JudikaturJustiz1Ob286/98k

1Ob286/98k – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Dezember 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sofie L*****, vertreten durch Dr. Hanspeter Pausch, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Ernst H*****, wegen Räumung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 23. Juni 1998, GZ 3 R 145/98k 11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Februar 1998, GZ 5 C 646/97m 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Revisionskosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist Hauptmieter einer in einem Haus der Klägerin gelegenen Kleinwohnung. Diese liegt weder in einem Ein- oder Zweifamilienhaus noch in einem Gebäude, das ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel nach dem 31. Dezember 1967 errichtet wurde. Nach dem Inhalt des am 14. November 1994, somit vor Inkrafttreten der sogenannten Wohnrechtsnovelle 1997, von den Streitteilen geschlossenen Mietvertrags begann das Mietverhältnis am 15. November 1994 und war auf drei Jahre befristet (Endzeitpunkt 14. November 1997); es war ausdrücklich bedungen, daß jede Verlängerung des Vertrags auch durch Stillschweigen vertraglich ausgeschlossen sei.

Der Beklagte wendete gegen die am 21. November 1997 erhobene Räumungsklage - wegen Beendigung des Bestandverhältnisses am 14. November 1997 - ein, daß die Klägerin vor dem 14. November 1997 keine Auflösungserklärung abgegeben habe und das Bestandverhältnis daher verlängert worden sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Räumungsbegehren ab, weil die Voraussetzungen des § 29 Abs 4a MRG idFd Wohnrechtsnovelle 1997 zur Verhinderung einer stillschweigenden Vertragsverlängerung nicht erfüllt worden seien und der im Mietvertrag vereinbarte Ausschluß der stillschweigenden Verlängerung angesichts der ausdrücklichen zwingenden Bestimmungen des § 29 Abs 4a MRG nicht durchsetzbar sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Das 3. Wohnrechtsänderungsgesetz hatte mit Wirkung vom 1. März 1994 einen neuen allgemeinen Befristungstatbestand geschaffen, nämlich den sogenannten „Dreijahresvertrag“ (§ 29 Abs 1 Z 3 lit c MRG). Nach dem Grundverständnis des MRG sollte der Mietvertrag auf unbestimmte Zeit der Regelfall und die durchsetzbare Befristung eines Mietverhältnisses nur ausnahmsweise zulässig sein. In Durchbrechung dieses Prinzips wurde durch die vorerwähnte Gesetzesbestimmung die Möglichkeit eröffnet, ohne weitere Voraussetzungen einen Wohnungsmietvertrag auf bestimmte Zeit, nämlich auf genau drei Jahre abzuschließen. Ein solcher Mietvertrag endete durch bloßen Zeitablauf ohne Kündigung, sofern dies schriftlich vereinbart wurde. Hinter dieser starren Regelung stand zumindest „partiell“ die freilich unzutreffende Erwartung, daß von diesem Fristvertragstyp in der Praxis nur geringer Gebrauch gemacht würde. Für den Gesetzgeber entstand dann Handlungsbedarf, weil viele Tausende Zeitmietverträge ab März 1997 ausgelaufen wären (RV, 555 BlgNR 20.GP, 9 f). Wesentliche Inhalte des neuen Gesetzes sind demnach va Bestimmungen über die allgemeine Befristung von Hauptmietverträgen und deren stillschweigende Verlängerung mit den grundsätzlichen Zielen einer Flexibilisierung und Liberalisierung der Befristungsmöglichkeiten innerhalb eines vorgegebenen zeitlichen Rahmens sowie über den bei befristeten Mietverträgen höchstzulässigen Mietzins.

Die hier relevanten Bestimmungen der §§ 29 und 49b MRG idF des Art I des Bundesgesetzes, mit dem das Mietrechtsgesetz, das Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz, das Wohnungseigentumsgesetz 1975 und die Zivilprozeßordnung geändert werden, BGBl I 1997/22 (im folgenden kurz Wohnrechtsnovelle 1997 [obwohl der Gesetzgeber eine Kurzbezeichnung nicht vorsieht] bzw MRG nF) lauten wie folgt:

Auflösung und Erneuerung des Mietvertrages; Zurückstellung des Mietgegenstandes

§ 29 (1) Der Mietvertrag wird aufgelöst

...

3. durch Zeitablauf, jedoch nur wenn

...

c) in einem Hauptmietvertrag über eine Wohnung schriftlich vereinbart wurde, daß er durch den Ablauf der bedungenen Zeit ohne Kündigung erlischt, und die ursprüngliche oder verlängerte Vertragsdauer zumindest drei und höchstens zehn Jahre beträgt; ...

(4a) Wird ein nach Abs 1 Z 3 lit b oder c befristeter Mietvertrag nicht ausdrücklich und schriftlich verlängert, so verlängert er sich um ein Jahr, im Fall des Abs 1 Z 3 lit c höchstens jedoch auf insgesamt zehn Jahre. Die Verlängerung tritt nicht ein, wenn der Vermieter frühestens sechs Monate und spätestens drei Monate vor Ablauf der bedungenen Zeit entweder dem Mieter schriftlich mitteilt, daß er eine Verlängerung ablehnt, oder nach § 567 ZPO einen Antrag auf Erlassung eines Auftrags zur Übergabe der gemieteten Wohnung einbringt oder der Mieter die Wohnung fristgerecht räumt. Diese Verlängerung um ein Jahr tritt bei Ablauf der vereinbarten Bestanddauer nur einmal ein.

§ 49b Übergangsregelung für Befristungen und Abrechnungsbestimmungen

...

(7) Eine vor dem 1. März 1997 geschlossene und nach den damaligen Bestimmungen rechtswirksame Vereinbarung über die Befristung eines Mietvertrages bleibt rechtswirksam. Eine nach den damaligen Bestimmungen rechtsunwirksame Befristung bleibt rechtsunwirksam.

...

(9) § 29 Abs 4a in der Fassung des Bundesgesetzes ... ist auch für Mietverhältnisse anzuwenden, die vor dem 1. März 1997 begonnen haben. Endet das Mietverhältnis jedoch bereits vor dem 1. September 1997, so kann der Vermieter diese Verlängerung nur in sinngemäßer Anwendung des § 569 ZPO verhindern.“

Führte vor Inkrafttreten der Wohnrechtsnovelle 1967 jede iSd § 1114 ABGB stillschweigende Fortsetzung eines Zeitmietvertrags (§ 29 Abs 1 Z 3 MRG) letztlich zu einer Verlängerung des Bestandverhältnisses auf unbestimmte Zeit, so hat diese Novelle für die unter § 29 Abs 1 Z 3 lit b und c MRG fallenden Verträge trotz deren ausdrücklichen Befristung insofern eine Verlängerung der Bestanddauer eingeführt, als sich das Mietverhältnis um ein Jahr, allerdings bei nicht im Wohnungseigentum stehenden Wohnungen nicht über die 10jährige Höchstdauer hinaus verlängert, doch kommt eine solche konkludente Verlängerung bloß einmal und nicht etwa auch als „Verlängerungskette“ in Betracht (RV, aaO 11 f); im übrigen bleibt es bei der Verlängerung auf unbestimmte Zeit (vgl dazu Würth/Zingher , Miet- und Wohnrecht 20 § 29 MRG Rz 25; Iro, MRG: Die neuen Regelungen für Zeitmietverhältnisse in RdW 1997, 57 ff; Hanel, Befristete Wohnungsmietverträge in ecolex 1997, 234 ff, 236).

Nur dann, wenn der Vermieter fristgerecht tätig wird (schriftliche Mitteilung an den Mieter, eine Mietvertragsverlängerung abzulehnen, oder Übergabsauftrag) findet diese „automatische“ Verlängerung nicht statt. Auf solche Art ist die Klägerin nicht innerhalb der gesetzlichen Frist tätig geworden: Weder hat sie dem Beklagten innerhalb der Frist schriftlich mitgeteilt, daß sie eine Verlängerung des Zeitmietvertrags ablehne, noch hat sie einen Übergabsauftrag eingebracht, noch hat der Mieter von sich aus die gemietete Wohnung geräumt. Durch eine Räumungsklage oder ein sonstiges eindeutig auf Verhinderung der Vertragsverlängerung abzielendes Verhalten des Vermieters vor oder binnen 14 Tagen - nach der Neuregelung binnen vier Wochen - nach dem vereinbarten Endtermin wird anders als bisher (vgl dazu die Nachweise bei Iro aaO FN 4; Tonkli, Übergabsauftrag und Räumungsklage, in ecolex 1997, 487 ff, 488) die Verlängerungsfiktion nicht entkräftet, wenn die in § 29 Abs 4a MRG nF aufgestellten Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Gemäß § 49b MRG nF ist die Wohnrechtsnovelle 1997 in den hier maßgeblichen Änderungen mit 1. März 1997 in Kraft getreten. Die Regelung des § 49a Abs 1 MRG idFd 3.WÄG, für die Durchsetzbarkeit der Befristung komme es auf das Recht des Abschlußzeitpunkts an, wurde in § 49b Abs 7 MRG nF wiederholt ( Würth , Die Befristungsregelungen der Mietrechtsnovelle 1997 in WoBl 1997, 61 ff, 63). Die Wirksamkeit einer vor diesem Zeitpunkt geschlossenen Befristungsvereinbarung richtet sich demnach nach den damals in Geltung gestandenen Bestimmungen. Die neue „automatische“ Verlängerung eines Zeitmietvertrags nach § 29 Abs 4a MRG nF gilt indes zufolge der Übergangsregelung des § 49b Abs 9 MRG nF auch für solche Zeitmietverträge, die - wie hier - noch vor Inkrafttreten der Wohnrechtsnovelle 1997 geschlossen wurden, aber erst nach dem 1. September 1997 enden. Damit sollte dem Vermieter die volle Äußerungsfrist von sechs Monaten zur Verhinderung der Verlängerung zur Verfügung stehen (RV, aaO 22; Iro aaO 59). Das Übergangsrecht des § 49b Abs 9 MRG nF folgt im übrigen dem allgemeinen Prinzip, daß auf Dauerschuldverhältnisse die jeweils geltenden Normen anzuwenden seien, falls keine speziellen (gegenteiligen) Regelungen eingreifen (JBl 1985, 237; 7 Ob 2075/96i = immolex 1997, 200; Bydlinski in Rummel 2 , § 5 ABGB Rz 1). Die Bedeutung des § 5 ABGB erschöpft sich darin, daß ein Gesetz, soweit es materiellrechtliche Bestimmungen enthält, im Zweifel nicht zurückwirkt. Grundsätzlich besteht jedoch für den Gesetzgeber kein Hindernis, bei der Erlassung eines neuen Gesetzes von den Regeln des § 5 ABGB abzugehen und die Rückwirkung ausdrücklich anzuordnen (JBl 1994, 822 ua; Posch in Schwimann 2 , § 5 ABGB Rz 2). Eine ausdrückliche Rückwirkungsanordnung in dem Sinn, daß vor Inkrafttreten der Wohnrechtsnovelle 1997 auch endgültig und abschließend verwirklichte Sachverhalte (SZ 69/251 mwN) nach den Vorschriften des neuen Gesetzes zu beurteilen seien, ergibt sich aus § 49b Abs 9 MRG nF aber nicht (vgl dazu JBl 1988, 525 = MietSlg 40/3 mwN; WoBl 1995/108). Die Rückwirkung muß sich aus dem Gesetz selbst ergeben und mit dem Gleichheitsgebot vereinbar sein (Posch aaO mwN zur stRspr des VfGH). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der im Rechtsmittel geäußerten Anregung, in Ansehung der rückwirkenden Bestimmungen der § 29 und § 49 (gemeint § 49b) MRG idF der Wohnrechtsnovelle (1997) das Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten, weil „durch eine rückwirkende Wirksamkeit dieser Gesetzesbestimmungen das Verfassungsrecht verletzt werde“, ist daher nicht näher zu treten.

Die hier in den Mietvertrag aufgenommene vertragliche Vereinbarung des Ausschlusses jeglicher Verlängerung auch bei Stillschweigen des Vermieters verstößt gegen zwingende gesetzliche Bestimmungen zugunsten des Mieters (§ 29 Abs 4a MRG nF) und ist daher unwirksam, kann doch die Anwendung des MRG vertraglich nicht ausgeschlossen werden (MietSlg 40.212). Durch die Neuregelung ist im übrigen insoweit keine Schlechterstellung der klagenden Vermieterin eingetreten, wurde doch schon zur bisher maßgeblichen Rechtslage die Auffassung vertreten, daß Bestandverträge zufolge § 1114 letzter Satz ABGB stillschweigend verlängert würden, wenn der Bestandnehmer nach Verlauf der Bestandzeit fortfahre, die Sache zu gebrauchen oder zu benützen, und der Bestandgeber es dabei bewenden lasse. Diese widerlegbare Rechtsvermutung würde nur dadurch widerlegt, wenn vom Bestandgeber eine Klage auf Zurückstellung oder von dem Bestandnehmer auf Zurücknahme des Bestandgegenstands binnen vierzehn Tagen nach Ablauf der Bestandzeit erhoben werde (§ 569 ZPO) oder wenn ein Vertragsteil auf andere Weise seinen Willen, den Vertrag nicht fortzusetzen, unzweifelhaft zum Ausdruck bringe; eine derartige Handlung oder Erklärung könne auch schon vor Ablauf der Bestandzeit erfolgen, müsse aber in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Ende der Bestandzeit stehen (MietSlg 47.122 mwN; Würth/Zingher aaO § 29 MRG Rz 5; Binder in Schwimann 2 , § 1114 ABGB Rz 3; Rechberger in Rechberger, § 569 ZPO Rz 1, alle mwN). Eine Klausel im drei Jahre zurückliegenden Mietvertrag steht aber in keinem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Ende der Bestandzeit und war daher zur Widerlegung der Fiktion des § 1114 ABGB schon bisher nicht geeignet.

Die Vorinstanzen haben daher zu Recht das Räumungsbegehren abgewiesen, ohne daß auf das übrige Prozeßvorbringen einzugehen wäre. Die „Verlängerungsoption“ des Mieters nach § 29 Abs 4b und Abs 4c MRG nF kommt hier zufolge § 49b Abs 9 und Abs 10 MRG nF noch nicht zum Tragen, weshalb die Vorinstanzen entgegen der Ansicht der Klägerin zu Recht darauf nicht eingegangen sind. Der Revision ist nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 40 und 50 ZPO. Der Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

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