JudikaturJustiz1Ob546/95

1Ob546/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. April 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekurs und Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** reg.GenmbH, ***** vertreten durch Dr.Peter Kaupa, Rechtsanwalt in Baden, wider die beklagte Partei Johann U*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Rumpl, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Räumung, infolge

I. Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 7.Februar 1995, GZ 41 R 938/94 42, und

II. Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 7.Dezember 1994, GZ 41 R 938/94 37, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom 8.August 1994, GZ 4 C 1227/91 31, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

I. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Rekurskosten selbst zu tragen.

II. Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten erster Instanz.

Text

Begründung:

Die klagende Partei ist Eigentümerin einer Wohnhausanlage, der Beklagte Nutzungsberechtigter einer in dieser Anlage befindlichen Wohnung.

Die klagende Partei brachte vor, daß der Beklagte von dieser Wohnung erheblich nachteiligen Gebrauch mache. Er lagere brennbares Material und anderes Gerümpel in großen Mengen, lüfte die Wohnung nicht, weshalb sich Schimmel bilde, die elektrischen Leitungen seien in feuergefährlichem Zustand, das Gartenabteil und der darauf befindliche Schuppen seien ungepflegt bzw einsturzgefährdet. Der Beklagte störe durch wöchentlich mehrmaliges Lärmen die Nachbarn in deren Nachtruhe. Schließlich sei aus hygienischen Gründen (Geruchsbelästigung) ein weiterer Verbleib des Beklagten in dessen Wohnung nicht zumutbar. Demnach begehrte die klagende Partei die Räumung des in Bestand gegebenen Objektes.

Der Beklagte bestritt die für die Aufhebung des Vertrages geltend gemachten Verhaltensweisen. Eine allfällige Schimmelbildung sei auf einen durch die Undichtheit des Dachs aufgetretenen Wasserschaden aus dem Jahre 1982 zurückzuführen.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, die in Bestand gegebene Wohnung samt Gartenabteil und darauf befindlichem Schuppen zu räumen. Es stellte fest, daß der Beklagte große Mengen Altpapiers in der Wohnung lagere, was die Brandgefahr erhöhe und eine allfällige Brandbekämpfung wesentlich erschwere. Das in der Wohnung vorhandene Gerümpel sei vom Beklagten zumindest zum Teil weggeschafft worden. In der eine Brandgefahr hervorrufenden Lagerung großer Mengen Altpapiers erblickte das Erstgericht einen erheblichen nachteiligen Gebrauch im Sinne des § 1118 ABGB, weshalb es das Räumungsbegehren als berechtigt erachtete, ohne auf die weiteren, dem Beklagten angelasteten Verhaltensweisen einzugehen.

Das Berufungsgericht wies das Räumungsbegehren ab. Die ordentliche Revision wurde für unzulässig erklärt. In der Lagerung einer nicht näher konkretisierten großen Menge von Zeitungen könne kein erheblich nachteiliger Gebrauch im Sinne des § 1118 ABGB erblickt werden. Eine außergewöhnliche Brandgefahr bzw eine drohende Verwahrlosung liege nicht vor. Feststellungen zu dem von der klagenden Partei weiters behaupteten substanzschädigenden und unleidlichen Verhalten seien vom Erstgericht unbekämpft nicht getroffen worden, sodaß hierauf im Berufungsverfahren nicht weiter einzugehen sei.

Die klagende Partei beantragte darauf die Ergänzung des Berufungsurteils gemäß § 423 ZPO in dem Sinne, daß aus den weiteren in der Räumungsklage geltend gemachten Gründen über den Räumungsanspruch der klagenden Partei abgesprochen oder das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung über diese Räumungsgründe an das Erstgericht zurückverwiesen werde.

Diesen Ergänzungsantrag wies das Berufungsgericht ab, weil das Räumungsbegehren zur Gänze erledigt worden sei und das Berufungsgericht lediglich einen Teil der Klagegründe infolge des Umfangs der Anfechtung des Ersturteils für nicht entscheidend erachtet habe. Es sei weder ein Anspruch der klagenden Partei offen, noch sei ein solcher übergangen worden.

Der Rekurs der klagenden Partei gegen den berufungsgerichtlichen Beschluß ist nicht berechtigt, deren Revision kommt dagegen Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

A. Zum Rekurs:

Der eine Urteilsergänzung ablehnende Beschluß des Berufungsgerichtes ist mit Rekurs an den Obersten Gerichtshof anfechtbar (EvBl 1962/399).

Das Begehren der klagenden Partei war darauf gerichtet, den Beklagten zur Räumung der ihm in Bestand gegebenen Wohnung samt Gartenabteil und darauf befindlichem Schuppen zu verurteilen. Dieses Räumungsbegehren wurde mit der Entscheidung des Berufungsgerichtes zur Gänze erledigt, nämlich abgewiesen. Entgegen der Ansicht der klagenden Partei wurde kein Anspruch, über welchen zu entscheiden war, übergangen, sodaß die begehrte Ergänzung des zweitinstanzlichen Urteils gemäß § 423 ZPO nicht stattzufinden hatte. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, daß zur Begründung des Räumungsanspruchs mehrere Verhaltensweisen des Beklagten, die die Aufhebung des Bestandvertrages gemäß § 1118 ABGB rechtfertigten, behauptet wurden. Das Nichteingehen auf diese Behauptungen stellt wie bei der Behandlung der Revision noch auszuführen sein wird einen Verfahrensmangel dar, der ohnehin mit Revision geltend gemacht wurde. Selbst wenn man aber die einzelnen für die Aufhebung des Bestandvertrags ins Treffen geführten Gründe als „Anspruch“ ansehen wollte, wäre für die Rekurswerberin nichts gewonnen, weil eine Urteilsergänzung nur bei versehentlichem Übergehen eines Anspruchs, nicht aber dann in Betracht kommt, wenn das Gericht wie hier die Entscheidung über einen Anspruch wenn auch unbegründet abgelehnt hat (EvBl 1962/399).

Dem Rekurs ist nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

B. Zur Revision:

Die erste Instanz erblickte lediglich im Lagern alter Zeitungen einen erheblich nachteiligen Gebrauch (AS 67 ff). Die übrigen, von der klagenden Partei geltend gemachten Umstände (Lärmbelästigung, Feuergefahr wegen freiliegender Leitungen etc) wurden mit Ausnahme des Vorwurfs, daß sich Gerümpel in der Wohnung befinde, nicht erörtert. Das Berufungsgericht hat in der Aufbewahrung von Altpapier keinen nachteiligen Gebrauch erblickt (S.5 des Urteils zweiter Instanz), die anderen Gründe aber ebenfalls nicht erörtert, weil es die (unrichtige) Ansicht vertrat, mangels erstinstanzlicher Feststellungen sei hierauf nicht weiter einzugehen (S.6 des Berufungsurteils). Unterließ das Erstgericht die Erörterung der von der klagenden Partei geltend gemachten Aufhebungsgründe, weil es die Meinung vertrat, ein bestimmter Sachverhalt (Lagerung von Altpapier) reiche bereits aus, um das Räumungsbegehren zu rechtfertigen, hielt das Gericht zweiter Instanz aber aus rechtlichen Erwägungen die Aufhebung des Bestandvertrages aus diesem Grund nicht für berechtigt, dann hätte es entweder die weiteren geltend gemachten Aufhebungsgründe selbst prüfen oder deren Prüfung durch das Gericht erster Instanz im Wege der Aufhebung dessen Urteils veranlassen müssen. Sind Stoffsammlungsmängel wie im vorliegenden Fall Folge einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung, so fallen sie dann in den Bereich einer erheblichen Rechtsfrage, wenn dadurch streiterhebliches Vorbringen einer Partei ungeprüft blieb (4 Ob 518/90; Fasching , LB 2 Rz 1889). Diese Unterlassung stellt eine erhebliche Nichtbeachtung von Vorschriften des Verfahrensrechts dar, sodaß eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gegeben ist (vgl 7 Ob 1533/93).

Die Feststellungen des Erstgerichtes über die Altpapierlagerung reichen nicht aus, um von einem erheblich nachteiligen Gebrauch des Bestandgegenstandes sprechen zu können. Es wurde lediglich festgestellt, daß sich in der Wohnung „große Mengen Altpapier befanden“ (AS 67) und daß der Vertreter der Freiwilligen Feuerwehr festgestellt habe, daß die Papierlagerung die Brandgefahr erhöhe und eine allfällige Brandbekämpfung wesentlich erschwere (AS 69). Nun erhöht wohl jegliche Lagerung von Papier abstrakt die Brandgefahr und wird eine Brandbekämpfung durch größere Mengen Papiers zweifelsohne immer erschwert; aufgrund dieser Feststellungen erscheint die Aufhebung des Bestandvertrags gemäß § 1118 ABGB tatsächlich nicht berechtigt. Das Gericht erster Instanz wird daher die übrigen Gründe, auf die das Räumungsbegehren gestützt wurde, zu prüfen und danach neuerlich zu entscheiden haben. Bezüglich des behaupteten „Vollräumens der Wohnung mit Gerümpel“ ist festzuhalten, daß das Gerümpel nach den Feststellungen des Erstgerichtes zumindest zum Teil weggeschafft wurde (AS 69) und sich aus dieser Feststellung nicht ableiten läßt, ob noch Gerümpel bejahendenfalls, in welchem Ausmaß im Bestandobjekt lagernd ist.

In Stattgebung der Revision sind die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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