältnisses abgelaufen war und daher eine Unterbrechung der Ersitzungsfrist nicht mehr bewirkt wurde.

Darüber hinaus stehen keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 ZPO zur Entscheidung an.

§ 1475 ABGB, der eine Regelung über den Einfluss der Abwesenheit des Eigentümers auf die Ersitzungszeit enthält, ist nach stRsp und einheitlicher Lehre (Schubert aaO § 1475 ABGB Rz 1, 5; Mader aaO § 1475 ABGB Rz 2, jeweils mwN) nach dem Normtext nur auf die ordentliche (kurze) Ersitzung anzuwenden.

Ebenso entspricht es stRsp (7 Ob 641/89; 2 Ob 57/83), dass Grunddienstbarkeiten durch Pächter oder Nutzungsberechtigte ausgeübt werden können. Aus dem Umstand, dass die bereits früher ersessene Wegedienstbarkeit vom Pächter des dienenden Grundstücks ausgeübt wird, folgt keineswegs deren Erlöschen oder deren Unwirksamkeit. Die Frage der Offenkundigkeit der nicht im Grundbuch eingetragenen Wegedienstbarkeit für den Erwerber der Liegenschaft ist aber nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0107329); das Berufungsgericht ist den Grundsätzen der stRsp gefolgt (s Kiendl-Wendner in Schwimann2, § 481 ABGB Rz 4 ff; Hofmann in Rummel3, § 481 ABGB Rz 2, jeweils mwN; 1 Ob 277/00t; 7 Ob 176/01k). Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt insoweit nicht vor.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagten haben auf die Unzulässigkeit der gegnerischen Revision ausdrücklich hingewiesen. Freilich bestand nur Anspruch auf einen Einheitssatz von 50 % (§ 23 RATG).

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