JudikaturJustiz15Os48/05f

15Os48/05f – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fuchsloch als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann F***** wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 21. Februar 2005, GZ 434 Hv 3/04f-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden angefochtenen Urteil wurde Johann F***** der Verbrechen des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (1./) und des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB (2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

1./ am 11. September 2004 der 83-jährigen Johanna L***** mit Gewalt gegen ihre Person fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er ihr mit einem kräftigen Ruck die Handtasche samt Geldbörse und ca. 200 Euro Bargeld entriss, welche sie fest in ihrer rechten Hand hielt;

2./ am 5. September 2004 gewerbsmäßig zwei Flaschen Barcadi im Gesamtwert von 25,98 Euro Verfügungsberechtigten der Fa. B***** mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.

Dagegen richtet sich die auf § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6, 7, 8, 10a und 12 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie schlägt fehl.

Rechtliche Beurteilung

Die Verfahrensrüge nach Z 4 StPO behauptet (zu 1./) einen nichtigkeitsbegründenden Verstoß gegen § 252 Abs 4 StPO dadurch, dass die Aussage der Zeugin Johanna L***** vor der Polizei (S 67 f) in der Hauptverhandlung nicht verlesen, mangels Aussonderung gemäß § 322 StPO aber den Geschworenen dennoch bekannt geworden sei. Dementgegen wurde das bezeichnete, in ON 3 enthaltene Aussageprotokoll in der Hauptverhandlung einverständlich (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) und infolge Abweichens der in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugin von ihrer früheren Aussage in wesentlichen Punkten auch deswegen zulässig (§ 252 Abs 1 Z 2 StPO) vom Vorsitzenden dargetan (S 315). Das kritisierte Beweismittel ist somit zum einen iSd § 258 Abs 1 StPO in der Hauptverhandlung vorgekommen (RIS-Justiz RS0111533), zum anderen lag auch keine Verletzung des § 252 Abs 1 StPO vor, die aber notwendige Voraussetzung für eine behauptete Verletzung des Umgehungsverbots nach § 252 Abs 4 StPO wäre. Zu 2./ lag kein Verstoß gegen § 221 StPO vor. Der Angeklagte wurde zur Hauptverhandlung so rechtzeitig geladen, dass ihm die gesetzlich vorgesehene 8-tägige Vorbereitungsfrist uneingeschränkt zur Verfügung stand. Die unvollständige Benennung der den Gegenstand der Hauptverhandlung bildenden strafgerichtlichen Vorwürfe in der rechtzeitig zugegangenen Ladungsschrift stellt keinen Verstoß gegen § 221 Abs 1 StPO dar (Danek, WK-StPO § 221 Rz 8). Die Verhandlung über die in der Hauptverhandlung einbezogene, bereits mit (dem Angeklagten am 25. Oktober 2004 zugestellten; S 1 verso in ON 31) Antrag auf Bestrafung vom 7. Oktober 2004 verfolgte Tat war ohne Zustimmung des Angeklagten zulässig (§ 56 Abs 1 StPO).

Im Übrigen wäre es dem Angeklagten unbenommen gewesen, nach Ausdehnung der Verhandlung einen – vom Schwurgerichtshof im Lichte des Art 6 Abs 3 lit b EMRK zu prüfenden – Antrag auf Vertagung zur besseren Vorbereitung seiner Verteidigung zu stellen, dessen Abweisung er nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO bekämpfen hätte können (vgl Danek, WK-StPO § 221 Rz 11).

Der Rüge nach Z 5 zuwider konnte (zu 2./) der – gegen den Widerspruch des Verteidigers gefasste - Beschluss auf Einbeziehung des Verfahrens AZ 7 U 445/04a des Bezirksgerichts Leopoldstadt für sich keine Verletzung von Verteidigungsrechten begründen. Ein Antrag auf Vertagung der Hauptverhandlung zur Vorbereitung der Verteidigung vor Durchführung der (von der Beschwerde mangels vorheriger Beratungsmöglichkeit des Angeklagten durch seinen Verteidiger als unfair kritisierten; vgl aber § 245 Abs 3 StPO) Vernehmung des Angeklagten zum neuen Vorwurf wurde vom Verteidiger – wie bereits ausgeführt – nicht gestellt (vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 314). Die Fragenrüge (Z 6) kritisiert zu 1./ die Unterlassung der Stellung einer Eventual- oder uneigentlichen Zusatzfrage in Richtung § 142 Abs 2 StGB. Mit Zitaten bloßer Teile der Aussage der Zeugin L***** in der Hauptverhandlung zum Gegenstand der Raubbeute und der Art der Gewaltanwendung vernachlässigt sie jedoch in diesem Zusammenhang deren weitergehende Angaben, dass sie den Angeklagten noch nie gesehen habe, dass er nicht der Täter sei, sowie dass sie an Alzheimer leide und alles vergesse (S 275). Im Übrigen ist unzweifelhaft erkennbar, dass die Unterlassung der begehrten Fragestellung keinen auf die Entscheidung der – über die Möglichkeit der einschränkenden Bejahung von Fragen nach § 330 Abs 2 StPO und auch über die Kriterien der Privilegierung des § 142 Abs 2 StGB rechtsbelehrten und (sowohl hinsichtlich der Täterschaft des Angeklagten wie auch des Gegenstands der Raubbeute) ohne Einschränkungen von den polizeilichen Angaben der Zeugin ausgehenden – Geschworenen nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO). Zu 2./ behauptet die Beschwerde eine mangelnde Konkretisierung des in der Hauptfrage verwendeten Begriffs „gewerbsmäßig", legt jedoch nicht dar, welche über den Gesetzeswortlaut des § 130 StGB hinausgehenden tatsächlichen Umstände ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht anzuführen gewesen wären. Im Übrigen ist auch hier unzweifelhaft erkennbar, dass die fehlende Konkretisierung keinen auf die Entscheidung der – über den Begriff der Gewerbsmäßigkeit eingehend und richtig rechtsbelehrten (S 24 der Rechtsbelehrung) – Geschworenen nachteiligen Einfluss üben konnte (§ 345 Abs 3 StPO). Einer Begründung der Anklageausdehnung – als Voraussetzung für die Stellung einer Hauptfrage nach der ihr zugrunde liegenden strafbaren Handlung – bedarf es der Beschwerde zuwider nicht. Denn eine bestimmte Form der Anklageausdehnung ist nicht vorgeschrieben, es muss nur klar werden, welche Tat gemeint ist und dass der Ankläger die Bestrafung des Angeklagten wegen dieser Tat beantragt (Fabrizy StPO9 § 263 Rz 8). Im Übrigen stellte die – in Wahrheit rechtlich bedeutungslose – Erklärung der öffentlichen Anklägerin in der Hauptverhandlung vom 14. Februar 2005 (S 279) der Sache nach keine Ausdehnung der Anklage dar, weil sie lediglich eine andere rechtliche Beurteilung des bereits vom ursprünglichen Strafantrag umfassten Sachverhalts beinhaltete (vgl Danek, WK-StPO § 227 Rz 8).

Mit dem Begehren nach Stellung einer „Eventual- und/oder Zusatzfrage nach dem Nichtvorliegen der Gewerbsmäßigkeit" vernachlässigt die Beschwerde wiederum die Bestimmung des § 330 Abs 2 StPO und die danach erfolgte Belehrung der Geschworenen (vgl Schindler, WK-StPO § 314 Rz 20; Philipp, WK-StPO § 330 Rz 11).

Soweit die Fragenrüge zu 2./ auch die Stellung einer Eventualfrage in Richtung § 141 StGB reklamiert, legt sie nicht dar, warum aus der bloßen Verantwortung des Angeklagten, er habe die Diebsbeute verkaufen und sich um den Erlös etwas zu essen kaufen wollen, abzuleiten sei, dass er „aus Not oder einem anderen von § 141 Abs 1 StGB privilegierten Motiv gehandelt" habe (zur Befriedigung eines Gelüstes vgl im Übrigen EvBl 1956/159).

Die Rüge nach Z 7 behauptet zu 2./, dass die „Ausdehnung" des (im einbezogenen Verfahren gestellten) Strafantrags „in Richtung Gewerbsmäßigkeit" mangels Begründung oder Konkretisierung „den gesetzlichen Anforderungen an eine prozessordnungsgemäße Anklage" nicht entsprochen habe, weshalb § 267 StPO verletzt worden sei. Dabei versäumt es die Beschwerde wiederum darzulegen, woraus auf eine Begründungspflicht im Fall einer - wie ausgeführt hier gar nicht vorliegenden - Anklageausdehnung zu schließen sei und welche über den Gesetzeswortlaut des § 130 StGB hinausgehenden tatsächlichen Umstände ihrer Meinung nach in dieser Hinsicht anzuführen gewesen wären. Die Instruktionsrüge (Z 8) legt mit ihren allgemeinen Ausführungen zu beiden Fakten nicht dar, über welche gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlungen, auf die die den Geschworenen tatsächlich gestellten Fragen gerichtet waren, diese unrichtig belehrt worden seien. Im Übrigen steht die zusätzliche Erörterung überflüssiger Rechtsfragen ebenso wenig unter Nichtigkeitssanktion, wie das Fehlen einer – von der Beschwerde ohne gesetzliche Grundlage begehrten – mehrfachen Wiederholung des Hinweises auf die Möglichkeit, Fragen nur teilweise zu beantworten (§ 330 Abs 2 StPO; vgl Ratz, WK-StPO § 345 Rz 54).

Mit ihrer Kritik am Inhalt der Rechtsbelehrung zu den „Voraussetzungen des minderschweren Raubes" und am Fehlen über die „Tatbestandsmerkmale der Entwendung" vernachlässigt die Beschwerde, dass Eventualfragen in Richtung § 142 Abs 2 StGB und § 141 Abs 1 StGB den Geschworenen gar nicht gestellt wurden (vgl Philipp, WK-StPO § 321 Rz 19).

Die Tatsachenrüge (Z 10a) vermag zu 1./ mit dem Verweis auf das (widersprüchliche) Alibi durch den Zeugen K***** und den Umstand, dass die Zeugen F***** und T***** keine Erinnerung an die vom Angeklagten bei seiner – zumindest eine Stunde nach der Tat erfolgten – Verhaftung getragene auffällige Hose hatten, keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Täterschaft des Beschwerdeführers zu wecken, zumal beide genannten Zeugen den Täter an Gesicht und Stimme mit Sicherheit wiedererkannt haben und dieser hinreichend Gelegenheit hatte, nach der Tat einen Kleidungstausch vorzunehmen (vgl S 17, 54, 133). Zu 2./ ergeben sich aus dem bloßen Beschwerdehinweis auf die Verantwortung des Angeklagten zur subjektiven Tatseite keine aus den Akten abzuleitenden erheblichen Bedenken gegen die Annahme gewerbsmäßigen Handelns, für die – der Beschwerde zuwider – den Geschworenen geeignete Verfahrensergebnisse (unter dem Existenzminimum liegendes Nettoeinkommen, S 22; einschlägig getrübtes Vorleben, S 35; gewaltsame Wegnahme einer Handtasche nur sechs Tage nach dem Spirituosendiebstahl) zur Verfügung standen. Die Subsumtionsrüge (Z 12) behauptet zu 2./ das Fehlen von Feststellungen zum Vorwurf gewerbsmäßigen Handels, legt aber prozessordnungswidrig nicht dar, welche über den Gesetzeswortlaut des § 130 StGB hinausgehenden Feststellungen zur Gewerbsmäßigkeit sie konkret vermisst (vgl Ratz, WK-StPO § 285d Rz 14).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - entgegen der Äußerung gemäß § 35 Abs 2 StPO - teils als nicht gesetzmäßig ausgeführt, teils als offenbar unbegründet bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§§ 285 d, 344 StPO), woraus die Kompetenz des Gerichtshofs zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung folgt (§§ 285i, 344 StPO). Die Kostenentscheidung gründet sich auch § 390a StPO.

Rechtssätze
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