JudikaturJustiz1Ob647/76

1Ob647/76 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Juni 1976

Kopf

SZ 49/88

Spruch

Untersagt das Pflegschaftsgericht einem beschränkt Entmundigten die selbständige Prozeßführung über einen Anspruch, der sein Einkommen aus eigenem Erwerb betrifft, steht dem beschränkt Entmundigten ein selbständiges Rekursrecht zu

Das Pflegschaftsgericht darf einem beschränkt Entmundigten die selbständige Einbringung einer Lohnklage nur untersagen, wenn durch eine zu erwartende Belastung des beschränkt, Entmundigten mit Prozeßkosten aus einem voraussichtlich aussichtslosen Prozeß die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wäre

OGH 30. Juni 1976, 1 Ob 647/76 (LGZ Wien 43 R 381/76; BG Innere Stadt Wien 3 P 197/75)

Text

Mit rechtskräftigem Beschluß des Erstgerichtes vom 12. 2. 1974 wurde über Antrag der Staatsanwaltschaft Wien der nunmehrige Rechtsmittelwerber wegen Geisteskrankheit beschränkt entmundigt. Festgestellt wurde, daß er an Verfolgungswahn leidet und nicht in der Lage ist, Realitäten und die Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen zu erkennen und sich situationsgemäß zu verhalten; ist daher nicht in der Lage, seine Angelegenheiten in jenen Bereichen in denen sich sein Wahn auswirkt, also insbesondere im Verkehr mit Behörden und Gerichten und bei Handlungen der Rechtsverfolgung, ordentlich zu verfolgen; es wurde für notwendig erachtet, dem nunmehrigen Rechtsmittelwerber einen Beistand zur Seite zu geben, der die Flut von unzähligen Eingaben und Beschwerden filtern und nur jene, die berechtigt sind, weiterleiten kann. Rechtsanwalt Dr. Ferdinand N wurde zum Beistand bestellt. Eine Anordnung, daß dem Beistande auch die Verfügung über das, was sich der Entmundigte durch seinen Fleiß erwirbt, vorbehalten werde, wurde nicht getroffen.

Zu 1 Cr 7/75 klagte der Pflegebefohlene seine ehemalige Dienstgeberin Firma D, bei der er als Maschinbügler gearbeitet hatte, auf Bezahlung von 30 000 S an vorenthaltenem Akkordlohn. Das Erstgericht versagte nach Anhörung des Beistandes, der sich gegen die Genehmigung der Klageführung ausgesprochen hatte, der Klageführung die pflegschaftsbehördliche Genehmigung; der Pflegebefohlene könne nicht einmal eine Akkordvereinbarung behaupten, die Klage sei nicht schlüssig und entbehre der einfachsten Anspruchsbegründung. Die nicht als zielführend erkannte Klage könnte den Pflegebefohlenen in finanzielle Schwierigkeiten bringen, die nicht verantwortet werden könnten.

Das Rekursgericht wies den vom Pflegebefohlenen erhobenen Rekurs zurück. Dem beschränkt Entmundigten stehe nur insoweit ein Rekursrecht zu, als er sich unter Anführung konkreter Umstände gegen Maßnahmen seines gesetzlichen Vertreters oder des Pflegschaftsgerichtes zur Wehr setze. Die vorliegende Klage, die der einfachsten Anspruchsbegründung entbehre, stelle sich nur als weiterer Ausfluß der realitätsfremden Vorstellungen des Pflegebefohlenen dar, die sich einer sachlichen Erörterung entzögen. Es liege kein besonderer Ausnahmefall vor, der es gerechtfertigt erscheinen ließe, dem beschränkt Entmundigten ein besonderes Rekursrecht zuzubilligen. Eine gegenteilige Ansicht würde den Zweck der beschränkten Entmündigung vereiteln, deren Aufgabe es gerade gewesen sei, die Flut sinnloser Eingaben und Beschwerden durch den Beistand prüfen und durch ihm nur jene weiterleiten zu lassen, welche berechtigt erscheinen.

Der Oberste Gerichtshof hob über den Rekurs des Pflegebefohlenen dem Beschluß des Rekursgerichtes auf und trug ihm auf, über den Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Wer beschränkt entmundigt ist, steht einem mundigen Minderjährigen gleich und erhält einen Beistand (§ 4 Abs. 1 EntmO). Dieser hat die Rechte und Pflichten eines Vormundes, doch kann das Pflegschaftsgericht dem Beistand auch die Verfügung über das, was sich der Entmundigte durch seinen Fleiß erwirbt, vorbehalten (§ 4 Abs. 3 EntmO) Wurde ein solcher Vorbehaltsbeschluß, wie im vorliegenden Fall, nicht gefaßt, gilt nach § 244 ABGB die Bestimmung des § 151 Abs. 2 ABGB das heißt der beschränkt Entmundigte kann auch ohne Einwilligung seines Beistandes über sein Einkommen aus eigenem Erwerb so weit frei verfügen, als dadurch nicht die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wird. Die letztgenannte Einschränkung wurde durch das Bundesgesetz, mit dem Bestimmungen über die Geschäftsfähigkeit und die Ehemundigkeit geändert wurden, BGBl. 1973/108, in das ABGB aufgenommen. Zuvor galt für beschränkt Entmundigte die durch das zuletzt genannte Gesetz aufgehobene Bestimmung des § 246 AGBG wonach der beschränkt Entmundigte ohne Einwilligung seines Beistandes über alles, was er auf Grund eines Dienstleistungsvertrages oder sonst durch seinen Fleiß erwarb, frei verfügen konnte. Die Ergänzung, daß durch freie Verfügungen über das Einkommen aus eigenem Erwerb die Befriedigung der Lebensbedürfnisse des beschränkt Entmundigten nicht gefährdet werden dürfe, wurde erst durch den Justizausschuß in das Gesetz eingeschoben und damit begrundet, daß unter den erwähnten Umständen die teilweise Geschäftsfähigkeit ihre Grenzen haben müsse; er trage damit der Rechtsprechung Rechnung, daß die selbständige Verpflichtungsfähigkeit nur dann zu bejahen ist, wenn Höhe und Dauer der Verpflichtungen zum Einkommen und zur allgemeinen Lebenslage des mundigen Minderjährigen (oder beschränkt Entmundigten) in einem erträglichen Verhältnis stehen (EFSlg. 6430; SZ 36/61 u. a.; Gschnitzer, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechtes, 164); der Justizausschuß ergänzte noch, daß es dadurch zwar in Randbereichen zu einer Minderung der Verkehrssicherheit kommen könne, doch sei dies zum Schutze des nur teilweise Geschäftsfähigen vertretbar (645 BlgNR, XIII. GP).

Gemäß § 2 ZPO bedarf der Minderjährige und damit auch den beschränkt Entmundigte (Fasching II, 140) in Rechtsstreitigkeiten, welche nur dasjenige zum Gegenstand haben, worüber er zufolge der §§ 151, 246 und 247 ABGB frei verfügen darf, nicht der Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters. Der OGH hat zum aufgehobenen § 246 ABGB bereits ausgesprochen, daß dies auch für Ansprüche auf Beträge gelte, die der beschränkt Entmundigte durch seinen Fleiß erworben zuhaben behauptet, so daß eine Ermächtigung des Beistandes nach § 233 ABGB (oder eine Versagung der Ermächtigung) nicht in Frage komme; solange nur eine beschränkte Entmündigung vorliege und dem Beistand die Verfügung über das, was der beschränkt Entmundigte durch seinen Fleiß erwirbt, nicht vorbehalten werde, stehe vielmehr weder dem Beistand, noch dem Pflegschaftsgericht eine Einflußnahme auf eine Prozeßführung des beschränkt Entmundigten zu, so daß sich auch eine Abwägung der Prozeßchancen des beschränkt Entmundigten erübrige (SZ 33/31). Dieser Rechtsprechung entsprach auch die Lehrmeinung, daß dem beschränkt Entmundigten bei aus Dienstverträge abgeleiteten Ansprüchen Prozeßfähigkeit zukomme (Fasching II, 138). Diese Rechtslage wurde an sich auch durch das Bundesgesetz BGBl. 1973/108 nicht geändert, da bei einer Klage, mit der die Bezahlung angeblich gebührenden Verdienstes begehrt wird, keine Vertragliche Verfügung über das durch eigenen Erwerb erzielte Einkommen getroffen wird, sondern im Gegenteil zusätzliches Einkommen durch gerichtliches Urteil erreicht werden soll. Eine Untersagung der Prozeßführung käme nur in Betracht, wenn durch eine zu erwartende Belastung des beschränkt Entmundigten mit Prozeßkosten aus einem voraussichtlich aussichtlosen Prozeß die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährdet wäre. Eine Prozeßführung stunde aber unter allen Umständen nur dem beschränkt Entmundigten selbst zu, eine Beteiligung des Beistandes am Verfahren käme nicht in Betracht, weil bei Gefährdung seiner Lebensbedürfnisse selbstverständlich auch der Beistand keine Verfügungen über das Einkommen des beschränkt Entmundigten treffen darf. Untersagte das Pflegschaftsgericht aber entgegen dem Regelfall das an sich dem beschränkt Entmundigten persönlich zustehende Recht auf Prozeßführung über einen Anspruch, der sein Einkommen aus eigenem Erwerb betrifft, konnte er sich dagegen auch zur Wehr setzen, da er eine erhebliche Verletzung seiner Interessen durch die Entscheidung des Pflegschaftsgerichtes befürchten kann (vgl. SZ 43/36 u. a.); das gilt insbesondere in einem Fall, in dem nicht erkennbar ist, daß das Pflegschaftsgericht irgendwelche Erhebungen darüber angestellt hatte, daß der beschränkt Entmundigte allein durch die Belastung mit Prozeßkosten die Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gefährden würde.

Die Zurückweisung des Rekurses des beschränkt Entmundigten durch das Rekursgericht war demnach nicht berechtigt. Das Rekursgericht wird vielmehr den Rekurs des beschränkt Entmundigten gegen die erstgerichtliche Entscheidung sachlich zu prüfen haben. Grundsätzlich kann der OGH im außerstreitigen Verfahren allerdings sogleich die seiner Auffassung nach richtige Entscheidung treffen, wenn er die Aufnahme weiterer Beweise nicht für erforderlich hält und die Zurückweisung an die zweite Instanz nur eine überflüssige Formalität wäre (JBl. 1973, 97; JBl. 1971, 138; SZ 39/32 u. v. a.). Es darf aber nicht der Fall eintreten, daß der OGH sachlich über eine Frage entscheidet, die er unter Umständen nur unter den eingeschränkten Überprüfungsvoraussetzungen des § 16 Abs. 1 AußStrG zu erledigen hätte; der gesetzliche Instanzenzug darf nicht geändert werden (5 Ob 517/76). Der angefochtene Beschluß ist demnach aufzuheben und dem Rekursgericht aufzutragen, über den Rekurs des beschränkt Entmundigten unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund zu entscheiden.