JudikaturJustiz14Os148/21b

14Os148/21b – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. März 2022 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Mann und Dr. Setz Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Wagner in der Strafsache gegen * T* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 16. September 2021, GZ 29 Hv 69/19v 225, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Artner, und des Verteidigers Mag. Kobler zu Recht erkannt:

Spruch

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Punkt 1/ des Schuldspruchs, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche der Republik Österreich sowie der diesem Schuldspruchpunkt zugrunde liegende – ansonsten gleichfalls unberührt bleibende – Wahrspruch der Geschworenen (zur Eventualfrage 1), aufgehoben und die Sache insoweit an das Landesgericht Salzburg als Schöffengericht zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung verwiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen wird verworfen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde * T* je eines Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (1/) und nach § 84 Abs 4 StGB (2/) sowie dreier Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (3/a/ bis c/) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er – soweit hier von Bedeutung – am 22. März 2019 in F* Nachgenannte am Körper verletzt, und zwar

1/ * H*, indem er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, sodass dieser rücklings zu Boden stürzte, sowie durch anschließendes mehrfaches gezieltes Einstechen mit den Spitzen von Skistöcken gegen den Kopf und Gesichtsbereich des am Boden liegenden H*, wodurch dieser eine Kopfprellung, Rissquetschwunden an der Stirn, am Scheitel und am Hinterkopf sowie Schürfwunden am Scheitel und innenseitig an der Unterlippe erlitt, und dadurch eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) des H* herbeizuführen versucht, sowie

3/b/ * L*, indem er ihm einen Faustschlag gegen das Gesicht versetzte, wodurch er eine Rissquetschwunde an der Oberlippe erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Gegen die Schuldspruchpunkte 1/ und 3/b/ richtet sich die zum Nachteil des Angeklagten erhobene, auf § 345 Abs 1 Z 6 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der teilweise Berechtigung zukommt.

[4] Die Geschworenen verneinten (in Bezug auf Punkt 1/ des Schuldspruchs) die anklagekonform nach dem Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte Hauptfrage 1 und bejahten die nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB gestellte Eventualfrage 1.

[5] Des Weiteren verneinten die Geschworenen (in Bezug auf Punkt 3/b/ des Schuldspruchs) die anklagekonform nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB gestellte Hauptfrage 4 und bejahten die nach dem Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB gestellte Eventualfrage 4.

[6] Zutreffend kritisiert die Fragenrüge (Z 6) – unter Einhaltung der Kriterien des § 345 Abs 4 StPO (ON 224 S 47 bis 49) – die Unterlassung der Aufnahme einer Eventualfrage (§ 314 StPO) nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung (§§ 15, 87 Abs 1 StGB) in das Fragenschema der Hauptfrage 1.

[7] Die Erfüllung des Tatbestands des § 87 Abs 1 StGB erfordert, dass es dem Täter darauf ankam (§ 5 Abs 2 StGB), eine schwere Körperverletzung (iSd § 84 Abs 1 StGB) herbeizuführen. In Bezug auf § 87 Abs 1 StGB ist Versuch uneingeschränkt möglich ( Burgstaller/Schütz in WK 2 StGB § 87 Rz 6, 13).

[8] Eventualfragen (§ 314 StPO) sind – soweit hier von Interesse (Täterschaftsform und Deliktsstadium stehen nicht in Rede) – dann zu stellen, wenn erhebliche ( Ratz , WK StPO § 345 Rz 42; Lässig , WK StPO § 313 Rz 7; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 314 Rz 4), prozessordnungsgemäß in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) die Verwirklichung eines anklagedifformen Tatbestands indizieren ( Lässig , WK StPO § 312 Rz 6, § 313 Rz 5, § 314 Rz 2 mwN; RIS Justiz RS0100608 [T2, T4, T10], RS0100991, RS0101087, RS0100396 [T1, T2, T3]).

[9] Der Schluss von einem Verfahrensergebnis auf die verlangte Eventualfrage muss den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechen (RIS Justiz RS0132634).

[10] Die Fragenrüge verweist gesetzeskonform – jeweils unter Angabe der Fundstelle im Akt und Beachtung des inneren Sinnzusammenhangs (vgl RIS Justiz RS0100860; Lässig , WK StPO § 314 Rz 3; Ratz , WK StPO § 345 Rz 23) – auf folgende, die begehrte Eventualfrage indizierende, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse:

[11] Nach der Verantwortung des Angeklagten habe er „alle Verletzungen, die in der Anklage angeführt sind, gemacht“ (ON 224 S 4 ff [6]).

[12] Der Zeuge * Hö* gab an, man habe bei H* „die Einstichlöcher“, die „runden Stichstellen von den Skistecken“ gesehen, wobei eines „knapp beim Auge“ gewesen sei. Er habe „drei Stichstellen […] am Hinterkopf und auf der Seite“ gesehen (ON 224 S 16 ff [19]).

[13] Zufolge der Aussage des Zeugen * K* habe der Angeklagte mehr als fünf Mal mit einem Skistecken, den er mit beiden Händen gehalten habe, „nur in Richtung Kopfbereich“ auf den am Boden liegenden H* „mit schnellen Stichen“ eingestochen (ON 224 S 22 ff [24 bis 26]).

[14] Ebenso führte * Ha* in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung aus, der Angeklagte habe auf eine am Boden liegende Person mit einem Skistock, den er mit beiden Händen gehalten habe, „auf den Kopf gezielt“ eingestochen (ON 224 S 33 ff [34]).

[15] Der Zeuge * H* gab an, am Boden liegend vom Angeklagten mit der Skistockspitze am Kopf etwa „5 cm bis 7 cm oberhalb des Auges“ und noch weitere „zwei Mal massiv erwischt“ worden zu sein. Der Angeklagte habe den Skistock „mit ziemlicher Sicherheit mit beiden Händen gehalten“, er habe „massiv gegen den Kopf“ gezielt, beim dritten Treffer sei er mit der Spitze abgerutscht (ON 224 S 36 ff [38 f]).

[16] Nach dem medizinischen Gutachten des Sachverständigen Dr. * M* (ON 224 S 42 ff iVm ON 29) erlitt H* (unter anderem) drei Rissquetschwunden von rundlicher Gestalt an der Kopfschwarte, eine Schürfwunde am Scheitel und eine weitere innenseitig an der Unterlippe. Dieses Verletzungsbild sei mit einer Entstehung durch Zustoßen oder Zustechen mit der Spitze eines Skistocks vereinbar. Es sei vorliegend davon auszugehen, dass die Stöße mit erheblicher Körperkraft erfolgt seien. Bei einem Zustechen oder Zustoßen mit der Spitze eines Skistocks hätte es zu Brüchen des Schädelknochens, Blutungen in die Schädelhöhle, einer Penetration des Schädelknochens mit einer folgenden Schädigung des Hirngewebes und Blutungen in die Schädelhöhle oder im Fall des Durchbohrens des Augapfels zu einer Verletzung der unmittelbar hinter der Augenhöhle gelegenen inneren Hauptschlagader kommen können. Es habe sich im konkreten Fall zwar keine Lebensgefahr manifestiert, aber „mit diesem Mechanismus“ hätte sehr wohl Lebensgefahr bestanden.

[17] Diese Verfahrensergebnisse indizieren die Schlussfolgerung, dem Angeklagten sei es auf einen schweren Verletzungserfolg angekommen (§ 5 Abs 2 StGB; RIS Justiz RS0098671).

[18] Somit sind in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden, nach denen – wenn sie als erwiesen angenommen werden – die dem Angeklagten zu 1/ zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger strafbedroht ist als das in der Anklageschrift (ON 138) angeführte (§ 314 Abs 1 StPO, § 325 Abs 1 StPO; RIS Justiz RS0100569 [insb T8]).

[19] Dass der Schwurgerichtshof die Eventualfrage 1 zur Hauptfrage 1 nur nach dem Verbrechen der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB stellte, die Stellung einer Eventualfrage (auch) nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB jedoch unterließ, begründet Nichtigkeit aus Z 6 (11 Os 151/94).

[20] Hingegen scheitert die weitere Fragenrüge, die zu den Hauptfragen 1/ und 4/ jeweils das Unterbleiben der Stellung einer Eventualfrage nach dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 StGB releviert, schon daran, dass die Beschwerdeführerin diesbezüglich ihrer Rügeobliegenheit (§ 345 Abs 4 StPO) nicht nachkam (RIS Justiz RS0100417; Lässig , WK StPO § 310 Rz 8; Ratz , WK StPO § 345 Rz 79).

[21] In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil und der diesem zugrunde liegende Wahrspruch im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang aufzuheben. Da der Nichtigkeitsgrund nur den Wahrspruch zur Eventualfrage 1, nicht aber jenen zu der von den Geschworenen verneinten Hauptfrage 1 betrifft und insoweit eine Sonderung möglich ist, hatte dieser Teil des Wahrspruchs unberührt zu bleiben (§ 349 Abs 2 StPO; Fabrizy/Kirchbacher , StPO 14 § 349 Rz 1).

[22] Die Sache war im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das nunmehr sachlich zuständige (§ 31 Abs 3 Z 1 StPO) Schöffengericht zu verweisen, das seiner Entscheidung den unberührt gebliebenen Teil des Wahrspruchs mit zugrunde zu legen haben wird (§ 349 Abs 2 StPO; RIS Justiz RS0101029).

[23] Die Nichtigkeitsbeschwerde im Übrigen war zu verwerfen.

[24] Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

[25] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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