JudikaturJustiz2Ob22/94

2Ob22/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Mai 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ronald J*****, England, vertreten durch Dr.Gerhard Hoyer, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagten Parteien 1.) Gustav C***** und 2.) Firma S***** GmbH Co KG, ***** beide vertreten durch Dr.Ulrich Schwab, Rechtsanwalt in Wels, wegen S 610.000,-- sA und Feststellung, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 1.Dezember 1993, GZ 3 R 221/93-37, womit das Urteil des Landesgerichtes Wels vom 27.Juli 1993, GZ 6 Cg 87/91-28, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Am 9.6.1987 ereignete sich in L*****, Spanien, ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Fußgänger und der Erstbeklagte als Lenker eines Autobusses der zweitbeklagten Partei beteiligt waren. Der Kläger ist britischer Staatsbürger, er hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in England. Der Autobus der zweitbeklagten Partei ist in Österreich zum Verkehr zugelassen. Der Erstbeklagte befuhr mit dem Bus mit ca 20 km/h eine belebte Straße, in deren Nähe ein Markt abgehalten wurde. Dabei kam es zum Kontakt zwischen dem Kläger und dem Autobus; wahrscheinlich stieß der rechte Außenspiegel gegen den Rücken des Klägers. Jedenfalls kam dieser durch den Stoß zu Sturz und geriet mit dem rechten Fuß unter das rechte Hinterrad des Autobusses.

Der Kläger wurde durch diesen Unfall schwer verletzt; er ist trotz eingetretener Besserung bleibend beeinträchtigt.

Der Kläger, der zunächst nur den Namen des Erstbeklagten und die Nummer der Polizze der von der zweitbeklagten Partei für den Autobus abgeschlossenen Haftpflichtversicherung in Erfahrung bringen konnte, stellte in England beim Legal Aid Assessment Office einen mit 24.11.1987 datierten Antrag auf "Legal Aid" (= Verfahrenshilfe bzw kostenlose Beistellung eines Rechtsanwaltes). Dieser Antrag wurde zusammen mit anderen Unterlagen am 30.5.1989 vom Legal Aid Head Office in London an das (österreichische) Bundesministerium für Justiz in Wien geschickt, wobei gleichzeitig mitgeteilt wurde, daß nach den englischen Bestimmungen die Voraussetzungen für die Gewährung der Legal Aid vorlägen. Das Landesgericht Wels bewilligte dem Kläger die Verfahrenshilfe in vollem Umfang. Unverzüglich (am 28.2.1991) hat der Verfahrenshelfer die Schadenersatzklage eingebracht. Das gegen den Erstbeklagten von den spanischen Strafverfolgungsbehörden eingeleitete Strafverfahren wurde am 23.12.1987 wegen unbekannten Aufenthaltes des Erstbeklagten einstweilen eingestellt.

Der Kläger begehrte zunächst die Zahlung von S 100.000,-- Schmerzengeld und S 30.000,-- Verunstaltungsentschädigung; weiters erhob er ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, vom Autobus der zweitbeklagten Partei überrollt worden zu sein. Der Autobus sei zu knapp am Gehsteigrand entlang gefahren. Nur mehrere Operationen hätten eine Amputation des Beines verhindert; es sei bleibend deformiert und verursache ständige Schmerzen. In der Verhandlung vom 26.4.1993 dehnte der Kläger das Leistungsbegehren auf S 610.000,-- sA aus und machte unter anderem eine Abgeltung für dauernde Arbeitsunfähigkeit von S 100.000,-- und an diversen Spesen S 10.000,-- neu geltend.

Die Beklagten wendeten ein, die Forderung des Klägers sei nach dem anzuwendenden spanischen Recht längst verjährt. Im übrigen trage der Kläger das Alleinverschulden. Der Erstbeklagte habe keine Möglichkeit gehabt, den Unfall zu verhindern. Schließlich liege auch Unzulässigkeit des Rechtsweges vor.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 274.500,-- samt Stufenzinsen zu und wies das Leistungsmehrbegehren auf Zahlung von S 335.000,-- sA und auch das Feststellungsbegehren ab.

Das Erstgericht wendete gemäß Art 3 des Haager Straßenverkehrsabkommens spanisches Recht an. Nach diesem Recht bestehe eine solidarische Haftung von Halter und Lenker für schuldhaft einem Dritten zugefügte Schäden. Die Höhe des Entschädigungsbetrages bestimme sich nach freiem richterlichen Ermessen. Zur Abgeltung aller gegenwärtigen und künftigen Ansprüche des Klägers erscheine ein Betrag von S 3,000.000,-- Peseten angemessen. Als Folge der einmaligen Globalabfindung sei auch das Feststellungsbegehren nicht berechtigt, weil es zukünftige Forderungen des Klägers eben nicht mehr geben könne. Der Einwand der Unzulässigkeit des Rechtsweges sei unberechtigt, da das spanische Strafverfahren eingestellt worden sei; es könne in einem derartigen Fall dem Kläger nicht die Möglichkeit genommen werden, den Beklagten vor dessen allgemeinen Gerichtsstand zu klagen.

Auch wenn nach Art 1968 Z 2 des spanisches Zivilgesetzbuches Schadenersatzansprüche binnen einem Jahr ab Kenntnis bzw Kennenmüssen von Schaden und Schädiger verjährten, sei im vorliegenden Fall die Verjährungsfrist durch den Antrag des Klägers auf "Legal Aid" unterbrochen worden. Dies gelte auch für die zweitbeklagte Partei, weil sie durch Anführung der entsprechenden Polizzennummer ausreichend präzisiert worden sei. Da die Voraussetzungen für eine Feststellungsklage nach inländischem Recht zu beurteilen seien, sei das in der Klage erhobene Feststellungsbegehren grundsätzlich zulässig gewesen. Wegen der faktischen und rechtlichen Schwierigkeiten für den Verfahrenshelfer, die Parameter für eine Entscheidung zu überblicken, decke dieses Feststellungsbegehren auch die am 26.4.1993 erfolgte Klagsausdehnung.

Das Berufungsgericht gab beiden Berufungen Folge und hob das angefochtene Urteil auf; die Rechtssache wurde an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen; der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt.

Das Rekursgericht schloß sich der Meinung des Erstgerichtes, es sei spanisches Recht anzuwenden, an. Nach Art 8 des Haager Straßenverkehrsabkommens bestimme das anzuwendende Recht auch die Verjährung einschließlich des Beginns, der Unterbrechung und der Hemmung der Fristen. Zutreffend sei auch die Ansicht des Erstgerichtes, Fahrer und Eigentümer des Kraftfahrzeuges hafteten solidarisch, sodaß nach Art 1974 des spanischen ZGB die Unterbrechung der Verjährung von Ansprüchen allen Gläubigern und Schuldnern gleichermaßen nütze oder schade.

Nach Art 1973 des spanischen ZGB werde die Verjährung durch die Ausübung des Anspruches vor Gericht (aber auch durch außergerichtliche Geltendmachung) unterbrochen. Auch die Beantragung von kostenloser Rechtshilfe werde als ausreichend angesehen, sodaß die Antragstellung des Klägers beim Legal Aid Assessment Office am 24.11.1987 die Verjährungsfrist unterbrochen habe.

Wenngleich es ungeklärt sei, weshalb der 1987 gestellte Rechtshilfeantrag des Klägers erst 1990 nach Österreich gelangte, sei auf den Einwand der nicht gehörigen Fortsetzung des Verfahrens nicht einzugehen, weil dieser erstmals in der Berufung erhoben worden sei.

Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch sei daher nicht verjährt. Das Erstgericht habe es aber unterlassen, eine von den beklagten Parteien beantragte Zeugin einzuvernehmen, so daß das Verfahren insoweit mangelhaft geblieben sei.

Hinsichtlich der in der letzten Streitverhandlung geltendgemachten weiteren Schadenersatzbeträge führte das Berufungsgericht aus, daß die Erhebung des vom Erstgericht abgewiesenen Feststellungsbegehrens nach dem derzeitigen Stand der Ermittlung spanischen Rechtes nicht als Grundlage für die Unterbrechung der Verjährungsfrist herangezogen werden könne. Unabhängig von der nach inländischem Recht zu beurteilenden Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage sei zu beurteilen, ob eine Feststellungsklage auch geeignet sei, die Verjährung erst im Laufe des Prozesses erhobener Ansprüche zu unterbrechen. Diese Frage könne mangels Vorliegens näherer Auskünfte darüber, wie eine Klage beschaffen sein müsse, damit ihr Unterbrechungswirkung zukomme, sowie darüber, ob, wenn einmal eine aus einem bestimmten Sachverhalt abgeleitete Klage eingebracht worden sei, die Verjährungsfrist betreffend quantitativer oder qualitativer Klagsausdehnungen unterbrochen sei, derzeit nicht beurteilt werden. Zu prüfen werde auch sein, ob, da eine Unterbrechung nach allgemeinem kontinental-europäischem Rechtsverständnis bedeute, daß ab der Unterbrechung eine neue Verjährungsfrist laufe, die erst etwa zwei Jahre nach Klagseinbringung zusätzlich geltendgemachten Ansprüche verjährt seien. Was den ausgedehnten Leistungsanspruch des Klägers angehe, leide daher das erstgerichtliche Verfahren an einem Mangel besonderer Art, weil maßgebliche Normen, die anzuwenden seien, nicht ermittelt wurden.

Da die vom Erstgericht angestrebte einmalige Globalabfindung allenfalls erst in Zukunft erfolgen könne, könne nicht gesagt werden, das Feststellungsbegehren sei nicht zur Vermeidung von Verjährungsfolgen erforderlich. Insoweit erweise sich die Berufung des Klägers als berechtigt. Sie erweise sich auch insoweit als begründet, als tatsächlich nicht alle für die Bemessung eines Globalschadenersatzbetrages wesentlichen Umstände festgestellt wurden. Auch nach spanischem Recht könne die Frage einer dauernden Arbeitsunfähigkeit nicht als für die Ermessensausübung unerheblich abgetan werden. Dasselbe gelte für das Ausmaß der erlittenen Schmerzen und die Dauerfolgen.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil nach der vorliegenden Rechtsauskunft des spanischen Justizministeriums nicht gesagt werden könne, die einem bloßen Verfahrenshilfeantrag beigemessene Unterbrechungswirkung gleich einer Klage, beruhe auf einer in Rechtsprechung und Lehre Spaniens gefestigten Ansicht.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Rekurs der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß dem Klagebegehren vollinhaltlich stattgegeben werde.

Die beklagten Parteien haben Rekursbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der klagenden Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Das Rechtsmittel der klagenden Partei ist unzulässig, weil die im Aufhebungsbeschluß als erheblich bezeichnete Rechtsfrage in der angefochtenen Entscheidung ohnehin zugunsten der klagenden Partei gelöst wurde; das Berufungsgericht ist in Übereinstimmung mit der von der klagenden Partei vertretenen Meinung zur Rechtsansicht gelangt, der Verfahrenshilfeantrag habe gleich einer Klage die Verjährungsfrist hinsichtlich der in der Klage geltendgemachten Ansprüche unterbrochen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes hängt daher nicht von der Lösung dieser Frage ab, die in der Klage geltend gemachten Ansprüche sind nicht Gegenstand des Rekursverfahrens. Andere erhebliche Rechtsfragen werden im Rekurs der klagenden Partei nicht aufgezeigt.

Der Kläger vertritt in seinem Rechtmittel die Ansicht, aus der vorliegenden Auskunft des spanischen Justizministeriums ergebe sich, daß sowohl die in der Klage geltendgemachten Ansprüche als auch die in der Klagsausdehnung vom 26.4.1993 erhobenen weiteren Ansprüche, noch nicht verjährt seien.

Weiters vertritt der Kläger die Meinung, seinem Feststellungsbegehren sei Folge zu geben, weil die Frage der Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach inländischem Verfahrensrecht zu beurteilen sei. Demgemäß wäre eine Feststellungsklage allein schon zulässig, wenn künftige Schäden oder Dauerfolgen nicht mit Sicherheit auszuschließen seien. Die bisherigen Verfahrensergebnisse hätten auch durchaus ausgereicht, eine Globalentschädigung in der begehrten Höhe von öS 610.000,-- zuzuerkennen.

Schließlich sei die vom Berufungsgericht angenommene Mangelhaftigkeit des Verfahrens, weil eine Zeugin nicht vernommen wurde, nicht gegeben.

Hiezu wurde erwogen:

Wie schon oben ausgeführt, ist auch das Berufungsgericht zur Ansicht gelangt, der Verfahrenshilfeantrag habe die Verjährungsfrist hinsichtlich der in der Klage geltendgemachten Ansprüche unterbrochen. Hinsichtlich der Frage, ob durch diesen Antrag eine Unterbrechung der Verjährungsfrist auch hinsichtlich der erst am 26.4.1993 durch Klagsausdehnung geltendgemachten Ansprüche eingetreten ist, sind die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben. Zum einen vermag auch der Kläger nicht darzulegen, inwieweit das Berufungsgericht von der spanischen Lehre und Rechtsprechung abgewichen sei, zum andern ist es nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofes, zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung Spaniens beizutragen. Zutreffend ist aber die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Nichtermittlung oder nicht ausreichende Ermittlung ausländischen Rechtes, einen Verfahrensmangel besonderer Art darstellt (ZfRV 1977, 292). Geht man aber von der Richtigkeit der Rechtsansicht im Aufhebungsbeschluß aus, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, ob eine Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist (2 Ob 582/93).

Zutreffend ist an sich die Rechtsmeinung, daß die prozessualen Voraussetzungen, insbesondere das rechtliche Interesse einer Feststellungsklage nach österreichischem Recht zu beurteilen sind (ZfRV 1993, 124). Demnach fehlt es nur dann an einem rechtlichen Interesse, wenn weitere Schäden aus dem im Feststellungsbegehren bezeichneten Ereignis ausgeschlossen werden können (1 Ob 24/92 uva). Dieser Rechtsansicht widerspricht aber keineswegs jener des Berufungsgerichtes. Auch dieses vertrat die Meinung, es könne nicht gesagt werden, das Feststellungbegehren sei nicht zur Vermeidung von Verjährungsfolgen erforderlich (siehe S 9 der Beschlußausfertigung). Das Berufungsgericht erachtete aber weitere Erhebungen zum Grunde des vom Kläger geltend gemachten Anspruches als erforderlich, diese Frage ist aber, wie schon oben dargelegt, der Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof entzogen. Auch die Frage, ob noch weitere Erhebungen zur Überprüfung der geltendgemachten Globalentschädigung erforderlich sind, kann vor dem Obersten Gerichtshof nicht releviert werden.

Zusammenfassend ergibt sich, daß die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt, sodaß der Rekurs des Klägers zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Da die beklagten Parteien nicht auf die Unzulässigkeit des Rekurses des Klägers hingewiesen haben, haben sie die Kosten der Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Rechtssätze
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