JudikaturJustiz15Os178/08b

15Os178/08b – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. Dezember 2008

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Dezember 2008 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Dr. T. Solé als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer in der Strafsache gegen Osvaldo Marcelo B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 8 Hv 83/06d des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Osvaldo Marcelo B***** gegen die Beschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 24. September 2008, GZ 8 Hv 83/08d-791, sowie des Oberlandesgerichts Graz vom 23. Oktober 2008, AZ 10 Bs 444/08g, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Osvaldo Marcelo B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz wird abgewiesen, jene gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Der uruguayanische Staatsangehörige Osvaldo Marcelo B***** ist nach dem Inhalt des angefochtenen Beschlusses des Oberlandesgerichts Graz dringend verdächtig, - teils in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) verbliebene - Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./1./a./ aa./ und bb./) sowie § 28a Abs 1 fünfter und sechster Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./3./aa./ und bb./) begangen zu haben.

Danach soll er in bewusstem und gewolltem Zusammenwirken mit anderen Personen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge

I./1./ teils ein- und ausgeführt, teils ein- und auszuführen versucht haben, und zwar

a./aa./ am 3. November 2004 insgesamt ca 270,4 kg Kokain (ca 232,5 kg Kokain Reinsubstanz) durch Versenden in einem Container versteckt auf dem Seeweg von Peru, wobei der beabsichtigte Transport des Suchtgiftes nach Österreich aufgrund der Sicherstellung der Drogen in den USA unterblieb, und

bb./ am 23. November 2004 insgesamt ca 140 kg Kokain (105 +/- 6,4 kg Kokain Reinsubstanz) durch Versenden auf dem Seeweg von Peru nach Deutschland, wobei der weitere Transport nach Österreich von verdeckten Ermittlern des Bundesministeriums für Inneres durchgeführt wurde,

3./ anderen zu überlassen und zu verschaffen versucht haben, wobei die Tatvollendung aufgrund der Sicherstellung der Drogen unterblieb, und zwar

aa./ am 3. November 2004 durch die zu 1./a./aa./ geschilderte Tathandlung ca 270 kg Kokain (ca 232,5 kg Kokain Reinsubstanz) und bb./ am 23. November 2004 durch die zu Punkt 1./a./bb./ geschilderte Tathandlung ca 140 kg Kokain (105 +/- 6,4 kg Kokain Reinsubstanz). In diesem Umfang liegt ein noch nicht rechtskräftiger Schuldspruch des Schöffengerichts vom 31. Jänner 2008 vor (ON 741); über die dagegen gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Beschwerdeführers wurde noch nicht entschieden.

Über den am 10. Dezember 2004 festgenommenen Angeklagten wurde am 13. Dezember 2004 die Untersuchungshaft verhängt. Diese wurde zuletzt am 24. September 2008 (ON 791) vom Erstgericht aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO fortgesetzt. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge und ordnete die weitere Fortsetzung der Haft aus den genannten Gründen an.

Rechtliche Beurteilung

Sowohl gegen den erstinstanzlichen Beschluss als auch gegen jenen des Oberlandesgerichts richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Osvaldo Marcelo B*****. Im erstgenannten Umfang ist sie unzulässig (Hager/Holzweber GRBG § 1 E 21), im Weiteren schlägt sie fehl. Die Grundrechtsbeschwerde bestreitet das Vorliegen der Haftgründe der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO.

Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der im § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt. Dabei kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (= bestimmten Tatsachen), welche erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG in Verbindung mit § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (RIS-Justiz RS0117806).

Die vom Oberlandesgericht zur Begründung ins Treffen geführten Umstände (BS 8 f) lassen einen formal einwandfreien Schluss auf das Vorliegen von Flucht- und Tatbegehungsgefahr zu. Die Grundrechtsbeschwerde vermag dagegen keine substantiellen Argumente ins Treffen zu führen und demgemäß keine Willkür der bekämpften Prognoseentscheidung aufzuzeigen. Soweit sie die Substituierbarkeit der Haft durch das gelindere Mittel des Erlags einer Kaution behauptet, vernachlässigt sie, dass sich der Beschwerdeführer nicht ausschließlich wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft befindet (§ 180 Abs 1 StPO).

Indem die Grundrechtsbeschwerde die Unverhältnismäßigkeit der Haft unter Hinweis auf eine dem Mitangeklagten V***** zugute gekommene Strafreduktion nach § 31a Abs 1 StGB behauptet, orientiert sie sich nicht am - zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung allein maßgebenden (RIS-Justiz RS0091237 T5) - Strafausspruch des erstinstanzlichen Urteils und zeigt zudem keinen den Beschwerdeführer in der Straffrage privilegierenden Umstand auf. Die zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung rund drei Jahre und zehneinhalb Monate währende Untersuchungshaft ist in Relation zur (in erster Instanz verhängten) zwölfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe keinesfalls unverhältnismäßig.

Über die - schon in einer vorangegangenen Grundrechtsbeschwerde aufgestellte - Behauptung eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot durch Umstände des Vorverfahrens hat der Oberste Gerichtshof bereits am 30. Mai 2007 zu 15 Os 55/07p abschließend erkannt. Soweit ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nunmehr auch dadurch behauptet wird, dass das Erstgericht im Zuge der Hauptverhandlung das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ausgeschieden habe, hat der Beschwerdeführer - mangels Geltendmachung dieses Umstands bei Bekämpfung des erstinstanzlichen Beschlusses - den Instanzenzug nicht ausgeschöpft (vgl RIS-Justiz RS0114487). Der Kritik an der Vorlage der Nichtigkeitsbeschwerde des Beschwerdeführers erst rund drei Monate nach deren Einbringung beim Erstgericht zuwider war diese - durch antragsgemäße Verlängerung der Rechtsmittelausführungsfrist für den Mitangeklagten T***** auf drei Monate bedingte - Verzögerung noch nicht als Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nach § 9 Abs 2 StPO anzusehen, weil eine gemeinsame Prüfung der beiden gegen das Schöffenurteil gerichteten Nichtigkeitsbeschwerden durch den Obersten Gerichtshof infolge des gegebenen Sachzusammenhangs und der Komplexität des Falles in concreto zweckdienlich ist.

Die keine Verletzung des verfassungsmäßig geschützten Rechts auf persönliche Freiheit aufzeigende Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.