JudikaturJustiz1Ob19/15y

1Ob19/15y – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei G***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Schlein Rechtsanwalt GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei K*****GmbH, *****, vertreten durch Eckert Fries Prokopp Rechtsanwälte GmbH, Baden, jeweils wegen Aufkündigung (58 C 547/11p und 58 C 153/12y), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 19. November 2014, GZ 38 R 120/14z 88, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 27. Februar 2014, GZ 58 C 547/11p 83, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die klagende Partei ist Vermieterin, die beklagte Partei ist Mieterin eines sich über mehrere Geschoße erstreckenden Geschäftlokals mit einem Ausmaß von ca 2.000 m².

Das Erstgericht erklärte zwei Aufkündigungen für rechtsunwirksam und wies die Räumungsbegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, die ordentliche Revision sei nicht zulässig.

Die klagende Partei zeigt in ihrer Revision keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Feststellung, dass die Ursache der statischen Mängel der Zwischendecke in einer vom damaligen Hauseigentümer 1964 vorgenommenen baulichen Veränderung lag, hat das Erstgericht nicht nur für unstrittig gehalten, sondern unter anderem auch auf die Aussagen von zwei Zeugen gestützt. Das Vorliegen einer in ihrer Berufung von der klagenden Partei behaupteten Aktenwidrigkeit, die dem Erstgericht dabei unterlaufen sein soll, hat das Berufungsgericht verneint und im Übrigen zum Befund des Sachverständigen im Beweissicherungsverfahren dargelegt, dass die zeitliche Zuordnung dort auf einer bloßen Vermutung eines Installateurs beruhte. Mit ihren Ausführungen in der Revision, die eine aktenwidrige Begründung des Berufungsgerichts nicht aufzeigen können, versucht die klagende Partei in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung anzugreifen. Der Oberste Gerichtshof ist aber nicht Tatsacheninstanz; Fragen der Beweiswürdigung sind nicht revisibel (RIS Justiz RS0042903 [T1, T2, T8 T10]; RS0069246 [T1, T2]).

2. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Beurteilung der Frage, ob den Mieter an der verspäteten Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, seine „Willensrichtung“, die zur Zahlungssäumnis führte, maßgebend (RIS Justiz RS0069316 [T2, T14]). Grobes Verschulden setzt ein besonderes Maß an Sorglosigkeit voraus, sodass der Vorwurf berechtigt erscheint, der Mieter habe die Interessen des Vermieters aus Rechthaberei, Willkür, Leichtsinn oder Streitsucht verletzt (RIS Justiz RS0069304; in letzter Zeit 7 Ob 99/12b mwN; 10 Ob 3/14k).

Ob den Mieter an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden iSd § 33 Abs 2 MRG trifft, ist eine Frage des Einzelfalls. Zufolge dieser Einzelfallbezogenheit kann insoweit die Zulässigkeit der Revision nur dann begründet werden, wenn das Berufungsgericht den ihm bei der Beurteilung des groben Verschuldens an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses eingeräumten Beurteilungsspielraum überschritten hat (RIS Justiz RS0042773 [T1, T3]; darunter 10 Ob 3/14k, 10 Ob 8/13v mwN).

Dieser Spielraum wurde im vorliegenden Fall nicht überschritten. Nach der Vereinbarung zwischen den Streitteilen sollte unter gewissen Voraussetzungen die Übergabe des Geschäftslokals (eines Bekleidungsgeschäftes) per 19. 8. 2011 und die Wiedereröffnung des Geschäftslokals per 1. 9. 2011 als erfolgt gelten, möge auch die beklagte Partei erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Wiedereröffnung des Geschäftslokals in der Lage sein; damit sollte die zwischen den Parteien strittige Frage, ob sich die „Eingriffshaftung des Vermieters“ zeitlich bis 19. 8. 2011 oder 1. 9. 2011 erstrecke, nicht präjudiziert werden.

Das Berufungsgericht legte dar, dass beim Verhalten der beklagten Partei, den anteiligen Mietzins für den 31. 8. 2011, an welchem Tag der Geschäftsbetrieb wieder aufgenommen worden war, vorerst nicht zu entrichten, nicht von einer Rechthaberei der beklagten Partei ausgegangen werden könne, zumal deren Geschäftsführer nach Einholung einer (wenn auch von ihnen missverstandenen) Rechtsauskunft von einer Mietzinsbefreiung einschließlich dieses Tages ausgegangen waren und die von der beklagten Partei beauftragten Unternehmen noch am 31. 8. 2011 parallel zur Eröffnung gearbeitet hatten.

3. Der Oberste Gerichtshof hat auch schon erläutert, dass die Schuld durch Zahlung trotz Vorbehalts der Rückforderung erlischt (RIS Justiz RS0112195; zur Mietzinszahlung unter Vorbehalt 8 Ob 123/08h).

4. Ein unleidliches Verhalten liegt dann vor, wenn das friedliche Zusammenleben durch längere Zeit oder durch häufige Wiederholungen gestört wird (RIS Justiz RS0067678). Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 502 Abs 4 Z 1 ZPO zu (RIS Justiz RS0042984). Entscheidend ist dabei stets das Gesamtverhalten (RIS Justiz RS0070321; vgl auch RS0067669). Hängt die Entscheidung von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, ist deren rechtliche Würdigung vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen. Nur bei einer auffallenden Fehlbeurteilung der Unzumutbarkeit einer Fortsetzung des Bestandverhältnisses hätte der Oberste Gerichtshof einzugreifen (RIS Justiz RS0021095).

5. Anders als im Verfahren 8 Ob 521/95, in welchem festgestellt worden war, dass die damaligen Beklagten trotz Zusage der Sanierung willkürlich und schikanös einen Antrag auf Durchführung von Erhaltungsarbeiten beim Schlichtungsamt gestellt hatten, und in dem die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben wurden, um das Gesamtverhalten der damaligen Beklagten, bei dem die schikanöse Antragstellung einen Teilaspekt im Gesamtbild vieler Vorwürfe bildete, zu prüfen, steht eine solche schikanöse Antragstellung bzw hier die von der klagenden Partei behauptete schikanöse Einlassung in die von ihr anhängig gemachten Verfahren aber nicht fest. Die Wahrnehmung der Unzuständigkeit im Verfahren (ursprünglich) über die Rechtmäßigkeit der Hinterlegung der Ware kann schon deshalb kein unleidliches Verhalten begründen, weil der Einwand zu Recht erhoben wurde.

Ein nach Schluss der Verhandlung erster Instanz von der beklagten Partei anhängig gemachtes Verfahren bei der Schlichtungsstelle ist als Neuerung unbeachtlich.

Berücksichtigt man, dass bereits seit Jahren gerichtliche Streitigkeiten zwischen den Parteien geführt worden waren, im Bestandobjekt Erhaltungsmaßnahmen wegen des statischen Zustandes der Decke zwischen dem Erdgeschoß und dem Obergeschoß (was sogar zu einer von der Baubehörde verfügten Sperre des Obergeschoßes geführt hatte) und wegen des nicht dem Stand der Technik entsprechenden Lifts (dessen Mangelhaftigkeit die beklagte Partei auch noch im Verfahren weiter bestritten hatte) notwendig waren, die klagende Partei aber vorerst die Ansicht äußerte, sie sei nicht verpflichtet, die Kosten der Verstärkung der Zwischendecke und des Lifts überwiegend zu tragen; sie nach Überreichung der Einreichpläne über die Umbauten zur Prüfung und Unterfertigung durch die beklagte Partei ohne weitere Rückmeldung ihrerseits einen (eigenen) Antrag (anderen Inhalts) auf Baugenehmigung bei der zuständigen Baubehörde nur hinsichtlich der Verstärkung der Decke zwischen Erdgeschoß und Zwischengeschoß, des Abbruchs des bestehendes Liftschachtes, der Herstellung eines neuen Liftschachtes und des Einbaus eines behindertengerechten Personenaufzugs einbrachte; sie die beklagte Partei erst Wochen später davon in Kenntnis setzte, dass sie die Einreichpläne der beklagten Partei nicht unterfertigen, sondern ihrerseits Baumaßnahmen durchführen werde und die Umbauarbeiten erst nach Sperre des ersten Obergeschoßes in Angriff genommen wurden, muss auch ihr der Vorwurf gemacht werden, sich als Vermieterin nicht kooperativ verhalten zu haben. Ebenso ist nicht zu vernachlässigen, dass diese selbst der beklagten Partei zu Unrecht Fehlverhalten vorwarf (etwa die erst 2013 zurückgenommene Behauptung, es sei keine brandschutzrechtskonforme Ausführung der Arbeiten vorgenommen worden). Differente Standpunkte wurden von den Parteien in einer seit Jahren gelebten Streitkultur unter Beiziehung von Rechtsvertretern und auch der Abführung von Gerichtsverfahren gelöst.

Wenn daher das Berufungsgericht auf Basis der ausführlichen Feststellungen zum gesamten Ablauf davon ausging, dass beide Parteien als Unternehmer ständig Verhandlungen geführt hätten, auf der Suche nach dem eigenen geschäftlichen Erfolg Argumente für den jeweils eigenen Standpunkt auch offensiv ausgetauscht hätten und einen Verlust einer rein sachlichen Gesprächskultur ortete, dabei aber insgesamt der beklagten Partei ein unleidliches Verhalten gegenüber ihrem Vermieter nicht als verwirklicht ansah, überschritt es den ihm eingeräumten Ermessensspielraum nicht.

Bei den von der klagenden Partei als fehlend angesehenen Feststellungen mangelt es teilweise an einem konkreten Sachvortrag im Verfahren erster Instanz, teilweise stünden solchen Feststellungen die getroffenen inhaltlich entgegen. Auch unter Einschluss der noch verbleibenden begehrten Feststellungen änderte sich die Gesamtbeurteilung des Verhaltens der beklagten Partei in einer Abwägung und Zusammenschau des Ablaufs der Geschehnisse nicht, worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat.

Im Ergebnis ist die berufungsgerichtliche Entscheidung nicht korrekturbedürftig.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Rechtssätze
9