JudikaturJustiz20Os7/15b

20Os7/15b – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. August 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 25. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Haslinger und Dr. Grassner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Leisser als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Disziplinarvergehens der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 28. April 2014, AZ D 61/12 (DV 50/13), TZ 63, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Lughofer, des Disziplinarbeschuldigten und des Verteidigers Dr. Mayrhofer zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht, der wegen Strafe aber dahin Folge gegeben, dass die Geldbuße auf 4.500 Euro herabgesetzt wird.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt Dr. ***** schuldig erkannt, das Disziplinarvergehen der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes begangen zu haben, weil er am 25. September 2012 beim Betreten des Bezirksgerichts Salzburg, nachdem er sich nicht durch Vorlage eines Anwaltsausweises als Rechtsanwalt legitimieren konnte, der Aufforderung des Sicherheitsorgans, sich einer Personenkontrolle zu unterziehen, nicht entsprach, sondern entgegen §§ 3, 4 GOG das Gerichtsgebäude durch die offene Schleuse unkontrolliert betrat und in weiterer Folge beim Versuch, das Gerichtsgebäude zu verlassen, die Aufforderung des Sicherheitsorgans, an der Feststellung seiner Identität mitzuwirken, nicht befolgte, sondern durch Einsatz minderschwerer körperlicher Gewalt versuchte, das Gerichtsgebäude „selbstständig“ zu verlassen.

Er wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße von 5.000 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a, lit b StPO) sowie gegen die Aussprüche wegen Schuld und Strafe. Der Kammeranwalt hat dazu eine ablehnende Gegenausführung erstattet.

Das angefochtene Erkenntnis ging wie schon die Verurteilung wegen bloß eines Vergehens zeigt von einer tatbestandlichen Handlungseinheit (vgl Ratz in WK² StGB Vor §§ 28 31 Rz 89 f [mwN; Verweise zum Prozessrecht in Rz 91]) aus.

Die Berufung releviert lediglich den zweiten Teil des Tatgeschehens (das Verlassen des unbestritten entgegen § 4 Abs 1 GOG betretenen Gerichtsgebäudes), spricht somit keine für Schuld und Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache an (RIS Justiz RS0127374, RS0120233) und muss in den Punkten Nichtigkeit und Schuld schon deshalb erfolglos bleiben.

Der Vollständigkeit halber und mit Blick auf die Straffrage bleibt zu bemerken:

Ob und unter welchen Umständen das Kontrollorgan dessen Versuch, den Disziplinarbeschuldigten am anonymen Verlassen des Gerichtsgebäudes zu hindern, unbestritten zu einer „Rangelei“ führte (minimal) am Körper verletzt wurde, betrifft entgegen der Mängelrüge (Z 5) und der Schuldberufung keine entscheidende Tatsache.

Der Rechtsrüge (dSn nur Z 9 lit b) ist wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte - entgegenzuhalten:

Dass das Kontrollorgan den Disziplinarbeschuldigten mit Gewalt daran hinderte, das Gebäude zu verlassen, verwirklichte zwar grundsätzlich das Tatbild der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (allenfalls jenes der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB wobei Feststellungen zur Dauer der Anhaltung des Disziplinarbeschuldigten im Erkenntnis des Disziplinarrats fehlen). Dieses Handeln war aber jedenfalls gerechtfertigt: Als Grundlage dafür kommen sowohl das Selbsthilferecht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gemäß §§ 19, 344 ABGB als auch der Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs 2 StGB in Betracht. Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung ist einerseits das Anhalten eines „Schwarzfahrers“ unbekannter Identität, der der Verwaltungsübertretung nach Art IX Abs 1 Z 2 EGVG verdächtig ist, durch Kontrollorgane eines Massenbeförderungsunternehmens zur Durchsetzung eines zivilrechtlichen Anspruchs gegen den Schwarzfahrer gemäß §§ 19, 344 ABGB erlaubt und angemessen, auch wenn es die tatbestandliche Mindestdauer einer Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB) erreicht; Notwehr dagegen ist nicht zulässig (15 Os 71/07s = RIS Justiz RS0122592 und RS0122593; zum Wesen der Bestimmung des § 105 Abs 2 StGB als Rechtfertigungsgrund: RIS Justiz RS0093180; Schwaighofer in WK 2 StGB § 105 Rz 75).

Da auch die Republik Österreich einen zivilrechtlichen Anspruch auf ungestörten Besitz und Ausübung des Hausrechts genießt, handelt es sich bei dem gesetzwidrigen Betreten eines Gerichtsgebäudes um eine (hausrechtsverletzende) Besitzstörung. Eine Klärung der Identität des Störers im Wege der offensiven Selbsthilfe nach §§ 19, 344 ABGB ist somit zulässig (vgl Lewisch in WK 2 StGB Nachbemerkungen zu § 3 Rz 164 mwN, insbesondere zum grundlegenden Werk G. Kodek , Besitzstörung). Darüber hinaus liegt angesichts des erwähnten privatrechtlichen Anspruchs und des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines sicheren, geordneten Gerichtsbetriebs auch der Rechtfertigungsgrund des § 105 Abs 2 StGB vor.

Da sich der die Konfliktsituation geradezu provozierende Disziplinarbeschuldigte somit gegen einen nicht rechtswidrigen Angriff wehrte, handelte er nicht in Notwehr (§ 3 StGB). Als Rechtsanwalt hätte er um das Nichtvorliegen einer Notwehrsituation auch Bescheid wissen müssen, weshalb ihm der im Erkenntnis angeführte Einsatz minderschwerer Gewalt vorwerfbar ist. Die fahrlässige Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes reicht aber für eine Strafbarkeit gemäß § 1 DSt aus ( Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 S 855).

An diesem Ergebnis ändert auch nichts, dass das GOG selbst die für die Sicherheit von Gerichtsgebäuden zuständigen Kontrollorgane zur Anwendung von Zwangsgewalt lediglich zu dem Zweck ermächtigt, Personen aus dem Gebäude zu weisen, die es abgelehnt haben, sich einer Sicherheitskontrolle zu entziehen oder die eine solche umgangen haben (§ 5 GOG), nicht aber zur Feststellung der Identität dieser Personen.

Dem Vorbringen der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe kommt keine Berechtigung zu. Angesichts des erheblichen Unrechts und Schuldgehalts des dem Disziplinarbeschuldigten vorwerfbaren Verhaltens sowohl bei Betreten als auch bei Verlassen eines Gerichtsgebäudes ist die vom Disziplinarrat festgesetzte Geldbuße keineswegs überhöht. Zutreffend hat der Disziplinarrat auf eine massive Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes und die Gefährdung des diesem eingeräumten Privilegs nach § 4 GOG durch das Verhalten des Disziplinarbeschuldigten abgestellt, das mehreren Gerichtspersonen zur Kenntnis gelangte und zum Einschreiten von Polizei, Staatsanwalt und Strafgericht führte. Selbst unter Außerachtlassen der „Uneinsichtigkeit“ des Disziplinarbeschuldigten als vom Disziplinarrat mitangeführter Erschwerungsgrund (ES 10; § 7 Abs 2 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt; Kirchbacher , WK StPO § 245 Rz 49; RIS Justiz RS0090897) bestünde aus general und spezialpräventiven Gründen kein Anlass, die Höhe der verhängten Geldbuße zu mindern.

Allerdings kommt zufolge der Länge des Rechtsmittelverfahrens (Vorlage der Berufung an den Obersten Gerichtshof erst nach rund sechs Monaten) der Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB zum Tragen: als Ausgleich der Grundrechtsverletzung war die Sanktion auf 4.500 Euro zu reduzieren (RIS Justiz RS0114926).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

Rechtssätze
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