JudikaturJustiz14Os16/89

14Os16/89 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. April 1989

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.April 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Lachner, Dr. Massauer und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Iby als Schriftführer, in der Strafsache gegen Mario D*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Wien vom 13.Oktober 1988, GZ 20 e Vr 4237/88-55, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Stegmüller zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden - angefochtenen Urteil wurde der am 4.Dezember 1966 geborene Mario D*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt, weil er am 19.April 1988 in Wien (die am 10. April 1908 geborene) Ida G*** durch Versetzen von zahlreichen Faustschlägen ins Gesicht sowie von Messerstichen in den Hals und in die Brust vorsätzlich getötet hat.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Schuldspruch beruht auf dem Wahrspruch der Geschwornen, welche die anklagekonform auf das Verbrechen des Mordes gerichtete Hauptfrage 1 stimmeneinhellig bejahten, die auf das Vergehen der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB gerichtete Hauptfrage 2 (gleichfalls) stimmeneinhellig verneinten und die Zusatzfrage (5) nach zur Tatzeit allenfalls gegebener Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) im Stimmenverhältnis 7 : 1 verneinten. Die außerdem gestellten Eventualfragen 3 und 4 (in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB bzw. der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach §§ 83 Abs 1, 86 StGB) sowie die auf Begehung von mit Strafe bedrohten Handlungen im Zustand voller Berauschung (§ 287 StGB) gerichteten (weiteren) Eventualfragen 6 bis 9 blieben demzufolge unbeantwortet.

Den Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in welcher er die unterbliebene Stellung einer auf das Verbrechen des Totschlags nach § 76 StGB gerichteten Eventualfrage an die Geschwornen (der Sache nach) als Verstoß gegen die Vorschrift des § 314 StPO mit dem Hinweis rügt, daß den Geschwornen solcherart die Möglichkeit genommen worden sei, "auf die Allgemeinbegreiflichkeit und auch die besondere Gemütsverfassung näher einzugehen". Die Rüge versagt.

Der gegenüber Mord (§ 75 StGB) vom Gesetz mit geringerer Strafe bedrohte (privilegierte) Totschlag (§ 76 StGB) ist dadurch charakterisiert, daß sich der Täter zur vorsätzlichen Tötung eines anderen in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen läßt. Um - als objektives Kriterium für

Totschlag - "allgemein begreiflich" zu sein, muß demnach der für das spontane Fassen des Tatentschlusses kausale und im Tatzeitpunkt noch nicht abgeklungene Affekt des Täters zum einen tiefgreifend und zum andern derart entstanden sein, daß sich auch ein (rechtsgetreuer) Durchschnittsmensch vorstellen könnte, in dessen Situation (unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles) gleichfalls in eine solche Gemütsverfassung zu geraten; nicht die Tat (als Ausfluß dieses Ausnahmezustandes), sondern die konkrete Gemütsbewegung des Täters in ihrer gesamten, zum Zurückdrängen verstandesmäßiger Erwägungen und zur Überwindung starker sittlicher Hemmungen geeigneten Dimension, also einschließlich ihrer tatkausalen Heftigkeit, in Relation zu dem sie herbeiführenden Anlaß unterliegt rechtsethischer Bewertung und muß (auch) sittlich verständlich sein. Eine (wenn auch heftige) Gemütsbewegung kann jedenfalls dann nicht als allgemein begreiflich beurteilt werden, wenn sie in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Täters, somit in seinem Charakter oder in seinen allenfalls vorhandenen verwerflichen Leidenschaften, Veranlagungen oder Neigungen, nicht aber in den äußeren Tatumständen wurzelt (vgl. ÖJZ-LSK 1982/86 = EvBl 1982/167; JBl 1986, 261, Leukauf-Steininger Komm.2 RN 5-7; Kienapfel BT I2 RN 26-31; Foregger-Serini StGB4 Erläut. I je zu § 76 und die dort zitierten Entscheidungen).

Die Annahme eines diesen Kriterien gerecht werdenden Gemütszustandes des Beschwerdeführers war aber nicht einmal durch dessen eigene Verantwortung indiziert. Kam es doch zur Bluttat, als er außerstande war, den von ihm selbst angestrebten Geschlechtsverkehr mit (der 80-jährigen) Ida G***

durchzuführen und ihm, nachdem er der alten Frau mehrere heftige Faustschläge ins Gesicht versetzt hatte, der Gedanke kam, er müsse G*** umbringen, weil sie ihn wegen seiner Vorgangsweise bei der Polizei anzeigen könnte (vgl. insbesondere S 119, 120, 133 a verso/I, 144 f/II). Die im Verfahren hervorgekommenen charakterlichen Abnormitäten des Angeklagten, nämlich seine Affektlabilität, leichte Enthemmbarkeit, sexuelle Konfliktbereitschaft und leicht reduzierte Kontrollfähigkeit (vgl. insbesondere S 171, 225 ff/I, 161 f, 163 f/II), sind Persönlichkeitsmängel, die im gegebenen Zusammenhang - wie bereits dargelegt wurde - nicht zu berücksichtigen sind (vgl. abermals Leukauf-Steininger aaO RN 6 und 7; Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr. 10 a zu § 76).

Die Stellung einer auf Totschlag abzielenden Eventualfrage war demnach schon mangels einer allgemeinen Begreiflichkeit der (behaupteten) heftigen Gemütsbewegung des Angeklagten nicht indiziert (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 36-38 zu § 314). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach § 75 StGB zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Dabei wertete es die besondere Brutalität der Tathandlung und die damit einhergehende Intensität des Täterwillens, die Begehung der Tat an einer wehrlosen hochbetagten Frau, die den Schutz des Angeklagten suchte, ferner die auf der gleichen schädlichen Neigung, nämlich sexuell motivierter Gewaltausübung, beruhenden Vorstrafen als erschwerend, hingegen die reduzierte intellektuelle Kapazität des Angeklagten, seine ungünstigen persönlichen Verhältnisse, die Enthemmung durch Alkohol und das Geständnis vor der Polizei, als mildernd.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Verhängung einer (seiner Ansicht nach mit dem gesetzlichen Mindestmaß schuldangemessenen) zeitlichen Freiheitsstrafe an.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Den beim Angeklagten nach den Gutachten der beigezogenen Sachverständigen bestehenden - bei Erörterung der Nichtigkeitsbeschwerde bereits angeführten - Abnormitäten wurde durch die Annahme des Milderungsgrundes nach § 34 Z 1 zweiter Fall StGB ohnedies Rechnung getragen. Dem steht allerdings gegenüber, daß diese besondere Persönlichkeitsstruktur andererseits eine erhöhte Gefährlichkeit des Angeklagten bedingt (vgl. Mayerhofer-Rieder StGB3 § 34 ENr. 6, 7). Soweit der Berufungswerber seine verwahrloste Erziehung ins Treffen zu führen sucht, genügt der Hinweis, daß ihm die verfehlte Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten bereits durch wiederholte Abstrafungen vor Augen geführt worden und auch der Versuch einer Nacherziehung im Rahmen des Strafvollzuges gescheitert ist. Die besondere Brutalität der Tathandlung schließt zwar die "Intensität des Täterwillens" mit ein. Sie wurde jedoch zu Recht als erschwerend gewertet, stellt doch § 33 Z 6 StGB insoweit primär auf den (gesteigerten) Unwert des äußeren Tatablaufs ab, den der Täter unabhängig von seiner psychischen Verfassung zur Tatzeit bei der Strafbemessung gegen sich gelten lassen muß. Auch wird die Grausamkeit des Handelns beim Mord keineswegs bereits vom Tatbestand des § 75 StGB (mit-)erfaßt.

Die vom Erstgericht festgestellten Strafzumessungsgründe bedürfen schließlich auch insofern einer Korrektur, als die Alkoholeinwirkung beim Angeklagten zur Tatzeit deshalb keinen Milderungsgrund darstellen kann, weil ihm aus seiner bisherigen (kriminellen) Erfahrung bekannt war (vgl. insbesondere S 29, 85, 87, 91, 165 im Vorstrafakt 4 c Vr 1873/84 des Jugendgerichtshofes Wien), daß er unter dem Einfluß von Alkohol zu (sexuellen Entgleisungen und damit im Zusammenhang stehenden) strafbaren Handlungen neigt. Wird all dies bei Ausmessung der verwirkten Strafe gebührend berücksichtigt, so zeigt sich, daß angesichts der besonderen Schwere der personalen Täterschuld (§ 32 StGB) die Verhängung einer (bloß) zeitlichen Freiheitsstrafe im vorliegenden Fall - auch unter Bedachtnahme auf die in der Berufung vorgebrachten Argumente - nicht in Betracht gezogen werden kann.

Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung fußt auf der bezogenen Gesetzesstelle.

Rechtssätze
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