JudikaturJustiz1Ob189/03f

1Ob189/03f – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dietmar T*****, vertreten durch Dr. Karl Heinz Plankel, Dr. Herwig Mayrhofer und Dr. Manuela Schipflinger, Rechtsanwälte in Dornbirn, wider die beklagte Partei Johann B*****, vertreten durch Dr. Martin Zanon, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 6.867,58 EUR sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 21. März 2003, GZ 4 R 31/03t 24, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 25. Oktober 2002, GZ 28 C 1092/00f 19, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte, ein Transportunternehmer, ging gegenüber einer Pressevertriebs und einer Zeitungsvertriebsgesellschaft die Verpflichtung ein, deren Kunden in Vorarlberg mit Druckwerken zu beliefern. Am 8. 11. 1999 beauftragte er den Kläger mit der Auslieferung dieser Druckwerke ab 1. 12. 1999. In diesem Vertrag waren eine ordentliche und eine außerordentliche Kündigung vorgesehen. Am 31. 8. 2000 kündigte der Beklagte den mit dem Kläger geschlossenen Frachtvertrag fristlos auf.

In einem vor dem Erstgericht geführten früheren Verfahren hatte der Kläger die Feststellung begehrt, dass die am 31. 8. 2000 erklärte vorzeitige Auflösung des Frachtvertrags unwirksam sei. Er brachte dort vor, es sei kein wichtiger Grund für die vorzeitige Beendigung des Frachtvertrags vorgelegen, denn er habe sich stets vertragskonform verhalten, und er sei am Fortbestand des Vertragsverhältnisses interessiert und auch leistungsbereit. Er behielt sich dort die Geltendmachung des rückständigen Entgelts sowie von Schadenersatzansprüchen vor. In den "zum Gegenstand der Auflösung des Vertragsverhältnisses gemachten" Flugblättern habe er lediglich Kunden darauf hingewiesen, sie mögen sich bei allfälligen Fragen und Reklamationen direkt an ihn und nicht an die Zusteller wenden. Er habe nicht versucht, den Informationsfluss zum Beklagten oder dessen Auftraggebern zu unterbinden.

Der Beklagte wendete in dem Vorverfahren ein, dass der Kläger bereits eine Leistungsklage hätte erheben müssen, denn das vereinbarte monatliche Frachtentgelt sei ihm bekannt gewesen. Im Falle einer schuldhaften Vertragsverletzung durch den Auftragnehmer sei der Beklagte zur fristlosen Kündigung berechtigt gewesen. Der Kläger habe die Verpflichtung, den Auftrag im Rahmen seines eigenen Unternehmens auszuführen, nicht erfüllt. Er sei weiters verpflichtet gewesen, dem Beklagten nach jeder Tour von bedeutsamen Vorkommnissen zu berichten. Dagegen habe er verstoßen, weil er die "Reklamationskontakte" zwischen den Kunden und den Auftraggebern des Beklagten durch Verteilen von Flugblättern unterbunden habe. Er habe trotz Aufforderung, das Verteilen solcher Flugblätter zu unterlassen, solche weiterhin in Umlauf gebracht und ohne die erforderliche Genehmigung durch den Beklagten Subunternehmer beschäftigt.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht im Vorverfahren zum Ergebnis, der Kläger habe durch das Inverkehrsetzen des zweiten Flugblatts eine schuldhafte Vertragsverletzung begangen, denn er habe sich vertragswidrig - als Reklamationsanlaufstelle zwischen der Pressevertriebs und der Zeitungsvertriebsgesellschaft einerseits sowie den Kunden andererseits präsentiert. Im Übrigen hätte er eine Leistungsklage einbringen müssen, weil der Pachtvertrag bereits am 28. 2. 2001 geendet habe und die monatlichen Entgelte festgestanden seien.

Die gegen diese Entscheidung des Erstgerichts erhobene Berufung blieb erfolglos. Eine außerordentliche Kündigung sei in eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Kündigungstermin umzudeuten, wenn der geltend gemachte wichtige Kündigungsgrund nicht gegeben sei. Das Vertragsverhältnis habe somit jedenfalls am 28. 2. 2001 geendet. Am 15. 10. 2001 sei die mündliche Verhandlung erster Instanz geschlossen worden. Zu diesem Zeitpunkt habe der Kläger kein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder Rechts gehabt; allenfalls bestehende Ansprüche hätten mit Leistungsklage geltend gemacht werden können. Mit der Frage der Berechtigung der vorzeitigen Auflösung des Frachtvertrags setzte sich das Berufungsgericht im Vorverfahren nicht auseinander.

Der Kläger begehrte nunmehr die Zahlung von 6.867,58 EUR, weil ihn der Beklagte in rechtswidriger und schuldhafter Weise an der Erfüllung der mit Frachtvertrag vom 8. 11. 1999 übernommenen Pflichten hindere. Der Beklagte habe den aus dem Entgang von Einnahmen aus diesem Frachtvertrag resultierenden Schaden zu ersetzen.

Der Beklagte wendete ein, aus dem für das nunmehr angestrengte Verfahren präjudiziellen Erkenntnis des Vorverfahrens ergebe sich, dass der Frachtvertrag rechtswirksam zum 31. 8. 2000 aufgelöst worden sei, weil der Kläger durch das Inverkehrsetzen des zweiten Flugblatts eine schuldhafte Vertragsverletzung begangen habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die im Vorverfahren getroffene Entscheidung entfalte Bindungswirkung für diesen Rechtsstreit. Es sei bereits rechtskräftig festgestellt, dass die vorzeitige Auflösung des Frachtvertrags gesetzeskonform erfolgt sei, woraus allein sich schon "logisch" die mangelnde Berechtigung der auf Leistung von Schadenersatz gerichteten Klage ergebe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung in der Hauptsache und sprach letztlich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die für die Beurteilung der Berechtigung des Leistungsbegehrens relevanten Fragen seien im Vorverfahren nicht geklärt worden. Demnach hätte das Erstgericht Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Beklagte zur vorzeitigen Auflösung des Frachtvertrags vom 8. 11. 1999 berechtigt gewesen sei. Diesen Feststellungsmangel könne das Berufungsgericht im Wege "mittelbarer Beweisergänzung" beheben, denn sämtliche Beweise seien auch im erstinstanzlichen Verfahren im Einverständnis mit den Streitteilen nur mittelbar aufgenommen worden. Es traf daher ergänzende Feststellungen, insbesondere zur Berechtigung des Beklagten, den Frachtvertrag im Falle schuldhafter Vertragsverletzung durch den Kläger mit sofortiger Wirkung aufzukündigen. Die Streitteile hätten die Möglichkeit zur Auflösung des Frachtvertrags im Falle von Verstößen des Klägers gegen ausdrückliche Weisungen seines Vertragspartners des Beklagten vereinbart. Durch das Inverkehrsetzen eines (zweiten) Flugblattes, mit dem der Informationsfluss zur Pressevertriebsgesellschaft bei Reklamationen belieferter Kunden habe abgeschnitten bzw eingeschränkt werden sollen, habe der Kläger gegen seine vertraglichen Pflichten verstoßen, obwohl er schon zuvor entsprechend abgemahnt worden sei. Demnach sei der Beklagte zur Auflösung des Frachtvertrags berechtigt, ja geradezu gezwungen gewesen. Der Kläger habe aber auch an ihn herangetragene Reklamationen verschwiegen, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, nach jeder Tour über entsprechende Vorkommnisse zu berichten, die für das Vertragsverhältnis bedeutsam sein könnten. Auch deshalb sei die Aufkündigung des Vertragsverhältnisses durch den Beklagten berechtigt. Demnach stünden dem Kläger die von ihm geltend gemachten Schadenersatzansprüche nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Ansicht des Revisionswerbers, es liege eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor, weil das Berufungsgericht keine mündliche Verhandlung anberaumt, aber dennoch zusätzliche Feststellungen getroffen habe, ist nicht zu folgen:

Will das Rechtsmittelgericht von den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts abgehen , dann muss es alle zur Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen erforderlichen Beweise, die das Erstgericht unmittelbar aufgenommen hat, selbst wiederholen oder das Protokoll über die Beweisaufnahme in erster Instanz unter den Voraussetzungen des § 281a ZPO verlesen (2 Ob 69/02i; SZ 72/129; 1 Ob 70/99x; EvBl 1958/219). Nimmt dagegen das Berufungsgericht im Wege einer Verlesung einen Beweis in der Weise auf, wie es das Erstgericht getan hat, dann liegt kein Verstoß gegen § 488 Abs 4 ZPO vor. War Grundlage der erstgerichtlichen Entscheidung nur eine schriftliche Beweisaufnahme, so haben die Parteien im Berufungsverfahren auch nur ein erzwingbares Recht auf Wiederholung dieser schriftlichen Beweisaufnahme (1 Ob 154/97x; MietSlg 49.665; SZ 70/179; 2 Ob 24/95; 7 Ob 656/90). Lediglich ergänzende Beweisaufnahmen müssten in einer mündlichen Berufungsverhandlung erfolgen, um dem Prinzip der Unmittelbarkeit Rechnung zu tragen (8 Ob 69/01g uva). Insoweit ist dem in der Judikatur immer wiederkehrenden Satz, dass ergänzende Feststellungen nur nach Beweiswiederholung zulässig seien (2 Ob 69/02i; JBl 2000, 524; 1 Ob 324/97x; 3 Ob 235/01g; JBl 1968, 368; SZ 25/46), durchaus beizupflichten, wenn also ergänzende Feststellungen aufgrund einer ergänzenden Beweisaufnahme zu treffen sind. Beschränkt sich dagegen wie hier in erster Instanz die gesamte Beweisaufnahme im Einvernehmen mit den Parteien auf die Verlesung von Beweisergebnissen in einem früheren Verfahren, sind demnach alle erheblichen Beweise bloß mittelbar aufgenommen worden, so wäre das Gericht zweiter Instanz gegebenenfalls dazu verhalten, die erstinstanzlichen mittelbar aufgenommenen Beweisergebnisse im Zuge der mündlichen Berufungsverhandlung zu verlesen . Parteienrechte auf eine unmittelbare Beweisaufnahme in solchen Fällen lassen sich aus § 488 Abs 4 ZPO nicht ableiten, ist doch dort nur von der neuerlichen Aufnahme eines in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweises die Rede. Erklärten sich die Parteien in erster Instanz mit einer mittelbaren Beweisaufnahme einverstanden, so erstreckt sich die Wirkung solcher Erklärungen auch auf das Berufungsverfahren, soweit die Entscheidungsgrundlagen (d.s. die Beweisergebnisse) keine Ergänzung erfahren. In beiden Verfahrensabschnitten können die Parteien von vornherein keine Gewissheit haben, welche tatsächlichen Schlussfolgerungen das Gericht jeweils aus den zulässigerweise mittelbar aufgenommenen Beweisen ziehen werde. Ist der Partei, wenn sie sich in erster Instanz mit einer mittelbaren Beweisaufnahme einverstanden erklärte, nicht das Recht zuzugestehen, im Berufungsverfahren auf einer unmittelbaren Beweisaufnahme zu bestehen (1 Ob 154/97x uva), so kann in der unterbliebenen Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung, die nur den Zweck hätte, die schon in erster Instanz bloß mittelbar aufgenommenen Beweise neuerlich zu verlesen, kein relevanter Verfahrensmangel erkannt werden.

Angesichts dieser Erwägungen kann die vom erkennenden Senat in der Entscheidung SZ 59/6 also noch vor Anfügung des Abs 4 an § 488 ZPO (durch die WGN 1989) vertretene Ansicht, wolle das Berufungsgericht gemäß § 281a ZPO auf Grund mittelbarer Beweisaufnahme ergänzende Feststellungen treffen, so müsse es den Parteien Gelegenheit geben, sich dagegen auszusprechen, nicht mehr aufrecht erhalten werden: Es wäre wohl auch ein Wertungswiderspruch, könnte das Gericht zweiter Instanz in solchen Fällen, auch ohne das Einvernehmen mit den Parteien herzustellen, zwar von den erstinstanzlichen Feststellungen ohne Beweiswiederholung abgehen müsste es hingegen, wenn es aus den Ergebnissen der erstgerichtlichen, allerdings bloß mittelbaren Beweisaufnahme ergänzende Feststellungen treffen will, das Einverständnis der Parteien suchen, in dessen Ermangelung aber die Beweise in Form unmittelbarer Beweisaufnahme wiederholen.

Ein (erheblicher) Mangel des Berufungsverfahrens liegt demnach nicht vor, sodass von den Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts auszugehen ist. Soweit der Kläger diese Feststellungen und die Beweiswürdigung des Gerichts zweiter Instanz bekämpft, ist die Revision nicht gesetzmäßig ausgeführt, denn der Oberste Gerichtshof ist nicht Tatsacheninstanz; die Überprüfung der Beweiswürdigung ist ihm entzogen (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 1 zu § 503 mwN).

Es versagt aber auch die Rechtsrüge. Das Berufungsgericht hat die vertraglichen Regelungen logisch einwandfrei ausgelegt; diesen Ausführungen (S 16 f des Berufungsurteils) ist beizupflichten. Der Revisionswerber führt selbst aus, er sei darauf hingewiesen worden, dass er Reklamationen der Kunden an den Beklagten weiterleiten müsse (S 12 der Revision), und übersieht dabei die Feststellung, dass er während des gesamten Vertragsverhältnisses keine Reklamationen von Kunden weitergeleitet hat (S 12 des Urteils des Gerichts zweiter Instanz), obwohl es während seiner Tätigkeit zu auch von ihm zu verantwortenden Reklamationen gekommen war (S 10 f des Berufungsurteils). Damit steht fest, dass der Informationsfluss zwischen den Kunden und den Auftraggebern des Beklagten eingeschränkt wurde. Auf die Verpflichtung, eine solche Einschränkung zu unterlassen bzw "abzustellen", wurde der Kläger vom Beklagten ausdrücklich hingewiesen (S 11 des Berufungsurteils); dennoch hat er der entsprechenden Weisung zuwidergehandelt. Entgegen seiner Ansicht stellt dies einen wichtigen Grund dar, der den Beklagten zur Auflösung des Vertragsverhältnisses berechtigte. Diese Auflösung ist auch "unverzüglich" nach Kenntnis des Beklagten von der vom Kläger begangenen Vertragsverletzung erfolgt. Geht man davon aus, dass das erste Flugblatt "zwischen Mai und Juli 2000" verteilt wurde, dass dieses Flugblatt mehrfach weiterzuleiten war und dass der Kläger daraufhin zu einer Besprechung geladen wurde, dass der Kläger aber "etwa eine Woche bis ein Monat später" ein weiteres Flugblatt verteilte, das abermals eine mehrfache Weiterleitung an den Beklagten erforderte, und dass am 31. 8. 2000 die Kündigung des Frachtvertrags ausgesprochen wurde (S 11 f des Berufungsurteils), dann ist nicht daran zu zweifeln, dass dem Erfordernis einer "unverzüglichen Kündigung" Rechnung getragen wurde.

Die Revision erweist sich somit insgesamt als nicht berechtigt.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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