JudikaturJustiz14Os64/03

14Os64/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 3. Juni 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Mag. Strieder als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp und Hon. Prof. Dr. Schroll als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burtscher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Johann S***** und Wolfgang T***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Johann S***** sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft betreffend beide Angeklagte gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 9. Dezember 2002, GZ 14 Hv 1027/01a-37, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten Johann S***** und aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) wird das angefochene Urteil - auch hinsichtlich des Angeklagten Wolfgang T***** - aufgehoben, eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht St. Pölten verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte S***** auf diese Entscheidung verwiesen.

Diesem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 18. Oktober 2001, GZ 14 Hv 1027/01a-18, wurden Johann S***** und Wolfgang T***** - dieser als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB - im ersten Rechtsgang des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach haben

"vom 6. Oktober 1998 bis 15. November 1999 in R***** Johann S***** in wiederholten Angriffen als Beamter, nämlich als Klassifizierer des durch die A***** Austria zugelassenen Klassifizierungsdienstes "S*****" Servicestelle für Tierproduktion in Niederösterreich GmbH, mit dem Vorsatz, den Bund und Schlachtviehlieferanten in ihrem Recht auf ordnungsgemäße Feststellung von Gewicht und Qualität der Schlachtkörper zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung des Qualitätsklassengesetzes, BGBl 161/1967, Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er beim Klassifizieren von Rinderhälften jeweils ein geringeres Gewicht und eine mindere Qualität bzw Handelsklasse feststellte, wobei durch die Tat ein 25.000 S, nicht jedoch 500.000 S übersteigender Schaden herbeigeführt wurde; Wolfgang T***** zur Ausführung dieser strafbaren Handlung des Johann S***** durch gemeinsame Planung der falschen Qualitätsbewertung und vereinbarungsgemäße Vornahme von unrichtigen Wägedaten bewirkenden Manipulationen an den zur Klassifizierung verwendeten technischen Einrichtungen beigetragen."

Rechtliche Beurteilung

Die von den Angeklagten ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerden wurden zurückgewiesen, der gegen die unterlassene Subsumtion des Prozessgegenstandes (= der Tat im prozessualen Sinn; vgl Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 146 Rz 193; Ratz, WK-StPO § 281 Rz

519) als gewerbsmäßig schwerer Betrug gerichteten Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hingegen Folge gegeben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen (§ 288 Abs 2 Z 3 zweiter Satz StPO). Indem der Oberste Gerichtshof solcherart in Hinsicht auf Betrug nicht in der Sache selbst erkannt hatte, war übrigens eine in der Nichtigkeitsbeschwerde des Staatsanwaltes vertretene (vom Obersten Gerichtshof bloß referierte) Rechtsansicht, wonach Amtsmissbrauch und Betrug "in Tateinheit" verwirklicht worden seien, nicht Gegenstand des kassatorischen Erkenntnisses vom 28. Mai 2002, GZ 14 Os 10/02-9. Der - dieser Entscheidung nach § 288 Abs 2 Z 3 StPO logisch vorgelagerte (WK-StPO § 281 Rz 598 f, § 288 Rz 3) - Erfolg der Subsumtionsrüge (Z 10) der Staatsanwaltschaft war nämlich von dieser Einschätzung unabhängig, weil das Urteil nicht bloß infolge irriger Annahme von Spezialität (einem Scheinkonkurrenzverhältnis, das auf Idealkonkurrenz beschränkt ist; grundlegend: Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, 393; Leukauf/Steininger Komm3 § 28 Rz 28, 71; Kirchbacher/Presslauer aaO § 146 Rz 178; Ratz in WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 11 ff, 32) angefochten worden war. Soweit mit Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft, wurde Johann S***** im zweiten Rechtsgang nunmehr auch des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, 148 zweiter Fall StGB schuldig erkannt (Schuldspruch C)

Danach hat er mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch wiederkehrende Begehung von (gemeint:) Beweismittelbetrug eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, vom 6. Oktober 1998 bis 15. November 1999 in R***** "Viehlieferanten durch die Herstellung inhaltlich falscher Erfassungsprotokolle über das Gewicht der gelieferten Rinder, mithin durch Täuschung über Tatsachen, unter Benutzung von falschen Beweismitteln, zur Ausfolgung von Schlachtvieh gegen Bezahlung eines geringeren Geldbetrages, die die Viehlieferanten pro Tier bis maximal 320 S (= 23,26 Euro) am Vermögen schädigten", (zu ergänzen:) verleitet.

In Verkennung der bereits in Rechtskraft erwachsenen Verurteilung beider Angeklagten wegen des - in gleichartiger Realkonkurrenz ("in oftmals wiederholten Angriffen") begangenen - Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt (vgl WK-StPO § 281 Rz 292) nach § 302 Abs 1 StGB wiederholte das Erstgericht nicht nur - überflüssigerweise - den (nicht mehr verfahrensgegenständlichen) Schuldspruch (WK-StPO § 289 Rz 12, § 293 Rz 6), sondern verzichtete zugunsten eines pauschalen Verweises auf die im ersten Rechtsgang angestellten Erwägungen, welche es irrig als bindend ansah, auch auf eine eigenständige Beweiswürdigung (vgl US 6 [vorletzter Absatz], 13 [dritter Absatz]).

Nimmt jedoch das Gericht Bindung an beweiswürdigende Erwägungen eines vorangegangenen Rechtsganges an und setzt es damit den zu beweisenden Tatumstand ohne gesetzliche Grundlage nach Art eines Zirkelschlusses als bewiesen voraus, beruft es sich bloß auf Scheingründe iS der Z 5 vierter Fall (vgl WK-StPO § 281 Rz 446). Auf diese Weise blieb die Feststellung der für den Schuldspruch wegen einer nur pauschal individualisierten Anzahl jeweils mit vorangegangenem Amtsmissbrauch einhergehender (nur nach Maßgabe des § 29 StGB zusammenzufassender; vgl JBl 2000, 262 mit Anm von Schmoller) Betrugstaten zur Gänze unbegründet, was die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten S***** auch zutreffend zum Ausdruck bringt (S 3 erster Absatz der Rechtsmittelschrift ON 41). Der zur Urteilsaufhebung hinsichtlich dieses Rechtsmittelwerbers führende Umstand (§§ 285e erster Satz, 288 Abs 2 Z 1 StPO) kommt auch dem Mitangeklagten T***** zustatten, der die Nichtigkeitsbeschwerde nicht ergriffen hat (§ 290 Abs 1 zweiter Satz [zweiter Fall] StPO).

Klarstellend sei nochmals betont:

Der Schuldspruch beider Angeklagten wegen tatmehrheitlich begangenen Missbrauchs der Amtsgewalt ist bereits in Rechtskraft erwachsen. Das im nunmehr dritten Rechtsgang erkennende Schöffengericht ist (nur) durch die diesen Schuldspruch tragenden (entscheidenden) Feststellungen und durch die im kassatorischen Erkenntnis des ersten Rechtsgangs geäußerte Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes gebunden (vgl WK-StPO § 293 Rz 1 ff, 11 ff), wonach das Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB mit jenem des gewerbsmäßig schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 oder (auch) Abs 2, 148 zweiter Fall StGB (mangels Verdrängung dieser strafbaren Handlung durch jene zufolge des Scheinkonkurrenztypus der Subsidiarität; vgl WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 16, 26, 54 ff) echt konkurrieren kann.

Zudem dürfen die zu den (jeweils, also hinsichtlich Amtsmissbrauch und gewerbsmäßig schwerem Betrug) entscheidenden Tatsachen angestellten Erwägungen der beiden Urteile zueinander nicht im Widerspruch stehen, weil sonst solcherart getroffene Feststellungen des zweiten Rechtsganges als offenbar unzureichend begründet zu beurteilen wären (Z 5 vierter Fall; vgl WK-StPO § 281 Rz 444). Das Schöffengericht wird ferner zu beachten haben, dass gewerbsmäßige Begehung einer strafbaren Handlung die formell mängelfrei begründete Feststellung voraussetzt, der Täter habe - jedenfalls auch - sich selbst (Jerabek in WK2 § 70 Rz 14) durch ihre wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen beabsichtigt (§ 5 Abs 2 StGB). Die rechtliche Annahme gewerbsmäßig schweren Betruges nach § 148 zweiter Fall StGB hinwieder verlangt die Konstatierung, dass diese Absicht sich bei der jeweiligen Betrugstat darauf bezog, dies durch Verwendung eines falschen Beweismittels zu bewerkstelligen. Dazu würde aber der vage Hinweis, die - als "Lugurkunden" in Betracht kommenden - Erfassungsprotokolle hätten sich in den ausgestellten Rechnungen "widergespiegelt" (vgl US 13 vorletzter Absatz), nicht genügen (Kirchbacher/Presslauer aaO § 147 Rz 36).

Schließlich steht das Verschlechterungsverbot des § 290 Abs 2 StPO im Fall eines erneut festgestellten Gesamtschadensbetrages von mehr als 2000 Euro (vgl US 12) der Subsumtion der Taten nach § 147 Abs 2 StGB nicht im Weg, weil sich dieses allein auf den Sanktionsbereich bezieht (WK-StPO § 290 Rz 31 ff).

Rechtssätze
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