JudikaturJustiz24Ds6/22z

24Ds6/22z – OGH Entscheidung

Entscheidung
06. Dezember 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 6. Dezember 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Grohmann sowie die Anwaltsrichter Dr. Niederleitner und Mag. Vas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Seidenschwann in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Beschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 13. Dezember 2021, AZ D 24/21, D 256/20, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, des Kammeranwalts Mag. Meyenburg und des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten unter Bedachtnahme gemäß § 16 Abs 5 zweiter Satz DSt auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. März 2021, AZ D 212/18, die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft in der Dauer von sechs Monaten verhängt.

Gemäß § 16 Abs 2 DSt wird von dieser Disziplinarstrafe ein Teil von vier Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Der Beschuldigte hat auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu tragen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten (1./ bis 6./) und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (1./ bis 5./) nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt und unter Bedachtnahme (§ 16 Abs 5 zweiter Satz DSt) auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. März 2021, AZ D 212/18, zur Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste verurteilt.

[2] Danach hat er

1./ im März 2015 gegenüber seiner Mandantin * GmbH Co KG wahrheitswidrig angegeben, eine von dieser beauftragte Klage mit einem Streitwert von 938.357 Euro gegen * N* eingebracht zu haben;

2./ mit Honorarnote Nr 7/2015 vom 2. März 2015 seiner vorgenannten Mandantin die Pauschalgebühr für die zu 1./ angeführte Klage in Höhe von 14.747 Euro verrechnet und mit Schreiben vom 9. März 2015 gegenüber dieser wahrheitswidrig angegeben, dass diese bereits abgebucht worden wäre;

3./ Anfang 2016 eine falsche öffentliche Urkunde, nämlich ein Versäumungsurteil des * vom 19. Februar 2016, AZ *, nach welchem seiner vorgenannten Mandantin 938.357 Euro zugesprochen worden wären, mit dem Vorsatz, sie im Rechtsverkehr zu verwenden, hergestellt und am 8. März 2016 seiner Mandantin zum Beweis des Vorliegens eines gerichtlichen Titels übermittelt;

4./ am 8. März 2016 gegenüber seiner vorgenannten Mandantin wahrheitswidrig angegeben, in der zu 3./ angeführten Rechtssache bereits Exekution beantragt zu haben;

5./ am 26. April 2017 seiner vorgenannten Mandantin 9.657 Euro für anwaltliche Leistungen und Pauschalgebühren („restliche Pauschalgebühr“ für die Einbringung der zu 1./ angeführten Klage sowie Pauschalgebühren für die Löschung eines Veräußerungs- und Belastungsverbots und für einen „Exekutionsantrag im Hauptverfahren“) falsch und wahrheitswidrig in Rechnung gestellt;

6./ in der Rechtssache * A* gegen die P* GmbH die E Mail des Rechtsanwalts Dr. * L* vom 22. Jänner 2020 nicht beantwortet und auf dessen Ersuchen um Rückruf im Jänner und Februar 2020 nicht reagiert.

[3] Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die – auch Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 und 11 StPO relevierende (vgl RIS Justiz RS0128656 [T1]) – Berufung des Beschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe (§ 49 letzter Satz DSt).

[4] Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld kommt – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] Die Mängelrüge (Z 5 erster, zweiter und dritter Fall) zeigt nicht deutlich und bestimmt (§ 285a Z 2 StPO) auf, in Bezug auf welche entscheidenden Tatsachen (vgl zum Begriff Ratz , WK StPO § 281 Rz 398 f; RIS Justiz RS0117264) das Erkenntnis „undeutlich, unvollständig und mit sich selbst im Widerspruch“ sein sollte (vgl RIS Justiz RS0099563 [T2], RS0117402, RS0117995, RS0118316).

[6] Entgegen der Berufung (der Sache nach Z 10), sind bei der Beurteilung, ob ein standeswidriges Vorgehen einem größeren Personenkreis zur Kenntnis gelangte, auch „Mitarbeiter von Polizei/Justiz und StA“ (ES 8 ff) zu berücksichtigen. Bloß Funktionäre der Rechtsanwaltskammer, deren Aufgabe die disziplinäre Prüfung (und Verfolgung) eines Verhaltens ist, scheiden als Bezugspunkt einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes iSd § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt aus ( Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 1 DSt Rz 14). Die Annahme mehrfacher Qualifikation (ES 26) ist demnach nicht zu beanstanden.

[7] Entgegen der Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) wurden „mangelnde Schuldeinsicht“ oder eine „leugnende Verantwortung“ bei der Strafbemessung nicht als erschwerend, sondern das „teilweise abgelegte Geständnis“ als mildernd gewertet. Mit Blick auf die „über weite Teile (aber) bloß tatsachengeständige Verantwortung“ des Beschuldigten und aufgrund von „Beschönigungstendenzen“ hätte dieses Geständnis indessen „keine herausragende mildernde Wirkung entfalten“ können (US 27).

[8] Auch der Schuldberufung im engeren Sinn (§ 464 Z 2 erster Fall StPO), der im Übrigen keine Bekämpfung für die Schuldfrage entscheidender Feststellungen zu entnehmen ist, war ein Erfolg zu versagen. Der Disziplinarrat hat sich im Rahmen seiner schlüssig nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Tat auseinandergesetzt und seine Feststellungen überzeugend begründet, sodass gegen die Richtigkeit der Lösung der Schuldfrage keine Bedenken bestehen.

[9] Berechtigt ist hingegen die Berufung wegen Strafe.

[10] Zwar sind zur Strafbemessung im anwaltlichen Disziplinarverfahren die §§ 32 ff StGB sinngemäß heranzuziehen (RIS Justiz RS0054839), doch nur soweit, als dies mit den Eigenheiten des rechtsanwaltlichen Disziplinarverfahrens vereinbar ist (RIS Justiz RS0054839 [T2]).

[11] Der Strafberufung ist zunächst zu erwidern, dass bei solchen Disziplinarvergehen, deren Vollendung einen Schadenseintritt nicht erfordert, (selbst) der Umstand, dass die Tat keine Folgen nach sich gezogen hat, nicht mildernd ist (RIS Justiz RS0091022) und ein Vermögensschaden iSd § 34 Abs 1 Z 14 StGB vom Disziplinarrat nicht konstatiert wurde. Eine Gutmachung des durch die Publizität am Standesansehen bewirkten immateriellen Schadens (RIS Justiz RS0096979) kann nicht in Anschlag gebracht werden. Es ist nicht erkennbar, auf welche strafbemessungsrelevante Sachverhaltsannahmen die nicht näher begründete, in sich widersprüchliche Rechtsmittelargumentation „Keine Schadensverursachung bzw Schadensgutmachung oder ernstliche Bemühung“ abzielt, um eine mildere Sanktion zu erzielen. Die reklamierte „Unbesonnenheit“ würde nicht nur voraussetzen, dass das Verhalten nicht aufgrund reiflicher Überlegung, einer augenblicklichen Eingebung entspringend (12 Os 5/87), verübt worden ist, sondern auch, dass der Tat keine kriminelle (hier: disziplinäre) Neigung oder grundsätzliche Geringschätzung fremder Interessen zugrunde liegt (RIS Justiz RS0091026), wovon schon aufgrund der unter den Fakten 1) bis 5) zur Last gelegten, zeitlich aufeinanderfolgenden einzelnen Tathandlungen nicht ausgegangen werden kann.

[12] Dem Berufungsvorbringen zuwider kann auch von einem längeren Wohlverhalten seit und zwischen den einzelnen angelasteten Fakten (vgl RIS Justiz RS0108563 [insbesondere T4], RS0091574) ebenso wenig die Rede sein wie – beim Zeitraum von den Disziplinaranzeigen zu den Fakten 1) bis 5) vom 4. November 2020 mit den Verfahrensabschlüssen nach der Strafprozessordnung (§ 23 Abs 2 DSt) zu Faktum 3) am 16. August 2021 und zu den Fakten 2), 4) und 5) am 4. Februar 2021 sowie von der Disziplinaranzeige zu Faktum 6) vom 2. November 2020 bis zum angefochtenen Erkenntnis vom 13. Dezember 2021 – von einer unverhältnismäßig langen Verfahrensdauer. Im Vorerkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 9. März 2021 wurde mit Bezug auf die dort abgehandelten Disziplinarvergehen bereits die – dort – verwirklichte überlange Verfahrensdauer (ES 27) berücksichtigt.

[13] Unter dem Aspekt eines wesentlichen Beitrags zur Wahrheitsfindung (§ 34 Abs 1 Z 17 zweiter Fall StGB) wäre ein „Tatsachengeständnis“ nur dann bedeutsam, wenn sich dieses maßgeblich auf die Beweisführung ausgewirkt hätte (RIS Justiz RS0091460 [T5, T6], Ebner in WK 2 StGB § 34 Rz 38), was fallbezogen bereits vom Disziplinarrat – nicht korrekturbedürftig – verneint (ES 27) wurde.

[14] Dennoch bedarf es vorliegend nicht der schwersten Strafe der Streichung von der Liste, um der Täterschuld (§ 16 Abs 6 DSt) gerecht zu werden.

[15] Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschuldigte moralische Bedenken an der beauftragten Klagsführung aus dem von ihm errichteten Liegenschaftskaufvertrag gegen den Verkäufer sowie massive Zweifel am Rechtsgrund hatte und, jedenfalls anfänglich, auf eine außergerichtliche Einigung hoffte (ES 6). Er traute sich nicht, seinem Klienten – der als mit Holdingkonstruktionen arbeitender Immobilienmakler einen „jungen und bissigen Anwalt“ gesucht hatte, „gerne stritt“, später laut eigener Aussage etwa 16 Anwaltskanzleien mit insgesamt mehr als 1.000 Verfahren beschäftigte und der anfänglich der einzige Klient des Beschuldigten sowie mit diesem bis gegen Ende 2017 befreundet war (ES 5, 11) – zu sagen, dass er die Klage nicht einbringen werde (ES 6). Um seinem Klienten glaubhaft zu machen, dass er tätig geworden sei und das Gerichtsverfahren erfolgreich beendet hätte, fälschte er Anfang März 2016 das Urteil des * (mit einer angeblichen Aktenzahl), indem er einzelne Teile zusammenkopierte (ES 8), und teilte weiters wahrheitswidrig mit, dass das Exekutionsverfahren bereits eingeleitet worden sei (ES 9). Bis zur Einbringung der Klage am 9. Mai 2016 mit der tatsächlichen Abbuchung der Gerichtsgebühr, unmittelbar vor Ablauf der Verjährungsfrist, war der Beschuldigte bereichert (ES 7).

[16] Soweit die disziplinären Tathandlungen zugleich ein strafrechtsrelevantes Fehlverhalten indizieren (Fakten 2, 3, 4, 5) ist fest zuhalten, dass insoweit die Unschuldsvermutung gilt (Art 6 Abs 2 MRK). Die Staatsanwaltschaft Wien hat das Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs des schweren Betrugs in der Höhe von 14.747 Euro am 9. März 2015 und in Höhe von 9.657 Euro am 26. Mai 2017 eingestellt, da die Tatbegehung nicht mit der für ein Strafverfahren notwendigen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Neben fehlendem Schädigungsvorsatz (spätere Klagseinbringung mit Abbuchung der Pauschalgebühr sowie Entrichtung der Pauschalgebühr für die Berufung) sei auch tätige Reue in Betracht gekommen (ES 12). Der Vorwurf der Fälschung einer besonders geschützten Urkunde nach §§ 223 Abs 2, 224 StGB (Faktum 3) wurde mit Einstellungsbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 16. August 2021 gegen Zahlung eines Geldbetrags von 6.800 Euro einer „gerade noch möglichen“ diversionellen Erledigung zugeführt (ES  2).

[17] Im Einzelnen waren als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Disziplinarvergehen (§ 33 Z 1 StGB), als mildernd die disziplinäre Unbescholtenheit (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) zu werten.

[18] Mag auch ein schweres Disziplinarvergehen wie die Fälschung eines Beweismittels grundsätzlich eine strenge Strafe erfordern, so rechtfertigen (24 Ds 1/17g) Tatunrecht, Täterschuld und Präventionserfordernisse, die bisherige disziplinäre Unbescholtenheit und der vom Beschuldigten bereits gemäß § 200 StPO zu Gunsten des Bundes entrichtete Geldbetrag von 6.800 E uro vorliegend die Annahme, dass die im Spruch genannte Strafe ausreicht.

[19] Die Disziplinarstrafe war hinsichtlich der befristeten Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft wie aus dem Spruch ersichtlich teilweise bedingt nachzusehen, da ein solcherart auch noch drohender Eingriff in die Erwerbsmöglichkeit des Beschuldigten geeignet erscheint, ihn von weiteren einschlägigen Handlungen abzuhalten (26 Ds 7/20h).

[20] Gemäß § 54 Abs 4 DSt war auszusprechen, dass dem Beschuldigten – gemäß § 77 Abs 3 DSt iVm § 390a StPO trotz erfolgreicher Sanktionsrüge (RIS Justiz RS0105881, RS0101342, Lendl , WK StPO § 390a Rz 11) – auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last fallen.

Rechtssätze
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