JudikaturJustiz1Ob49/13g

1Ob49/13g – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. April 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr.

Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** GmbH, *****, vertreten durch Denk Kaufmann Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei R***** O*****, vertreten durch Dr. Andreas Stranzinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 12.639,80 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 11.792,28 EUR sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Jänner 2013, GZ 6 R 164/12y 21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 24. August 2012, GZ 2 Cg 182/11d 15, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 838,44 EUR (darin enthalten 139,74 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Beklagte war nach Abschluss seiner Lehre zum Speditionskaufmann mehrere Jahre als „Agent“ beim Finanzdienstleister A***** im Bereich „Allfinanz“ beschäftigt gewesen. Während dieser Tätigkeit absolvierte er die Ausbildung zum gewerblichen Vermögensberater. 2004 machte er sich selbständig. Er beschäftigte sich großteils mit Finanzierungen für Privatkunden. Um auch Vermögensberatungen durchführen zu können, sah er sich nach einem Wertpapierdienstleistungsunternehmen (WPDLU) um, das sich als „Haftungsdach“ zur Verfügung stellen würde. So kam er zur klagenden Partei. Im August 2006 schlossen die Parteien einen Pool Partner Vertrag, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, für die klagende Partei Finanzdienstleistungen, namentlich die Beratung über die Veranlagung von Kundenvermögen und die Vermittlung von Geschäftsgelegenheiten zum Erwerb oder zur Veräußerung von (insbesondere) Wertpapieren und Investmentfonds an Kunden zu übernehmen. Der Vertrag hielt fest, dass der Beklagte gemäß § 1313a ABGB als Erfüllungsgehilfe der klagenden Partei in deren Namen und auf deren Rechnung tätig werde, die klagende Partei dem Kunden gegenüber für die falsche Beratung durch den Beklagten hafte; weiters, dass dieser im Fall der grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Falschberatung seine Vertragspartnerin von allen Ansprüchen, die gegen sie im Zusammenhang mit der Falschberatung geltend gemacht würden, freistelle und die klagende Partei gegenüber dem Beklagten nicht für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in den von den Produktgesellschaften für die Vermittlungstätigkeit zur Verfügung gestellten Werbeprospekten und sonstigen Verkaufsunterlagen hafte.

Nach Beratung durch den Beklagten erwarb ein Anleger Aktien, die der Beklagte als risikolos bzw sicher, aber ertragreicher als ein Sparbuch dargestellt hatte. Der Beklagte kannte dieses Produkt bereits aus seiner Tätigkeit beim „A*****“. Seine Informationen stammten aus Schulungen und Verkaufsprospekten. Die klagende Partei stellte dem Beklagten für dieses Produkt keine Informationen zur Verfügung und bot auch keine Schulungen an. In der Folge verloren die Aktien dramatisch an Wert. 2010 klagte der Anleger die hier klagende Partei auf Zahlung des veranlagten Betrags von 15.000 EUR. Dem Beklagten wurde in diesem Prozess der Streit verkündet. Er trat dem Verfahren jedoch nicht als Nebenintervenient bei. Dieses endete mit einem Vergleich, in dem sich die hier klagende Partei verpflichtete, dem Anleger 8.500 EUR zuzüglich 320,50 EUR Barauslagen zu zahlen.

Die klagende Partei macht im vorliegenden Verfahren einen Regressanspruch gegen den beklagten Anlageberater als ihren Erfüllungsgehilfen geltend. Der Beklagte hält dieser Regresspflicht soweit im Revisionsverfahren noch relevant entgegen, dass die klagende Partei ein Verschulden an der Schädigung des keinesfalls grob fahrlässig falsch beratenen Anlegers treffe. Sie habe den Berater nicht ausreichend geschult bzw über das Anlageprodukt informiert und dadurch insbesondere die in § 16 WAG 1997 geregelten Organisationspflichten verletzt.

Das Erstgericht kürzte die Regressforderung der klagenden Partei um die Hälfte. Sie habe gegen die in § 16 WAG 1997 festgelegten Organisationspflichten verstoßen, weil sie nicht für eine ordnungsgemäße Information ihrer Vertragspartner über die zu vermittelnden Anlageprodukte gesorgt habe.

Das Berufungsgericht teilte diese rechtliche Auffassung nicht und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Der „Mitverschuldenseinwand nach § 1304 ABGB“ sei nicht berechtigt. Die Parteien hätten im Vertrag ausdrücklich eine Haftung der klagenden Partei für die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben in Werbeprospekten und Verkaufsunterlagen ausgeschlossen. Die Verletzung des in § 16 WAG 1997 geregelten internen Verhaltenscodes (zur Erhaltung von Anlegervertrauen und des Ansehens des Finanzmarkts Österreich) könne keine Grundlage für „quasivertragliche“ oder deliktische Schadenersatzansprüche (gemeint von Anlegern) sein. Wegen fehlender Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu dieser Frage ließ das Berufungsgericht nachträglich die Revision zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist entgegen dem nach § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Der Beklagte gesteht in der Revision seine Eigenschaft als Erfüllungsgehilfe des klagenden Wertpapierdienstleistungsunternehmens (WPDLU) bei der Beratung jenes Anlegers, der dieses in einem Vorprozess wegen fehlerhafter Anlageberatung auf Schadenersatz geklagt hatte, ausdrücklich zu. Zu beurteilen ist ein Regressanspruch der dem geschädigten Anleger alleine haftenden (6 Ob 249/07x mwN) klagenden Partei (Geschäftsherrin) gegen ihren Erfüllungsgehilfen (vgl § 1313 zweiter Satz ABGB). Die Voraussetzungen und das Ausmaß dieses Regressanspruchs wurden im Vertrag zwischen den Streitteilen ausdrücklich geregelt. Bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Falschberatung hat der Beklagte seine Vertragspartnerin von allen Ansprüchen, die gegen diese im Zusammenhang mit der Falschberatung von Anlegern geltend gemacht werden, freizustellen. Die Berechtigung ihres Regressanspruchs hängt nach der vertraglichen Regelung also davon ab, ob der Beklagte grob fahrlässig (ein vorsätzliches Verhalten wurde nicht vorgeworfen) gehandelt hat.

Grobe Fahrlässigkeit entspricht nach ständiger Rechtsprechung (RIS Justiz RS0030385) einer auffallenden Sorglosigkeit oder einem schweren Verschulden. Ob sie vorliegt, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls zu beurteilen (RIS Justiz RS0030309). Eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt im konkreten Fall jedoch nicht vor.

Der Beklagte empfahl einem „Kleinanleger“, dessen Einkommens und Vermögensverhältnisse er kannte, sein gesamtes liquides, bisher auf einem Sparbuch veranlagtes Vermögen von 15.000 EUR in Aktien zu investieren. Er stellte diese Veranlagung als sicheres und risikoloses Investment in Immobilien dar, das besser als ein Sparbuch sei. Obwohl er aufgrund seiner Ausbildung zum gewerblichen Vermögensberater und seiner jahrelangen Tätigkeit im Zusammenhang mit Finanzierungen für Privatkunden den Unterschied zwischen Aktien und Investmentfonds kannte, wies er den Anleger nicht auf diesen hin. Er wusste, dass der Anleger ein sicheres Investment wollte. Trotzdem kreuzte er im „Kundenbefragungsbogen für Wertpapier und Vermögensanlagen“ unter Risikobereitschaft die Variante „risikofreudig ich orientiere mich hauptsächlich an den Ertragserwartungen und nehme dafür auch große Schwankungsrisiken in Kauf“ an. Bei der Darstellung des Produkts orientierte er sich an der in den Verkaufsprospekten enthaltenen Werbung, die (wie bei verkaufsfördernden Maßnahmen üblich) die positiven Seiten der Veranlagung betonte. Es mag durchaus sein, dass in vielen Fällen Beratungen über dieses Produkt ähnlich verliefen und auch andere Berater von einem sicheren risikolosen Investment sprachen. Wie schon das Erstgericht zutreffend ausführte, bedeutet eine weitverbreitete Missachtung von Aufklärungspflichten aber nicht, dass ein Berater im konkreten Einzelfall nur leicht fahrlässig handelte, kommt es doch bei der Beurteilung des Verschuldensgrades entscheidend auf das Wissen des Beraters und den erkennbaren Informationsbedarf des Anlegers an.

§ 16 WAG 1997, BGBl 753/1996, regelte Organisationspflichten der in § 11 leg cit genannten Rechtsträger. Ob diese Pflichten durch unzureichende Schulungen von Anlageberatern, die Erfüllungsgehilfen von WPDLU sind, verletzt werden und Rechtsgrundlage für Schadenersatzansprüche falsch beratener Anleger sein können, muss hier nicht geklärt werden:

Die Voraussetzungen des vertraglich geregelten Regressanspruchs der klagenden Partei gegen den beklagten Anlageberater sind erfüllt, wenn dieser einen Anleger grob fahrlässig falsch beraten hatte. Der Beklagte strebt im Sinn des § 1304 ABGB eine Minderung seiner Regresspflicht an, die er mit einer fehlerhaften Organisation der Geschäftsherrin (keine ausreichende Information und Schulung der Berater) rechtfertigt. Die klagende Partei, die als „Haftungsdach“ für ihren „Poolvertragspartner“ fungierte, konnte aber aufgrund der Ausbildung und langjährigen Erfahrung ihres Erfüllungsgehilfen, eines selbständigen Vermögensberaters, und dessen Vertrautheit mit dem vermittelten Anlageprodukt davon ausgehen, dass er keine weiteren Informationen benötigte, um gerade über dieses ordnungsgemäß beraten zu können. Schon diese Erwägungen lassen am Vorliegen eines für die Schädigung des Anlegers kausalen Organisationsverschuldens des WPDLU zweifeln. Der Regressanspruch der klagenden Partei wäre auch deshalb nicht zu mindern, weil ein allfälliges Organisationsverschulden im Verhältnis zum regresspflichtigen Erfüllungsgehilfen gegenüber dessen grober Fahrlässigkeit zu vernachlässigen wäre (vgl zur Kürzung von Regressansprüchen wegen eines Auswahlverschuldens Reischauer in Rummel ³ § 1313 ABGB Rz 5 mwN; vgl RIS Justiz RS0027202).

Da sich die dem Zulassungsausspruch zugrundegelegte Rechtsfrage nicht stellt und die Revision des Beklagten sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigt, ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Die klagende Partei hat auf die fehlende Zulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Für die Revisionsbeantwortung gebührt nur ein ERV Zuschlag von 1,80 EUR (RIS Justiz RS0126594 [T1]).