JudikaturJustiz14Os18/22m

14Os18/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * J* und einen anderen Angeklagten wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 2 SMG und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 63 Hv 138/21f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts als Schöffengericht vom 1. Dezember 2021 (ON 104) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Ramusch LL.M., LL.M.WU, sowie des Verteidigers Mag. Preclik zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Dezember 2021, GZ 63 Hv 138/21f 104, verletzt in den Schuldsprüchen

1./ des * J* zu I/A/ und des * D* zu II/A/ § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 2 SMG sowie

2./ des J* zu I/B/ und des D* zu II/B/ § 28 Abs 3 SMG.

Dieses Urteil wird – teils aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde – zur Gänze aufgehoben und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Dezember 2021, GZ 63 Hv 138/21f 104, wurden * J* und * D* jeweils eines Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 2 Z 2 SMG (I/A/ [J*] und II/A/ [D*]) sowie der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 und 3 SMG (I/B/ [J*] und II/B/ [D*]) schuldig erkannt.

[2] Danach haben in W* vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Heroin, in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, bestehend aus * V*, „Milos“ und unbekannten Tätern,

I/ J*

A/ jeweils in wiederholten Angriffen anderen überlassen, und zwar

1/ vom 12. bis zum 16. August 2021 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit V* als Mittäter (§ 12 erster Fall StGB) insgesamt 12 Gramm (mit einem Reinheitsgehalt von 11,6 % Mono- und Diacetylmorphin) an unbekannte Suchtgiftabnehmer, und

2/ vom 17. bis zum 25. August 2021 insgesamt 356,8 Gramm (davon 81,6 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 11,6 % Mono- und Diacetylmorphin und 275,2 Gramm mit einem solchen von 12 % Mono- und Diacetylmorphin sowie 0,6 % Codein) an im Urteil namentlich genannte und an unbekannte Suchtgiftabnehmer, sowie

B/ am 25. August 2021 mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, nämlich 50,2 Gramm (mit einem Reinheitsgehalt von 11,6 % Mono- und Diacetylmorphin sowie 0,6 % Codein), das ihm zuvor von D* zum Weiterverkauf überlassen wurde;

II/ D*

A/ vom 12. bis zum 25. August 2021 in wiederholten Angriffen anderen überlassen, und zwar insgesamt 320 Gramm (mit einem Reinheitsgehalt von 12 % Mono- und Diacetylmorphin sowie 0,6 % Codein) an J*, sowie

B/ vom 2. bis zum 25. August 2021 mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, nämlich 190,4 Gramm (mit einem Reinheitsgehalt von 13 % Mono- und Diacetylmorphin sowie 0,6 % Codein), indem er es zur Abholung bereithielt.

Das Erstgericht traf – soweit hier von Bedeutung – folgende Feststellungen (US 6 ff):

[3] Aufgrund ihrer prekären Einkommens- und Vermögensverhältnisse beschlossen die Angeklagten, sich durch den Verkauf von Suchtgift in Österreich eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. In Umsetzung dieses Tatplans kam D* am 2. August 2021 von Serbien nach Wien und fuhr zur Bunkerwohnung. Dort wurden ihm von einem unbekannten Mittäter Wohnungsschlüssel übergeben. Am 9. August 2021 reiste J* von Serbien nach Wien. Die ersten Tage war der abgesondert verfolgte V* mit J* in der Bunkerwohnung des D*. V* stellte D* den J* als den „Neuen“ vor „und dass sie beide in Zukunft zusammenarbeiten werden“. Danach kam J* täglich in die Bunkerwohnung, um von D* Heroin für den Weiterverkauf zu beziehen. Vom 12. bis zum 16. August 2021 überließ J* im Zuge der „Einschulungsphase“ in wiederholten Angriffen gemeinsam mit V* zumindest 12 Gramm netto Heroin an unbekannte Abnehmer, vom 17. bis 25. August 2021 verkaufte J* insgesamt 446,3 Gramm brutto Heroin an zahlreiche Abnehmer und von 12. bis 25. August 2021 überließ D* dem J* insgesamt 400 Gramm brutto Heroin zum Weiterverkauf.

[4] Die Angeklagten begingen die ihnen zur Last gelegten Tathandlungen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung als deren Mitglied. Dieser kriminellen Vereinigung gehörten V*, „Milos“ und zahlreiche weitere, nicht ausgeforschte unbekannte Täter an. Die Angeklagten hielten es ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, insgesamt eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) weit übersteigende Menge Heroin zu überlassen und dabei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung als Mitglied einer ebensolchen zu handeln.

[5] Zum Zeitpunkt der Festnahme am 25. August 2021 besaß J* 55,7 Gramm Heroin, D* war noch im Besitz von 213,7 Gramm brutto Heroin. Dieses Suchtgift war für den Weiterverkauf gedacht. Die Angeklagten hielten es ernstlich für möglich und fanden sich damit ab, insgesamt eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Menge Heroin zu besitzen und dabei im Rahmen einer kriminellen Vereinigung als deren Mitglied zu handeln. Weiters wussten und wollten sie, dass diese die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Suchtgiftmenge auch in Verkehr gesetzt, nämlich weiterverkauft werden sollte. Sie rechneten ernstlich damit, dass das Heroin einen hohen Reinheitsgehalt aufweist und nahmen auch das billigend in Kauf.

[6] Die Angeklagten verzichteten auf Rechtsmittel (ON 103 S 13). Über die von der Staatsanwaltschaft erhobene Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe (ON 106 und 112) hat das Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden (AZ 19 Bs 6/22d).

Rechtliche Beurteilung

[7] I./ Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt verletzt dieses Urteil mehrfach das Gesetz:

[8] 1. Das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG verwirklicht, wer vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge einem anderen überlässt. Mehrere für sich allein die Grenzmenge nicht übersteigende Suchtgiftquanten sind nur insoweit (zu einer die Grenzmenge übersteigenden Menge) zusammenzurechnen, als der Vorsatz (§ 5 Abs 1 StGB) des Täters von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt mitumfasst. Auf diese Weise kann das Verbrechen nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG auch als tatbestandliche Handlungseinheit im Sinne einer fortlaufenden Tatbestandsverwirklichung begangen werden. Wird ein solcher Täterwille nicht als erwiesen angenommen, können derartige Einzelakte nur jeweils das Vergehen nach § 27 Abs 1 achter Fall SMG begründen (RIS Justiz RS0112225, RS0124018 [insb T2]; Schwaighofer in WK² SMG § 28 Rz 10 und § 28a Rz 9, 23/1).

[9] Die Entscheidungsgründe nehmen zu dieser rechtlich definierten, für die rechtsrichtige Subsumtion entscheidenden Tatsache nicht durch deren sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung Stellung. Während nämlich das vom Schuldspruch zu I/A/1 umfasste Suchtgift – ausgehend vom konstatierten Reinheitsgehalt (US 3) – die Grenzmenge des § 28b SMG (für sich betrachtet) gar nicht erreicht, wurde zu I/A/2 und II/A (bloß) festgestellt, dass die Angeklagten jeweils in einem bestimmten Zeitraum (von bis zu 18 Tagen) in „wiederholten Angriffen“ (US 3, 5, 7; einer „Vielzahl“ von Angriffen; US 9) ein insgesamt die Grenzmenge (mehrfach; bei J* um etwa das 14 fache und bei D* um etwa das 12,8 fache; US 12) übersteigendes Quantum Heroin an andere überließen, ohne dass eine mengenmäßige Aufschlüsselung der einzelnen Suchtgiftmanipulationen vorgenommen wurde. Eine von vornherein die kontinuierliche Begehung und den daran geknüpften Additionseffekt umfassende Täterintention ist den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen.

[10] Demzufolge verletzt das Urteil in den Schuldsprüchen des J* zu I/A und des D* zu II/A das Gesetz in § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG.

[11] 2. Die rechtliche Annahme der Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung (hier § 28a Abs 2 Z 2 SMG und § 28 Abs 3 SMG) setzt Konstatierungen zu sämtlichen der in § 278 Abs 2 StGB genannten Vereinigungsmerkmale voraus, nämlich zu einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern der Vereinigung ein oder mehrere Verbrechen (oder andere in § 278 Abs 2 StGB aufgezählte strafbare Handlungen) ausgeführt werden (zum Ganzen eingehend Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 4/1 ff, 14 f, 35, sowie Schwaighofer in WK 2 SMG § 27 Rz 79 ff; RIS Justiz RS0125232). Da sowohl § 28a Abs 2 Z 2 SMG als auch § 28 Abs 3 SMG dem Umstand Rechnung tragen, dass das Unrecht der konkreten Rechtsgutbeeinträchtigung erheblich gesteigert ist, wenn hinter der Tat eine darauf spezialisierte Tätergruppe steht, muss die Vereinigung (auch) auf die Begehung (zumindest – vgl RIS Justiz RS0088067 [T9]) einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG bzw § 28 Abs 1 SMG gerichtet sein (14 Os 14/22y mwN). Der Vorsatz des Täters muss sich auf das Bestehen einer solchen Vereinigung, auf deren kriminelle Ausrichtung und auf das Handeln als deren Mitglied beziehen ( Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 42; vgl auch Schwaighofer in WK 2 SMG § 27 Rz 82 und § 28a Rz 33).

[12] Davon ausgehend fehlen im Urteil (in objektiver und subjektiver Hinsicht) Feststellungen zu einem Zusammenschluss der Tätergruppe im Sinn einer (zumindest konkludenten) Willenseinigung, sich zur Erreichung des verpönten Zwecks zusammenzuschließen (dazu Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 5), zur kriminellen Zielsetzung der Vereinigung ( Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 11 ff) und zur zeitlichen Komponente ( Plöchl in WK 2 StGB § 278 Rz 8 f).

[13] Die bloße diesbezügliche Konstatierung, wonach die kriminelle Vereinigung aus V*, „Milos“, den Angeklagten und weiteren unbekannten Tätern bestand (US 8), reicht hierzu nicht aus, jene zu einer Tatbegehung der Angeklagten „im Rahmen einer kriminellen Vereinigung als deren Mitglied“ (US 3 f, 8 f), blieb ohne Sachverhaltsbezug.

[14] Demnach tragen die Urteilsfeststellungen die rechtliche Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 2 SMG zu I/A/ und II/A/ sowie jener nach § 28 Abs 3 SMG zu I/B/ und II/B/ nicht, weshalb die Schuldsprüche auch insoweit gesetzwidrig sind.

[15] II./ Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall, § 292 StPO; Ratz , WK StPO § 292 Rz 39) zudem, dass dem angefochtenen Urteil ein weiterer – von der Generalprokuratur nicht geltend gemachter – Rechtsfehler (Z 9 lit a) anhaftet:

[16] Sowohl die Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 StGB als auch Suchtgifthandel nach § 28a Abs 1 SMG setzen (unter anderem) einen auf die Vorschriftswidrigkeit des (hier) Besitzens und Überlassens von Suchtgift gerichteten Vorsatz (§ 7 Abs 1 iVm § 5 Abs 1 StGB) des Täters voraus (RIS Justiz RS0087860 [T2]; Hinterhofer in Hinterhofer , SMG² § 28 Rz 34, § 28a Rz 44; vgl Schwaighofer in WK² SMG § 27 Rz 95). Solche Sachverhaltsannahmen sind dem Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Die bloße Erwähnung des Begriffs „vorschriftswidrig“ im Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) reicht hiefür nicht aus.

[17] Da sowohl die aufgezeigten Gesetzesverletzungen als auch der dargestellte Rechtsfehler mangels Feststellungen geeignet sind, zum Nachteil der Angeklagten zu wirken, war nicht nur die Feststellung ersterer mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO), sondern das Urteil teils (nämlich in Bezug auf den Schuldspruch nach § 28 Abs 1 SMG [I/B/ und II/B/] sowie das Einziehungserkenntnis) aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde zur Gänze aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

[18] Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist damit gegenstandslos.

[19] Vom aufgehobenen Urteil rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichermaßen als beseitigt (RIS Justiz RS0100444).

Rechtssätze
5