JudikaturJustiz1Ob62/02b

1Ob62/02b – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. April 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinz B*****, vertreten durch den Verfahrenshelfer Dr. Ernst Dejaco, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1. Land Vorarlberg, vertreten durch Dr. Rolf Philipp, Rechtsanwalt in Feldkirch, und 2. Gemeinde B*****, vertreten durch Dr. Guntram Lins, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen EUR 1,122.795,29 sA, infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 12. Oktober 2001, GZ 4 R 199/01y 21, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 8. Mai 2001, GZ 5 Cg 54/01y 16, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit je EUR 3.662,96 (darin EUR 610,49 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

1. Das Berufungsgericht hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass zu der vom Kläger relevierten Frage eines unvertretbaren Behördenhandelns durch unterlassene amtswegige Tätigkeit nach § 68 Abs 2 AVG keine höchstgerichtliche Judikatur vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Es entspricht der ständigen Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, dass die der Behörde im § 68 Abs 2 bis Abs 4 AVG eingeräumte Aufsichtsgewalt nicht dem Schutz irgendeines subjektiven Rechts dient, sondern vielmehr der Wahrung öffentlicher Interessen, zu der die Behörde vom Gesetzgeber berufen ist, was sich insbesondere aus § 68 Abs 7 AVG ergibt (VwSlgNF 1455 A, 1698 A, VwGH, 1369/66, 1899/70, 86/07/0138, 94/12/0034 ua; VfSlg 8277/1978, 8495/1979; weitere Nachweise bei Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, Rz 651). Die Partei hat daher kein Recht auf Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts (VwSlg 8070 A/1911; VfSlg 1391/1930; VwGH 94/17/0199 ua). Keine Partei hat einen Anspruch auf Ausübung des Aufsichtsrechts nach § 68 AVG, sodass niemand durch den Bescheid, der einen solchen Antrag ablehnt, in seinen Rechten verletzt werden kann (VfSlg 1844/1949; VwGH 88/07/0099, 89/07/0162; 92/08/0136, 94/12/0034 ua); ob die Behörde von ihrem Recht nach § 68 Abs 2 bis 4 AVG Gebrauch machen will, ist in ihr freies Ermessen gestellt (VwGH 82/01/0176, 85/01/0295 ua).

Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass ihm bei der Auslegung von nicht in die Kompetenz der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsmaterien keine Leitfunktion zukommt (zum Steuerrecht etwa MietSlg 49.695 = WoBl 1998/126). Ebensowenig kann das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht eine erhebliche Rechtsfrage bilden (vgl nur ZfRV 1999, 35; EFSlg 88.165, ÖBA 1999, 655; ZfRV 2001, 110 ua), weil die Festschreibung oder gar die Fortentwicklung fremden Rechts keine Aufgabe der österreichischen Rechtsprechung ist (ZfRV 1994, 247; ZfRV 2000, 114 ua). Eine erhebliche Rechtsfrage könnte nur dann vorliegen, wenn die zu überprüfende Entscheidung von der gefestigten Judikatur der dazu berufenen Behörden abweicht.

Diese Grundsätze sind auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen, in dem es um die Auslegung einer Bestimmung des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts geht. Wie bereits dargelegt wurde, hat die Partei eines Verwaltungsverfahrens nach der ständigen Judikatur des VwGH kein Recht auf Ausübung des staatlichen Aufsichtsrechts nach § 68 Abs 2 bis Abs 4 AVG; sie kann daher wegen Ablehnung einer Anregung, nach § 68 AVG vorzugehen, in ihren Rechten nicht verletzt werden. Die einschlägigen Vorschriften dienen auch nicht dem Schutz subjektiver Rechte, sondern der Wahrung öffentlicher Interessen. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung nicht abgewichen. Hat eine Partei nun aber kein subjektives Recht auf ein bestimmtes Handeln der Behörde, so kann sie mangels Rechtswidrigkeit des behördlichen Verhaltens keinen Amtshaftungsanspruch daraus ableiten, dass die Behörde ihrer Anregung, nach § 68 Abs 2 AVG vorzugehen, nicht entsprochen hat.

Im Übrigen irrt der Kläger, soweit er meint, dass sich der Erkenntnisstand der Organe der beklagten Parteien zur Auslegung des § 14 Abs 15 vRPG (dazu unter 2.) durch die Entscheidung des VwGH vom 14. 12. 1995 (Antrag an den VfGH gemäß § 140 Abs 1 B VG) entscheidend geändert hätte. Auch wenn darin die Auffassung vertreten wird, dass die genannte Norm der Behörde kein (freies) Ermessen einräume, ist damit für das Verständnis des unbestimmten Gesetzesbegriffs der "besonders berücksichtigungswürdigen Umstände" schon deshalb nichts zu gewinnen, weil der VwGH selbst der Ansicht war, die Regelung sei gerade wegen ihrer Unbestimmtheit als dem Legalitätsprinzip widersprechend verfassungswidrig.

2. Auch sonst zeigt der Revisionswerber keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf, die vom Berufungsgericht unrichtig gelöst worden wären. Dieses ist zutreffend von dem in ständiger Judikatur des Obersten Gerichtshofs vertretenen Grundsatz ausgegangen, dass ein Amtshaftungsanspruch mangels Verschuldens nicht besteht, wenn die Entscheidungsorgane ihrer Entscheidung eine zwar unrichtige, aber nach den jeweiligen Umständen vertretbare Rechtsansicht zu Grunde gelegt haben (vgl nur RIS Justiz RS0049955; SZ 62/162 = JBl 1990, 382; ÖA 1992, 90; SZ 65/63 ua); dies gilt insbesondere dort, wo dem Entscheidungsorgan ein größerer Beurteilungsspielraum zur Verfügung steht (RZ 1993/101 ua). Nach ständiger Rechtsprechung ist im Amtshaftungsprozess nicht wie in einem Rechtsmittelverfahren zu prüfen, ob die in Betracht kommende Entscheidung oder das zu beurteilende Organverhalten richtig war, sondern ob die Entscheidung bzw das Verhalten auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Gesetzesauslegung oder Rechtsanwendung beruhte; nur die Abweichung von einer klaren Gesetzeslage oder einhelligen Rechtsprechung, die nicht erkennen lässt, dass sie auf einer sorgfältigen Überlegung beruht, wird regelmäßig als Verschulden anzusehen sein (1 Ob 98/00v).

Soweit die Vorinstanzen unter den gegebenen Umständen die Auffassung vertreten haben, dass die Entscheidungen der für die beklagten Rechtsträger handelnden Entscheidungsorgane in diesem Sinne vertretbar gewesen seien, kann dies jedenfalls nicht als eine krasse Fehlbeurteilung angesehen werden, die einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedürfte.

Bei der von den Organen der beklagten Rechtsträger anzuwendenden Vorschrift des § 14 Abs 15 des Vorarlberger Raumplanungsgesetzes (RPG) handelt es sich um eine erst kurz vorher erlassene Rechtsvorschrift, zu der noch keine Judikatur des VwGH vorlag, der im Übrigen gerade im vorliegenden Verfahren sogar Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Regelung wegen ihrer Unbestimmtheit äußerte (E vom 14. 12. 1995, Zl A 257/95 94/06/0275). Darüber hinaus sind auch die Gesetzesmaterialien wenig aussagekräftig und betonen besonders, dass die Schaffung neuer Ferienwohnungen möglichst verhindert werden solle; auch die in § 14 Abs 15 Satz 4 und 5 RPG angeführten Sonderfälle haben die Eigennutzung von (bisher nicht als Ferienwohnung genutzten Objekten) und nicht wie hier eine beabsichtigte kommerzielle Verwertung im Auge. Für die im vorliegenden Fall zu beurteilende Frage, ob die mangelnde Rentabilität eines Hotelbetriebs, verbunden mit schlechtem Gesundheitszustand und hohen Schulden des Betriebsinhabers, als "besonders berücksichtigungswürdiger Umstand" im Sinne des § 14 Abs 15 RPG anzusehen ist, bei dessen Vorliegen die Gemeinde auf Antrag die Nutzung von Wohnungen und Wohnräumen als Ferienwohnungen bewilligen kann, ist weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien unmittelbar etwas zu gewinnen.

Die Entscheidungsorgane der zweitbeklagten Gemeinde haben dazu die Auffassung vertreten, dass die vom Kläger vorgebrachten Gründe eine Bewilligung seines Antrags nicht rechtfertigen könnten, sodass auch die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens nicht erforderlich sei. Es sei Aufgabe der Raumplanung, Ferienwohnungen, die der Fremdenverkehrswirtschaft nur wenig Vorteile bringen, nur in eingeschränktem Maße zuzulassen; bei rein "privaten" Ferienwohnungen träten gerade jene unerwünschten Folgen ein (Leerstehen der Wohnungen über große Zeiträume und dadurch bedingte Einkommensverluste der Fremdenverkehrswirtschaft), die der Gesetzgeber habe verhindern wollen. Die vorgebrachten Gründe rechtfertigten daher nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung; es liege in erster Linie beim Kläger, nach einer entsprechenden Lösung zu suchen (zB Bestellung eines Geschäftsführers, Umbau in eine Wohnanlage mit ganzjährig genutzten Wohnungen ...). Das erstbeklagte Land schloss sich durch die Bezirkshauptmannschaft Bludenz als Vorstellungsbehörde dieser Rechtsauffassung an; im bekämpften Bescheid werde ausführlich dargetan, weshalb die vom Einschreiter ins Treffen geführten Gründe die Erteilung einer solchen Ausnahmegenehmigung nicht rechtfertigten. Darüber hinaus vertrat sie die Rechtsauffassung, dass der Begriff der "besonders berücksichtigungswürdigen Umstände" vom Gesetzgeber sehr weit gefasst sei, sodass die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung der Gemeinde sehr früh gegeben seien. Die Aufsichtsbehörde habe im Vorstellungsverfahren sowohl die Voraussetzungen für die Ermessensübung zu prüfen, als auch eine Ermessenskontrolle vorzunehmen, ohne selbst Ermessen zu üben. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch die Organe der zweitbeklagten Partei seien nicht notwendig gewesen, weil diese die vom Kläger angegebenen Umstände ohnehin vollständig ihrer Ermessensentscheidung zu Grunde gelegt hätten.

Soweit der Revisionswerber der Erstbeklagten vorwirft, die Vorstellungsbehörde sei bei ihrer Entscheidung zu Unrecht (und in unvertretbarer Weise) davon ausgegangen, dass die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach § 14 Abs 15 RPG im "Ermessen" der Behörde liege, übersieht er, dass der dargelegten Begründung zufolge in der Sache keineswegs von einem "freien Ermessen" ausgegangen wurde. Die Vorstellungsbehörde hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im bekämpften Bescheid ausführlich dargetan werde, weshalb die vom Einschreiter vorgebrachten Gründe die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nicht rechtfertigten. Auch wenn wiederholt von einer "Ermessensentscheidung" gesprochen wird, haben die Instanzen des Verwaltungsverfahrens den unbestimmten Gesetzesbegriff der "besonders berücksichtigungswürdigen Umstände" im Hinblick auf die vom Kläger dargelegten Umstände zu konkretisieren versucht. Dass den entscheidenden Organen auch bei der Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe ein weiterer Beurteilungsspielraum zukommt, kann insbesondere dort nicht zweifelhaft sein, wo auch die Gesetzesmaterialien zu den konkreten Absichten des Gesetzgebers schweigen.

Soweit das Berufungsgericht die im Verwaltungsverfahren ergangenen Entscheidungen unter diesen Umständen als vertretbar angesehen und damit ein Verschulden der Entscheidungsorgane der beklagten Parteien verneint hat, liegt darin jedenfalls keine krasse Fehlbeurteilung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Die beklagten Parteien haben in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen, sodass ihre Schriftsätze insoweit als zweckentsprechend zu qualifizieren sind.

Rechtssätze
4