JudikaturJustiz15Os117/22b

15Os117/22b – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Jänner 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Mag. Lonin als Schriftführerin in der Strafsache gegen * R* und * G* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 13. Juni 2022, GZ 8 Hv 19/22s 113, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Verfalls und im Einziehungsausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Den Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden * R* und * G* jeweils des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB (1./), des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 Abs 1 zweiter Fall StGB (2./), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (3./) und des Vergehens des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 StGB (4./), * G* überdies des Vergehens des Betrugs nach § 146 StGB (5./) schuldig erkannt.

[2] Danach haben sie – soweit für die Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerden von Bedeutung – am 4. November 2021 in H* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter

1./ * W* vorsätzlich zu töten versucht, indem * R* ihr mit einem Baseballschläger zwei heftige Schläge auf den Hinterkopf und zwei weitere Schläge gegen den Rücken (links- und rechtsseitig) versetzte, sodass der Schläger zerbrach, und * G* ihr mit zwei Messern insgesamt fünf Stiche in den Rücken zufügte, wobei die Tat Weichteilverletzungen ohne Schädigung von Nerven oder größerer Blutgefäße, Brüche der sechsten Rippe links sowie der achten und neunten Rippe rechts, Durchtrennungen von Rippenfell und Brustfell, Luftbrust (Pneumothorax) beidseits, eine Blutbrust links (Einblutung in den linken Brustfellsack), oberflächliche Verletzungen der Lunge mit Einblutungen sowie zwei mindestens sechs Zentimeter tiefe Verletzungen der Leber und innerhalb der Leber gelegener Gallengänge sowie Rissquetschwunden zur Folge hatten, wobei R* und G* dabei den Tod des Opfers ernstlich für möglich hielten, diesen zumindest billigend in Kauf nahmen und sich damit abfanden;

2./ im Zuge der zu Punkt 1./ angeführten Tat, sohin durch Gewalt gegen eine Person und unter Verwendung von Waffen, nämlich eines Baseballschlägers sowie zweier Messer, einen Bargeldbetrag in Höhe von 960 Euro, mehrere Schmuckstücke, einen Laptop und drei Mobiltelefone der B* und des H* K* und einen Tresor des J* K* mit dem Vorsatz weggenommen bzw abgenötigt, durch deren Zueignung sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern,

3./ Urkunden, nämlich ein Sparbuch der L* K*, einen Staatsbürgerschaftsnachweis des H* K*, Reisepässe der L* und B* K*, einen Typenschein sowie einen Meldezettel des H* K*, über die sie nicht verfügen durften, durch die zu Punkt 2./ angeführte Tat mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden,

4./ den Eintritt in das Haus der B* und des H* K* mit Gewalt erzwungen, indem sie die Haustüre trotz Widerstandes der * W* gewaltsam aufdrückten, wobei sie gegen diese Gewalt zu üben beabsichtigten.

...

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richten sich die Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten, die * R* auf Z 10a und * G* auf Z 10a, 11 lit a und 12, jeweils des § 345 Abs 1 StPO stützen. Die Rechtsmittel verfehlen ihr Ziel.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten R* :

[4] Urteilsnichtigkeit nach Z 10a ist dann gegeben, wenn die Laienrichter das ihnen nach § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO gesetzlich zustehende Beweiswürdigungsermessen in geradezu unerträglicher Weise gebraucht haben und damit eine Fehlentscheidung bei der Beweiswürdigung qualifiziert nahe liegt (RIS Justiz RS0119583 [T13]).

[5] Mit dem Hinweis auf die Aussage der * W*, dass sie nicht gesehen habe, wer sie geschlagen habe, und die Angaben der B* K* über die Wahrnehmungen ihrer Tochter, wonach „der Mann mit den weißen Haaren“ (R*) W* nicht geschlagen hätte (vgl aber ON 112 S 23: „, dass beide Männer böse gewesen sind und auch beide der Oma wehgetan hätten, aber der mit der Glatze viel mehr“), gelingt es der Tatsachenrüge (Z 10a) nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten Mittäterschaft der Angeklagten (vgl auch RIS Justiz RS0013731) beim Obersten Gerichtshof zu erwecken.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten G* :

[6] Z 10a des § 345 Abs 1 StPO will als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS-Justiz RS0118780).

[7] Die Tatsachenrüge (Z 10a) verweist zu 1./ auf die leugnende Verantwortung des Angeklagten, das Fehlen von Fingerabdrücken oder DNA Spuren auf dem Tatmesser, Unsicherheiten bei der Wiedererkennung durch das Tatopfer bei der Gegenüberstellung und auf ein Detail der A ngaben der 3-jährigen Jo* K* („Mann mit dem komischen Daumen“). Damit gelingt es ihr ebensowenig, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der im Wahrspruch der Geschworenen festgestellten entscheidenden Tatsachen zu erwecken, wie mit dem Vorbringen, aus den mehrfachen Messerstichen könne „noch nicht“ auf die subjektive Tatseite geschlossen werden.

[8] Gleiches gilt, soweit zu 2./ bis 4./ dieses Vorbringens wiederholt und darüber hinaus darauf hingewiesen wird, dass „die Haube des zweiten Täters“ nicht sichergestellt werden konnte.

[9] Indem die Rechtsrüge (Z 11 lit a) und die Subsumtionsrüge (Z 12) eingangs der gemeinsamen Ausführung auf das Vorbringen der Tatsachenrüge verweisen, übersehen sie , dass die Nichtigkeitsgründe des § 345 Abs 1 StPO voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen sind, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Nichtigkeitswerber für beschwert erachtet (RIS Justiz RS0115902).

[10] Soweit die Rechtsrüge zu 1./ behauptet, ein Tötungsvorsatz sei nicht gegeben gewesen, hält sie nicht an den (expliziten) Feststellungen zur subjektiven Tatseite im Wahrspruch der Geschworenen fest (US 3) und verfehlt so die gebotene Orientierung an der Verfahrensordnung (RIS Justiz RS0101527).

[11] Mit dem Vorbringen, aus den Tathandlungen allein könne nicht auf den Tötungsvorsatz geschlossen werden, wird kein rechtliches Defizit aufgezeigt, sondern – in diesem Rahmen unzulässig – die Beweiswürdigung der Geschworenen in Zweifel gezogen .

[12] Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sogleich zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 344 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen ergibt (§§ 285i, 344 StPO).

[13] Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerden überzeugte sich der Oberste Gerichtshof – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – jedoch von nicht geltend gemachten, beiden Angeklagten zum Nachteil gereichenden Nichtigkeiten (§ 281 Abs 1 Z 11 erster Fall StPO) in Ansehung des Verfalls und des Einziehungsausspruchs.

[14] Bezüglich des Verfallsausspruchs ging das Geschworenengericht nämlich rechtsirrig von einer „Solidarhaftung“ der beiden Angeklagten aus (US 9, 12). Eine solche ist jedoch im Hinblick darauf, dass die dem Verfall unterliegenden Vermögenswerte (Abs 1), Nutzungen und Ersatzwerte (Abs 2) oder – wie hier – ein entsprechender Wertersatz (Abs 3) nur dem tatsächlichen Empfänger abgenommen werden dürfen, nicht vorgesehen. Sind daher Vermögenswerte mehreren Personen zugekommen, so ist bei jedem Empfänger nur der von ihm tatsächlich rechtswidrig erlangte Vermögenswert iSd § 20 StGB für verfallen zu erklären (RIS Justiz RS0129964).

[15] Weiters setzt die Einziehung nach § 26 Abs 1 StGB voraus, dass diese vorbeugende Maßnahme nach der besonderen Beschaffenheit des betroffenen Gegenstands geboten erscheint, um der Begehung mit Strafe bedrohter Handlungen durch den Täter selbst oder durch andere Personen entgegenzuwirken. Das Wort „geboten“ spricht dabei die Deliktstauglichkeit des Gegenstands an (RIS Justiz RS0121298).

[16] Davon kann bei einem Messer sowie Kabelbinder und Klebeband in aller Regel – ohne Hinzutreten besonderer Umstände – nicht die Rede sein (vgl RIS Justiz RS0082031). Feststellungen dazu als (notwendige) Grundlage der Gefährlichkeitsprognose hat das Erstgericht nicht getroffen (US 9, 12).

[17] Diese Rechtsfehler waren vom Obersten Gerichtshof von Amts wegen aufzugreifen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), weil sich die Berufungen der Angeklagten jeweils nur gegen den Ausspruch über die Strafe richten und dem Berufungsgericht – zufolge Beschränkung auf die der Berufung unterzogenen Punkte (§ 295 Abs 1 erster Satz StPO) – die amtswegige Wahrnehmung zugunsten der Angeklagten verwehrt ist (RIS Justiz RS0119220 [T9, T10]).

[18] Im diesbezüglichen neuen Verfahren steht die Entscheidung im Sinn des letzten Satzes des § 445 Abs 2 StPO dem Vorsitzenden des Geschworenengerichts als Einzelrichter zu (vgl RIS Justiz RS0117920).

[19] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO; sie bezieht sich nicht auf die amtswegige Maßnahme ( Lendl , WK StPO § 390a Rz 12).

Rechtssätze
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