JudikaturJustiz14Os38/15t

14Os38/15t – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moelle als Schriftführerin in der Strafsache gegen Volkan S***** wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB, AZ 093 Hv 169/12x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, und in einer anderen, diesen Angeklagten betreffenden Strafsache, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013, GZ 093 Hv 169/12x 19, und weitere Beschlüsse erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Verurteilten und seines Verteidigers Mag. Dr. Mikesi zu Recht erkannt:

Spruch

In den Strafsachen gegen Volkan S*****, AZ 093 Hv 169/12x des Landesgerichts für Strafsachen Wien, und AZ 14 U 206/13s des Bezirksgerichts Fünfhaus, verletzen:

(1) der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013, GZ 093 Hv 169/12x 19 (S 3 Punkt 3./b./), auf Widerruf der mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 24. September 2009, GZ 185 BE 83/09t 12, ausgesprochenen bedingten Entlassung § 53 Abs 1 erster Satz StGB;

(2) der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. März 2014, GZ 14 U 206/13s 26 (S 2), und

(3) der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 11. September 2014, AZ 132 Bl 64/14m (ON 40 des U Akts), womit der Beschwerde des Angeklagten gegen den zuvor genannten Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus mit der Maßgabe nicht Folge gegeben wurde, dass sich die Beschlussfassung auf die Bestimmungen des „§ 55 Abs 1 StPO [gemeint richtig: StGB] iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO“ gründet,

jeweils § 495 Abs 2 letzter Halbsatz StPO.

Der Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013 wird ersatzlos aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf der bedingten Entlassung vom 26. November 2012 (ON 3 S 3 des Akts AZ 093 Hv 169/12x des Landesgerichts für Strafsachen Wien) abgewiesen.

Die Beschlüsse des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. März 2014 und des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 11. September 2014 werden aufgehoben und die Akten dem Landesgericht für Strafsachen Wien zum Verfahren AZ 093 Hv 169/12x zur Entscheidung über einen allfälligen Widerruf nach § 55 Abs 1 StGB übermittelt.

Der Angeklagte wird mit seiner Beschwerde auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Volkan S***** wurde mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 24. September 2009, GZ 185 BE 83/09t-12, aus drei (mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. Jänner 2009, AZ 162 Hv 127/08x, vom 2. April 2009, AZ 152 Hv 119/08x und vom 26. Juni 2009, AZ 142 Hv 55/09p verhängten) Freiheitsstrafen von insgesamt neun Monaten und (restlichen) acht Tagen nach § 46 Abs 2 StGB mit Wirkung vom 1. Oktober 2009 unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt entlassen. Der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft gab das Oberlandesgericht Wien als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 20. Oktober 2009, AZ 21 Bs 423/09y (ON 17 des BE-Akts), nicht Folge, sodass der Verurteilte am 20. Oktober 2009 (bei einem bedingt nachgesehenen Strafrest von nunmehr zwei Monaten und drei Tagen) aus dem Strafvollzug entlassen wurde (ON 19 des BE-Akts).

Mit in gekürzter Form ausgefertigtem, am 11. Februar 2013 in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013 , GZ 093 Hv 169/12x 19, wurde Volkan S***** soweit hier wesentlich wegen des am 6. November 2012 verübten Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, wovon nach § 43a Abs 3 StGB ein Strafteil von sieben Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Mit einem zugleich gefassten verfehlt in die Urteilsausfertigung aufgenommenen (ON 19 S 3 Punkte 1./ und 2./; vgl RIS-Justiz RS0101841, RS0120887 [T2 und T3]; Danek , WK StPO § 270 Rz 50; Lendl , WK StPO § 260 Rz 39) Beschluss wurde nach den §§ 50 Abs 1, 52 StGB dem Angeklagten eine Weisung erteilt und Bewährungshilfe angeordnet.

Mit einem weiteren, gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss wurde hier von Bedeutung nach § 53 Abs 1 StGB die mit dem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Vollzugsgericht vom 24. September 2009 ausgesprochene bedingte Entlassung widerrufen (ON 19 S 3 Punkt 3./b./). In die mit der Rechtskraft dieser Entscheidung am 20. Oktober 2009 beginnende dreijährige Probezeit nicht einzurechnende Zeiten einer Anhaltung des Verurteilten auf behördliche Anordnung wurden in dem in Rede stehenden Widerrufsbeschluss weder angeführt noch sind solche aktenkundig (§ 49 StGB; vgl auch die Strafregisterauskunft ON 6 im Akt 093 Hv 169/12x des Landesgerichts für Strafsachen Wien). Die Probezeit der bedingten Entlassung endete daher am 20. Oktober 2012 .

Die von dem Widerrufsbeschluss erfassten Freiheitsstrafen wurden nach der Aktenlage bislang noch nicht vollzogen.

Mit Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. März 2014, GZ 14 U 206/13s 26, wurde Volkan S***** zweier am 21. Jänner 2013 begangener Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mit einem gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO gefassten Beschluss wurde nach § 53 Abs 1 StGB die bedingte Nachsicht des mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013 verhängten siebenmonatigen Strafteils widerrufen (ON 26 S 2).

Dagegen erhob der Angeklagte Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe und der Aussprüche über die Schuld, die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche sowie Beschwerde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungs- und Beschwerdegericht vom 11. September 2014, AZ 132 Bl 64/14m (ON 40 des U Akts), wurde die Berufung wegen Nichtigkeit als unbegründet zurückgewiesen und der Berufung wegen Schuld sowie des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche (in letztgenannter Hinsicht mit der Maßgabe des Zusatzes einer Leistungsfrist „binnen 14 Tagen“) nicht Folge gegeben. Aus Anlass der Berufung wegen Nichtigkeit hob das Berufungsgericht in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 11 (erster Fall) StPO (iVm § 468 Abs 1 Z 4 StPO) den Strafausspruch auf und sprach aus, dass von der Verhängung einer Zusatzstrafe nach den §§ 31 Abs 1, 40 StGB unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013, GZ 093 Hv 169/12x 19, abgesehen wird. Mit seiner Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wurde der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Zugleich fasste das Landesgericht für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht den Beschluss, dass der Beschwerde des Angeklagten mit der Maßgabe nicht Folge gegeben wird, dass sich die Beschlussfassung auf die Bestimmungen der „§ 55 Abs 1 StPO [gemeint richtig: StGB] iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO“ gründet.

Wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen die Widerrufsbeschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013 und des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 6. März 2014 sowie der zuletzt genannte Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht vom 11. September 2014 mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Rechtliche Beurteilung

(1) Nach § 53 Abs 1 erster Satz StGB kommt ein auf neuerliche Delinquenz gegründeter Beschluss auf Widerruf der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe (abgesehen von den in § 53 Abs 1 letzter Satz StGB normierten, hier nicht aktuellen Ausnahmen) nur im Fall der Verurteilung des Rechtsbrechers wegen einer während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung in Betracht (RIS Justiz RS0092019 [T1]).

Da vorliegend die dem Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Februar 2013 zugrunde liegende Straftat am 6. November 2012, somit nicht während der Probezeit, sondern nach deren Ablauf am 20. Oktober 2012 verübt wurde, verletzt dieser Beschluss das Gesetz in § 53 Abs 1 erster Satz StGB.

(2) Nach § 55 Abs 1 StGB ist die bedingte Nachsicht einer Strafe zu widerrufen, wenn eine nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB erfolgt die Verhängung einer Zusatzstrafe (§ 40 StGB) ist dafür nicht Voraussetzung ( Jerabek in WK² StGB § 55 Rz 3 mwN) und eine bedingte Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt worden wäre. § 55 StGB stellt dabei nicht auf die im nachträglichen Strafurteil vorliegend aus den zutreffenden Erwägungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht im Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus rechtsirrig nicht erfolgte Anwendung des § 31 StGB ab, sondern nur auf das (tatsächliche) Verhältnis der nachträglichen Verurteilung zu derjenigen, in der die bedingte Strafnachsicht gewährt wurde (RIS-Justiz RS0111521 [T6]).

Die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) richtet sich jedoch nach § 495 Abs 2 StPO (neuerlich RIS-Justiz RS0111521; Jerabek in WK² StGB § 55 Rz 5). Demnach obliegt die Beschlussfassung über einen Widerruf in einem solchen Fall unter Gerichten verschiedener Ordnung jenem höherer Ordnung, dessen Urteil eine bedingte Nachsicht enthält und zuletzt rechtskräftig wurde.

Es wäre daher vorliegend der eine Entscheidungskompetenz gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO annehmenden Rechtsansicht des Bezirksgerichts Fünfhaus und des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Beschwerdegericht zuwider gemäß § 495 Abs 2 letzter Halbsatz StPO das Landesgericht für Strafsachen Wien im Verfahren AZ 093 Hv 169/12x zur Beschlussfassung berufen gewesen.

Da sich die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten auswirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung wie aus dem Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).