JudikaturJustiz14Os158/99

14Os158/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. März 2000 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Massauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer, Dr. Holzweber, Dr. Ratz und Dr. Philipp als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Greinert als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Robert N***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 12. August 1999, GZ 20 Vr 2.825/98 156, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, und des Verteidigers Mag. Szabo, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Robert N***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 13. Oktober 1998 in Innsbruck den am 6. April 1986 geborenen Peter H***** vorsätzlich getötet, indem er zu dem zum Selbstmord entschlossenen Unmündigen sagte, dass sie beide entweder zum Rechtsanwalt gehen oder sich umbringen müssten und ihm einen Revolver zur Verfügung stellte, mit welchem sich der Unmündige erschoss, wobei Robert N***** in seinen Tatvorsatz aufgenommen, also zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, dass Peter H***** wegen der zufolge seiner Unmündigkeit fehlenden nötigen Reife nicht die ganze Tragweite des Selbsttötungsentschlusses erfassen und sein Verhalten dieser Einsicht entsprechend steuern konnte.

Die Geschworenen bejahten stimmeneinhellig die auf das Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB gerichtete Hauptfrage, sodass die auf das Verbrechen der Mitwirkung am Selbstmord nach § 78 StGB gerichtete Eventualfrage nicht zur Beantwortung gelangte.

Der Angeklagte bekämpft dieses Urteil mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5, 6, 7 (der Sache nach Z 11 lit a), 8, 9, 10, 10a, 12 und 13 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

Rechtliche Beurteilung

Die Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes des § 345 Abs 1 Z 5 StPO setzt voraus, dass über einen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag nicht oder nicht im Sinne des Antragstellers entschieden wurde. Auf schriftlich gestellte Beweisanträge, die in der Hauptverhandlung nicht wiederholt wurden, kann die Verfahrensrüge somit nicht gestützt werden. Den in der Voruntersuchung gestellten Antrag auf Bestellung des Nervenfacharztes und Kinderneuropsychiaters Univ. Prof. Dr. F***** zum Sachverständigen hat der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung nicht wiederholt; auf die Unterlassung dieser Beweisaufnahme kann die Verfahrensrüge demnach nicht gestützt werden. Im Übrigen betraf das im erwähnten Antrag genannte Beweisthema auch Rechtsfragen, die von vornherein einer Beantwortung durch Sachverständige entzogen waren.

Einer formellen Voraussetzung entbehrt die Verfahrensrüge ferner, wenn sie Kritik an der Darstellung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über die Grundrechtsbeschwerde des Beschwerdeführers in der Anklageschrift und in der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung übt.

Ein von der Hauptfrage abweichendes Tatsachen substrat, welches den Gegenstand der vermissten Eventualfrage nach "§§ 12, 75 StGB" hätte bilden sollen, nennt die Fragenrüge (Z 6) nicht und verfehlt daher eine prozessförmige Darstellung.

Die Stellung einer Eventualfrage nach Totschlag (§ 76 StGB) hat der Schwurgerichtshof ohne einer Beweisfrage vorzugreifen zu Recht abgelehnt, weil es an einem Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung mangelte, das eine allenfalls vorhandene heftige Gemütsbewegung als allgemein begreiflich werten ließe.

Allgemein begreiflich ist eine Gemütsbewegung dann, wenn das Verhältnis zwischen dem sie herbeiführenden Anlass und dem eingetretenen psychischen Ausnahmezustand allgemein verständlich ist, das heißt, wenn ein Mensch von durchschnittlicher Rechtstreue sich vorstellen kann, auch er wäre unter den gegebenen Umständen in eine solche Gemütsbewegung geraten (Leukauf/Steininger Komm3 § 76 RN 11; SSt 46/49 = EvBl 1976/87 uva). Die Ursache der Gemütsbewegung muss sittlich verständlich sein und darf nicht im Charakter des Täters oder in seinen verwerflichen Neigungen oder Leidenschaften und auch nicht in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild, sondern lediglich in äußeren Umständen zu suchen sein (Foregger/Fabrizy StGB7 § 76 Rz 2; EvBl 1976/119 = RZ 1975/97 uva).

Nach dem übereinstimmenden Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung litt der Beschwerdeführer an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, bei der eine Neigung zur Abhängigkeit im Vordergrund stand. Diese psychische Störungskomponente ging auf seine Kindheitsentwicklung zurück, die auf einen Mangel an emotionaler Zuwendung durch seine Adoptiveltern zurückzuführen war. Nach Scheitern seiner Ehe wollte er keine Partnerbeziehung mehr eingehen, sondern wandte sich als Pfadfinderführer der Beschäftigung mit Kindern zu. Dabei ging er eine persönliche Nahebeziehung zu dem am 6. April 1986 geborenen Peter H***** ein, der unter der Scheidung seiner Eltern litt, wobei der Angeklagte Parallelen zu seiner eigenen Kindheit fand. Nachdem die Eltern des Peter H***** diesem den Umgang mit dem Angeklagten untersagt hatten und seine Mutter den Antrag auf Strafverfolgung des Beschwerdeführers gestellt hatte, entschloss sich der Knabe zur Selbsttötung, die der Angeklagte dadurch ermöglichte, dass er ihm einen Revolver zur Verfügung stellte.

Auch wenn sich der Beschwerdeführer zum Tatzeitpunkt in einer heftigen Gemütsbewegung befunden haben sollte, wäre diese nach den aufgezeigten Kriterien nicht "allgemein begreiflich" gewesen. Der Wunsch eines Unmündigen zu sterben versetzt einen Menschen von durchschnittlicher Rechtstreue nicht in einen psychischen Ausnahmezustand; die Ursache für die gleichwie heftige Gemütsbewegung des Beschwerdeführers lag vielmehr in seiner eigenen Persönlichkeitsstörung, die auch der Grund für seine intensive Zuwendung zu einem fremden Knaben war.

Eine Eventualfrage nach fahrlässiger Tötung (§ 80 StGB) war gleichfalls nicht indiziert, weil es an einem Vorbringen in der Hauptverhandlung dahin mangelte, dass der Angeklagte den Tod des Peter H***** nicht gewollt hätte. Vielmehr schloss der vom Beschwerdeführer behauptete Plan, gemeinsam mit dem Knaben Selbstmord zu begehen, die Möglichkeit eines fahrlässigen Handelns von vornherein aus, auch wenn er sich seiner Verantwortung durch Selbsttötung entziehen wollte. Dafür, dass der Beschwerdeführer in einem Rechtsirrtum (§ 9 StGB) verfangen gewesen wäre oder irrtümlich einen rechtfertigenden Sachverhalt angenommen hätte (§ 8 StGB), fehlte es an jeglichem Vorbringen in der Hauptverhandlung, sodass sich darauf gerichtete Zusatzfragen erübrigten.

Eine Unrichtigkeit der den Geschworenen erteilten Rechtsbelehrung vermag der Beschwerdeführer mit seiner Instruktionsrüge (Z 8) nicht aufzuzeigen. Der Mangel an inländischen Entscheidungen zur Frage der Mitwirkung am Selbstmord eines Unmündigen erfordert keine Auseinandersetzung mit ausländischen gesetzlichen Regelungen und ausländischer Judikatur. Da die Anwendung von Analogie nicht aktuell war, bestand auch kein Anlass für eine Darlegung des Analogieverbotes (§ 1 StGB). Der Wechsel von Indikativ und Konjunktiv bei der Darlegung der Folgen der Bejahung oder Verneinung von Fragen vermochte den Sinn der Instruktion nicht zu beeinträchtigen.

Unberechtigt ist auch der Vorwurf einer in sich widersprechenden Antwort der Geschworenen (§ 345 Abs 1 Z 9 StPO); denn bei Vorliegen eines Selbsttötungsentschlusses kann sehr wohl die Fähigkeit zur Einsicht in dessen Tragweite fehlen. Nichts anderes haben die Geschworenen durch die Bejahung der Hauptfrage in Bezug auf den Unmündigen Peter H***** zum Ausdruck gebracht.

Gegen die Feststellung der Geschworenen zur magelnden Einsicht des Unmündigen, die ganze Tragweite seines Selbsttötungsentschlusses zu erfassen, richtet sich auch die Tatsachenrüge (Z 10a). Indes betrifft dieser Ausspruch keine entscheidende Tatsache, weil es einem Unmündigen generell an der Selbstverantwortungsfähigkeit hinsichtlich seines eigenen Lebens fehlt (Moos im WK1 § 77 Rz 25, § 78 Rz 22; Leukauf/Steininger Komm3 § 77 RN 4, § 78 RN 6; Kienapfel BT I4 § 77 Rz 17; Rittler II2 8 f). Der Suizidwille eines Unmündigen ist daher unter keinen Umständen beachtlich.

Die (nominell aus Z 7 erhobene) Rechtsrüge (Z 11 lit a), welche mit Blick auf die rechtliche Unerheblichkeit des Sterbewillens eines Unmündigen untauglichen Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) nach § 78 StGB annimmt, geht ebenso fehl wie die im Übrigen nicht am Wahrspruch und damit am Prozessrecht orientierte Subsumtionsrüge (Z 12), welche (im Gegensatz dazu) den Sterbewillen für erheblich hält und die Tat als Mitwirkung am Selbstmord beurteilt wissen will.

Nach übereinstimmender Ansicht mangelt nämlich einem Unmündigen (§ 74 Z 1 StGB) die für eine Selbsttötung im Sinne des § 78 StGB erforderliche Freiwilligkeit (Moos in WK1 § 78 Rz 19, 22 mwN). Wird also ein Unmündiger dazu bestimmt, Hand an sich zu legen oder ihm dazu Hilfe geleistet, scheidet Strafbarkeit nach § 78 StGB aus. Derartiges Verhalten ist vielmehr ohne die vom Beschwerdeführer vermutete Überschreitung der Wortlautgrenze (§ 1 StGB) dem Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB zu unterstellen (Leukauf/Steininger Komm3 § 78 RN 6, 10; Moos in WK1 § 75 Rz 29 f).

Als unmittelbarer Täter hinwieder kommt nur in Frage, wer eine dem Wortlaut des Tatbstandes entsprechende Ausführungshandlung vornimmt . Ein dem Wortlauttatbestand nicht entsprechendes Verhalten, mag es auch für den eingetretenen Erfolg (mit )kausal gewesen sein, kann nicht der unmittelbaren Täterschaft zugeordnet werden (Friedrich, Triffterers Beteiligungslehre eine vermittelnde Lösung?, RZ 1986, 227, 258 [229]; ders, Zur Beteiligung an einem Versuch [§ 15 Abs 1 StGB], ÖJZ 1995, 9 [10]; Kienapfel/Höpfel AT8 E 3 RN 3). Zu Unrecht hat das Geschworenengericht daher in der von einer (Selbst )Tötungsaufforderung begleiteten Übergabe eines Revolvers Mord in unmittelbarer Täterschaft gesehen (§ 12 erster Fall StGB; in diesem Sinne allerdings auch Moos in WK1 § 75 Rz 29 f und § 78 Rz 19 mwN und Kienapfel BT I4 § 78 RN 11).

Wegen der rechtlichen Gleichwertigkeit der Täterschaftsformen (vgl Kienapfel/Höpfel AT8 E 2 RN 46) besteht gleichwohl zu einer (amtswegigen: §§ 344, 290 Abs 1 StPO) Korrektur kein Anlass.

Mit der "strafbaren Handlung", zu der vom Bestimmungstäter bestimmt und vom Beitragstäter beigetragen wird, ist jeweils deren eigene strafbare Handlung gemeint, also jener abstrakte Deliktstypus, der nach § 13 StGB allein durch ihre eigene subjektive Tatseite determiniert ist. Lediglich die Realisierung der dem Tätigkeitswort im Tatbestand unmittelbar entsprechenden Handlung wird durch den unmittelbar Ausführenden veranlasst oder ihm überlassen (treffend Friedrich, RZ 1986, 231 und FN 47; vgl auch Fabrizy in WK2 § 12 Rz 39). Wer demnach einem als Objekt des § 78 StGB nicht in Betracht kommenden Unmündigen einen Revolver mit dem Willen übergibt, es diesem zu ermöglichen, sich zu erschießen, leistet einen sonstigen Beitrag (§ 12 dritter Fall StGB) zur Tötung eines (aus seiner Sicht) anderen, indem er die Tötungshandlung dem unmittelbar Ausführenden überlässt.

Dem Vorbringen zur Strafzumessungsrüge (Z 13) zuwider hat das Erstgericht den Umstand, dass sich die Mutter des Peter H***** mit Liebe und Aufgeschlossenheit um ihr Kind bemüht hat, nicht als erschwerend angenommen. Vielmehr wertete es den Umstand als erschwerend, dass der Beschwerdeführer das Vertrauen des unmündigen Knaben dazu missbraucht hat, ihn seiner Familie zu entfremden und in eine verhängnisvolle Nahebeziehung zu sich selbst zu bringen, und verwies in der Begründung unter anderem auf das entgegengesetzte Bemühen der Mutter. Eine fehlerhafte Rechtsanwendung die allein die geltend gemachte Nichtigkeit begründen könnte ist dem Erstgericht daher nicht unterlaufen.

Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB eine Freiheitsstrafe von dreizehn Jahren. Dabei wertete es als erschwerend, dass der Angeklagte wie schon erwähnt das Vertrauen des unmündigen Knaben dazu missbraucht hatte, ihn seiner Familie zu entfremden und in eine verhängnisvolle Nahebeziehung zu sich selbst zu bringen; mildernd berücksichtigte es den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten, die "Einengung seiner Diskretions und Dispositionsfähigkeit" und den Umstand, dass er sich selbst gestellt und durch seine Angaben zum äußeren Tathergang wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat.

Diesen Strafausspruch bekämpft der Angeklagte mit Berufung, mit der er eine Herabsetzung der Freiheitsstrafe unter Anwendung des § 41 StGB anstrebt.

Achtenswerte Beweggründe (§ 34 Z 3 StGB), also solche, die auch einem rechtstreuen Menschen die Verübung einer strafbaren Handlung nahegelegt hätten (vgl Leukauf/Steininger Komm3, § 34 RN 8 mwN), können dem Berufungswerber nicht zugebilligt werden. Bei der ihm angelasteten Tathandlung (Zurverfügungstellen eines Revolvers) kann auch keine Rede davon sein, er habe sich lediglich durch Unterlassung der Erfolgsabwendung strafbar gemacht (§ 34 Z 5 StGB).

Zur Forderung des Berufungswerbers, ihm die Tatbegehung in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung (§ 34 Abs 1 Z 8 StGB) zugute zu halten, ist auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde zu verweisen.

Der Milderungsumstand einer Tatbegehung unter Einwirkung eines Dritten (§ 34 Z 4 StPO) oder ein angeblicher Irrtum des Angeklagten über die rechtliche Subsumtion seines Verhaltens können ebenfalls nicht als mildernd gewertet werden.

Dass sich der Angeklagte selbst gestellt und durch seine Angaben wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat, wurde ohnehin bereits vom Geschworenengericht berücksichtigt.

Ein Bemühen des Angeklagten vor der gegenständlichen Tat, die Selbsttötung des Peter H***** zu verhindern, erreicht nicht das Gewicht eines besonderen Milderungsumstandes.

Demgegenüber hat das Geschworenengericht den angeführten Erschwerungsumstand der Aktenlage entsprechend angenommen.

Auf der Basis der vorliegenden Strafzumessungsgründe sah sich der Oberste Gerichthof zu einer Herabsetzung der ohnedies im unteren Bereich der gesetzlichen Strafdrohung schuldangemessen verhängten Freiheitsstrafe nicht veranlasst.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a StPO.

Rechtssätze
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